5 Aktualisierung und Erweiterung der Kosten- und Effizienzdaten einer 4
5.4 Neuester Stand des Wissens und der Technik einer 4. Reinigungsstufe
ˆ
i i
i
z z
= z , wobei
z
i die logarithmierten spezifischen Kosten der Anlagei,z ˆ
i die dazugehöri-gen geschätzten logarithmierten spezifischen Kosten und zi* die Relation zwischen diesen beiden Größen angibt. Ein größerer normierter Standardschätzfehler gibt an, dass eine grö-ßere Ungenauigkeit der Schätzung aufgrund der Streuung der zugrundeliegenden Werte und damit eine geringere Schätzgüte vorliegen.2. Die Sensitivität gibt an, wie sich die Gesamtjahreskosten über alle zu ertüchtigenden Kläran-lagen prozentual verändern, wenn ein einzelner Kostenbestandteil (vgl. Tabelle 47) um ein Prozent variiert wird. Eine größere Sensitivität zeigt an, dass die Gesamtkosten sensibler auf Preisänderungen des jeweils betrachteten Kostenbestandteils reagieren.
Setzt man einen konservativen und damit risikoscheuen Entscheider voraus, wird eine geringere Schätzgüte bzw. eine höhere Sensitivität als nachteilig bewertet. Dies bedeutet, dass der Entscheider bei einer Realisierung einer zusätzlichen Anlage das Risiko höherer Kosten höher gewichtet als die ebenfalls möglichen Vorteile geringerer Kosten. Werden beide Kenngrößen in ein gemeinsames Schema übertragen, kann eine Einteilung der Risiken wie in Abbildung 44 dargestellt erfolgen.
Abbildung 44: Risikomatrix der Kostenbestandteile hohe Streuung/
niedrige Schätzgüte mittleres Risiko hohes Risiko
niedrige Streuung/
hohe Schätzgüte geringes Risiko mittleres Risiko niedrige Sensitivität hohe Sensitivität
Darstellung: RUFIS
5.4 Neuester Stand des Wissens und der Technik einer 4. Reinigungsstufe
5.4.1 Stand der Umsetzung
Sowohl die Anwendung von Ozon als auch von Aktivkohle haben sich als praxistaugliche Verfahren zur gezielten Mikroschadstoffelimination in der Abwasserreinigung etabliert. In den letzten Jahren werden beide Verfahren vermehrt in den kommunalen Kläranlagen im deutschsprachigen Raum großtechnisch umgesetzt. Gegenwärtig betreiben 18 kommunale Kläranlagen in Deutschland und in der Schweiz eine Stufe zur gezielten Mikroschadstoffelimination (vgl. Tabelle 49). Zu den drei Kläran-lagen, die bereits seit den 1990er Jahren eine Aktivkohlestufe besitzen, wurden zwischen 2009 und 2015 13 weitere Kläranlagen in Deutschland um eine 4. Reinigungsstufe erweitert. Zwei weitere An-lagen in Baden-Württemberg befinden sich im Bau und werden im Jahr 2016 in Betrieb genommen.
150 In der Kläranlage Mannheim wurde im Jahr 2010 ein Fünftel der vorgesehenen Ausbaugröße der Ad-sorptionsstufe realisiert, um zunächst Betriebserfahrungen mit der neuen Technik zu sammeln. Auf-grund der positiven Erfahrungen mit der angewandten Verfahrenstechnik wird die Stufe zur gezielten Mikroschadstoffelimination gegenwärtig ausgebaut. Die Inbetriebnahme für die adsorptive Behand-lung des gesamten angedachten Volumenstroms von 1.500 L/s erfolgt im Jahr 2016.
