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2 Hintergrund und Bewertungsmaßstäbe

2.1.3 Verbreitung, Marktentwicklung, Potenziale von Arbeitnehmerüberlas- Arbeitnehmerüberlas-sung

Im internationalen Vergleich hat Arbeitnehmerüberlassung auf dem deutschen Arbeits-markt bislang einen eher geringen Stellenwert. Während z. B. das Zeitarbeitsunterneh-men Manpower in den USA als größter Arbeitgeber gilt und in den Niederlanden 4 % der Erwerbstätigen als Zeitarbeitskräfte arbeiten (Bögelein 1999: 216), liegt der Anteil der in der Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigten in der Bundesrepublik nur bei ca.

einem Prozent der Erwerbstätigen (Bundesanstalt für Arbeit 1999: 74).7

Die Entwicklung auf dem Zeitarbeitsmarkt ist von einer hohen Dynamik gekennzeichnet.

Laut der amtlichen Arbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit be-trieben Mitte 1998 4.375 Unternehmen ausschließlich oder überwiegend Arbeitneh-merüberlassung im Hauptzweck (vgl. zum folgenden Bundesanstalt für Arbeit 1999:

73ff). Damit hat sich die Zahl der Verleihbetriebe in den letzten fünfzehn Jahren verfünf-facht. Es überwiegen kleine und mittlere Anbieter auf dem Markt. Nur 16 % der Betrie-be verfügen üBetrie-ber mehr als 50 LeiharBetrie-beitskräfte.

Tatsächlich liegt die Zahl derjenigen Betriebe, die eine Überlassungserlaubnis besitzen, mit 7.846 Betrieben noch erheblich höher. Erfasst werden nämlich außerdem auch so genannte „Mischbetriebe”, die Arbeitnehmerüberlassung nicht im Hauptzweck betrei-ben und keine Erlaubnis betrei-benötigen. Hierunter fallen überwiegend Kleinbetriebe, die bei Auftragsmangel gelegentlich eigene Beschäftigte verleihen (vgl. Rudolph/Schröder 1997:

111).8

7 Dass Zeitarbeitsunternehmen eine bedeutsame wirtschaftliche Dimension erreichen können, belegt auch das Beispiel des Schweizer Adecco-Konzerns, der 1998 zu den sieben größten Unternehmen in der Schweiz zählte und eine größere Wirtschaftskraft aufwies als etwa die Swisscom (Telekommunika-tion) (vgl. Handelsblatt vom 14. Juli 1999: 16).

8 Die sog. „Kollegenhilfe” wurde mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1990 eingeführt. Zweck sollte es sein, wirtschaftliche Krisensituationen in Kleinbetrieben mit weniger als 20 Beschäftigten ohne Entlassungen oder Kurzarbeit zu überbrücken. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitskräfte konnten von ihrem Arbeitgeber auch ohne Überlassungserlaubnis bis zu drei Monate an andere Arbeitgeber desselben Wirtschaftszweigs im selben oder einem angrenzenden Handwerkskammerbezirk überlassen werden (vgl. Rudolph/Schröder 1997: 111, Anm. 26). Die Änderung des AÜG von 1997 erleichterte die „Kollegenhilfe” durch eine Erhöhung der Beschäftigtenzahl der Kleinbetriebe von 20 auf 50 und

Die Verleihunternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung im Hauptzweck betreiben, mel-deten zum Stichtag 30. Juni 1998 252.900 Leiharbeitskräfte. Angesichts von 33,7 Mio.

Erwerbstätigen erscheint diese Anzahl eher gering. Die zunehmende öffentliche Auf-merksamkeit, die Arbeitnehmerüberlassung zukommt, hängt dementsprechend auch nicht in erster Linie mit der absoluten Anzahl der dort Beschäftigten zusammen, sondern mit den enormen Steigerungsraten in den vergangenen Jahren. Gegenüber 1997 war die Zahl der Leiharbeitskräfte z. B. um rund 20 % gestiegen; im Vergleich zu 1992 (133.734 Leiharbeitskräfte) ist sogar fast eine Verdoppelung der bei Zeitarbeitsunter-nehmen Beschäftigten zu konstatieren.

