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Macht als Kommunikationsmedium

1. Analyse des politischen Raums

1.3. Die Fusion

Der neue Bürgermeister der untersuchten Gemeinde hatte schnell verstanden, wie wichtig Vereine für den politischen Erfolg sind und die Fusion zweier kleiner Sportvereine zu einem großen Gesamtverein vorangetrieben. Dies sollte mögliche Widerstände ausschalten: Widerstände gegen die Politik gibt es meist, wenn ihren Vertretern es nicht gelingt, Interessensgruppen und Orientierungen sozialer Bewegung zu institutionalisieren und in großen Organisationen zusammenzufassen.

Forderungen müssen politisch absorbiert werden, gleichzeitig wird versucht, ihre Stärke auf ein Minimum zu reduzieren. So formen die Herrschenden die politischen Forderungen dieser Gruppen in Organisationen, über die sie fast eine vollständige Kontrolle ausüben können. Die Merkmale dieser politischen Führung sind Lenkung, Manipulation und Kontrolle des Wandels. (Eisenstadt 1979: 112 ff.) Auf der anderen Seite sind es gerade moderne und flexible Organisationen, die dazu neigen, sich an bestehenden politischen Institutionen zu orientieren. Es geht im Bereich der Politik um Machtkummulation, um die Potenzierung von Macht. Politiker sind in dieser Gedankenwelt zu Hause. Um Macht zu vervielfältigen, gibt es in der Regel fünf Mittel (Küpper/Ortmann 1988: 32)

- Man hilft anderen und verlangt dann später Gegenleistungen von ihnen, die in das eigene politische Konzept passen. Versprechungen, die anderen abgenommen werden, werden in diesem Falle als Kredit bezeichnet, der irgendwann zurückgezahlt werden muss.

- Man sorgt dafür, dass man einem ein bestimmtes Machtpotential zutraut, inden man überredet, überzeugt, droht und blufft. Die eigentliche Geschicklichkeit liegt darin, die anderen glauben zu machen, man habe im Ernstfall ein großes Machtpotential.

- Man sucht sich ein System, das eigene Interessen durchsetzt und wird dessen Agent; in diesem Fremdsystem beginnt man nun, eigene Macht zu potenzieren.

- Man bildet sich eine eigene Hausmacht aus Zuarbeitern, Helfern und Wasserträgern, die in dem eigenen Sog aufsteigen wollen.

- Schließlich bildet man mit anderen Machtgruppen und Organisationen wechselnde Koalitionen.

Betrachtet man nun die aufgezählten Punkte, so ist eine Übereinstimmung mit dem Verhalten des Bürgermeister im Bereich der Fusion auffällig. Zwar waren die Vorsitzenden der kleinen Vereine und die überwiegende Zahl der Mitglieder mit der Fusion einverstanden. (Übereinstimmend wird von Beteiligten in den Vereinen als offizieller Beweggrund die Situation der beiden getrennten Fußballmanschaften im Jugendbereich angegeben), doch wurde auch Druck von der Verwaltung ausgeübt;

eine Einheit wurde angestrebt, um leichter Macht und Einfluss auf eine große Wählergruppe ausüben zu können. Was unbestritten ist, ist zumindestens, dass gegensätzliche Interessengruppen nicht so leicht entstehen können, wenn von einer Gemeinde mit etwa 3200 Einwohnern mehr als 1800 Mitglieder in einem Verein sind:

Formulieren wir es kürzer, was der gut ausgebildete Bürokrat will, ist folgendes: die Herabsetzung der formalen Organisation zu einer taktischen Größe, deren man sich in Einzelsituationen je nach Bedarf bedient oder nicht bedient. (Luhmann 1964: 187) Größere Gruppen sind leichter in Bewegung zu setzen als kleinere und können damit einfacher beherrscht werden: "Das liegt zunächst daran, dass große Massen immer nur von einfachen Ideen erfüllt und geleitet werden können: was vielen gemeinsam ist, muss auch dem niedrigsten, primitivsten Geiste unter ihnen zugängig sein können." (Simmel 1958: 33)

