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Kostenträgerschaft bei der Ertüchtigung kommunaler Kläranlagen

Im Dokument 60/2016 (Seite 167-172)

6 Betrachtung der Kostenträgerschaft von Emissionsminderungsmaßnahmen für

6.4 Kostenträgerschaft bei der Ertüchtigung kommunaler Kläranlagen

Mit Blick auf die Kostenträgerschaft einer 4. Reinigungsstufe für kommunale Kläranlagen stehen seit einiger Zeit drei Umsetzungsansätze in der Diskussion. Dies umfasst das in Kapitel 8 dargestellte Schweizer Modell, für das im Rahmen einer nationalen Strategieentwicklung eine neue Abwasserab-gabe als Kopfpauschale mit Selbstbehalt zur Finanzierung von Emissionsminderungsmaßnahmen eingeführt wurde. Neben der Finanzierung dient die neue Schweizer Abwasserabgabe gleichermaßen der Kostenumlage.

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gehen zwei unterschiedliche Wege bei der Umsetzung von Ertüchtigungsmaßnahmen auf kommunalen Kläranlagen. Das Umweltministerium aus Düssel-dorf setzt auf die Immissionsorientierung. Kann auf Basis von Monitoringdaten der betreffenden Ge-wässer ein Zusammenhang zwischen einer Kläranlage und Mikroschadstoffen hergestellt werden, fordern die zuständigen Behörden die Umsetzung von Minderungsmaßnahmen von den Betreibern ein. Zur Finanzierung bzw. Teilfinanzierung der anlagenspezifischen Ermittlung des technischen

168 Maßnahmenbedarfs und der erforderlichen Investitionskosten von Ertüchtigungsmaßnahmen von kommunalen Kläranlagen bietet NRW den Betreibern von kommunalen Kläranlagen Fördermittel, die aus der Abwasserabgabe bereitgestellt werden.

In Baden-Württemberg setzt das Umweltministerium einen Anreiz zur Umsetzung von Minderungs-maßnahmen über Investitionsförderungen finanziert aus der Abwasserangabe. Die Förderung der Investivkosten liegt bei maximal 25 Prozent. Das Umweltministerium verfolgt dabei das Freiwillig-keitsprinzip. Ein besonders wichtiges Element bei der freiwilligen Einführung der 4. Reinigungsstufe insbesondere auf größeren kommunalen Kläranlagen ist die wissenschaftlich-technische Begleitung der Umsetzung durch Kompetenzzentrum Spurenstoffe (KomS). Es begleitet und unterstützt die Um-setzung von Ertüchtigungsmaßnahmen kostenfrei von der Feststellung des Maßnahmenbedarfs über die technische Planung und Umsetzung der Maßnahmen bis hin zu einem angepassten Monitoring des Betriebs.

6.4.1 Ertüchtigung kommunaler Kläranlagen – Ansätze für eine verursachergerechte Finan-zierung

Gawel et al. (2014) schlagen die Verwendung der Abwasserabgabe zur Finanzierung der 4. Reini-gungsstufe vor und legen als Szenario eine Ertüchtigung der Kläranlagen der GK 5 zugrunde. Das

„Schweizer Modell“ (vgl. Kap. 8 sowie Gälli et al. 2009), das zur Finanzierung des gewählten Maß-nahmenpaktes eine pauschale Abgabe pro Einwohner vorsieht, wird vergleichend gegenübergestellt, aber von Gawel et al. (2015) als nicht zielführend für Deutschland erachtet.

Die Nutzung der in Deutschland rechtlich verankerten Abwasserabgabe zur Finanzierung des Kläran-lagenausbaus zur Elimination von Spurenstoffen scheint naheliegend, unabhängig davon, ob eine ordnungsrechtliche Verpflichtung hinterlegt ist und davon, ob Mikroschadstoffe eine direkte Rele-vanz als Abgabeparameter haben. Das Aufkommen der Abwasserabgabe ist gemäß §13 AbwAG zu verwenden „für Maßnahmen, die der Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte dienen.“ Der vorgeschlagene Ansatz wird insofern im Grundsatz als naheliegend und sinnvoll erachtet.