Die Leiharbeitskräfte stammten überwiegend aus den Metall- und Elektroberufen (38,7%). 28,2 % der Leiharbeitskräfte waren geringqualifiziert, womit sich dieser Anteil um 2 % gegenüber dem Vorjahr erhöhte. Damit hat die Branche nach wie vor ein star-kes Standbein in diesem Segment. Die Bereiche Büro und Verwaltung (11,7 %) und Dienstleistung (8,6 %) rangierten mit deutlichem Abstand dahinter (vgl. Bögelein 1999).

Eine Studie der ABN-Amro-Bank prognostiziert der Zeitarbeit in Deutschland ein jährli-ches Marktwachstum von 17 %. Damit weist die Branche neben der Informationstech-nologie das stärkste Wachstum auf (vgl. Fröndhoff 1999: 35). Zugleich zeichnet sich ein Konzentrationsprozess auf dem bislang noch sehr stark fragmentierten Markt der Ar-beitnehmerüberlassung ab. Die größeren Anbieter schätzen, dass ein Marktanteil von 10% notwendig sein wird, um mittelfristig zu den Marktführern zu gehören (vgl. Jakobs 1998: 20).9 Die aktuelle Zunahme von Zeitarbeitsbüros in den Innenstädten dürfte noch zunehmen.10 Kleinere Wettbewerber suchen ihre Chancen in Marktnischen.11

Branchenberichte weisen auf das erweiterte Tätigkeitsfeld der Unternehmen hin, die sich von reinen Überlassungsgesellschaften zu umfassenden Dienstleistern für den Personal-bereich gewandelt haben. „Neu sind die zunehmende Branchenspezialisierung und eine erweiterte Palette neuer Personaldienstleistungsprodukte” (Schneider 1999: 66). Als

durch eine Verlängerung des Verleihzeitraumes von drei auf zwölf Monate. Die Befristung der Rege-lung wurde aufgehoben (vgl. Marschall 1997: 26).

9 Die niederländische Gesellschaft Randstad Holding dürfte dieses Ziel nach dem Kauf des deutschen Unternehmens Time Power Personal-Dienstleistungen GmbH & Co. KG bereits erreicht haben (vgl.

Handelsblatt 11. März 1999: 23). Die Marktanteile der anderen Branchengrößen wie Adecco, Persona, Manpower, Offis und DIS werden auf 3 bis 4 % geschätzt. Insgesamt entfallen auf diese Gruppe etwa 25 % des deutschen Marktes. Die übrigen 75 % teilen sich ca. 2.900 Verleihfirmen mit rund 4.900 Niederlassungen (vgl. Handelsblatt vom 22. September 1998: 20).

10 Das Unternehmen Manpower, das Anfang 1999 noch mit ca. 120 Niederlassungen auf dem Markt vertreten war, will nach eigenen Angaben spätestens Mitte 2000 über 200 Niederlassungen verfügen (vgl. Handelsblatt vom 16./17. April 1999: 19).

11 Das Unternehmen Amadeus hat sich z. B. auf den Bereich Rechnungswesen spezialisiert und weist zweistellige Wachstumsraten auf (vgl. Handelsblatt vom 21. April 1999: 47).

zukunftsträchtig gilt das Engagement in Bereichen wie der Telekommunikation, der Da-tenverarbeitung und der Finanzdienstleistung.12

Die beschäftigungspolitische Wirkung von Arbeitnehmerüberlassung ist umstritten.

