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2 Hintergrund und Bewertungsmaßstäbe

2.1.2 Risiken von Leiharbeitskräften

Sowohl die gewerkschaftliche Verbotsforderung als auch Forderungen nach einer sozial-verträglicheren Gestaltung von Leiharbeit stützen sich darauf, dass die vom Gesetzgeber ursprünglich angestrebte Angleichung von Leiharbeitsverhältnissen an dauerhafte

„Normalarbeitsverhältnisse“ in der Praxis nicht gelungen ist. Als Problembereiche wer-den in diesem Kontext häufig die Beschäftigungsstabilität, Lohndiskriminierung, Qualifi-kationsverluste, rechtliche und faktische Hemmnisse der Interessenvertretung sowie phy-sische und psychische Belastungen genannt (vgl. z. B. Rasell/Appelbaum 1998; Debus

1982: 52ff; Brose u.a. 1990: 124). Wir gehen im Folgenden detaillierter auf diese Aspek-te ein:

· Beschäftigungsstabilität: Die vom Gesetzgeber anvisierte Bündelung befristeter betrieblicher Einsätze zu längerfristiger Beschäftigung gelingt offenbar nur selten. So belegen empirische Untersuchungen auf der Basis der AÜG-Statistik und der IAB-Beschäftigtenstichprobe, dass die Beschäftigungsstabilität von Leiharbeitsverhältnis-sen sehr gering ist. In den achtziger Jahren dauerten über 90 % der Arbeitsverhält-nisse zwischen Verleihbetrieb und Leiharbeitskräften nur bis zu einem Jahr und nur ca. 1 % länger als drei Jahre (vgl. Rudolph/Schröder 1997: 118). Im Jahre 1993 ü-berdauerte sogar nur ein gutes Drittel aller Leiharbeitsverhältnisse einen Zeitraum von drei Monaten (Weinkopf/Krone 1995: 35). „De facto fungiert Leiharbeit als Durchgangsinstanz, Beschäftigungsstabilitäten lassen sich nicht nachweisen.“

(Schröder 1997: 86) Die hohe Instabilität kann sich auch negativ auf die soziale Absi-cherung auswirken. Kurzfristige Beschäftigung begründet keinen Anspruch auf beitslosenunterstützung, und aus kurzen Beschäftigungsphasen im Wechsel mit Ar-beitslosigkeit entstehen nur geringe Rentenansprüche.

· Lohndiskriminierung: Die deutsche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung be-inhaltet – anders als in einigen anderen Ländern (Weinkopf/Krone 1995: 40ff) – kei-nerlei Vorschriften zur Entlohnung von Leiharbeitskräften. Die Gewerkschaften ha-ben es überdies bis vor kurzem abgelehnt, entsprechende Tarifverträge abzuschlie-ßen. Erst in jüngster Zeit sind zwei Tarifverträge mit Leiharbeitsunternehmen abge-schlossen worden (vgl. Vogelsang 1999). Nach Berechnungen auf der Basis der IAB-Beschäftigtenstichprobe erreichen Leiharbeitskräfte im Durchschnitt nur 63,4 % der Verdienste, die Beschäftigte in der Gesamtwirtschaft erzielten. Auch unter Berück-sichtigung von Strukturunterschieden hinsichtlich der Qualifikation und Tätigkeit sind Lohnunterschiede von bis zu 20 % festzustellen (vgl. Schröder 1997: 260f). Diese Lohndiskriminierung lässt sich nicht allein mit kürzerer Betriebszugehörigkeit erklä-ren. Darüber hinaus kommen offenbar Lohnabwälzungsprozesse zum Tragen, die mit der Einsatzlogik der Entleiher sowie mit der gewinnorientierten Vermittlungslogik der Verleiher verbunden sind (vgl. Schröder 1997: 261). Auch die vergleichsweise ge-ringen Löhne wirken sich nachteilig auf die soziale Absicherung von Leiharbeitskräf-ten aus, da sich die Höhe von Lohnersatzleistungen und RenLeiharbeitskräf-tenansprüchen im We-sentlichen aus den zuvor erzielten Einkommen ableitet.

· Auswirkungen auf die Qualifikation: Rentabel ist Leiharbeit für die Betriebe vor allem, wenn die Einsatzzeiten auf das absolut notwendige Maß reduziert werden.

