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2 Hintergrund und Bewertungsmaßstäbe

2.1.1 Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in der Bundesrepublik

Arbeitsrechtlich ist die Arbeitnehmerüberlassung durch eine Dreieckskonstruktion ge-kennzeichnet. Arbeitgeber der Leiharbeitskraft im arbeitsrechtlichen Sinn ist das Verleih-unternehmen, welches damit auch die Arbeitgeberfunktion mit allen damit verbunde-nen Rechten, Pflichten und Risiken übernimmt wie z. B. Lohnabrechnung, Lohnfortzah-lung im Krankheitsfall und Kündigungsschutz. Ihre Arbeitsleistung erbringt die Leihar-beitskraft bei einem Dritten, dem Entleiher, der für diese Leistung eine Vergütung an den Verleihbetrieb bezahlt, die deutlich höher liegt als der jeweilige Bruttostundenlohn.

Leiharbeitskraft und Verleihbetrieb schließen einen Arbeitsvertrag, der Entleihbetrieb hingegen schließt mit dem Verleihbetrieb einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ab.

Während des Verleihs hat der Entleihbetrieb das Weisungsrecht gegenüber der Leihar-beitskraft. Beteiligt ist weiterhin die Bundesanstalt für Arbeit, quasi als vierte Partei, die Verleihbetrieben die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt und an die die Ver-leihbetriebe die gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen für die amtliche AÜG-Statistik richten (vgl. Scholz 1989: 193).

Abbildung 2: Konstruktion des Leiharbeitsverhältnisses

Leiharbeitskraft

Arbeitsvertrag faktisches Arbeitsverhältnis

Überlassungsvertrag

Verleihbetrieb Entleihbetrieb

Quelle: Weinkopf/Krone 1995: 29

Interessante Hinweise auf die politischen Kontroversen um Arbeitnehmerüberlassung, auf die wir später noch ausführlicher eingehen, geben bereits die Begriffe, mit denen Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet wird. Leiharbeit, Personalleasing, Zeitarbeit, Ar-beitskräfteverleih sind einige der verwandten Bezeichnungen. Noch vor einigen Jahren konnte man an der jeweiligen Begriffsverwendung ablesen, welcher politische Stand-punkt vertreten wurde. Dies hat sich u. E. jedoch inzwischen etwas abgeschliffen. Wir verwenden die Begriffe synonym.

Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in der Bundesrepublik orientiert sich am Leitbild, „die Leiharbeit als ein eigenständiges, die einzelne Überlassung überdauerndes, normales Arbeitsverhältnis zu etablieren, in dem der Verleiher der alleinige Arbeitgeber ist“ (Voswinkel 1995: 110). Diese Prinzipien lassen sich auf ein Urteil des Bundesverfas-sungsgerichtes von 1967 zurückführen, in dem das bis dahin geltende Verbot der ge-werbsmäßigen Überlassung von Arbeitskräften als unvereinbar mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aufgehoben wurde. Das Bundessozialgericht spezifizierte in einem Grundsatzurteil im Jahre 1970 Abgrenzungskriterien zur verbotenen privaten Arbeits-vermittlung. Der Gesetzgeber setzte diese Anstöße mit dem 1972 einstimmig verab-schiedeten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) um (vgl. Schröder 1997: 70, 108ff).

Dabei standen die folgenden Zielsetzungen im Vordergrund (vgl. Becker 1980: 13):

· Ausschaltung unseriöser Verleiher durch eine Erlaubnispflicht, Kontroll- und Prü-fungsbefugnisse der Bundesanstalt für Arbeit (gewerberechtliche Komponente);

· Schutz des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols durch die Abgrenzung legaler Arbeitnehmerüberlassung von verbotener privater Arbeitsvermittlung (vermittlungs-rechtliche Komponente);

· Sicherung des arbeitsrechtlichen Status der Leiharbeitskräfte durch Mindestarbeits-bedingungen (arbeitsrechtliche Komponente);

· Sicherung der sozialversicherungsrechtlichen Belange der Leiharbeitskräfte durch ein Kontrollmeldeverfahren und eine im Jahre 1988 eingeführte Subsidärhaftung des Entleihers für Sozialversicherungsbeiträge (sozialversicherungsrechtliche Komponen-te);

· Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit ausländischer Arbeitskräfte durch Beschäftigungsverbote (ausländerrechtliche Komponente).

