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3 Auswertungsmethodik

3.3 Verbale Daten Interviewanalyse

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Durch das Interview erhoffte ich mir Erkenntnisse über folgende vier Themenbereiche:

• Selbsterleben (z.B in der Angehörigengruppe bei den Gesprächs- und Musikteilen)

• Blick auf den Patienten, die Patientin (z.B. in Bezug auf die Stimmung bei den Hausbesuchen)

• Transfer in den Alltag (z.B. ein veränderter Blick oder verändertes Verhalten

• Bewertung der Musiktherapie (z.B. was Musiktherapie bewirken konnte und was nicht)

Für das Gespräch hatte ich als Strukturierungsinstrument einen Leitfaden ausgearbeitet. Die Fragen sollten die obengenannten Themenbereiche anspre-chen und dabei genügend Raum für eigene Gedanken und Formulierungen lassen.

Der Leitfaden bestand aus sechs Fragen:

• Das Jahr mit der Musiktherapie ist nun vorüber, wenn Sie an diese Zeit denken, was fällt Ihnen dazu ein?

• Was können Sie zur häuslichen Musiktherapie sagen?

• Was fällt Ihnen zur Angehörigengruppe (Gesprächsteil, Musikteil) ein?

• War irgendetwas für Sie in diesem Projekt auch negativ gewesen?

• Hat sich durch das Projekt irgendetwas verändert in Ihrem Alltag, in der Familie?

• Würden Sie wieder an diesem Projekt teilnehmen?

Und zum Abschluss wurde die Einladung ausgesprochen:

• Wenn Sie sich nun noch einen Augenblick Zeit nehmen und sich fragen, ob noch irgendetwas (zum Projekt) gesagt werden soll.

Das Interview begann mit einer Anwärmphase, mit kurzem Nachfragen zur Befindlichkeit meines Gesprächspartners oder mit einem kurzen Gespräch außerhalb der Thematik. Die offen gehaltene Einstiegsfrage ermöglichte meinen Gesprächspartnern einen niederschwelligen Beginn des Interviews, es nahm eventuelle Aufregung, da sie individuell mit einem Themenbereich beginnen konnten, der ihnen gerade einfiel. Gleichzeitig hatte diese Frage schon die Themenbereiche Selbsterleben und Blick auf den Patienten oder die Patientin angestoßen, die sich durch Nachfragen immer klarer herausarbeiten ließen. Oft gelangten meine Gesprächspartner durch das Nachfragen in einen Prozess des Erinnerns und des Denkens und förderten weiteres Material in Form von Erfahrungen und Gedanken zutage. Fragen wie "Können Sie dazu noch mehr

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sagen?" oder "Können Sie ein Beispiel nennen?" dienten der Präzisierung. Da ich auch stets mit einem therapeutischen Ohr anwesend war, verfolgte ich auch das Aufspüren von Ambivalenzen in positiven Äusserungen. Dazu benutzte ich auch Bemerkungen, die provozierend wirken konnten wie "Das klingt ja fast so, als ob...". Exkurse wie z.B. "Ich habe inzwischen das Bad neu fliesen lassen" be-antwortete ich mit "Darüber können wir gerne nachher nochmal drüber reden", um die Fokusssierung auf das Thema beizubehalten.

Die Abschlussfrage wurde von einigen auch als Abschluss des gesamten Projekts empfunden und entsprechend behandelt: Man nahm sich lange Zeit zum Nach-denken oder Nachspüren, und oft wurde hier Dank für die Projektzeit aus-gedrückt.

Das Interview endete stets mit meinem Dank an meinen Gesprächspartner.

Datenaufbereitung

Die Interviews wurden von der Festplatte der Kamera auf den Rechner überspielt und ungeschnitten in die entsprechend angelegte Patientenordner einsortiert und datiert. Es wurden auch hier wie bei den Videos von den Musik-therapiestunden folgende Sicherungskopien angefertigt: zweimal auf DVDs, einmal auf externer Festplatte, die außerhalb des Hauses aufbewahrt wurde, und einmal in der Cloud.

Die sprachlich aufgezeichneten Interviews wurden in einem nächsten metho-dischen Schritt in Schriftsprache übertragen, und zwar gleich in eine verdichtete Form. Probeschritte, in denen ich zuerst wörtlich transkribiert und dann den Text verdichtet hatte, ergaben bei der Analyse keine anderen Ergebnisse, sodass ich mich für diesen Schritt von der Sprachform direkt zur verdichteten Schriftform entschieden habe. Die verdichtete Form ist eine Zusammenfassung, die sich interessant lesen lassen sollte und die im Wesentlichen der Chronologie des Gesprächs folgte. Wenn sie einmal davon abwich, so wurde doch der inhaltliche Faden nachgezeichnet. Exkurse wurden weglassen.

Auch hier lässt sich wie bei den Videos die Aufbereitung des Materials nicht immer zur Auswertung scharf trennen, denn die Transkription der Interviews in eine verdichtete Form der Schriftsprache sind auch bereits Tätigkeiten des subjektiven Interpretierens und damit des Auswertens.

44 Datenauswertung

Die Auswertung folgt dem Prinzip der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2003, Kuckartz 2012) und läßt sich in mehreren Schritten darstellen:

• Interpretation mit Extrahierung von Fundstücken und Zitaten

• Bildung eines Kategoriensystems durch Ordnen der Fundstücke und Zitate

• Verfassen eines zusammenfassenden Textes jedes Interviews

• Verfassen eines vergleichenden Textes zwischen allen Interviews

Nachstehend möchte ich die einzelnen Auswertungsschritte erläutern. Zuerst ordnete ich die sechs verdichteten Formen der Interviews in ein zweispaltiges Seitenformat ein. In die rechte Spalte notierte ich nach mehrmaligem Lesen meine Fundstücke (codes). Fundstücke waren Bausteine komprimierter Inhalte, etwa wie kleine Überschriften, Zitate dienten einer lebendigen Illustration der Situation und wurden kursiv und fett abgesetzt.

