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Umstellung der gesellschaftlichen DIfferenzierungsform

Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 24-28)

Funktionale Differenzierung als Ursache sozialen Wandels

1. Umstellung der gesellschaftlichen DIfferenzierungsform

Man kann gesellschaftliche Entwicklung als Umstellung der Differenzierungsform begreifen. Wir wollen uns diesen gesellschaftlichen Differenzierungsprozess nun genauer ansehen. Als einfachstes Differenzierungsprinzip ist die segmentäre Differenzierung anzusehen. Sie ist Gesellschaftssystemen wie archaischen Gesellschaften zuzuordnen und teilt Gesellschaften in gleiche Teile wie Familien, Stämme, Stämmesverbände, Dörfer und so weiter ein. (Kneer/Nassehi 1993: 122) Es sind Gesellschaftssysteme, die auf Basis von Verwandtschaft oder Wohngemeinschaften funktionieren und auf einer geringen Entwicklungsstufe stehen. Dahinter steht das natürliche Prinzip des demographischen Wachstums.

(Luhmann 1980: 24) Dieses System kennt Arbeitsteilung überwiegend auf Grundlage von Geschlechts- und Altersrollen und zeigt so gut wie keine Ansätze zur Ausdifferenzierung. Da sich die Beteiligten untereinander kennen, steht im Vordergrund die gegenseitige Hilfe und die Befriedigung von Grundbedürfnissen. Die Möglichkeiten zu Handeln sind gering und die erlebte Bedrohung groß. Auf diese Weise können größere Zusammenhänge nur nach dem Muster der täglich erfahrbaren Differenz erlebt werden. (Luhmann 1997: 637) Dabei handelt es sich bei der segmentären Differenzierung nicht um die Anfangsform menschlichen Zusammenlebens, sondern ebenfalls um eine evolutionäre Errungenschaft.

(Luhmann 1997: 635)

Diese Form der Gesellschaft hat wenig Zeit, da sie sich fast alles um die Befriedigung der Grundbedürfnisse dreht. Dabei organisierten Gesellschaften auf dieser Stufe diese Operationen nicht durch interne Differenzierung, sondern durch Zeitausgleich. Das heißt, dass die Vielzahl der Bedürfnisse für den Einzelnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktuell wird; auf diese Weise werden die Beziehungsmöglichkeiten gesteigert und das System wird erhaltungsfähiger.

(Luhmann 1975: 136) Allerdings braucht dieses Nacheinander der Handlungen viel Zeit und erlaubt von daher nur eine geringe Form der gleichzeitigen Bewältigung von Problemlagen. (Kneer/Nassehi 1993: 124) Evolutionstheoretisch betrachtet ist diese Differenzierungsform das „Experimentierfeld der Evolution“, weil sich hier versuchsweise eine Zahl von funktionalen Lösungen für Strukturprobleme entwickeln.

(Luhmann 1975: 136)

Es handelt sich also bei segmentär differenzierten Gesellschaften um Systeme, die ihre Grenzen in Lokalitäten und konkreten Handlungssituationen finden. Die Grenzen sind wie beschrieben über Verwandtschaftszusammenhänge und Territorialität definiert. Wenn Handlungen und Handlungsmöglichkeiten aber auf Lokalitäten aufbauen, so ist das Erwartbare weitgehend festgelegt und Anschlussmöglichkeiten, beziehungsweise kreative Interaktionen sind eingeschränkt. Es gibt fast keine experimtellen Kommunikationen, da jede dieser Kommunikationen die Gefahr

darstellt, den Strukturrahmen der gesamten Gesellschaft zu bedrohen.

Sinndimensionen sind auf dieser Stufe niedrig ausgeprägt und Personen haben nur ein minimales auf den eigenen Organismus bezogenes Eigenbewusstsein.

