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Differenzierung der politischen Struktur

Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 72-75)

Macht als Kommunikationsmedium

1. Analyse des politischen Raums

1.1. Differenzierung der politischen Struktur

Als im Jahre 1992 K. als Bürgermeister zurücktrat, liesen sich, neben zwei unbedeuteten Kandidaten, auch M. und B. aufstellen. M. ist parteilos, kam von auwärts und war zu dieser Zeit 28 Jahre alt. Er arbeitete einige Jahre Abteilungsleiter bei einem Sozial- und Jugendamt in einer größeren Stadt. B. ist dagegen im Ortsteil A. der untersuchten Gemeinde S. aufgewachsen und hatte bereits außerhalb der Gemeinde S. politische Erfahrungen gesammelt: Im Jahre 1980 war er Geschäftsführer der jungen Union, zwei Jahre später Kreisgeschäftsführer der CDU.

Im Jahre 1987 gab B. seine Ämter in der CDU auf, blieb jedoch Parteimitglied. Seine CSU-Mitgliedschaft wurde während des Wahlkampfes von einigen Bürger kritisch betrachet. Auch der Vater und Großvater von B. waren bereits lange Jahre Bürgermeister in A. gewesen. Mit der Fortsetzung dieser Familientradition waren nicht alle Bürger der Gemeinde einverstanden. Wieder keimten alte Ängste auf: die Bürger befürchteten eine zu starke Verknüpfung der Politik mit den Interessen Einzelner. Nach den Erfahrungen mit dem vorherigen Bürgermeister K. war nun der Wunsch, dass die politische Macht stärker auf die gesamte Bürgerschaft, auf das Gemeinwesen verteilt werden sollte. Als die Wahlabsichten von B. in der Gemeinde bekannt wurden, gründete sich nach Angaben von B. eine Bürgerinitiative, die mit einer Zeitungsanzeige einen Gegenkandidaten suchte. Wer hinter der Kampagne steckt, gibt B. an zu wissen, möchte es aber nicht sagen. Außer B. weiß allerdings niemand etwas über eine Initiative, die existiert haben soll. B. wurde bereits während des Wahlkampfes vorgeworfen, dass er zu enge Kontakte zu K. gehabt habe. Ein Umstand, der von vielen in der Gemeinde nicht gerne gesehen wurde. Während des Wahlkampfes besuchten die beiden Kandidaten auch die Vereinsvorsitzenden in der Gemeinde. Dem Kandidaten, dem es gelingt, hier überzeugend zu wirken, hat sich einen großen Vorteil verschafft. B. war unter anderem beim Vorsitzenden vom Musikverein H. Er zog bei diesem Gespräch über die Beamten her, bezeichnete sie

als "faule Säcke"; was er allerdings nicht wußte, war, dass der Vorsitzende des Musikvereins, G, als Beamter beim Landratsamt beschäftigt ist - der Besuch geriet zum Fiasko. G.erzählt:

„... wenn jetzt der Kandidat da war, wie es mir gegangen ist beim B., dass der mir zwei Stunden die Ohren vollllabert über irgend was, was soll ich sagen, mit dem kann ich nichts anfangen, was du mir da erzählst ist völliger Schwachsinn. Das ist so gewesen, jetzt hat er halt Pech gehabt, jetzt weiß ich, wen ich wählen muss, habe ich zu ihm gesagt. Hat zwei Stunden einen Käs an mich hingelabbert, das muss er selber wissen, ein anderer hätte es vielleicht als positiv empfungen.“

Die beiden Bürgermeisterkandidaten stellten sich in allen Vereinen der Gemeinde vor, um Stimmen zu gewinnen. Sie besuchten die Vorsitzenden und versprachen Unterstützung nach der Wahl. Besonders auf dem Land verfügen die Vereine über ein enormes Stimmenpotential: jeder, der sich an einer Wahl beteiligt, ist dort auf diese Organisationen angewiesen. Ist erst einmal der Vorsitzende überzeugt, ist es kein weiter Weg mehr, die Mitglieder des Vereins und möglicherweise noch andere Gruppen, die dem Verein nahe stehen, hinter sich zu bringen.