Während die einen auf positive Beschäftigungswirkungen verweisen, argumentieren andere wie z. B. das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass „Leihar-beit bzw. deren Ausbreitung gesamtwirtschaftlich zu einem Beschäftigungsrückgang führen. Das insgesamt von Betrieben vorzuhaltende Personal für Spitzenbelastungen läßt sich gepoolt deutlich verringern. Nur so ist die Existenz dieser Beschäftigungsvarian-te überhaupt ökonomisch zu erklären“ (Walwei 1996: 227). Chancen werden hingegen bei einer stärkeren Ausnutzung der Fluktuation für benachteiligte Gruppen des Arbeits-marktes erkannt. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesverbandes Zeitarbeit Perso-nalentwicklung geht dagegen von einem Nettoentlastungseffekt aus und verneint einen Einfluss von Leiharbeit auf den Abbau von „Normalarbeitsverhältnissen“ (BZA 1998).

Qual oder Wahl, Risiko oder Chance – solche und ähnliche Gegensatzpaare werden häufig genutzt, um die ambivalenten Wirkungen zu verdeutlichen, die Arbeitsverhältnis-se im Bereich Arbeitnehmerüberlassung auf die dort Beschäftigten haben (vgl. Schröder 1997: 56ff, Weinkopf 1996: 19ff). Eine eindeutige Zuordnung erscheint kaum möglich, da die Beschäftigteninteressen nicht homogen sind und sich auch die Bedürfnisse der Erwerbstätigen individualisieren (vgl. schon frühzeitig Bosch 1986). Allerdings ist dieser Individualisierungsprozess höchst ambivalent. „Akute Notsituationen, Abhängigkeiten und Konkurrenzbeziehungen wie auch neue Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung“

(Bosch 1996: 172) können die Triebkräfte sein.

Untersuchungen über Berufsverläufe von Zeitarbeitskräften in der Bundesrepublik un-termauern die These von der Ambivalenz der Beschäftigungsform Arbeitnehmerüberlas-sung. Brose u.a. (1990: 128) kommen zu dem Schluss, Zeitarbeit sei ein „Symptom der Erosionstendenzen, indem sie auf das Brüchigwerden von ‚Karrieren‘ verweist“; ande-rerseits könnten in der Zeitarbeit auch bereits Anzeichen eines neuen Institutionalisie-rungsprozesses gesehen werden, insofern diese Beschäftigungsform als eine Institution auf dem Arbeitsmarkt (neben anderen) in gewissem Sinn zur Normalisierung von Mobili-tät und DiskontinuiMobili-tät im Berufsleben beiträgt.

Die entscheidende Fragestellung lautet dann nicht mehr, ob es sich im Bereich Arbeit-nehmerüberlassung um atypische Arbeitsverhältnisse handelt, sondern ob es sich um eine prekäre Beschäftigungsform handelt (vgl. auch Schröder 1997: 36).

12 Auf der EXPO 2000 wird das Unternehmen ADECCO rund 7.000 Arbeitskräfte einsetzen (vgl. Vogel-sang 1999).

Auf die möglichen Risiken und Benachteiligungen von Leiharbeitskräften sind wir bereits ausführlich eingegangen. Als mögliche Chancen von Leiharbeit werden z. B. folgende Aspekte genannt:

· Leiharbeit kann es ermöglichen, eine Vielzahl von Arbeitsverfahren und –abläufen kennen zu lernen und dabei praktische Kenntnisse zu erweitern.

· Diese vielfältigen Arbeitserfahrungen können zu mehr Anpassungsfähigkeit führen und so einen Qualifikationszuwachs darstellen sowie Karrierewege eröffnen (vgl. Ra-sell/Appelbaum 1998: 382; Schröder 1997: 38).

· Die Beschäftigung bei einem Verleihunternehmen kann den Leiharbeitskräften zu-dem größere Spielräume eröffnen, z. B. Phasen der Nichterwerbstätigkeit einzule-gen.