Die aufgeführten Regelungen gelten nur für gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung.

„Gewerbsmäßigkeit“ wird unterstellt, wenn eine auf eine gewisse Dauer angelegte und auf die Erzielung unmittelbarer oder wirtschaftlicher Vorteile ausgerichtete selbständige Tätigkeit vorliegt (Schüren 1994: 26, 218ff). Die Dauer und die Anzahl der überlassenen Leiharbeitskräfte sind nicht ausschlaggebend. Der Begriff der „gemeinnützigen Arbeit-nehmerüberlassung“ taucht im Gesetzestext nicht auf. In einem Kommentar zum AÜG findet sich unter diesem Stichwort folgende Ausführung: „Die Gewinnerzielungsab-sicht fehlt, wenn die Tätigkeit unmittelbar gemeinnützigen, karitativen, wissenschaftli-chen oder sonstigen ideellen Zwecken dient. Werden dabei Einnahmen in irgendeiner Form erzielt (z. B. aus Eintrittsgeldern, Bücher- oder Getränke- und Speiseverkauf etc.) ist dies solange unschädlich, wie diese Erlöse nur zur Deckung der eigenen Aufwen-dungen bestimmt sind. Gewinnerzielungsabsicht liegt erst vor, wenn die Einnahmen die Ausgaben übersteigen sollen und der erwirtschaftete Gewinn anderen, seien es auch gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden soll“ (Schüren 1994: 226ff, Hervorhebung im Original).4

Neben Erlaubnis- und Meldepflichten gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit beinhaltet das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Reihe von Regelungen, die die Gestaltung der Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften betreffen. Waren früher unbefristete Arbeitsver-träge und bestimmte Nachbeschäftigungszeiten im Anschluss an betriebliche Arbeitsein-sätze vorgeschrieben (vgl. ausführlicher Weinkopf/Krone 1995: 31f), so sind diese in den vergangenen Jahren sukzessive aufgeweicht worden. Dies steht im Zusammenhang mit der Aufhebung des Alleinvermittlungsrechts der Bundesanstalt für Arbeit zum 1. August 1994 im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Denn dadurch wurde die Ab-grenzung zwischen legaler Arbeitnehmerüberlassung und bis dahin illegaler privater Ar

4 Auf die schwierige Frage der Gemeinnützigkeit von Arbeitnehmerüberlassung kommen wir noch zu-rück.

beitsvermittlung, die als wichtiger Bezugspunkt der Regulierung galt, de facto obsolet (vgl. Voswinkel 1995).

Als Bausteine der in den vergangenen Jahren vollzogenen „kontrollierten Liberalisie-rung” (Rudolph/Schröder 1997: 104) sind zu nennen:

· die mehrfache Ausweitung der zulässigen Überlassungsdauer einer Leiharbeitskraft an einen Betrieb auf inzwischen zwölf Monate: Die gesetzliche Regelung einer ma-ximalen Überlassungsdauer soll verhindern, dass Dauerarbeitsplätze von Leiharbeits-kräften besetzt werden. Von der neuen Regelung versprach sich der Gesetzgeber neue Beschäftigungschancen für Leiharbeitskräfte im Bereich der mittelfristigen Ver-tretung von Stammpersonal. Die wirtschaftliche Attraktivität für Entleihbetriebe, eine Leiharbeitskraft auf echten Dauerarbeitsplätzen einzusetzen, wurde dagegen gering eingeschätzt (vgl. Marschall 1997: 26);