Es ist nicht unbedingt das Gemeinwohl, dass Politiker vorangig im Augen haben, vielmehr sind sie in der Sphäre der Macht zu Hause, sie haben ein Ziel vor Augen:

die Durchsetzung von Ideologien, gute Posten für ihre Anhänger u.s.w. Sie müssen deshalb einen Apparat besitzen, mit dessen Beeinflussung sie ihre Ziele erreichen können. Mit dem Großverein konnte so ein Apparat geschaffen werden. Dabei wurde der Wunsch eines der beiden kleineren zur Fusion anstehenden Sportvereine nach einem eigenen Vereinsheim politisch instrumentalisiert. Die Verwaltung begann unterschwellig Druck auf die seinerzeit laufenden Fusionsverhandlungen auszuüben.

Geld für das Vereinsheim sollte nur dann zur Verfügung gestellt werden, wenn der kleinere Verein der Fusion zum Großverein zustimmen würde. Bürgermeister M. gibt offen zu:

Es war auch ein politischer Wunsch, und der politische Anreiz sollte auch dieser sein, dass nachher dieses Angebot mit 200 000 Mark Zuwendung durch die Gemeinde, auch für die spätere Dachorganisation dieser beiden Vereine, also der spätere Großverein gelten sollte, so war das gelagert, gell ..."

Wie wir sehen, will das politische System Konflikte zu vermeiden. Konflikte werden erzeugt auf Grund überschüssiger Möglichkeiten, die unter dem Gesichtspunkt der Handlungsmöglichkeiten des Systems reduziert werden müssen. Dabei ist die Frage, welche Handlungsmöglichkeit vom System zur Konfliktlösung gewählt wird. Die Lösungstrategie hängt von der Indentität des Systems ab. (Wilke 1993: 34) Die Identität des politischen Systems wird über seine binären Codierungen gebildet und in dieser Differenz werden die Probleme systemspezifisch gelöst. Dabei bietet nur der positive Wert, im politischen System der Machterhalt, Anschlussmöglichkeiten.

Dabei kann Macht, versteckt im Kommunikationsprozess, die Form einer Drohung annehmen. Der Machthaber muss kämpfen, möchte er an der Macht bleiben, er wird schauen, wo sich Gegensätze gegen die Machtausübung zeigen. An dieser Stelle wird er deutlicher werden und mehr Macht einsetzen. Mit der Entwicklung durchsetzungsfähiger politischer Herrschaft gewinnt man dabei die Möglichkeit, bestimmte Kommunikationen durchzusetzen und auf diese Weise interne Konflikte zu lösen. (Luhmann 1997: 467) So reduziert das politische System seine intern gesteigerte Komplexität in einem zweiten Selektionsprozess über Macht. Dabei hat es die Möglichkeit, Geld einzusetzen, um seine Macht zu erhalten. N., damaliger Vorsitzender eines der beiden Vereine, die später zum Großverein fusionieren sollten, bestätigt dass das politische System für die Fusion Geld in Aussicht gestellt habe:

"Wir haben das so gemacht, also, wenn wir bauen, brauchen wir sowieso einen Zuschuss von der Gemeinde und dann hat die Gemeinde natürlich gesagt, die haben natürlich gleich eingehackt, wenn ihr fusioniert, dann bekommt ihr sicher einen, die haben das natürlich gleich schmackhaft gemacht, wie es halt so läuft ... die haben dann nur mit einem Sportverein zu tun, und der kommt größer raus und das ist auch einfacher."

Der Machthaber muss sich zur eigenen Macht selektiv verhalten, er muss überlegen, ob er sie einsetzt oder nicht. Macht setzt voraus, dass beide Partner Alternativen sehen, deren Realisierung sie vermeiden möchten. Der Machtunterworfene möchte die aufgezeigte Alternative, dass es eben kein Geld für ein Vereinsheim gibt, vermeiden. Wie zu sehen ist, geht es bei der Entscheidung um rationale Aspekte.