Tabelle 49: Großtechnische Umsetzung einer 4. Reinigungsstufe
in kommunalen Kläranlagen in Deutschland und in der Schweiz
Verfahrenstechnik Kläranlage Ausbaugröße
in E
Jahr der
Inbetriebnahme
Ozon Neugut (CH) 150.000 2014
Bad Sassendorf 13.000 2009
Duisburg-Vierlinden 30.000 2011
Granulierte Aktivkohle
Obere Lutter 380.000 2014
Gütersloh-Putzhagen 150.600 2013
Rietberg 46.500 2014
Westerheim 5.500 2016
Pulveraktivkohle Mannheim (erweitert) 725.000 2016
Steinhäule 440.000 2014
Böblingen-Sindelfingen 250.000 2011
Langwiese 184.000 2013
Albstadt-Ebingen 125.000 1992
Lahr 100.000 2015
Hechingen 57.200 1999
Dülmen 55.000 2015
Stockacher Aach 43.000 2011
Lautlingen 36.000 1992
Laichingen 35.000 2015
Herisau Bachwis (CH) 34.000 2015
Kressbronn-Langenargen 24.000 2011
Quelle: Metzger et al. 2015/2016
5.4.2 Neue Erkenntnisse zur Reinigungsleistung
Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass mit den beiden etablierten Verfahren eine Vielzahl von Mikroschadstoffen eliminiert werden kann. Der Umfang der erreichbaren Reinigungsleistung hängt allerdings von Faktoren wie der jeweiligen Stoffeigenschaft, der Dosiermenge des eingesetzten Hilfsstoffs (Ozon oder Aktivkohle) sowie der Konzentration von konkurrierenden Stoffen in dem zu behandelten Abwasser (bspw. gelöste Restorganik) ab. Demzufolge kann sich die Reinigungsleistung bzw. die benötigte spezifische Hilfsstoffdosiermenge einer Anlage von der einer anderen Anlage un-terscheiden.
Die großtechnisch erlangten Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass sich der Eliminationsum-fang ausgewählter Substanzen im Regelbetrieb vergleichsweise konstant darstellt. In der Kläranlage
151 Neugut in der Schweiz, die eine Ozonung seit 2014 betreibt, werden die fünf Substanzen Benzotria-zol, Carbamazepin, Diclofenac, Mecoprop und Sulfamethoxazol durch eine Ozondosiermenge von 2,0 bis 3,3 mg/l durchweg zu über 80 Prozent eliminiert (Schachtler 2015).
Die Erfahrungen von vier Kläranlagen in Baden-Württemberg zeigen, dass mit Einsatz von 10 mg/l Pulveraktivkohle die Substanz Metoprolol nahezu immer zu weit mehr als 80 Prozent aus dem Ab-wasser entfernt wird. Anhand der Abbildung 45 wird jedoch auch deutlich, dass der Umfang der Eli-mination sowohl von der Substanz als auch von den kläranlagenspezifischen Randbedingungen be-dingt ist.
Abbildung 45: Entfernung ausgewählter Substanzen in der Adsorptionsstufe
von vier Kläranlagen aus Baden-Württemberg über mehrere Betriebsjahre
Darstellung: KomS
5.4.3 Verfahrenstechniken zur Nachbehandlung
Nach derzeitigem Wissenstand gilt bei einer Ozonung als auch beim Einsatz von Pulveraktivkohle eine Nachbehandlung des Abwassers im Anschluss an das eigentliche Verfahren zur Mikroschadstof-felimination als notwendig. Dabei sind je nach Verfahren zur MikroschadstofMikroschadstof-felimination verschie-dene Nachbehandlungstechniken einzusetzen. Bei der Anwendung von Ozon dient die Nachbehand-lung primär zum biologischen Abbau der gebildeten Transformationsprodukte. Dementsprechend sind Verfahren mit ausgewiesener biologischer Aktivität auszuwählen. Beim Einsatz von Pulveraktiv-kohle fungiert die Nachbehandlung als eine Barriere, um die Feinfraktion der beladenen AktivPulveraktiv-kohle weitestgehend zurückzuhalten. Deshalb sind hierbei Verfahren mit hoher Effizienz zum Partikelrück-halt anzuwenden.