(Kneer/Nassehi 1993: 123) Segmentäre Differenzierung setzt voraus, dass die Position der Individuuen fest in der sozialen Ordnung festgeschrieben steht und auch durch Leistung nicht verändert werden kann. Zwar gibt es Unterschiede des Ansehens innerhalb der Segmente, doch ist eine Karriere innernhalb dieser gesellschaftlichen Differenzierungsform sozusagen ausgeschlossen. Segmentäre Differenzierung dürfte eine Voraussetzung für den Übergang zur Landwirtschaft gewesen sein. Denn Landwirtschaft, also die Einteilung von Land und Arbeit, setzt veränderte soziale Strukturen voraus. (Luhmann 1997: 636) Segmentäre Gesellschaften haben auch kaum Möglichkeiten zur Rechtsbildung, denn die soziale Ordnung ist mehr auf Unterstützung zwischen den Beteiligten aufgebaut als auf Rechtsevolution. Das liegt daran, dass auf dieser Stufe das Erleben und die Erinnerung dominieren, und die Fälle dann so verschieden sind, dass sich keine übergreifenden Regeln herausbilden können. Um Regeln auszubilden, und zwischen Regeln und Handlungen zu unterscheiden, muss sich auch Kommunikation verbreiten und dazu muss Schrift da sein. (Luhmann 1997: 639) Segmentäre Gesellschaften sind auf ihren Bestand hin konstruiert. Eine andere Ordnung ist für sie undenkbar und Ansätze dazu werden als Unrecht betrachtet, das unter Umständen verfolgt wird. In segmentären Gesellschaften gibt es nur Sprache und so gut wie keine Schrift. Die Semantik bezieht sich auf kondensierte Redensarten, Namen, Worte, Sprichwörter, Erzählungen und ähnlichem (Luhmann 1997: 643)

Zwar setzen auch innerhalb archaischer Gesellschaften erste Differenzierungen auf der Ebene der Rollen ein. Dazu gehören die bereits erwähnten arbeitsteiligen Rollen auf Grundlage von Alter und Geschlecht sowie erste Sakralrollen, die beginnen, die Komplexität der Gesellschaft ansteigen zu lassen, doch ändern diese Differenzierungen nichts an der segmentären Grundstruktur, sie passen sich vielmehr den Folgeproblemen an. (Luhmann 1997: 641) Religion differenziert sich auf dieser Stufe eher als Versuch heraus. Man hat zu den sakralen Dingen mehr ein pragmatisches Verhältnis, erst mit der Zeit schließen sich die Situationen verschiedener Art zu mythischen Erzählungen zusammen. Doch ist dieser ganze Bereich auf dieser Stufe eher der Magie zuzuordnen. (Luhmann 1997: 645)

Die Ursache für den Übergang zur nächsten Gesellschaftsform lässt sich nur schwer finden. Diskutiert werden Zunahme der Bevölkerung, ökologische Diversität oder Landwirtschaft. Zu den Auslösern einer neuen Differenzierungsform rechnet man auch die Aufhebungen der Gleichheit, das heißt, dass einige Familien mit Land, Gütern und Anhängern reicher geworden sind und auf diese Weise Rangdifferenzen geschaffen haben, die als vorteilhaft entdeckt wurden. Auf diese Weise fand Systemdifferenzierung statt und es konnte sich möglicherweise eine Art Oberschicht und damit ein Teilsystem der Gesellschaft bilden. Das gesah indem interne Interaktion anders behandelt wurden als Interaktionen mit der gesellschaftsinternen Umwelt des Systems. Geschieht dies, werden zwischen der Ober- und der Unterschicht keine Verwandschaftsverhältnisse mehr anerkannt. Das macht es auch erforderlich, nur noch in der eigenen Schicht zu heiraten. Auf diesen Punkt werden wir später noch näher eingehen. Bleiben wir vorerst dabei, dass die Verwendung dieser Rangdifferenz als Form der Systemdifferenzieurng die Gesellschaft revolutionieren kann. Es entstehen soziale Muster, die Ungleichheiten aufweisen und bestimmte Führungsstrukturen. (Luhmann 1997: 657 ff.) Auch führt das Erkennen von Ungleichheiten zu parasitären Ordnungen, die nahezu unbemerkt vom Zustand

der Abweichung in eine Primärordnung übergleiten können. (Luhmann 1997: 661) Weitere Ursache für die Auflösung dieser Gesellschaftsform könnte auch die mit der Produktivität zunehmende Gewalttätigkeit spätarchaischer Gesellschaften sein.