Vor diesem Hintergrund haben sie Interesse an direkt verwertbaren Qualifikationen.

Weiterhin werden Leiharbeitskräften tendenziell eher einfachere und standardisierte Tätigkeiten zugewiesen. Voraussetzung für eine Qualifikationserweiterung - auch in einem weitgefassten Sinne – wäre demgegenüber zum einen, dass die Leiharbeits

kräfte über Fertigkeiten verfügen, die sie in die Lage versetzen, auf verschiedenen Arbeitsplätzen ohne Qualifikationseinbußen eingesetzt werden zu können, und zum anderen, dass die Arbeitsplätze Lernmöglichkeiten bieten. Das Rentabilitätsinteresse des Entleihers an kurzen Einarbeitungszeiten und direkt verwertbaren Qualifikatio-nen lässt spezielle, aber nicht nachgefragte Fertigkeiten verkümmern. Darüber hin-aus folgt der Arbeitseinsatz von Leiharbeitskräften weniger ihrer tatsächlichen Quali-fikation als vielmehr dem jeweiligen betrieblichen Bedarf. Die wenigsten Leiharbeits-kräfte können an Fortbildungsmaßnahmen beim Entleiher oder bei den Zeitarbeits-unternehmen selbst teilnehmen (vgl. Debus 1982: 54).

· Rechtliche und faktische Hemmnisse der Interessenvertretung: Mögliche Inte-ressenkonflikte und ein Vertretungsbedarf besteht bei Leiharbeitskräften sowohl in den Zeitarbeitsunternehmen selbst als auch in den Einsatzbetrieben. Zwar beinhaltet das AÜG seit 1982 gewisse Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Allerdings er-schweren typische Merkmale der Zeitarbeit wie z. B. die geringe Beschäftigungsdau-er und die untBeschäftigungsdau-erschiedlichen Einsatzorte die FormuliBeschäftigungsdau-erung gemeinsamBeschäftigungsdau-er IntBeschäftigungsdau-eressen ebenso wie deren Vertretung sowohl in den Zeitarbeitsfirmen als auch in den Einsatzbetrieben. So gibt es z. B. nur in sehr wenigen Zeitarbeitsunternehmen einen Betriebsrat.

· Physische und psychische Belastungen: Wechselnde Arbeitsorte, die für Arbeit-nehmerüberlassung typisch sind, können mit einer besonderen psychischen und ggf.

auch physischen Belastung einhergehen. Das Gleiche gilt für die Instabilität der Be-schäftigung. Weiterhin unterliegen Leiharbeitskräfte teilweise auch höheren Belas-tungen, weil sie mitunter für Tätigkeiten eingesetzt werden, die den Stammbeschäf-tigten der Einsatzbetriebe nicht zugemutet werden sollen. Nicht zuletzt erhöht man-gelnde Einarbeitung ggf. das Unfallrisiko. Nach Angaben der Verwaltungsberufsge-nossenschaft (VBG) wurden 1998 rd. 61.000 Unfälle mit Leiharbeitskräften gemel-det (vgl. Grond 1999). Mit einer Unfallhäufigkeit von 209 je 1.000 Beschäftigte liegt die Arbeitnehmerüberlassung deutlich über dem Durchschnitt aller Wirtschaftszwei-ge. Eine nichtrepräsentative Untersuchung der VBG von 391 Unfällen, an denen Leiharbeitskräfte beteiligt waren, ermittelte folgende Problemfelder: mangelnde Eig-nung der Leiharbeitskräfte, ungenügende Arbeitsplatzbeschreibung durch den Ent-leihbetrieb, unzureichende Eingliederung und Integration der Leiharbeitskräfte in den Entleihbetrieb sowie zu ungenaue sicherheitstechnische Festlegungen in den Arbeit-nehmerüberlassungsverträgen.5

5 Die VBG erstellt derzeit eine Wirksamkeitskontrolle für die im Bundesgebiet vertretenen Zeitarbeitsun-ternehmen. Zum Zeitpunkt der Berichtslegung lagen noch keine Ergebnisse dieser Untersuchung vor.