· die Lockerung der Vorgaben hinsichtlich der Befristung von Arbeitsverträgen und dem Verbot des „deckungsgleichen Einsatzes“: Diese für den hier betrachteten Zeit-raum von 1995 bis 1999 besonders relevante Gesetzesänderung im Arbeitsförde-rungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24. März 1997 begründete der Gesetzgeber mit der „Aufhebung beschäftigungshemmender Vorschriften” sowie der „Beseitigung von Hindernissen, die einer Nutzung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entgegenstehen” (Bundestags-Drucksache 13/4941: 247, zitiert nach Groeger 1998: 470). Das erste Arbeitsverhältnis darf da-her grundsätzlich befristet werden. Wenn der folgende befristete Arbeitsvertrag un-mittelbar an einen befristeten oder unbefristeten Arbeitsvertrag anschließt, sind so-gar wiederholte Befristungen möglich. Von einer völligen Freigabe von Befristungen hat der Gesetzgeber abgesehen, da befürchtet wurde, dass Verleiher das Beschäfti-gungsrisiko in verleihfreien Zeiten auf die Arbeitslosenversicherung abwälzen würden (vgl. Marschall 1997: 27).

Die Wiedereinstellung nach einer vorangegangenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nach wie vor restriktiv geregelt, damit das Befristungsverbot nicht durch Kündigun-gen umganKündigun-gen werden kann. Das Reformgesetz ermöglicht aber die einmalige Kündi-gung ohne Beachtung von Fristen. Das Verbot, das Arbeitsverhältnis der Leiharbeitskräf-te mit dem Verleiher zeitgleich an den Einsatz beim Entleiher zu koppeln, Arbeitsvertrag und Einsatz zu „synchronisieren”, wurde beibehalten (Synchronisationsverbot). Aus-nahmen sind nur bei schwervermittelbaren Arbeitskräften möglich, die unmittelbar nach dem Einsatzende ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleihbetrieb aufnehmen. Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe wurde beibehalten (vgl. Marschall 1997: 27).

Die beschriebenen Lockerungen der gesetzlichen Regulierung von Arbeitnehmerüberlas-sung gehen den kommerziellen Zeitarbeitsfirmen jedoch keineswegs weit genug. So fordert z. B. der Bundesverband Zeitarbeit Personaldienstleistungen, der eine Interessen-organisation von Zeitarbeitsunternehmen ist, eine Verlängerung der maximalen Verleih-zeiten, eine Aufhebung des Synchronisationsverbotes sowie eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeiten und prognostiziert für diesen Fall einen erheblichen Beschäftigungs-gewinn: „Wir können 200.000 neue Arbeitsplätze schaffen, wenn der Gesetzgeber sich bewegt” (Schneider 1999: 66). Andere Branchenvertreter fordern sogar die gänzliche Abschaffung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) von 1972 (vgl. Handelsblatt vom 4. März 1997: 17).

Während die einen also auf eine weitere Liberalisierung drängen, fordern die anderen unter Verweis auf zahlreiche Benachteiligungen der Leiharbeitskräfte gegenüber ande-ren Beschäftigten seit langem ein Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung.

Dieser Standpunkt wird vor allem von Gewerkschaften und gewerkschaftsnahen Akteu-ren vertreten. Allerdings haben entsprechende Forderungen in den vergangenen JahAkteu-ren an Häufigkeit und Nachdrücklichkeit verloren. Zunehmend wird eher der Standpunkt vertreten, dass es sinnvoller und realistischer sei, Benachteiligungen und Risiken von Leiharbeitskräften durch gesetzliche und tarifliche Regelungen zu verringern. Zu dieser Entwicklung haben einerseits die Diskussion über und Erfahrungen mit START Zeitarbeit NRW beigetragen. Andererseits spielt jedoch auch eine Rolle, dass zumindest ein Teil der kommerziellen Zeitarbeitsunternehmen in den vergangenen Jahren deutlich gemacht hat, dass man gewillt ist, sich an gesetzliche Regelungen zu halten und sich von den

„schwarzen Schafen“ der Branche abzugrenzen.

Die in Kapitel 2.3 thematisierten Kriterien für Sozialverträglichkeit spielen in der Diskus-sion über die künftige Gestaltung der Arbeitnehmerüberlassung eine zentrale Rolle. Zu-nächst sollen jedoch die nach wie vor bestehenden Risiken, denen Leiharbeitskräfte oft-mals unterliegen, und eine Reihe quantitativer und qualitativer Aspekte weiter vertieft werden.