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Aspekt-Tempus-Bedeutungen im Überblick

Kapitel 2: Aspekt und Tempus 2.1 Zur Tempusdiskussion

2.3 Aspekt-Tempus-Bedeutungen im Überblick

Laut Akademie-Grammatik haben pf. Verben meist konkret-faktische Bedeu- tung, da das Merkmal für den pf. Aspekt ״ begrenzt, ganzheitlich“ auch im minimalen Kontext gilt, solange nichts auf Wiederholung der Handlung deu- tet. Demgegenüber stellt die Prozeßbedeutung eine der Hauptbedeutungen des ipf. Aspekts dar (AG 1980 I, 605). Ipf. Verben werden vielfältiger verwendet als pf., weil sie unmarkiert sind, d.h. der ipf. Aspekt hat kein positives ständi- ges Merkmal wie der pf. Aspekt. Die ipf. Bedeutung ״ nicht begrenzt, nicht ganzheitlich“ wird in Abhängigkeit vom Kontext, auch vom Verballexem und der Aktionsart in verschiedenen Typen realisiert. Dabei verhält sich der Typ

״allgemein-faktisch“ (s.u.) neutral in Bezug auf das Merkmal ״ begrenzt, ganz- heitlich“ (AG 1980 I, 613).

Aus den grammatischen Aspektbedeutungen folgt, daß die Kombination pf. Verben dem Ausdruck der Aufeinanderfolge von Handlungen dient, die Kombination ipf. Verben dies aber nicht kann (Ausnahme: Historisches Prä- sens), sondem vielmehr die Gleichzeitigkeit von Prozessen ausdrückt. Bei der dritten Kombinationsmöglichkeit der Aspekte (ipf. + pf.) handelt es sich um den Eintritt eines Ereignisses vor dem Hintergrund eines Prozesses (процесс (ipf.) - наступление ф акта (pf.)) oder um ein Ereignis mit nachfolgendem

z.B. Rassudova 1968, Forsyth 1970, Kratzel 1971, Š v e d o v a /Trofimova 1983

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Prozeß (наступление факта (pf.) - последующий процесс (ipf.)) (AG 1980 I, 605f).

Es werden vier Situationstypen (типы ситуаций) mit den entsprechenden Bedeutungsvarianten der Aspekte aufgeführt (605-613):

Typ 1: Einmalige Handlungen; dazu gehören die drei eben beschriebenen Kombinationen und außerdem die Varianten der pf. konkret-faktischen Bedeutung

a) potentiell (modal): Ausdruck der Möglichkeit im pf. Präsens, z.B.

Надобно было сказать что-нибудь и тетке, а - что скажешь? i.S. что можно сказать? (606)

b) perfektisch: die Aufmerksamkeit ist nicht auf die Handlung, sondern auf ihre zum Sprechzeitpunkt vorliegenden Folgen, das Resultat, gerichtet;

Formen: pf. Präteritum, Partizip, Adverbialpartizip, z.B. Какова? Раскрасне- лась, глаза блестят. Mehrere pf. Präterita mit Perfekt-Bedeutung implizieren Gleichzeitigkeit der nachfolgenden Zustände, der Resultate der Handlungen im Sprechmoment, daher stehen sie oft in Verbindung mit dem ipf. Präsens, der Kurzform des Partizips Präteritum Passiv und Adjektiven in der Rolle von Prädikaten (607)

c) summarisch: in Verbindung mit der Angabe ...раз, z.B. Он постучал три раза (608)

d) begrenzt-durativ, z.B. пять минут посидел (608)

sowie die betont-durative Bedeutungsvariante der ipf. Prozeß-Bedeutung, z.B.

Она долго не двигалась (608).

Typ 2: W iederholte Handlungen werden üblicherweise durch den ipf.

Aspekt ausgedrückt, wobei die Wiederholung meist aus dem Kontext hervor- geht, aber auch am Verballexem erkennbar sein kann (z.B. бывать). Der ipf.