Letztlich wird Macht auch nur in dem Maße eingesetzt, indem es Widerstand gegen die geplanten Vorhaben der Machthaber gibt. Sie wird dann vorgetragen, wenn die Kommunikation nicht glatt „abfließt“, das heißt, wenn nacheinander Handlungen nicht so ablaufen, dass sich Selektionen durch einen Code aufeinander beziehen, und zwar so aufeinander beziehen, dass sie im Sinne des Machthabers weiter ablaufen können. (Luhmann 1988: 25) Bei diesen Prozessen ist zu beobachten, dass die Machtausübung und die Zielsetzung des politischen Manövers bewusst verschleiert werden: "Die Führungstechniken, die sich darauf beschränken, indirekt zu manipulieren und Gruppenkonsens wachsen zu lassen, lassen zugleich die Machtausübung unsichtbar werden, sodass sie nicht kritisiert und zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Kritik wird, was seinen guten Sinn hat, in Diskussionen vorweg genommen. Danach ist niemand mehr verantwortlich." (Luhmann 1964: 186) Bürgermeister M. kann in diesem Sinne auch als Tertius Gaudens, der lachende Dritte, bezeichnet werden: "Das Auftreten des Dritten bedeutet Übergang, Versöhnung, Verlassen des absoluten Gegenstandes - freilich gelegentlich auch die Stiftung eines solchen, er begünstigt das Zusammengehen zweier verschiedener Gebilde und macht sich ihr wechselwirkendes Geschehen zu einem Mittel für seine Zwecke.“ (Simmel 1958: 82)

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Großverein andere Vereine

Mitgliederzahl des Großvereins im Vergleich mit den Gesamtmitgliederzahlen der anderen Vereine

Abbildung 4 zeigt die Zahl der Mitglieder im Großverein im Vergleich zu der Gesamtzahl der Mitglieder der übrigen Vereine in der Gemeinde. Der Großverein verfügt über rund 1900 Mitglieder, die Zahl der gesamten anderen Vereine liegt bei ungefähr 1600 Mitgliedern.

Bevor es zur Fusion gekommen war, hatte es mehrere Treffen der Vorsitzenden und eine Informationsveranstaltung für die Mitglieder gegeben. Danach folgte eine Abstimmung über den Zusammenschluss zum Großverein. Wie aus den geschilderten Fakten klar wird, war die Richtung den politischen Verantwortlichen vorher klar, dem Einzelnen sollte nur noch deutlich gemacht werden, dass der andere Fall für ihn mit Einbußen verbunden ist. „Die Abstimmung dient dem Zwecke, es zu jenem unmittelbaren Messen der Kräfte nicht kommen zu lassen, sondern dessen eventuelles Resulat durch die Stimmzählung zu ermitteln, damit sich die Minoriät von der Zwecklosigkeit eines realen Widerstandes überzeuge." (Simmel 1958: 143) Alternativen wurden nicht zur Wahl gestellt. Es wurde bewusst ein bestimmter Prozess in Gang gesetzt, indem die Minderheit der Mehrheit folgen musste. Die Bürokratie ist in der Lage, ihre Entscheidungsvorgänge zu sequentieren, damit werden sie immer mehr irrversibel. „Solche Verfahren lassen sich von der Illusion tragen, als ob man am Ende noch frei sei, über das Ganze zu entscheiden.“

(Luhmann 1991: 205). Daraus wird ersichtlich, dass, um Macht auszuüben, ein Umweg über Negationen notwendig ist; denn Macht setzt voraus, dass beide Parteien Alternativen sehen, deren Realisierung sie vermeiden möchten. Erst dann beginnt Macht zu fließen; dass heißt, sie nimmt die Form eines Prozesses an, der reduzierte Komplexität auf Entscheidungen überträgt. (Luhmann 1988: 29) Macht läuft auf diese Weise als weitere Kommunkationsform neben den Diskursen mit.

(Küpper/Ortmann 1988: 211) Das bedeutet aber nicht, dass Macht in diesem Sinne darauf ausgerichtet ist, das Verhalten des von der Macht Unterworfenen zu brechen.

Das würde voraussetzen, dass bereits ein fertiger Willensentschluss vorhanden war, nein, vielmehr bedeutet die Existenz eines Machtgefälles, dass es für den Unterworfenen sinnlos ist, sich überhaupt einen Willen zu bilden. In diesem Sinne ist

Macht nicht darauf ausgerichtet, den Willen zu brechen, sondern ihn zu neutralisieren. (Luhmann 1988: 11)

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Im Dokument Der Verein in der Spätmoderne (Seite 80-84)