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Inklusion und Exklusion in Folge von Differenzierung

Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 31-34)

Funktionale Differenzierung als Ursache sozialen Wandels

3. Inklusion und Exklusion in Folge von Differenzierung

Mit gesellschaftlicher Ausdifferenzierung wachsen die Bedingungen der Inklusion und der Exklusion für das Individuum. Inklusion wird dabei als die Chance der sozialen Berücksichtigung von Personen bezeichnet. Inklusion gibt es demnach nur, wenn auch Exklusion, also die Ausgeschlossenheit von Personen als Form sozialer Ordnung möglich ist. Als Beispiel für Exklusion mögen hier die „Unberührbaren“ der indischen Kaste angeführt sein. (Luhmann 1997: 621) Für Exklusion von Personen bedarf es einer Legitimation. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: entweder handelt es sich um Menschen „anderer Art“ oder um gravierende Normverstöße. (Luhmann 1995: 242) Inklusion bedeutet demnach, dass die Gesellschaft Personen verschiedene Plätze im Gesellschaftssystem zuweist. Auch Inklusion und Exklusion sind evolutionären Veränderungen unterworfen. In segmentären Gesellschaften ergab sich die Inklusion aus der Zugehörigkeit zu einem der Segmente. Außerhalb dieser Segmente gab es kaum Überlebenschancen. Ein Leben ohne Inklusion war praktisch unmöglich. Exklusion aus der Gesellschaft erfolgte besipielsweise durch Auszug oder Übersiedlung in andere Stämme. (Luhmann 1995: 243)

In stratifizierten Gesellschaften ging die Inklusion schließlich auf die soziale Schicht über. Der soziale Status war durch die Schicht bedingt, der man angehörte. Zwar wurde Inklusion nun differenziert, fand aber weiterhin in Segmenten statt, da man durch Geburt, Ehe oder Aufnahme seinen bestimmten, angestammten Platz hatte.

Die Schichten waren also über Inklusion und Exklusion, vor allem durch Endogamie geschlossen. Individualität wurde durch Zuweisung eines sozialen Status erworben.

Die Inklusion in Form von Zuordung zu einem der Stände hatte auch rechtliche Konsequenzen wie zum Beispiel die Steuerbefreiung für den Adel. Exklusion wurde nach wie durch die Haushalte in Form von Segmentierung geregelt. Einen Begriff der Familie, wie wir ihn heute verstehen, gab es damals noch nicht. In diesem Sinne konnte Exklusion den Übergang in ein anderes Teilsystem, aber auch den Ausschlus haushaltsloser Individuen aus der Gesellschaft bedeuten. Eine Auffangsposistion bot seiner Zeit der Status des Mönchs, aber es gab auch schon eine große Zahl von haus- und herrenlosen Menschen, von Bettlern und Vagabunden. Dabei ist Exklusion daran zu erkennen, dass das Prinzip der Reziprozität unterbrochen wurde: Mönche und Bettler empfingen Almosen, konnten aber nichts im Gegenzug geben. Zum gesamten Exklusionsbereich wurde aber noch eine Art Sonderbeziehung gehalten, weil auch der Mönch, oder das Unterwegssein auf der Wanderschaft, das Warten auf ein Piratenschiff, das einen an Bord nahm, nicht automatisch den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutete. (Luhmann 1995: 243 ff.)

In der frühen Neuzeit, also mit zunehmender funktionaler Differenzierung, kam es zu einer richtigen Exklusionspolitik. Exklusion war nun nicht mehr Einzelnen überlassen, sondern wurde Bestandteil einer Politik, teils der Zünfte, teils der Territorialstaaten.

Zünfte schlossen jetzt Gruppen aus Berufsmöglichkeiten aus, und der Territorialstaat konnte nicht zu disziplinierende Gruppen aus dem Staatsgebiet ausschließen.