In Bezug auf das in der Studie zugrunde gelegte Szenario wird jedoch bereits die Empfehlung ausge-sprochen, die Abgabe in ihrer absoluten Höhe deutlich anzuheben. Hierzu wird auf die Vorschläge verwiesen, die zur Reform der Abwasserabgabe in einem Vorläufervorhaben entwickelt wurden (Ab-gabesatzerhöhung, Aufgabe von Verrechnungsmöglichkeiten etc., hierzu Gawel et al. (2014)). Die Vorschläge in der Studie wurden mit entsprechenden Vergleichsrechnungen hinterlegt. Unterstellt man nun, wie oben dargelegt, dass eine Ertüchtigung der Kläranlagen der GK 5 längst nicht ausrei-chend ist, um die Gewässerschutzziele fläausrei-chendeckend zu erreichen, können diese Vergleichsrech-nung nicht als Grundlage für eine Bewertung der Auswirkungen herangezogen werden.

Ausgehend von der Annahme, dass alle Einwohner aufgrund ihres Konsumverhaltens zu der zu ver-ringernden Mikroschadstofffracht der kommunalen Kläranlagen beitragen, kann man dem Schweizer Modell eine weitgehende Verwirklichung des Verursacherprinzips bescheinigen. Die Verwendung der Abwasserabgabe in Deutschland kann in ähnlicher Weise interpretiert werden, wenn auch die Höhe der Beteiligung nach anderen Kriterien (Schadparameter AbwAG) bemessen wird.

Von Gawel et al. (2015) wird dem Ansatz über die reine Finanzierungsfunktion hinaus auch eine Len-kungsfunktion zugesprochen, die im Hinblick auf die Mikroschadstoffe hier nicht nachvollzogen wer-den kann. Diese würde doch vielmehr voraussetzen, dass Mikroschadstoffe als Abgabeparameter in das AbwAG integriert werden. Dass dies heute (noch) nicht belastbar, mit vertretbarem Aufwand und praktikabel umsetzbar ist, ist jedoch, wie auch in der Studie dargelegt, plausibel. Ohne praktikablen Mikroschadstoffeabgabeparameter kann jedoch keine Lenkungsfunktion erreicht werden.

In der Diskussion um die Maßnahmenoptionen zur Reduzierung der Mikroschadstoffbelastungen wird richtigerweise und wie oben dargestellt auf technische, zentrale Maßnahmen und auch auf

169 quellenorientierte Maßnahmen abgestellt. Die Diskussion um die Ertüchtigung der Kläranlagen und deren Finanzierungswege schließen bislang aber aus, dass ähnlich einem Fondsgedanken im Schweizer-Modell, ein Aufkommen zur Maßnahmenfinanzierung angestrebt wird, dass sich auf eine breitere Basis stützt – nämlich hier auf einen größeren Adressatenkreis aus der Verursacherkette.

In diesem Zusammenhang können Produktabgaben oder auch Instrumente ähnlich dem „Grünen Punkt“ in der Abfallentsorgung eine Rolle spielen. Dem Vorschlag zur methodischen Entwicklung derartiger Abgabenlösungen wird gerne entgegen gehalten, dass eine solche Abgabe auch mit einer Lenkunsgwirkung verbunden sein muss. Diese könnte bspw. beim Produzenten mit einer Stoffsubsti-tution oder Verfahrensumstellung, beim Verbraucher mit einer Konsumumstellung verbunden sein.

Die Bemessung der Abgabehöhe mit dem Ziel einer Lenkungsfunktion erfordert eine komplexe und fundierte methodische Herleitung und erschwert insofern zweifelsohne die Findung und Festsetzung der Abgabenhöhe (vgl. hierzu Gawel et al. 2015). Eine Abgabenlösung kann aber auch ohne nachhal-tige Lenkungswirkung zur Finanzierung und damit zur Kostenbeteiligung beitragen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Akzeptanzfindung und der Anwendung des Verursacherprinzips wird in der Entwicklung und Einführung von Produktabgaben ein durchaus wichtiger Beitrag zu einem nachhal-tigen Vorgehen gesehen.