Beim Einsatz von granulierter Aktivkohle ist keine weitere Nachbehandlungsstufe erforderlich. Auf-grund ihrer Beschaffenheit kommt ihr Einsatz in Form eines granulierten Aktivkohlefilterbettes zur Anwendung, welches vom biologisch gereinigten Abwasser durchströmt wird. Um jedoch einer Bele-gung des granulierten Aktivkohlefilterbettes mit abfiltrierbaren Stoffen vorzubeugen, kann einem
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Eliminationsrate
Carbamazepin Diclofenac Metoprolol Benzotriazol
KA A (2012-2015, n=13) KA B (2012-2015, n=18) KA C (2012-2015, n=18) KA D (2011-2013, n=29)
PN PN
Spurenstoffentnahme im System
mittlere Dosiermenge = 10 mg/L Pulveraktivkohle
min max
25%-Q.
75%-Q.
Median
152 granulierten Aktivkohlefilter eine Filtereinheit zum Rückhalt der partikulären Abwasserinhaltsstoffe vorgeschaltet werden, um somit die Rückspülhäufigkeit des granulierten Filters zu reduzieren.
Bei vielen der in Deutschland als auch in der Schweiz umgesetzten 4. Reinigungsstufen kommt als Nachbehandlungsstufe ein Sandfilter zum Einsatz. Neben dem Rückhaltgrad von partikulären Stof-fen weist das Filterbett nach einer längeren Betriebsdauer ausreichende biologische Aktivität auf, um die nach der Ozonung gebildeten Transformationsprodukte abzubauen (Abegglen und Siegrist 2012;
Böhler 2015). So kann diese Technik sowohl nach einer Ozonung als auch nach einer Pulveraktiv-kohleanwendung eingesetzt werden.
Abbildung 46 zeigt weitere bereits erprobte und als geeignet eingestufte Verfahrenstechniken zur Nachbehandlung. In Tabelle 50 wird beschrieben, an welchen Standorten die verschiedenen Verfah-renstechniken zur Nachbehandlung bislang Anwendung finden.
Tabelle 50: Stand der Umsetzung von möglichen Verfahren zur Nachbehandlung des Abwassers
Nachbehandlung zum Verfahren
Verfahrenstechnik Kläranlage Status
Ozon Schönungsteich Bad Sassendorf in Betrieb
Mehrschichtfilter Neugut (CH) in Betrieb
Wüeri, Regensdorf (CH) Pilotprojekt Lausanne (CH) Pilotprojekt Kontinuierlich gespülter Filter Duisburg-Vierlinden in Betrieb
Pulveraktivkohle Tuchfilter Lahr in Betrieb
Laichingen in Betrieb
Fuzzy-Filter® Barntrup Pilotprojekt
Sandfilter Mannheim in Betrieb
Steinhäule in Betrieb
Böblingen-Sindelfingen in Betrieb
Langwiese in Betrieb
Albstadt-Ebingen in Betrieb
Lautlingen in Betrieb
Hechingen in Betrieb
Dülmen in Betrieb
Stockacher Aach in Betrieb Kressbronn-Langenargen in Betrieb Herisau Bachwis (CH) in Betrieb Kontinuierlich gespülter Filter Emmingen-Liptingen Pilotprojekt
Wetzikon (CH) Pilotprojekt Darstellung: KomS
153 Abbildung 46: Geeignete Verfahren zur Nachbehandlung bei einer 4. Reinigungsstufe
Darstellung: KomS
5.4.4 Weitere Technologien zur gezielten Entfernung von Mikroschadstoffen
Derzeit wurden und werden in verschiedenen Forschungsprojekten die Eignung weiterer Verfahren zur gezielten Mikroschadstoffentfernung untersucht. Bei der Mehrzahl der Verfahren handelt es sich um oxidative Prozesse. Als mögliche Verfahren wurden u. a. bislang betrachtet:
▸ AOP mit ultraviolettem Licht (UV) und Zugabe von Wasserstoffperoxid (H2O2)
