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Verbgebrauch in administrativen Texten

TEIL IV: ERZÄHLUNG

Kapitel 3: Spannung und A/T-Gebrauch 3.1 Analyseprotokolle

1.2 Verbgebrauch in administrativen Texten

Zum Gebrauch der Verbformen, der für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung ist, haben Kožin / Krylova / Odincov (1982, 106) festgestellt, daß das Verhältnis von Infinitiven zu anderen Verbformen mit 5:1 im administra-Kapitel 1: Einführung

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tiven Stil höher liegt als in den anderen Funktionalstilen. Diese Infinitive wer- den entweder autonom als Anweisungen oder syntaktisch untergeordnet in Verbindung mit anordnenden Wendungen gebraucht: необходимо..., реко- мендуется держать usw. (Šanskij 1982, 222).

Zum Verbformgebrauch (auch Tempus und Aspekt) in verschiedenen Textsorten des administrativen Stils liegt eine Untersuchung von Kožina (1972) vor, die ihre umfangreichen Analysen wissenschaftlicher Textsorten (s.

TEIL 5 (B)) durch Betrachtungen zum administrativen und belletristischen Stil erweitert und die Ergebnisse miteinander vergleicht, um die Grenzen zwis- chen den Stilen feststellen zu können.

Kožina weist nach, daß im administrativen Stil sowohl der Tempus- als auch der Aspektgebrauch besonders von der Textsorte abhängt61, der Tempus- gebrauch sogar auch innerhalb einer Textsorte vom jeweiligen Inhalt (vgl.

1972, 235f. u. 248ff.). So liegt z.B. der Präsensanteil in Verfassung und Statut mit 99% bzw. 96% am höchsten, Protokolle weisen die höchste Präteri- tumquote auf (60,4%), Verträge die meisten Futurformen (22,5%) (Mittel- werte aus allen untersuchten Textsorten des administrativen Stils: Präsens 79%, Präteritum 16%, Futur 5%), wobei die Streuung innerhalb einer Text- sorte je nach Inhalt groß sein kann (z.B. bei Verträgen) (vgl. Kožina 1972, 235f.).

Zu den Funktionen der Tempora stellt Kožina fest, daß das ipf. Präsens selten deiktisch gebraucht wird, stattdessen atemporal und am häufigsten in ähnlicher, vorschreibender Funktion wie die autonomen Infinitive, z.B. Бюд- ж ет составляется Советом Министров. Sie nennt diese Bedeutung настоя- щее предписания (долженс~״ эвания) (vgl. Kožina 1972, 2 3 lf.; auch Kry- lova 1979, 138).

Futurformen (pf. Präsens) werden meist in modaler Bedeutung verwen- det, auch in Verbindung mit den Konjunktionen если, когда, как только (долженствование, предписание, возможность) (vgl. Kožina 1972, 232).

Dem Präteritum ordnet Kožina neben der (deiktisch-) resultativen Be- deutung (in Verträgen: стороны Г решили заключить...) und der narrativen (in Protokollen: затем ^выступил с заключением ревизионной комиссии тов. Ивашкин) auch eine konditionale Bedeutung zu, z.B. in Gesetzen mit если / когда (233f.).

126 TEIL 5 (A ): URTEIL

Z.B. macht der Anteil an pf. Verbformen (finit und infinit) in den Textsorten конститу- ция, устав, положение, правило und кодекс weniger als 10% aus, dagegen beträgt er in приказ, протокол, постановление und договор 50% und mehr, was mit dem Infi- nitivgebrauch in diesen Textsorten zusammenhängt.

Ka p it e l l : Ein f ü h r u n g 127

1.3 TS Urteil

In der vorliegenden Untersuchung soll nun eine administrative Textsorte auf ihren A/T-Gebrauch hin analysiert werden, die von Kožina nicht betrachtet wurde, vermutlich da es in der Sowjetunion keinen Zugriff der Öffentlichkeit auf solche Dokumente gab: die TS Urteil.