6.4.2 Ertüchtigung kommunaler Kläranlagen – verursachergerechte Umlage der Kosten Die Literatur weist auf Basis von Erfahrungswerten aus Forschungsprojekten und neueren Zahlen der Betreiber mittlerweile zahlreiche Angaben und Vergleichsbetrachtungen im Hinblick auf die zu er-wartenden Mehrbelastungen der Kläranlagen bei Ertüchtigung aus. Insgesamt wird den Abschätzun-gen, insbesondere bei den größeren AnlaAbschätzun-gen, im Wesentlichen eine zumutbare Auswirkung auf die durchschnittliche Gebührenmehrbelastung beigemessen (hierzu Kapitel 5 sowie z. B. Mertsch et al.

(2013), Grünebaum et al. (2014a), Gawel et al. 2015, UBA 2015).

Tabelle 58: Durchschnittliche Gebührenbelastung in NRW und Abschätzung der Steigerung mit Ausbau der 4. Reinigungsstufe (mit und ohne Nachbehandlung)

Quelle: FiW auf Basis von Daten von IT.NRW (2013)

Die oben dargestellten Gebührensteigerungen weisen zwar teilweise deutlich höhere Steigerungsra-ten aus, als im kommunalpolitischen Umfeld gerne vertreSteigerungsra-ten werden wollen, führen aber in der Be-lastung des einzelnen Haushalts und Bürgers immer noch zu zumutbaren Absolutwerten, die im Durchschnitt deutlich weniger pro Jahr als eine Tankfüllung ausmachen.

170 Die Diskussion um die zukünftigen Investitionen in die Abwasserbehandlung bedarf vor einer ab-schließenden Festlegung von Maßnahmenprogrammen einer Zusammenführung der möglichen Fol-genabschätzungen. Neben den Auswirkungen auf die Kostenentwicklung durch Ertüchtigung (4. Rei-nigungsstufe) wirken bspw. insbesondere Investitionen für Ersatz und zum Substanzerhalt auf den Gebührenhaushalt (hierzu z. B. Dohmann 2014). Die Bewertung der Zumutbarkeit im Gebührenhaus-halt allein in Bezug auf einen isolierten Maßnahmenbereich ist insofern nicht ausreichend.

Um die Zumutbarkeit von Gebührensteigerungen zu bewerten, ist es erforderlich eine Bewertung der Gebührenentwicklung umfassend und nicht nur für einen Maßnahmenbereich vorzunehmen. Insbe-sondere sind zu betrachten:

▸ Ertüchtigung 4. Reinigungsstufe

▸ Ausbau der Niederschlagswasserbehandlung

▸ Investitionen in Ersatz und Substanzerhalt

▸ Anpassungsmaßnahmen an Wandelprozesse (Klima, Demographie, …)

Im Hinblick auf eine verursachergerechte Umlage der Kosten der Kläranlage ist grundsätzlich festzu-halten, dass eine Umlage über die vorhandenen Gebührenmodelle möglich ist und eine gewisse Ab-bildung des Verursacherprinzips damit bereits gewährleistet. Eine einwohnerbezogene Umlage, wie im Schweizer Modell, bildet das allgemeine Konsumverhalten in ähnlicher Weise ab wie eine Umlage über den Schmutzwassermaßstab.

Sofern aus den oberen bereits als Bedarf festgestellten Stoffflussanalysen belastbare und auch über-tragbare Kriterien für eine anteilige Betrachtung der eingetragenen Mikroschadstofffrachten über den Schmutzwasser– und den Niederschlagswasserpfad vorliegen, kann eine Übertragung und Differen-zierung im Gebührenmodell vorgenommen werden. Wünschenswert wäre weiterhin die Entwicklung eines „Starkverschmutzermodells“ für nachweisliche Hot-Spots im Indirekteinleiterbereich (Pflege-einrichtungen, Krankenhäuser, best. gewerbl. Indirekteinleiter).