Das UV-Licht verursacht eine Spaltung des Wasserstoffperoxids in Hydroxyl-Radikale, die wie-derum mit den Mikroschadstoffen reagieren. Neben der Reaktion mit den Hydroxyl-Radikalen können bestimmte Mikroschadstoffe durch das UV-Licht direkt abgespaltet werden (Photolyse-Prozesse). Außerdem zeigt dieses Verfahren anders als die Ozonung keine Empfindlichkeit ge-genüber der im Abwasser enthaltende Nitrit- und Bromid-Verbindungen. (Schulze-Hennings 2011; Miklos et al. 2016)
▸ EAOP (Elektrochemischer Advanced Oxidation Processes)
Die Bildung der Hydroxyl-Radikale erfolgt bei diesem Verfahren durch elektrochemische Ab-spaltung des Wassermoleküls an Diamantelektroden. Ein Zusatz von weiteren Chemikalien ist dadurch nicht erforderlich. (Kopf 2014)
▸ Oxidation mit Ferrat
Dieses Verfahren beruht auf der Oxidation der Mikroschadstoffe durch die Zugabe von Ferrat (Eisen in der Oxidationsstufe 6+). Das Ferrat selbst wird durch den Prozess zu Eisen der Oxida-tionsstufe 3+ (Fe3+) reduziert, welches anschließend als Fällungsmittel wirkt und Phosphate aus dem Abwasser entfernt. (Zimmermann-Steffens et al. 2013)
▸ Einsatz von Eisen-/Mangan-oxidierenden Bakterien zum biol. Abbau von Mikroschadstoffen Bestimmte Eisen-/Mangan-oxidierende Bakterien sind in der Lage, Mikroschadstoffe
abzu-Sandfilter
Bildquelle: KomS
Kontinuierlich gespülter Filter
Bildquelle: KomS Bildquelle: Nordic Water
Bildquelle: P. Wunderlin, eawag
Granulierter Aktivkohlefilter Schönungsteich
Bildquelle: Luftbild Piontek
Fuzzy-Filter®
Bildquelle: Bosman Watermanagement
Tuchfilter
Bildquelle: KomS Bildquelle: Mecana
154 bauen. Durch Kultivierung ausgewählter Bakterienstämme und deren Adaptation an reale Be-triebsbedingungen wird versucht, die Abbaurate der Mikroschadstoffe zu steigern. (TU Berlin 2012)
Keines der Verfahren ist, unter Einbezug von ökonomischen Aspekten, gegenwärtig so weit entwi-ckelt, dass es sich bereits für die Anwendung auf einer Kläranlage eignet.
Basierend auf den Erfahrungen der Ozonung und Aktivkohleanwendung wird aktuell diskutiert, in-wiefern durch die Kombination der beiden Verfahren deren Effektivität verbessert werden kann. Man geht heute davon aus, dass eine vorgeschaltete Ozonung die Standzeiten eines granulierten Aktiv-kohlefilterbetts bis zum Austauschen des Filtermaterials tendenziell verlängert. Untersuchungen von Zietzschmann et al. (2015) machen deutlich, dass durch die Ozonung von Abwasser Stoffe derart ver-ändert werden können, dass sie nicht mehr an die Aktivkohle adsorbieren. Somit stehen sie auch nicht mehr in Konkurrenz zur Adsorption anderer Mikroschadstoffe, was wiederum einen geringeren Aktivkohleverbrauch für die Mikroschadstoffelimination in einer nachgeschalteten adsorptiven Stufe zur Folge hat. Welche zusätzlichen Effekte durch die Kombination mehrerer Verfahren erlangt wer-den können, ist gegenwärtig noch offen. Zugleich wird bei der Realisierung derartiger „Kombisys-teme“ zu klären sein, wie die Einzelverfahren aufeinander abzustimmen und zu betreiben sind, um neben einer effizienten Mikroschadstoffelimination einen bestmöglichen ökonomischen Betrieb zu erreichen.