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Ursachen und Entwicklung von Alkoholismus

2 Grundlagen zu Alkoholismus und Alter(n) in der dritten Lebensphase

2.1 Alkoholismus und Sucht

2.1.7 Ursachen und Entwicklung von Alkoholismus

Nach Kiefer und Schuster (2017) besteht keine Einigkeit darüber, welche übereinstimmende Erklärung für die Entwicklung von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit vorliegt. Ein zentraler Faktor ist der wiederholte Konsum von aktiven pharmakologischen Substanzen, die mit Abhängigkeitspotential in Verbindung stehen (S. 1490).

Bis es zur Abhängigkeit kommt, wird eine hinderliche Talfahrt von Konsum über Missbrauch bis hin zur Abhängigkeit durchlaufen. Dies ist ein schleichender Prozess, welcher durch mehrere, gravierende Faktoren, Lebenskrisen und Lebensumwälzungen genährt wird (Lützenkirchen et al., 2010, S. 43-44). Die im Laufe des Lebens entstandenen Veränderungen beziehen sich auf berufliche und körperlich-gesundheitliche aber auch auf private Ebenen. Die daraus entstehenden komplexen Lebenskomplikationen sind nicht ausschliesslich der Alterung zuzuschreiben. Schwierigkeiten können sich bereits im mittleren Lebensalter herausbilden. Verschiedene unten aufgeführte Ursachen entwickeln sich bei Einzelproblemen im Alter zu einem Komplex, welcher vor allem bei Late-Ontake-Abhängigen (LOA) eine Rolle spielt. Late-Ontake Abhängige sind Menschen die spät in ihrem Leben mit problematischem Trinken beginnen. Hinzu kommen durch die Gesellschaft hervorgerufene Vorurteile gegenüber älteren Menschen und Probleme, die durch systemische Veränderungen entstehen (ebd.). Anpassungsstörungen erhöhen das Risiko einer Alkoholabhängigkeit im Alter (vgl.

Garms-Homolová 2004, S. 10ff. zit. in Lützenkirchen et al., 2010, S. 42-43). Denkbare Auslösefaktoren für die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen im Alter können auf unterschiedlichen Ebenen wie folgt entstehen:

Berufliche Ebene:

 Rückgang der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit

 Verlust von sozialen und professionellen Kompetenzen

 Rente oder Arbeitslosigkeit

Körperlich-gesundheitliche Ebene:

 Rückgang der Mobilität und Autonomie

 nachlassende Gesundheit und Auftreten von Erkrankungen wie Diabetes oder Krebs

 Psychische bzw. psychiatrische Erkrankungen, wie Depression und nachlassende kognitive Fähigkeiten bis hin zur Demenz

 der Wechsel von der Selbständigkeit in die Pflegebedürftigkeit

 Schlafstörungen

Private Ebene:

 Veränderungen und Lebensereignisse

 Verlust von Bezugspersonen wie Familienangehörige, Kinder oder Freunde

 Wegfall der Tagesstruktur

 im Ruhestand zu viel verfügbare Zeit, respektive zu wenig Hobbies

 Auseinandersetzung mit dem Tod, Verlust des Gewohnten und fehlende soziale Rollenbilder (ebd.)

Die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung ist mit komplexen und langwierigen Prozessen verbunden. Die bereits erforschten theoretischen Hintergründe und die spezifischen Betrachtungen der alkoholabhängigen alten Menschen sind in der Literatur nicht ausreichend erforscht. Dieser gesellschaftliche Umstand erfordert Veränderungen seitens der sozialen Versorgungssysteme.

(Lützenkirchen et al., 2010, S. 44-45).

In Anbetracht der unterschiedlichen Einflussfaktoren der Alkoholeinnahme handelt es sich bei der Entwicklung der Alkoholabhängigkeit um ein multifaktorielles Kausalitätsgefüge (Abb. 1). Die Begleiterkrankungen unterschiedlicher psychischer Störungen, die durch Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit entstanden, werden heute in Interaktion sozialer und lerntheoretischer Ideologien, aber auch genetischer und biologischer Einflüsse als mögliche Ursachen für Alkoholismus deklariert (ebd.).

Abbildung 1:Multifaktorielles Kausalitätsgefüge (Quelle: Kiefer & Schuster, 2017, S. 1491)

Die zentralen Ansätze, die aus zahlreichen Untersuchungen zur Entwicklung von Alkoholismus führen können, werden nachfolgend erläutert:

Umweltfaktoren

Sozialisationsbezogener Ansatz: Jugendliche haben sich ihrer entwicklungsspezifischen Aufgaben zu stellen und müssen sie bewältigen (z.B. der gesellschaftlich akzeptierte Alkoholkonsum).

Sozialer Stressansatz: Die sozialen Beziehungen und andere Umweltfaktoren können Stresssituationen auslösen, die für das Individuum teilweise nur schwer zu bewältigen sind. Alkohol kann hier als Problemlöser dienen.