Aspekt kann hier auch potentielle Bedeutungen, modale Nuancen haben, z.B.

bei Vorschriften oder der Nennung einer Eigenart, z.B. Т ан ц у еш ь? i.S.

Kannst du tanzen?8 (AG 1980 I, 608 und 610).

Wiederholungen können auch im pf. Aspekt bezeichnet werden (anschau- lich-beispielhafte Bedeutung des pf. Präsens). Laut AG ist dies ebenfalls eine Variante der konkret-faktischen Bedeutung: aus einer Reihe wiederholter Ge­

Diese Bedeutungsvariante wird in der vorliegenden Untersuchung allerdings zu der sta- tiven Bedeutung und nicht zur iterativen gezählt, da es sich um eine Eigenschaft, ein grundsätzliches Können handelt.

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schehnisse wird eines als Beispiel ausgesucht und geschildert, als würde es einmal passieren (608).

Typ 3: Zustände werden durch den ipf. Aspekt ausgedrückt (610).

Typ 4: Allgemeinfaktischer Gebrauchstyp des ipf. Aspekts; hier liegt eine bestimmte Art der Betrachtung vor; hat etwas stattgefunden oder nicht? Dabei ist es unwichtig, ob eine Handlung ein- oder mehrmals abgelaufen ist. Die Varianten sind:

a) Negation: ipf. Aspekt ist hier üblich, aber nicht obligatorisch

b) begrenzt-vielfach: mit Angaben zur Häufigkeit, z.B. Уже два раза увольняли из университета.9

c) perfektisch: Vergangenes wird konstatiert und charakterisiert als Zu- stand des Subjekts im Sprechmoment, z.B. Ты, Никита, про Илью знаешь?

- Слышал.10

d) annulliertes Resultat: z.B. он приходил i.S. пришел и ушел (61 If.; ge- naue Analyse der allgemein-faktischen Bedeutung des ipf. Aspekts bei Glo- vinskaja 1982, bes. 116-144).

Will man nun nicht die möglichen Aspektbedeutungen per se, sondern - wie in der vorliegenden Untersuchung - die Verwendung von Aspekt und Tempus in konkreten Texten analysieren, so muß man sich mit der Systematisierung der Bedeutungen sowie mit den Begriffen Zeitbezug, Zeitstufen, Chronologie und Situationstypen auseinandersetzen, die in der Aspektforschung immer wieder auftauchen, wenn es um Temporalität geht.

2.4 Inzidenz, Parallelismus, Sequenz

E. Koschmieder (1987 [1934]) hat bei seiner Betrachtung des Aspekts im Pol- nischen einige Situationstypen (typy sytuacyne) aufgestellt, bei denen seiner Ansicht nach die Notwendigkeit zu erkennen sei, zum Ausdruck von Chrono- logie Verben in einem bestimmten Aspekt zu verwenden. Ein Situationstyp, von Pollak (1960) ״ Inzidenzschema“ genannt, lautet z.B.: ״ irgendein Sachver- halt befand sich im Verlauf des Geschehens - während ein anderer Sachver­

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Hier ist nicht erkennbar, warum diese Variante nicht zu Typ 2 gehört.

Hierzu werden auch verneinte Beispiele aufgezählt, was die Einteilung der Varianten a) und c) unklar macht.

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halt sich ereignete“, ausgedrückt durch ein ipf. (Hintergrund) und ein pf.

Verb (Eintritt) im Präteritum (1987, 53; vgl. 1934, 70).

Ein anderer Situationstyp mit Kombinationen ipf. Verben drückt gleich- zeitige, parallele Abläufe aus: ״es geschah dies und dies und jenes, d.h., daß die imperfektiven Formen hier alle den ,Hintergrund‘ darstellen“ (1987, 53f ohne Hervorhebungen; vgl. 1934, 65).