Segmentär differenzierte Gesellschaften zeigen eine Schwäche der Konfliktlösungsmöglichkeiten und machen eine Unterlegenheit im Vergleich zu mitlitärisch organisierten Gesellschaftsformen erkennbar.

Mit Entstehen einer Zentrum/Peripherie-Differenzierung zeigt sich der Übergang in die nächste gesellschaftliche Differenzierungsform deutlicher. Sie findet vor allem statt, wenn eine der segmentären Gesellschaften eine dominierende Rolle im Fernhandel übernimmt. In Frage gestellt wird dabei die segementäre Differenzierung noch nicht, dies geschieht erst, wenn die dominierende Stellung des Zentrums, also der Städte, benützt wird, um eine stärke Arbeitsteilung zu erreichen. (Luhmann 1997:

663) Ein wichtiger Punkt bei der Ausdifferenzierung entsteht dadurch, dass durch das entstandene Zentrum bedingt, die Zahl und Komplexität der Aussenkontakte immens zunimmt und das System entsprechende Einrichtungen zur Informationsbewältigung bereitstellen und auch hierachisch ordnen muss. Es kommt zur Ausdehnung von Kommunikationsmöglichkeiten, die zur Bildung großer Territorialreiche führt.

Neuartige Differenzierung entsteht dann, wenn durch diese Differenz von Zentrum und Peripherie die Sprache „modern wird“, dass heißt, dass über Kapitalakkumulation gesprochen wird. (Luhmann 1997: 665) Diese Verdichtung und Grenzüberschreitung von Kommunikation hat dann Formen von territiorialer Differenzierung, das heißt Tendenzen zur Ausdehnung und Festigung von Grenzen im Auge. Es kommt zur Bildung von Organisationen, die sich mit der Ausbeutung der Peripherie beschäftigen. (Luhmann 1997: 666) Die Ausdehnung der Kommunikation führt auch dazu, dass man Menschen zählt, man muss wissen, wer gehört dazu und wer nicht. Dadurch wird die Welt stärker in Differenzen und Grenzbewusstsein aufgeteilt. Aber dennoch kann man noch nicht von der Ausbildung einer politischen Ordnung im Sinne eines Vorläufers des modernen Territiorilstaates reden, da die Tiefe der Kommunikation dazu noch nicht aussreicht. Vielmehr steht eine Art

„religiös-politische Bürokratie“ im Vordergrund. Alltagsprobleme werden immer noch von Familien und Verwandtschaft beziehungsweise Tempeln, Gilden und Zünften gelöst. (Luhmann 1997: 668)

Die nächste Stufe gesellschaftlicher Differenzierung ist die Stratifikatorische.

Historisch betrachtet ist sie die Erfolgreichste. Sie nahm ihren Ausgang im Übergang von den arachischen Stammesgesellschaften in komplexe soziale Verbände und war bis in die europäische Vormoderne des 15. und 16. Jahrhunderts das entscheidende Differenzierungsprinzip (Kneer/Nassehi 1993: 126) Ein entscheidendes Prinzip der stratifzierten Gesellschaft ist die Differenzierung in ungleiche Schichten. Innerhalb der Schichten herrscht wieder Gleichheit. (Hahn 1981: 346) Die Gesellschaft besteht nicht mehr aus ähnlichen oder gleichen Systemen, sondern aus Teilsystemen, die in hierachischer Beziehung zueinander stehen. Stratifizierte Gesellschaften beobachten mit der Leitdifferenz „oben/unten“. Alle Entscheidungen, alle Kommunikationen richten sich nach dieser Ordnung aus. Von daher betrachtet ist stratifizierte Gesellschaft Ordnung von Kommunikation durch Systemdifferenzierung. (Luhmann 1980: 73) So steht weniger die Sach- als die Sozialdimension im Vordergrund gesellschaftlicher Autopoesis. Nicht was gesagt, sondern wer was sagt, ist wichtig.

Im Vergleich zur segmentären Gesellschaftsform ist diese Form des Zusammenschlusses durch höhere Komplexität gekennzeichnet. Dabei gewinnt nun die Oberschicht und auch die Schrift eine wichtige Bedeutung: alle hochkulturellen

über Schrift verfügende Gesellschaften sind Adelsgesellschaften gewesen.