6.4.3 Zusammenfassende Bewertung der Betrachtung der Kostenträgerschaft und Hand-lungsbedarf

Das Wissen um den Eintrag von Mikroschadstoffen und deren Wirkungen auf die aquatische Umwelt ist noch lückenhaft, und in vielerlei Hinsicht besteht noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

Dennoch ist erklärtes umweltpolitisches Ziel, Mikroschadstoffe über greifend über alle Umwelt-medien nachhaltig zu reduzieren. In einer vollständigen Betrachtung ist es jedoch erforderlich, alle Stufen des Lebenszyklus von möglichen Mikroschadstoffe zu betrachten: Herstellung, Transport, In-verkehrbringen, Stoff-/Produktanwendung sowie Freisetzung und Entsorgung. In diesem Kontext kann der Verursacherbegriff mehrfach interpretiert werden. Sowohl Produzenten, Konsumenten als auch Entsorgern kann für das Inverkehrbringen bzw. das Freisetzen der Stoffe eine Verursacherver-antwortung zugewiesen werden.

Zur Gewährleistung eines nachhaltigen Vorgehens wird es um einen Maßnahmenmix gehen, der als Gesamtstrategie aufeinander abzustimmen ist, und für den die Fragen der Finanzierung und Kosten-trägerschaft zu beantworten sind. Instrumente mit Lenkungswirkung und der Möglichkeit zur Verste-tigung von Verhaltensanreizen sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Gerade Abgabenlösungen bieten vor diesem Hintergrund einen besonderen Gestaltungsspielraum. Wenn auch die Abwasserabgabe eine Erweiterung für den Bereich Mikroverunreinigungen noch nicht er-warten lässt (s. wie oben erwähnt auch Gawel et al. (2015)), sind doch die Ansätze zur Einführung eine Produktabgabe geeignet, die Hersteller und Verbraucher grundsätzlich zu beteiligen. Eine Abga-benlösung verfolgt zugleich mehrere Ziele. Dies sind neben der reinen Finanzierungsfunktion

(Zweckbindung der Mittelverwendung) insbesondere die Lenkungs- und Anreizfunktion (Anreiz zur

171 Stoffsubstitution, Verfahrensumstellung, Verhaltensänderung, etc.). Die Entfaltung einer Lenkungs-wirkung ist im Wesentlichen von der Höhe der Abgabe abhängig. Diese vor dem Hintergrund einer Lenkungsfunktion zu ermitteln ist sicherlich eine der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Entwicklung eines solchen Instruments. Verhaltensanreize verlangen aber auch einen transparenten Umgang mit der Problematik, sowohl im Hinblick auf die Hersteller, Verbraucher und im Fall der Arz-neimittel auch der verschreibenden Ärzte. Hier sind nur dann nachhaltige Ergebnisse zu erwarten, wenn ausreichend und umfassende informiert und aufgeklärt wird.

Die Bewertung einer verursachergerechten Kostenträgerschaft einer 4. Reinigungsstufe in Deutsch-land hängt unmittelbar von der Festlegung der Maßnahmen und des Maßnahmenumfangs ab. Die Einführung der so genannten 4. Reinigungsstufe auf kommunalen Kläranlagen der Größenklasse 5 lässt nur eine eingeschränkte Zielerreichung erwarten.

Die konsequente Verfolgung des Verursacherprinzips im Gesamtkontext Mikroschadstoffe scheint vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Strategieentwicklung von Bedeutung. Sie kann eine Grund-voraussetzung für eine ausreichende Akzeptanz für die Maßnahmenumsetzung darstellen, sowohl was die Identifizierung der Maßnahmenträger als auch die Übernahme von Kosten betrifft. Darüber hinaus sollte es Ziel einer umfassenden Minderungsstrategie sein, die Verursacher – an welcher Stelle der Verursacherkette sie auch anzusiedeln sind – an der Finanzierung der Maßnahmen ange-messen zu beteiligen.

Ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Wasser erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Kostenträgerschaft und in diesem Zusammenhang:

▸ eine konsequentere Verfolgung des Verursacherprinzips,

▸ die Bereitschaft, Maßnahmen für relevante Eintragspfade zu entwickeln und umzusetzen,

▸ die Bereitschaft, die Kosten hierfür zu tragen und neue Instrumente zur Finanzierung zu ent-wickeln und

▸ den politischen Willen hierüber einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen.

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7 Untersuchung des volkswirtschaftlichen Nutzens von

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