B. war es schließlich nicht möglich, die Vorsitzenden der Vereine für sein politisches Programm zu gewinnen. Am Wahlabend erlitt er gegen M. eine Niederlage. M.

gewann mit 110 Stimmen Vorsprung. Es war B. nicht gelungen, aus dem politischen Schatten seines Vaters herauszutreten und die nachgesagten Verbindungen zu K.

waren auch nicht förderlich. Was mit zur politischen Niederlage von B. beigetragen hat, ist auch, dass heute vom Bürgermeister eine qualifizierte Ausbildung erwartet wird: während früher starke Persönlichkeiten aus den eigenen Reihen gefragt waren, die die Probleme in der Bevölkerung kannten, werden heute theoretische Grundkenntnisse verlangt, dass bedeutet in der Regel ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule oder Universität. Im Gegensatz zu B. hat M. eine Ausbildung als Dipom-Verwaltungswirt. Der frühere Bürgermeister K. hatte dagegen noch einen Beruf, der ihn mit der Gemeinde, mit den Interessen der Bauern und Handwerker verband: er war Sattler. Was an Fachwissen über die Verwaltung notwendig war, wurde damals in Kursen und Selbststudium nachgeholt. Heute gibt es in den Gemeinden immer weniger Landwirte und Handwerker. Mit zunehmender funktionaler Differenzierung der Gesellschaft verändert sich der Anspruch an den Bürgermeister. Zwar waren der alte Bürgermeister K. und der neue Bewerber B. mit den Problemen der Menschen in der Gemeinde genauer vertraut als der auswärtige Kandidat M; sie hatten dadurch aber auch weniger Distanz zu den Interessen mancher Bürger, die sich über Verbindungen zum Rathaus einen Vorteil versprachen. So wurde B. der Umstand, dass er aus der Gemeinde kam, letztendlich mit zum Verhängnis. Ein Bürger berichtet:

"Ja, (Pause), heutzutage ist, man sagt heutzutage, lieber mal ein Fremder, weil, man hört das halt so in der Allgemeinheit, dass, vielleicht, wenn, weil aus der eigenen Gemeinde der kennt alle Bürger eigentlich und äh, kennt halt sich aus in der Ge-meinde und das wünschen sich manche nicht. Früher war es anders herum. Die Bürger wollen das heutzutage nicht so, die wollen da keine mehr Intimität wahrscheinlich. Das ist nicht so wie früher, wo man eine kleine Gemeinde war, da

war man mit dem Bürgermeister per du, der war wie ein Vater, so war es doch manchmal, heute ist es ganz anders."

Es ist für die Gestaltung einer Gruppe von Bedeutung, ob sie sich einem Fremden oder einem aus ihren eigenen Reihen unterordnet. Meist sind es rationale Gründe, die den Ausschlag geben: der Fremde ist unparteischer, der Zugehörige verständnisvoller. Wie die Entscheidung ausfällt, hängt mit der Gruppenentwicklung zusammen, je tiefer sie als Ganzes steht, je mehr sie an Unterordnung gewöhnt ist, umso weniger wird sie es annehmen, von einem aus der Gruppe selbst beherrscht zu werden. (Simmel 1958: 128). In diesem Sinne hatte sich die politische Gemeinschaft nach K. weiterentwickelt. Man wollte sich nicht mehr einem aus der eigenen Gruppe unterordnen, sah sogar eine Gefahr darin.