Ein dritter Situationstyp zeigt aufeinanderfolgende Situationen mit Hilfe pf. Verben: ״als etwas eingetreten ist, trat etwas anderes ein“ bzw. ״es ist etwas eingetreten, (danach) ist etwas anderes eingetreten“ (1987, 58; vgl.

1934, 71).

Die Möglichkeit, durch Aspektwahl auf chronologische Relationen zu referieren, erklärt Koschmieder mit unterschiedlichen Zeitrichtungsbezügen der beiden Aspekte: ״Die Aspekte sind die grammatischen Kategorien zum Ausdruck des Zeitrichtungsbezugs, und zwar der perfektive für den Richtungs- bezug Zukunft => Vergangenheit, der imperfektive für den Richtungsbezug Vergangenheit => Zukunft“ (1971 (urspr. 1928), 35; Hervorhebungen im Ori- ginal).

Koschmieder stellt sich die Zeit als eine Linie vor. Das ״ Ichbewußt- sein“ 11 befindet sich auf dem kalendarischen ״Gegenwartspunkt“ auf dieser Zeitlinie und ״wandert“ mit ihm fortwährend aus der Vergangenheit in die Zukunft. Jedem Tatbestand (Geschehen, Sachverhalt, Handlung) kann auf der Zeitlinie ein (chronometrisch meßbarer) ,Zeitstellenwert“ zugeschrieben wer- den (vgl. 1971, 3).

Wenn die Gegenwart nun richtungsbezogen aus der Vergangenheit in die Zukunft ist, trifft dies auch auf den ipf. Aspekt zu, da nur er die Gegenwart ausdrücken kann12. Aus der Präsensunfähigkeit des pf. Aspekts schließt Koschmieder, der pf. Aspekt sei ״aus der Zukunft in die Vergangenheit rieh- tungsbezogen“ (1971, 34).

Aufgrund dieses einerseits psychologisierenden, andererseits chrono- metrische Meßbarkeit postulierenden Zeitkonzepts (und hierin liegt seine Schwäche) faßt Koschmieder Situationen im ipf. Aspekt (Vergangenheit =>

Zukunft, Hintergrund) als ״geschehend“ auf, im pf. Aspekt (Zukunft => Ver- gangenheit, Eintritt) als ״geschehen“ (1971, 12), was aber keineswegs alle Situationstypen hinreichend erklärt (ausführliche Kritik bei Hahn 1974, bes.

33-49).

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ein psychologisierender Begriff, der ein Präsenz-fähiges Bewußtsein meint: ״ ich war eben und werde weiter sein“ (Koschmieder 1971,4)

״Auf die Frage: was machst du da? kann man nie mit einem perfektiven Verbum antworten“ (Koschmieder 1971,34; ohne Hervorhebungen).

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A.V. Bondarko hat ebenfalls die Möglichkeiten untersucht, durch Ver- wendung bestimmter Aspektkombinationen verschiedene chronologische Rela- tionen zwischen Situationen auszudrücken (1971, bes. 180-195), er spricht da- bei von длительность - наступление факта (= Inzidenz), длительный ряд (=

Parallelismus) und цепь (= Sequenz).

Aber er nennt als hauptsächlich verantwortlichen Faktor für den Aspekt- gebrauch den Kontext und spricht in bewußter Abgrenzung zu Koschmieder nicht von Situationstypen, sondern von ״типы видового контекста“ und weist nach, daß chronologische Relationen auch unabhängig vom Aspektge- brauch durch andere sprachliche Mittel ausgedrückt werden können (z.B.

durch через три дня, затем, потом, после того как usw.).

Bondarko merkt zu den o.g. Schemata (Typen) noch an, daß sie nur bei der Betrachtung von Chronologie zwischen zwei oder mehreren Prädikaten angewendet werden können, nicht aber bei alleinstehenden Nennungen von Geschehnissen, wo z.B. auch die allgemein-faktische Bedeutung des ipf.

Aspekts auftreten kann (1971, 194; s. auch oben Abschnitt 2.3 zur AG).