(Luhmann 1995: 245) Exklusion war nun auch aus Grund wirtschaftlicher Not möglich. (Luhmann 1997: 622) Erst im 18. Jahrhundert wurde diese Poltik durch langsam aufkommende Sozialmaßnahmen ergänzt. Dabei folgte die Ordnung des Inklusionsprinzips dem Differenzierungsprinzip der Gesellschaft: die Ordnungen von Exklusion und Inklusion blieben weiterhin speziellen Einrichtungen überlassen, die auch diese Differenz miteinbezogen. (Luhmann 1995: 245)

Sowohl Kriminalitäts- als auch Krankheitsdiagnosen wurden nun langsam aber sicher auf eine Reflexion der Differenz von Inklusion und Exklusion umgestellt. Dabei wurde Exklusion in die Form von Inklusion gekleidet, um die Folgen der gesellschaftlichen Evolution unter Kontrolle zu halten. So hängt es von der gesellschaftlichen Differenzierungsform ab, welche Ansatzpunkte gewählt werden, um ihre Primäreinteilung zu strukturieren. (Luhmann 1995: 242)

Die zunehmde Zahl von Ausgeschlossenen bedeutete für die Gesellschaft aber auch eine Gefahr: sie versuchte, die Prozesse der Exklusion durch die Organisation von Arbeit auszugleichen. Doch nach wie vor sorgte die zunehmende Differenzierung der Gesellschaften für „Restbestände“. Denn wenn in einfachen Gesellschaften die Ausgestossenen einfach durch Vertreibung und Tötung vollkommen ausgeschlossen werden konnten, so ist das mit Aufkommen der Hochkulturen mit Stadtbildung und Adelsherrschaft anders: Die Differenz von Inklusion und Exklusion muss innergesellschaftlich rekonstruiert werden. (Luhmann 1997: 623) Für den sozialen Zusammenhalt ist die Gesellschaft auf dieser Stufe weiterhin auf Seßhaftigkeit und bestimmbare Interaktion zur Bildung verlässlicher Erwartungen angewiesen. Auch im Bereich der Religion finden zu dieser Zeit Exklusionsprozesse statt. Häretiker werden verurteilt und aus der Kirche ausgeschlossen. Nach dem Zerfall der Reichskirche hatte die Kirche selbst die Entscheidungsgewalt über Exkommunikation übernommen und setzte auf diese Weise „die christliche Handhabung von innergesellschaftlichen Prozessen der Inklusion und der Exklusion um“. (Luhmann 1997: 624)

Auch der Übergang von der stratifikatorischen zur funktional differenzierten Gesellschaft nutzt die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion. Allerdings wird auf eine gesellschaftliche Regelung verzichtet. (Luhmann 1995: 246) In der funktional differenzierten Gesellschaft bleibt die Regelung der Inklusion den Teilsystemen überlassen, das bedeutet, dass die Individuuen nun nicht mehr konkret plaziert werden können, weil sie jetzt an allen Funktionssystemen teilnehmen müssen - je nachdem unter welchem Funktionsbereich sie kommunizieren. So bietet die Gesellschaft keinen sozialen Status mehr, was der Einzelne nach Herkunft ist, vielmehr macht sie die Inklusion von hochdifferenzierten Kommunikationschancen abhängig, die nicht mehr sicher und auch nicht mehr allzu zeitbeständig sind. Jeder hat damit die Chancen auf Inklusion, so die Botschaft der modernen Gesellschaft, übermittelt wird folgendes: wer seine Chance nicht nutzt, ist selbst schuld. Auf diese Weise erspart sich die funktional differenzierte Gesellschaft die andere Form, die der Exklusion, als sozialstrukturelles Phänomen wahrzunehmen. (Luhmann 1997: 625) Innerhalb der Logik der totalen Inklusionsforderung machen sich diese

„Restprobleme“ zwar bemerkbar, werden aber so wahrgenommen und eingeteilt, dass sie die gesamtgesellschaftliche Logik nicht mehr in Frage stellen. (Luhmann 1997: 626)