Es deutet sich jedoch ein Trend an, dass es Zeitarbeitsfirmen, die über ein Arbeitschutzmanagement-system verfügen, gelingt, die Unfallhäufigkeit drastisch zu reduzieren.

Teilweise lassen sich die skizzierten Benachteiligungen von Leiharbeitskräften auf illegale Verhaltensweisen zurückführen. Überprüfungen der Bundesanstalt für Arbeit decken jedes Jahr Verstöße von Verleihfirmen gegen sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Vorschriften auf. In schweren Fällen können Bußgelder verhängt oder die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung entzogen werden. In den letzten Jahren wurden die Überprü-fungen intensiviert (1997: 1.300 Kontrollen, 1998: 1.400 Kontrollen).6

Die zentrale Besonderheit von Arbeitnehmerüberlassung besteht für Entleiher in der „Ex-ternalisierung von Rekrutierungsaufwand, Fluktuationsrisiken und Motivationsproble-men“ (Voswinkel 1995: 127) an das Verleihunternehmen. Der Verleiher kann diese Risi-ken in Form höherer Preise an den Entleiher zurückgeben oder durch geringere Kosten ausgleichen. Der Rückübertragung des Risikos an den Auftraggeber sind relativ enge Grenzen gesetzt. Bei einem zu hohen Preis kann der Entleiher auf einen anderen Anbie-ter oder ggf. auch auf ein anderes Flexibilisierungsinstrument ausweichen. Die Mittel, die Verleihern zur Kostenreduzierung zur Verfügung stehen, sind im Wesentlichen redu-zierte Entgelte für die Leiharbeitskräfte und möglichst niedrige Kosten für unproduktive Zeiten z. B. zwischen zwei Einsätzen. Auf diese okönomischen Handlungsbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung werden die häufigsten Verstöße gegen das AÜG zurück-geführt:

· „direkte Deckungsgleichheit von Einsatz und Beschäftigungszeit ohne ausreichenden Grund,

· nicht bezahlte Feiertage oder andere nicht bezahlte Nichteinsatzzeiten,

· Wiedereinstellung innerhalb von drei Monaten nach Kündigung,

· unzulässige Verkürzung der Kündigungsfrist“ (Voswinkel 1995: 128).

Kritikerinnen und Kritiker der Arbeitnehmerüberlassung halten die Kontrolltätigkeit der Bundesanstalt für unzureichend und vermuten eine hohe Dunkelziffer von Verstößen gegen Schutzrechte der Leiharbeitskräfte. Eine notwendige, wenn auch nicht hinrei-chende Bedingung zur Bekämpfung der sozial schädlichen Delikte auf dem Leiharbeits-markt wäre es, die personelle Ausstattung der Kontrollinstanzen aufzustocken und die Sanktionen bei Verstößen zu verschärfen, statt sie als „Kavaliersdelikt“ zu behandeln.

Krone (1996: 208ff) verweist auf den mitunter schwierigen Interessenkonflikt für die Arbeitsverwaltung, gerade großen Verleihunternehmen mit hohen Beschäftigtenzahlen einerseits als Dienstleister, andererseits als Kontrollinstanz gegenübertreten zu müssen.

6 Als Ergebnis der stärkeren Kontrolltätigkeit verzeichnete die Bundesanstalt für Arbeit zwar eine gesun-kene Anzahl von Bußgeldverfahren (1997: 300, 1998: 280), aber ein Ansteigen der Bußgelder (1997:

43.000 DM, 1998: 95.000 DM), was auf schwerwiegendere Verstöße schließen lässt. 69 Unternehmen mussten nach einer Kontrolle den Betrieb einstellen (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 1999: 75).

Neben Verstößen gegen geltende Regelungen scheint ein Teil der skizzierten Benachtei-ligungen von Leiharbeitskräften jedoch auch auf die Besonderheiten der Arbeitnehmer-überlassung zurückzuführen sein. Bei Überlegungen, wie ArbeitnehmerArbeitnehmer-überlassung so-zialverträglicher gestaltet werden könnte, stellen diese Besonderheiten eine zentrale Herausforderung dar. Sofern Benachteiligungen kaum vermeidbar erscheinen, stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten der Kompensation gibt oder nicht. Wir kommen in 2.3 darauf zurück.

2.1.3 Verbreitung, Marktentwicklung, Potenziale von