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Umgang mit Mikroschadstoffen in der Schweiz

Im Dokument 60/2016 (Seite 185-189)

Der Eintrag von organischen Mikroverunreinigungen über den Auslauf kommunaler Kläranlagen in die Gewässer wurde in der Schweiz als problematisch erkannt. Die öffentliche Diskussion wurde durch verschiedene Studien und Messungen in Gewässern, unter anderem im Rahmen der Rhein-überwachung, angeregt (vgl. Hillenbrand et al. 2015, Kapitel 5.1). Das Schweizer Bundesamt für Um-welt (BAFU) lancierte deshalb 2006 das Projekt „Strategie Micropoll“. Das Ziel war, einen Überblick über die Belastung der Schweizer Oberflächengewässer durch Mikroverunreinigungen sowie mögli-che Maßnahmen zur Reduktion dieser Einträge zu erarbeiten. Aus der Situationsanalyse konnte ge-schlossen werden, dass speziell im dicht besiedelten Schweizer Mittelland eine erhöhte Belastung der Oberflächengewässer durch Mikroverunreinigungen auftritt und somit nachteilige Auswirkungen auf aquatische Organismen zu erwarten sind. Als wichtigster punktueller Eintragspfad wurde das kom-munale Abwasser identifiziert. Problematisch ist die Situation vor allem bei Gewässern mit einem ho-hen Anteil an gereinigtem Abwasser. Vereinzelt wurden Stoffe auch in Seen oder im Grundwasser nachgewiesen, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden (Gälli et al. 2009). Das Projekt „Strate-gie Micropoll“ beinhaltete auch Untersuchungen zu verschiedenen technischen Verfahren zur Elimi-nation von Mikroschadstoffen auf kommunalen Kläranlagen. Die Pilotversuche haben gezeigt, dass sowohl die Ozonung als auch die Adsorption an Aktivkohle effektive und umsetzbare Verfahren dar-stellen. Im Weiteren wurde gezeigt, dass die untersuchten Verfahren, (i) eine Vielzahl von Mik-roschadstoffen eliminieren, (ii) deren negative Effekte weitgehend entfernen, (iii) sich auf bestehen-den Kläranlagen integrieren lassen und (iv) wirtschaftlich betrieben werbestehen-den können (Abegglen und Siegrist 2012).

8.2 Maßnahmen bei kommunalen Kläranlagen

Basierend auf diesen Grundlagen erarbeitete das BAFU 2009 eine Anpassung der Gewässerschutz-verordnung (GSchV), welche von 80 Prozent der Befragten grundsätzlich begrüßt wurde. Es wurde jedoch eine konkrete finanzielle Lösung gefordert. Alle wichtigen Akteure wurden in Vernehmlassun-gen und AnhörunVernehmlassun-gen in den Gesetzgebungsprozess integriert. Auf diese Weise wurde eine geeignete Finanzierungslösung entwickelt und der Entwurf zur Änderung des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) ausgearbeitet (vgl. Hillenbrand et al. 2015, Kapitel 5.2). Nachdem die Änderung des GSchG am 21.

März 2014 vom eidgenössischen Parlament gut geheißen worden sind, traten diese per 1. Januar 2016 in Kraft. Die Änderungen sehen vor, dass der Bund bei zentralen Abwasserreinigungsanlagen eine Abwasserabgabe erhebt, welche sich basierend auf den angeschlossenen Einwohnerinnen und Einwohnern (Eang) und einem zweckgebundenen Abgabesatz von jährlich maximal 9 CHF28 pro Eang

berechnet. Diese Abgabe speist einen nationalen Fonds. Die zentralen Kläranlagen übertragen die Abwasserabgabe an die Verursacher, d. h. Privathaushalten und Direkteinleitern aus Gewerbe- und Industriebetrieben. Der Bund empfiehlt, dass dabei die bestehenden Gebührenmodelle der Kläran-lage zur Anwendung kommen (siehe dazu „Empfehlung zur Weiterverrechnung der Abwasserab-gabe“ der Fachverbände VSA und Organisation Kommunale Infrastruktur OKI (VSA/OKI 2015)).

Die Abgabe ist bis zum 31. Dezember 2040 befristet (GSchG Artikel 60b). Aus dem Fonds werden Ab-geltungen von 75 Prozent der Erst-Investitionen von Maßnahmen zur Elimination von Mikroverunrei-nigungen auf Kläranlagen finanziert. Ebenfalls abgeltungsberechtig sind Kanalisationen, die anstelle solcher Anlagen und Einrichtungen erstellt werden, bspw. bei einer Anschlussleitung von einer Klär-anlage an eine andere nahe gelegene KlärKlär-anlage oder bei einer Abflussleitung zu einem stärkeren Vorfluter. Die Kantone sind für die Umsetzung zuständig.