Mit der funktionalen Differenzierung ist die Regelung von Inklusion und Exklusion also vollständig in den Aufgabenbereich der Funktionssysteme übergegangen. Da eine funktional differenzierte Gesellschaft in der Lage ist, extreme Ungleichheiten bei der Verteilung von Gütern zu schaffen und zu tolerieren, wird dabei eine kaum noch überbrückbare Kluft von Inklusions- und Exklusionsbereich geschaffen. Das heißt, dass eine zunehmende Zahl von Menschen von den Errungenschaften der Funktionssysteme ausgeschlossen sind. (Luhmann 1995: 250) Exklusionsprozesse bilden sich an den Rändern dieser Funktionssysteme und führen dann auch zu einer negativen Integration in die Gesellschaft. Keine Arbeit, kein Geld, kein Versicherungsschutz und so weiter, dies alles beschränkt das, was in den Systemen eigentlich erreichbar ist. Wer dies nicht hat, wird oft auch noch wohnmäßig separiert

und verschwindet damit von den Bildschirmen der Funktionssysteme. Diese Exklusionsprobleme haben heute ein anderes Gewicht, sie haben eine andere Struktur, weil die Mehrfachabhängigkeit von den Funktionssystemen den Exklusionseffekt verstärken. In älteren Gesellschaftsformen konnten die Folgen der Exklusion noch durch die Aufnahme in ein anderes Teilsystem abgefangen werden;

für eine funktional differenzierte Gesellschaft ist solch eine Auffangregelung nicht vorgesehen, weil sie eben nicht vorsieht, dass Individuuen keinem der Teilsysteme angehören. (Luhmann 1995: 258) Da die Teilnahme unter den Bedingungen der Funktionssysteme an der Gesellschaft möglich ist, so ergibt die Illusion eines nie zuvor erreichten Standes von Inklusion. Wahrscheinlich ist, dass sich ein neues sekundäres Funktionssystem bilden wird, dass sich mit den Exklusionsfolgen funktionaler Differenzierung beschäftigt; bisher sind jedoch nur vestreute Bemühungen auf der Basis von Interaktion und Organisation sichtbar. (Luhmann 1997: 633)

Auffallend ist, dass Exklusion in der funktional differenzierten Gesellschaft viel stärker integriert als der Prozess der Inklusion. Damit ist mit der funktionalen Differenzierung sozusagen in dieser Richtung ein Umkehrprozess gegenüber der stratifizierten Gesellschaft geschaffen worden, weil die Gesellschaft nun in ihrer untersten Schicht stärker integriert ist als in ihren oberen Schichten. (Luhmann 1997:

631) Der Ausschluss aus einem Funktionssystem zieht (mit Ausnahme der Religion) den Ausschluss aus anderen Funktionssystemen nach sich. (Luhmann 1995: 258) So verliert man seine Arbeit, dann seine Beziehungen, dann seine Wohnung, dann seine Gesundheit und schließlich vorzeitig sein Leben. Denn während im Bereich der Inklusion Menschen noch als Personen zählen, so ist es im Bereich der Exklusion anders: hier scheinen nur noch Körper von Bedeutung zu sein. Dabei verlieren die symbiotischen Mechanismen der Kommunikationsmedien ihre spezifischen Zuordnungen: Gewalt, Sexulalität und elementare Triebbefriedigung werden freigesetzt, ohne dass soziale Erwartungen daran geknüpft wären. Man orientiert sich an Kurzfristigkeit und Unmittelbarkeit von Situationen. (Luhmann 1997: 633) Dabei bildet sich der sprachliche Ja/Nein-Code zurück (Luhmann 1995: 263) und damit auch evolutionäre Voraussetzungen.

Die Differenzierung von Inklusion und Exklusion hängt in der funktional differenzierten Gesellschaften vor allem vom Handlungsvermögen der Individuuen ab. Dieses Handlungsvermögen ist durch Organisationspositionen bestimmt. Mit der Ablösung von der stratifizierten Gesellschaftsform werden Inklusion und Exklusion stärker durch das Netzwerk der Kontakte ausgezeichnet. Auf diese Weise tritt an Stelle der gesellschaftlichen, kaum integrierten Funktionsfähigkeit eine Art

„transversale Integration“, die aber nur in der Hand von den Teilnehmern benutzt wird. Deshalb ist es verständlich, dass die Bürokratie einen gesteigerten Wert auf

„authentische Dokumente“ legt. (Luhmann 1995: 255)

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