(Luhmann 1997: 678)

Diese Schicht erkennt keine Verwandtschaft mehr zu den Unterschichten an. Die Vorstellung einer Rangdifferenz tritt in den Mittelpunkt des Verhaltens. Stratifizierte Gesellschaften regeln die Inklusion von Menschen in die Gesellschaft dadurch, dass sie bezogen auf Teilsysteme Inklusion und Exklusion festlegt: wenn man einer Schicht angehört, ist man automatisch aus der anderen ausgeschlossen. (Luhmann 1997: 688) Die Unterschiede zwischen den Schichten werden nicht mit dem

„gleich/ungleich“- Schema wahrgenommen, sondern über unterschiedliche Rechte und Pflichten, es ist diese Differenz, die dann moralisiert wird. (Luhmann 1997: 694) Stratifikatorische Gesellschaft beruhen auf akzeptierten Reichtumsunterschieden.

Ehen werden dabei in der Anfangsphase dieser gesellschaftlichen Differenzierungsform vor allem zu Herstellung von Bündnissen benützt, um die eigene Instabilität auszugleichen. Haushalte werden für stratifizierte Gesellschaften von großer Bedeutung: in sie wird die gesellschaftliche Rangordnung gleichsam hineinkopiert, das heißt, es gibt dann entsprechende haushaltsinterne Rangverhältnisse wie Mann/Weib, Vater/Kinder, Herr/Knecht. Dabei ist die Unterordnung der Frau unter den Mann unvermeidbar. Hier im Haushalt können sich auch relativ große Freiheiten der Interaktion bilden, die in der politischen Gesellschaft niemals geschehen könnten. Dabei betont die Struktur des Haushaltes die Notwendigkeit der Herrschaft. (Luhmann 1997: 697 ff.) Gleichsam werden nun von der Oberschicht bestimmte Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die sie ebenfalls von der Unterschicht abgrenzen und von dieser auch nicht nachvollzogen werden kann. Allerdings geht von der Oberschicht keine direkte politische Gewalt aus. Es kommt nicht zur Stratifikation ohne Zentralismus. So kann man sagen, dass der Übergang von segmentärer zu stratifizierten Gesellschaft gleichsam der Vorbereitung einer funktionalen Ausdifferenzierung des politischen Systems dient. (Luhmann 1997: 680 ff.)

Wie wir im vorherigen Abschnitt bereits diskutiert haben, war für den Übergang zur funktionalen Differenzierung auch das Kommunikationsverhalten der Oberschicht wichtig. (Luhmann 1980: 72 ff.) Innerhalb der Oberschicht herrschten spezifische Kommunikationen, die zum Anstieg der Kommunikationsleistung führten. Gerade anspruchsvolle Kommunikation muss schichtspezifisch entwickelt werden.

Systemdifferenzierung nach Schichten ist dem zu Folge ein Mechanismus der Steigerung von Kommunikationsleistungen innerhalb der Gesellschaft. Dadurch konnten stratifizierte Gesellschaften komplexer werden als segmentäre Gesellschaften. (Luhmann 1980: 73) Weil die Oberschicht ihre Stellung behalten wollte, musste sie ihre Interaktionen demnach ausrichten. Allerdings verlor sie mit der aufkommenden funktionalen Differenzierung ihre Kontrollfunktion und es wurden immer weitere zentrale Funktionsbereiche aus dem Bereich ihrer Interaktion ausgeliedert. Das heißt, die Oberschichteninteraktion änderte sich schrittweise und entlastete sich dabei von den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft bis sie sich zur bloßen Geselligkeit reduzierte. (Hahn 1981: 352) So handelt es sich beim Umbauprozess von stratifikatorischer zur funktional differenzierten Gesellschaftsform um „einen Funktionsverlust semantischer Korrelate der Oberschichteninteraktion“.

(Luhmann 1980: 85) Damit wurden funktionsspezifische Probleme und Interessen eigenen Funktionskreisen zugesprochen. Es bildeten sich Teilsysteme mit eigenen Bezugsproblemen, die nicht mehr in Schichten hierachisiert werden konnten.

Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 24-28)