· Weiterhin wird argumentiert, dass Arbeitnehmerüberlassung auf geänderte Er-werbswünsche der Arbeitskräfte nach flexiblerer Gestaltung der Erwerbstätigkeit re-agiert und insofern einen Autonomiegewinn für die Beschäftigten bringt.

Eine Befragung von Leiharbeitskräften kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass das wich-tigste Motiv für die Aufnahme einer Tätigkeit bei einem Verleihunternehmen die Been-digung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit ist. „Dieses Motiv hat aufgrund der ver-schlechterten Arbeitsmarktlage in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung gewonnen und Motive, die auf den originären Vorteilen der Zeitarbeit beruhen, in den Hintergrund gedrängt.“ (Wahl/Kuhn/Schneider 1995: 44 ff)

Tabelle 2: Gründe der Beschäftigten für die Aufnahme von

Zeitarbeit 1995 (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in %)

Gründe Zeitarbeitskräfte

Insgesamt

Männer Frauen

Weil ich sonst arbeitslos wäre 57 61 42

Weil ich Kontakte zu anderen Firmen knüpfen kann, um eine neue Stelle zu finden

48 48 50

Weil ich durch unterschiedliche Tätigkeiten beruflich dazulernen möchte

46 44 54

Weil ich viel Abwechslung erlebe, neue Orte und Menschen kennen lerne

37 35 46

Weil ich nur kurze Zeit arbeiten kann 13 12 16

Keine Angaben 2 1 3

Quelle: Wahl/Kuhn/Schneider 1995: 45

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bewertung der Arbeitnehmerüberlassung eng verknüpft ist mit der Frage, wie die Verteilung von Anpassungsfreiräumen und An-passungserfordernissen (vgl. Semlinger 1991) in der Realität aussieht und wer bei Flexi-bilisierungsprozessen gewinnt bzw. verliert.13 Wie wir bereits ausführlich aufgezeigt ha-ben, schneiden Leiharbeitskräfte im Vergleich mit anderen Beschäftigten bei zentralen Merkmalen eines Arbeitsverhältnisses wie Einkommen, soziale Sicherheit oder Beschäfti-gungssicherheit häufig schlechter ab.

Die Diskussion von Chancen und Risiken der Beschäftigungsform Arbeitnehmerüberlas-sung bekräftigt den Eindruck von Ambivalenz, ohne ihn eindeutig pro oder contra auflö-sen zu können. Wir stimmen daher Walwei (1996: 226) zu, wenn er ausführt: „Da für beide Marktseiten atypische Beschäftigung in der Regel nicht die erste Wahl darstellen dürfte, ist sowohl Interessenkongruenz als auch Interessendivergenz zwischen den Be-teiligten denkbar. Inwieweit bei Interessendivergenzen atypische Erwerbsformen letztlich zustandekommen, hängt dann im Wesentlichen von der Verhandlungsmacht und Kon-zessionsbereitschaft der Vertragsparteien ab. Somit ist und bleibt die Beurteilung atypi-scher Erwerbsformen ambivalent. Atypische Beschäftigung kann, muss aber nicht prekä-ren Charakter haben. Generelle Verbote wäprekä-ren insofern nicht zu rechtfertigen.“

Damit kommt der Gestaltung atypischer Beschäftigungsformen wie der Arbeitnehmer-überlassung eine hohe Bedeutung zu, die das Zustandekommen freiwilliger Vereinba-rungen unterstützt und die Potenziale dieser Erwerbsformen zum Nutzen aller Beteilig-ten und letztlich der besseren Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes erschließt. „Das Prinzip lautet also nicht Ausgrenzung, sondern Integration.“ (Walwei 1996: 226)

Wir kommen in 2.3 auf die Frage von Ansatzpunkten und Kriterien einer sozialverträgli-chen Gestaltung von Arbeitnehmerüberlassung zurück. Zuvor soll jedoch in 2.2 der ar-beitsmarktpolitische Kontext beleuchtet werden.