28 Wechselkurs 1.04.2016, 1 Euro = 1.0942 CHF

186 Am 1. Januar 2016 trat ebenfalls die revidierte GSchV in Kraft, welche der Bundesrat am 4. November 2015 genehmigt hatte. Sie beinhaltet die Kriterien zur Auswahl der Abwasserreinigungsanlagen, die Maßnahmen zur Elimination der Mikroverunreinigungen treffen müssen. Zudem enthält sie grund-sätzliche Angaben zur Erhebung der Abwasserabgabe und fordert eine Reinigungsleistung von 80 Prozent fürMikroverunreinigungen, bezogen auf den Zulauf.

Im Folgenden sind die Anlagen und Einrichtungen aufgelistet, welche Maßnahmen treffen müssen und abgeltungsberechtigt sind, nach Art. 61a Abs. 1 GSchG in Verbindung mit Anhang 3.1 Ziffer 2 Nr. 8 GSchV:

▸ Anlagen ab 80.000 Eang: Mit dem Ausbau dieser Anlagen wird die Oberliegerverantwortung wahrgenommen.

▸ Anlagen ab 24.000 Eang im Einzugsgebiet von Seen zum Schutz der Wasserressourcen.

▸ Anlagen ab 8.000 Eang, die in ein Fließgewässer mit einem Anteil von mehr als 10 Prozent be-züglich organische Spurenstoffe ungereinigtem Abwasser einleiten. Mit diesen Maßnahmen werden aquatische Ökosysteme geschützt.

▸ Andere Anlagen ab 8.000 Eang, wenn eine Reinigung aufgrund besonderer hydrogeologischer Verhältnisse erforderlich ist. Dies betrifft Kläranlagen in Regionen mit stark heterogenen Karst- und Kluft-Grundwasserleitern, wenn das gereinigte Abwasser rasch und unmittelbar nach dem Kläranlagen-Auslauf im Untergrund versickert und dies zu einer Belastung unterir-discher Trinkwasserressourcen oder – nach Exfiltration – von Oberflächengewässern führt.

▸ Anlagen ab 1.000 Eang, (in Kraft ab 1.1.2021)

• die in ein Gewässer mit einem Anteil von mehr als 5 Prozent bezüglich organische Spurenstoffe ungereinigtem Abwasser einleiten,

• wenn das Gewässer in einem ökologisch sensiblen Gebiet liegt oder für die Trinkwas-serversorgung wichtig ist

• und wenn der Kanton die Anlagen im Rahmen einer Planung im Einzugsgebiet zur Reinigung verpflichtet.

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

▸ Kanalisationen, die anstelle von Anlagen und Einrichtungen zur Elimination von Mikroverun-reinigungen erstellt werden.

Der zielgerichtete Ausbau der Kläranlagen mit einer Stufe zur Elimination von Spurenstoffen dient dem Schutz der Trinkwasserressourcen und der aquatischen Ökosysteme und reduziert die Gesamt-fracht des Eintrags von Mikroverunreinigungen in Gewässer (Oberliegerverantwortung).

Aktuell sind beim BAFU weitere Dokumente in Arbeit, die die Umsetzung der Gewässerschutzgesetz-gebung präzisieren. Dazu gehören einerseits die Verordnung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zur „Überprüfung des Reinigungseffekts von Maßnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen bei Abwasserreinigungsanlagen“. Dort werden die zwölf Substanzen zur Überprüfung des Reinigungseffekts und genauere Vorgaben zur Be-rechnung festgelegt. Diese zwölf Substanzen sind in zwei Gruppen unterteilt: „sehr gut entfernbar“

(Gruppe 1) und „gut entfernbar“ (Gruppe 2). Zur Berechnung des Reinigungseffekts sollen mindes-tens sechs der genannten Substanzen verwendet werden, wobei das Verhältnis 2:1 der Gruppe 1 zu Gruppe 2 eingehalten werden muss. Das Auswahlverfahren der zu messenden Substanzen ist in Götz et al. (2015) beschrieben. Die departementale Verordnung ist gegenwärtig in der Vernehmlassung und wird voraussichtlich im 3. Quartal 2016 in Kraft treten.