Das auf der Folgeseite stehende Beispiel ist ein Ausschnitt aus dem Interview mit Herrn Schwan (pflegender Ehemann von Frau Schwan, Patientin Nr. 1) mit verdichtetem Text, extrahierten Fundstücken und zwei Zitaten.

45 Wenn ich meiner Frau ankündigte, dass Sie, Frau Auch-Johannes ,

Musiktherapie, heute kommen, dann war sie begeister,t und wie Sie selbst gesehen haben, auch bei der Sache. Am Anfang war es besser als jetzt zum Schluss, sie ist etwas träger im Denken geworden.

Ich habe festgestellt, dass sie bei Musiktherapie und überhaupt bei Musik sofort alles andere vergisst und sich darauf konzentriert.

Wenn ich ihr Radio anmache, z.B. HR 4, dann hört sie diese Lieder, patscht im Sessel sitzend und ist froh und

glücklich. Das bewegt mich immer wieder und bringt mich dazu, dass sie es weitermacht, solange sie noch aufnahmefähig ist. Denn wenn sie einmal daran kein Interesse mehr hat, dann hat sie an nichts mehr Interesse.

Sie kann ja nicht lesen oder schreiben, das ist schon traurig. Ich gehe mit ihr spazieren, aber das ist bei diesem Wetter schwierig, sie ist unsicher. Und bei Schnee ist das ganz katastrophal, da hat sie Angst. Das war im vorigen Jahr noch anders.

Musiktherapie bringt etwas für die Seele, für die Psyche, aber die

Krankheit als solche ist wahrscheinlich nicht aufzuhalten.

Neulich haben wir morgens in der Küche gesungen. Sie hat irgendwelche Lieder angestimmt und ich habe mitgesungen. Da habe ich gesagt, dass ich doch gar nicht schlecht singe und Sänger hätte werden können, und da hat sie mir einen Vogel gezeigt. Sie nimmt also alles auf. Sie hat es auch richtig gemacht, denn ich hätte keinen guten Sänger abgegeben.

Vorfreude auf die Musiktherapiestunde

Begeisterung und Konzentration bei der Musiktherapie

Wechselnde Verfassung der Patientin, insgesamt schlechter werdend

Musiktherapie und Musik lässt alles andere sofort vergessen und befördert Konzentration darauf

Musikhören aus dem Radio bewirkt Patschen und macht froh und glücklich Innere Bewegung über die Freude des Patienten

Freude des Patienten motiviert zu weiterem Auftrag für Musiktherapie

Trauer über Verlust von Fähigkeiten

Rückblickender Vergleich auf die Zeit vor der Krankheit

Musiktherapie kann Demenz nicht heilen, bringt aber etwas für die Seele

Neulich haben wir morgens in der Küche gesungen. Neuer, kreativer Umgang mit der Patientin

Da habe ich gesagt, dass ich doch gar nicht schlecht singe und Sänger hätte werden können. Humorvolle

Bemerkung

Anerkennung über das, was die Patientin versteht

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In einem nächsten Bearbeitungsschritt habe ich alle Fundstücke vergrößert kopiert, ausgeschnitten und themenbezogen zusammengestellt. Dabei habe ich die Themen aus dem Material generiert. Es konnten vier Kategorien sowie teilweise Unterkategorien gebildet werden, die mit den Fragen aus dem Leit-faden korrespondierten. Das war zu erwarten gewesen, dennoch blieb ich bei der Kategorienbildung offen für eventuelle andere, ungewöhnliche Kategorien, die dann aber nicht aus dem Datenmaterial zu lesen waren. Fast alle Interview-partner äusserten sich zu diesen vier Kategorien und drei Unterkategorien (UK) in der Kategorie Selbsterleben.

• Selbsterleben (UK 1 Schwierigkeiten, UK 2 Erfahrungen in der Angehöri-gengruppe, UK 3 positive Momente)

• Blick auf den Patienten bzw. die Patientin

• Transfer in den Alltag

• Bewertung der Musiktherapie

Die Anzahl der Fundstücke bewegte sich bei vier Interviews zwischen 93 und 111, bei zweien betrug sie 46 bzw. 48. Ich extrahierte durchschnittlich je 11 Zitate und verwendete nach mehrmaliger Durchsicht einige davon. In einem nächsten Schritt erstellte ich pro Interview einen Text, der zunächst einen Hintergrund zur aktuellen Situation am Therapie- und Projektende schilderte und dann die Kate-gorien und UnterkateKate-gorien als weitere Gliederungspunkte verwendete. Ich habe mich entschieden, keine vertiefte Inhaltsanalyse zu erstellen, sondern das gewonnene Material für meine Fragestellungen als ausreichend zu betrachten und textlich weiter zu verarbeiten.

Als nächstes folgte zu jeder Kategorie und Unterkategorie eine Querdurchsicht der Aussagen aus allen Interviews. Diese erstellte ich als Stichworte. Auf diese Weise wurde immer weiter vom Einzelfall abstrahiert, und es wurden über-einstimmende Erfahrungen und Aussagen sichtbar, die im Kapitel 5 „Ergebnisse“

in verschiedenen Unterkapiteln verarbeitet ihren Platz fanden.