In den USA wurde 1979 ein Buch mit sowjetischen Strafprozeßdoku- menten der 50er bis 70er Jahre veröffentlicht, es enthält neben Gerichts- urteilen auch gerichtspsychiatrische Gutachten, Anklage- und Verteidigungs- schriften u.a. Die meisten Dokumente weisen eine konventionalisierte Form auf, also eine Abfolge bestimmter Teiltexte bis hin zu gleichlautenden Formu- lierungen. Als Beispiel für einen solchen Textaufbau soll die TS Urteil für eine А/T-Analyse herangezogen werden, zumal hier, im Gegensatz zu einigen anderen Textsorten des administrativen Stils (s.o.), beide zeitlichen Ebenen, die deiktische und die narrative, belegt werden und diese Textsorte somit mit den anderen, bisher untersuchten verglichen werden kann.

Aus den 17 im oben erwähnten Buch abgedruckten Urteilen wurden vier zufällig ausgewählt und die A/T-Formen und -Bedeutungen gezählt. Es handelt sich um insgesamt 438 analysierte Verbformen.

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128 Te il 5 (A ): Ur t e il

K apitel 2: A /T -G ebrauch in der TS Urteil 2.1 A /T -G ebrauch im Überblick

In der TS Urteil dominiert das Präteritum (81%). Da in Urteilen Entscheidun- gen über bereits vollzogene Handlungen (Straftaten) getroffen werden, sind Futurformen nicht in ihnen enthalten. Das ipf. Präsens kommt ausschließlich in der deiktischen Ebene mit stativer Bedeutung vor (12%). Die Adverbial- partizipien werden mit insgesamt sieben Prozent sowohl in der deiktischen als auch in der narrativen Ebene eingesetzt, worauf wir später eingehen werden (Abschnitt 2.2.2).

Sehen wir uns zunächst die Verteilung der Präteritumformen und -Bedeutungen in Abb. V-l näher an.

Abb. V -l: Präteritumgebrauch in der TS Urteil (gesamt: 81%)

%

6 0 - L - шштятшт Rest

Rest = D 20

N = 1 8

progressiv iteraiiv

= 10

ipf. Prät 50

4 0 30 20 10

pf. Prät

Die Abbildung zeigt die quantitative Überlegenheit der narrativen Ebene gegenüber der deiktischen, wobei die Prozentzahlen für Narrationen sogar denen in der untersuchten Erzählung Kraniki entsprechen (s. Abb. IV-2): pf.

N-Präteritum (+PartPrät) im Urteil und in der Erzählung: 43%, ipf. N-Präte- ritum im Urteil: 18%, in der Erzählung: 17%.

Allerdings bestehen zwischen den beiden Textsorten gravierende funktio- naie Unterschiede, die sich natürlich auch im A/T-Gebrauch und damit in den Narrationen widerspiegeln.

Im Urteil überwiegt zwar der narrative A/T-Gebrauch, aber bedeutsamer ist die deiktische Ebene, denn in ihr wird schließlich über Schuld oder

Un-129 Ka p it e l 2: A /T -Ge b r a u c h in d e r T S Ur t e il

schuld des Angeklagten, das Strafmaß und damit über Leben und Tod ent- schieden.

Der deiktischen Ebene gehören Verbformen in Sätzen über die Entschei- dungen des Gerichts, über Aussagen der Zeugen und Angeklagten, über die Feststellung der Schuld usw. an. Die propositionalen Partizipanten nach der Konjunktion что (Inhalt: über das Verbrechen) und Sätze über Tathergang, Vorbereitung und Ausführung der Tat usw. enthalten meist Verbformen der narrativen Ebene. Informationen der narrativen Ebene bilden die Grundlagen der Entscheidungen in der deiktischen Ebene. Narrationen dienen im Urteil der Beweisführung und Urteilsfindung, es kommt dabei auf eine juristisch einwandfreie, nicht anfechtbare Rekonstruktion des Tathergangs an, nicht aber auf Spannungserzeugung und Unterhaltung wie in der Erzählung.

Auch ist die iterative Bedeutung des ipf. N-Präteritums im Urteil relativ stark vertreten (10%), eine für Narrationen eher untypische Verwendung, die aber zur Schilderung wiederholter Handlungen, z.B. über einen längeren Zeit- raum hinweg, nötig sind, sofern sie zur Straftat gehören. Der Gebrauch dieser A/T-Bedeutung hängt von den Anklagepunkten ab und kann in verschiedenen Urteilen variieren.

Betrachten wir nun die Besonderheiten des deiktischen und narrativen A/T-Gebrauchs im einzelnen.

2.2 Die deiktische Ebene