Ein weiteres Dokument des Bundesamts für Umwelt, die Vollzugshilfe „Finanzierung“, beinhaltet das Vorgehen zur Erhebung der angeschlossenen Einwohnerinnen und Einwohner, den Ablauf der Abga-beerhebung und erläutert die Abgeltungen bei der Umsetzung von Maßnahmen im Detail. Die Anhö-rung dazu ist beendet, und ein voraussichtliches Inkrafttreten erfolgt im Frühling 2016.

187 Abbildung 54: Übersicht der großtechnischen Umsetzungen (rot: Planung, Bau oder in Betrieb)

und Pilotanlagen (blau) zur Elimination von Spurenstoffen auf Kläranlagen in der Schweiz

Darstellung: Wunderlin et al. (2015), reproduced with permission of swisstopo / JA100119;

Datenquelle: Eawag (2011)

Für die umsichtige Planung der Maßnahmen auf ausgewählten Kläranlagen und deren Anpassung an lokale Begebenheiten steht im Rahmen der genannten Finanzierungslösung bis zum Jahr 2040 genü-gend Zeit zur Verfügung. Einige Projekte zur Elimination von Mikroverunreinigungen auf Kläranla-gen wurden bereits durchgeführt (siehe Abbildung 54). Aus diesen Projekten konnten wertvolle Er-kenntnisse und Erfahrungen abgeleitet werden. Zudem sind in der Schweiz bereits zwei großtechni-sche Anlagen realisiert worden: Auf der ARA Neugut in Dübendorf (ZH) wurde eine Ozonung instal-liert, welche seit Anfang 2014 in Betrieb ist. Auf der ARA Bachwis in Herisau (AR) wurde eine PAK-Stufe implementiert, die seit Juni 2015 läuft. Die gesetzliche Zielvorgabe von 80 Prozent Spurenstoff-Elimination kann in beiden Anlagen problemlos eingehalten werden. Auf diesen Anlagen laufen der-zeit verschiedene Optimierungen. Weitere Anlagen befinden sich in der Planungs- oder bereits in der Realisierungsphase.

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8.3 Diffuse Einträge

Neben dem Eintrag von organischen Mikroverunreinigungen aus kommunalen Kläranlagen als Punktquellen wurden in den letzten Jahren auch das Ausmaß der Einträge aus diffusen Quellen wie Landwirtschaft, Straßenverkehr und Siedlungen via Mischüberläufen und Regenwasserkanälen un-tersucht. Als eine der wichtigsten Quellen, die eine Belastung durch Spurenstoffe verursacht, wurde die Landwirtschaft identifiziert, wobei die Pflanzenschutzmittel gemäß dem heutigen Erkenntnis-stand die kritischste Stoffgruppe für Wasserlebewesen darstellen. Die Resultate dieser Untersuchun-gen wurden in der Publikation des Bundesamts für Umwelt „MikroverunreinigunUntersuchun-gen in Fließgewäs-sern aus diffusen Einträgen“ (Braun et al. 2015) publiziert. Dies ist eine Zusammenfassung aller rele-vanten Publikationen zu dieser Thematik. Gegenwärtig arbeitet das BAFU an der Aufnahme von neuen und wirkungsvollen Maßnahmen zur Reduktion der Gewässerbelastung im „Aktionsplan Pflanzenschutzmittel“, der voraussichtlich Ende 2016 publiziert wird.

8.4 Schlussfolgerungen

Zusammenfassend besteht vor allem im dicht besiedelten Schweizer Mittelland, in Gewässern mit ho-hem Abwasseranteil und bei kleinen Gewässern mit großen diffusen Einträgen von Pflanzenschutz-mitteln Handlungsbedarf. Mit dem gezielten Ausbau von Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reini-gungsstufe zur Elimination von Mikroschadstoffen und dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel wird die Gewässerqualität markant verbessert werden. Die Steuerung erfolgt über die gesetzlichen Anfor-derungen an die Gewässer und an die Abwassereinleitung. Wichtig ist, dass die Entscheidungen zur Festlegung der Maßnahmen auf einer Kosten-Nutzen-Betrachtung basieren, in die alle relevanten In-teressen einfließen. Die Kantone bestimmen, basierend auf den Kriterien gemäß GSchV, im Rahmen der kantonalen Planung diejenigen Kläranlagen, welche ausgebaut werden sollen. Zudem legen sie den ungefähren Zeitpunkt des Ausbaus fest. Dadurch wird eine zielgerichtete und effiziente Reduk-tion von Mikroverunreinigungen sichergestellt. Für jede auszubauende Kläranlage muss eine indivi-duelle Lösung gefunden werden, welche die jeweiligen Begebenheiten und Einflussfaktoren berück-sichtigt.

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9 Empfehlungen für Maßnahmen und Maßnahmenkombinationen,

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