Nach seiner Wahl führte der gewählte Bürgermeister M. einen neuen politischen Stil im Gemeinderat ein. Er vollzog die Trennung von alten Machtstrukturen und sprach dem Gemeinderat mehr Bedeutung zu. Diese Prozesse führten zu wachsender innereren Differenzierung der ländlichen Einheit, was zu weiteren Veränderungen in der Struktur des politischen Systems führte. (Eisenstadt 1979: 98) Es kam zur zunehmenden Bürokratisierung der Verwaltungsstruktur. Mit dem neugewählten Bürgermeister hatte sich der Prototyp der Bürokratie durchgesetzt: aktivistisch, pragmatisch orientiert, wenig zu administrativ irrelevanter Reflexion geneigt, geschult im Umgang mit Menschen, dynamisch und konservativ zugleich. (Hahn 1974: 67) Die alten Beziehungen zwischen Bürgermeister und Bürgern wurden jetzt in staatlich-politische Begriffe aufgelöst. Das staatlich-politische System wurde aus traditionellen Bindungen herausgelöst und immer stärker funktionalisiert. Als Zweckbestimmung wird jetzt politische Freiheit festgehalten. Dies führt aber nicht zu einer Begrenzung der Ansprüche, sondern zu einer Ausweitung derselben; dieses Mal allerdings unter dem Mantel des öffentlichen Interesses. Mit dem Übergang in diese neue politische Struktur sind aus persönlichen Beziehungen, die noch zwischen K. und manchen Bürgern herrschten, der vom Verwaltungsapperat geschaffene „Ermessensbereich“

geworden. Einige „Beziehungen“ zwischen Politik und Bürgern sind wahrscheinlich gleich geblieben, nur sind sie jetzt rechtlich legitimiert. So kommt es mit der Differenzierung der poltischen Struktur dazu, neue Formen für die alte Verteilungspolitik zu finden. (Beiträge zur Marxschen Theorie 1974: 112) Auf diese Weise wird die Sozialordnung undurchsichtiger, sie beruht im Gegensatz zu früher nur noch indirekt auf Grundlagen, die persönlichen Kontakt voraussetzen. Dabei wird den Gemeinderäten suggeriert, sie verfügten über mehr demokratische Macht.

Partizipation, Mitbestimmung und Emanzipation sind dabei die Schlagwörter der Mächtigen, die sie verteilen, um ihre Untergebenen dadurch nur noch mehr im Griff zu haben. Der neue Bürgermeister:

„Also jeder hat an dem Kuchen den gleichen Anteil, wenn wir uns zu einem Kompromiss durchringen, zu einem Weg durchringen, der dann auch als politische Leitlinie verfolgt wird.“

Sinn wird damit generalisiert, das heißt soziale Unterschiede werden anscheinend aufgehoben. Wichtigstes Instrument dabei bleibt die Sprache als Macht. Wenn es an

„richtigem“ Bewusstsein fehlt, fehlt es eben an Sprache. In dieser Richtung ist der

bürokratische Menschentypus bestens geschult, er korrigiert den Sinn in Form von Kommunikation. In der Folge werden Motive vom Einfluss auf die Handlungen abgekoppelt. Damit wird Macht unabhängig von Tradition und Fixierung an bestimmte Personen und das System wird mobiler. (Luhmann 1988: 74) Das politische System wird so in die Lage versetzt, verschiedene Interessen unabhängig von Personen zu transformieren und endlich wird der Zweck als Rechtfertigung für das Mittel angesehen. „Das, was der Schluss beweisen soll, wird vorsichtshalber bereits vorausgesetzt: Es handelt sich um eine Tautologie, die nur der Begründung von Entscheidungen dient, die bereits getroffen sind.“ (Luhmann 1968: 97) Das politische System kann damit aufgefasst werden als ein selbstregulatives, autopoietisches System, das immer wieder Macht erzeugt und auf Macht anwendet, darüber hinaus aber auch der Machtanwendung des Gesamtsystems unterliegt.

(Luhmann 1990: 87) Es reduziert die Komplexität der Umwelt und baut dabei selber Komplexität in Form von erhöhter Macht auf. Macht beschränkt auf diese Weise die Selektionsleistungen der von der Macht betroffenen. Das politische System steht also wie jedes andere differenzierte System in Beziehung zur Umwelt, zu sich selbst und zu anderen Teilsystemen und verändert seine Strukturen im Verlaufe der sozio-kulturellen Evolution.

Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 72-75)