Soziale Stützung: Für den Einzelnen kann die Integration in ein soziales Netzwerk bedeuten, dass durch Probleme und Konflikte entstandene Herausforderungen zu bewältigen sind.

Enkulturation: Die durch Kultur oder Gruppen geltenden Normen und Wertvorstellungen bezüglich des Alkoholkonsums können übernommen werden oder es bildet sich eine Gegenposition.

Marktaspekte: Das Angebot und die Verfügbarkeit von Alkohol werden auf verschiedene Aspekte durch soziale Makrofaktoren bestimmt.

Soziale Einflüsse

Nebst der Herkunftsfamilie, der Primärfamilie, Schule, «Peergroups», Freunde und Gruppierungen, sind es auch die sozialen Lebensbedingungen, einschließlich der Arbeits- und der finanziellen Situation, die zur Entwicklung von Alkoholismus beitragen können. Zusätzlich spielen auf der Makroebene befindliche Bedingungen eine Rolle, die zur Entwicklung von Suchtverhalten beitragen.

Dazu gehören soziokulturelle Einflüsse, die aus vier Kulturformen unterschieden werden:

 Abstinenzkulturen: Verbot von Alkohol jeglicher Art

 Ambivalenzkulturen: Konflikt differenzierter Wertstrukturen gegenüber Alkohol

 Permissivkulturen: Der Genuss ist gestattet, exzessiver Konsum wird jedoch strikt abgelehnt.

 Weitere Einflüsse sind die sozialen Schichten, die Gesetze (Alkoholpreise, Steuern) und die moderne Industriegesellschaft.

Genetik

Der Einfluss von Genen kann nach Kiefer und Schuster (2017) anhand von Zwillings- und Adoptionsstudien näher erörtert werden. Nach McGue (1999) ist aus der Gesamtbetrachtung der Zwillingsstudien belegt, dass der Einfluss der Herkunft bei Alkoholismus ca. bei 50% liege. Der Einfluss genetischer Faktoren liegt bei Frauen und Männern vergleichbar hoch (zit. in Kiefer &

Schuster, 2017, S. 1492). Schuster und Kiefer legen nahe (2017), dass die genetische Veranlagung zur Entwicklung einer Abhängigkeit durch eine Vielzahl von Genen verursacht wird. Die herkömmliche Entstehung der Alkoholerkrankung wird durch eine Wechselwirkung unterschiedlicher genetischer Faktoren mit Umwelteinflüssen verursacht (S. 1492). Nach Agarwal und Goedde (1990, zit. in Kiefer &

Schuster, 2017) lässt sich Alkoholismus als komplexes Bild verschiedener Faktoren beschreiben.

Hierzu gehören unterschiedliche klinische Merkmale, biochemische Grundlagen, Organfolgeschäden, negative Auswirkung auf neurophysiologische und neuropsychologische sowie soziale und biologische Parameter. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Methoden, um einen verlässlichen, biologischen bzw. genetischen Marker für Alkoholismus zu enthüllen, ist bislang nicht gelungen. Derzeit werden zahlreiche Assoziations- und Kopplungsstudien bei Patienten mit familiärer Belastung mit Alkoholismus durchgeführt. Hypothesengeleitete Ansätze konzentrieren sich dabei im Moment auf die Bedeutung von Risikogenen (S. 1492).

Neurobiologie

Alkohol und andere suchterzeugende Substanzen verändern, über eine Ausschüttung des köpereigenen Botenstoffes Dopamin, die Beurteilung des durch die Einnahme bedeutenden Verhaltens und kennzeichnen diese als „positiv“ (belohnungsankündigend). Im Gehirn wird das als

positiv empfundene Gefühl als Genuss wahrgenommen (Reker, 2015, S. 41). Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass eine positive Beurteilung die Aufmerksamkeit auf Reize (Alkohol) richtet, die mit hoher Regelmässigkeit zugeführt werden. Diese Wahrnehmungsselektion kann mit Hilfe bildgebender Verfahren (Kernspintomographie) eine Reiz-Reaktivität beim Menschen untersuchen.

Alkoholabhängige Menschen zeigen eine höhere Aufmerksamkeit für alkoholassoziierte Reize (Kiefer et al. 2013, zit. in Kiefer & Schuster 2017, S. 1493). Die Studien zeigten auf, dass die alkoholbezogenen Reize gewisse Gedächtnisbereiche und das Belohnungssystem aktivieren (ebd.).

Reker (2015) beschreibt, dass bei hohem Konsum von Alkohol die Zahl der Botenstoffrezeptoren (Dopamin-Rezeptoren) weniger ansprechbar für andere Reize wie z.B. Schokolade seien (S. 41).

Zudem können nach längerer Enthaltsamkeit diese Reize ein Verlangen auslösen und einen Rückfall hervorrufen (Vollstädt-Klein et al. 2010, zit. in Kiefer & Schuster, 2017, S. 1493).