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Hintergrund / Problemstellung

Im Dokument 60/2016 (Seite 164-167)

6 Betrachtung der Kostenträgerschaft von Emissionsminderungsmaßnahmen für

6.1 Hintergrund / Problemstellung

Ein erforderlicher Schritt auf dem Weg zur Entwicklung einer nationalen Strategie zur Reduktion der Einträge von Mikroschadstoffen in die aquatische Umwelt von Deutschland ist die Thematisierung der Kostenträgerschaft von Emissionsminderungsmaßnahmen. Dieses Teilthema war in der ersten Projektphase nicht Gegenstand der Betrachtungen und wird in diesem Bericht der Phase 2 von den Autoren erstmals betrachtet.

Das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) legte 2012 eine geschlossene Strategie zu deren Min-derung aus kommunalen Kläranlagen (Abegglen und Siegrist 2012) vor. Der BAFU-Bericht kon-zentriert sich zunächst auf den kommunalen Abwasserpfad als einen der relevanten und gleichzeitig technisch-organisatorisch „beeinflussbaren“ Eintragspfade von Mikroschadstoffen in die aquatische Umwelt und schätzt für die vorgeschlagenen Maßnahmen die Umsetzungskosten ab. Der Stand der aktuell diskutierten Vorschläge für eine deutsche Strategie zur Reduktion der Einträge von Mik-roschadstoffen in die aquatische Umwelt und die der Unterlieger mit Blick auf die verursacherge-rechte Kostenverteilung einer 4. Reinigungsstufe soll im Folgenden zusammengefasst und bewertet werden.

6.2 Arbeitsinhalte der Phase 2

Die Schädlichkeit von Mikroschadstoffen, das Verhalten und das Vorkommen von Mikroschadstoffen in der aquatischen Umwelt in Deutschland wird ausführlich in ersten Projektbericht und aktualisiert in diesem Bericht in den Kapiteln 2 bis 4 dargestellt. Es wird auf die Kombination unterschiedlicher Maßnahmenoptionen verwiesen. Dabei handelt es sich um einen Mix aus

▸ Quellenorientierten Maßnahmen,

▸ Dezentralen Maßnahmen sowie

▸ Nachgeschalteten Maßnahmen (4. Reinigungsstufe).

Kapitel 5 dieses Berichts legt mit der Abschätzung der Kosten für die Einführung einer so genannten 4. Reinigungsstufe die Grundlage zur Betrachtung der Kostenträgerschaft für die Ertüchtigung von kommunalen Kläranlagen, auf die sich dieses Kapitel fokussiert.

In der heutigen Industriegesellschaft ist die Verwendung von „Weichmachern“ (Bsp. Phthalate) in Produkten des täglichen Gebrauchs beispielsweise in Plastikumverpackungen von Lebensmitteln zu-lässig, also stehen gesellschaftliche Akteursgruppen wie Produzenten und Konsumenten in der Ver-antwortung, sich mit den Konsequenzen zu beschäftigen (Abnahme von männlicher Fertilität: Col-born et al. (1996)). Private Haushalte und damit die gesamte Bevölkerung verursacht als Verbraucher das Inverkehrbringen von Arzneistoffen, deren Freisetzung über den Pfad der kommunalen Kläranla-gen zu Konzentrationen in Gewässern führen, die ökotoxikologisch kritisch zu bewertet sind (Berg-mann et al. 2011). Die Wasserwirtschaft kann einen Beitrag leisten und die komplexen Zusammen-hänge gegenüber Bürgern und internationalen Unterliegern (Bsp. Niederlande) darstellen und zur Diskussion stellen. In diesem Zusammenhang setzen die folgenden Ausführungen einen gesellschaft-lichen Konsens zur Reduzierung der Mikroverunreinigungen in der Umwelt voraus.

Die Betrachtungen der Kostenträgerschaft gehen vom Ziel einer umweltmedienübergreifenden Min-derung der Mikroschadstoffbelastungen, bzw. der Einhaltung der UQN in Gewässern aus. Eine Ein-schränkung auf Einzelmedien oder –pfade hat Konsequenzen für die Maßnahmenableitung. Be-schränken sich die Emissionsminderungsmaßnahmen lediglich auf einen Teil der Eintragspfade ist zu erwarten, dass sich die Minderung auch nur entsprechend der Emissionsfrachtanteile dieser Pfade auf die Gesamtbelastung auswirkt. Wenn also beispielsweise die 4. Reinigungsstufe flächendeckend

165 auf allen kommunalen Kläranlagen umgesetzt würde, könnte man den kontinuierlichen Eintrag von Mikroschadstofffrachten in erheblichen Maße und damit auch die Gesamtbelastung der aquatischen Umwelt reduzieren. Für andere Eintragspfade beispielsweise aus diffusen Quellen bliebe dieses Vor-gehen natürlich wirkungslos, die Belastungen aus diffusen Quellen würden nicht reduziert.

Im gesamten Kontext ist die Entwicklung einer nachhaltigen Strategie zu unterstellen. Dies umfasst also die Bewertung der Umweltkosten von Eliminationsmaßnahmen ebenso wie deren Wirksamkeit.

Grundsätzlich folgt die Diskussion dieser höchst komplexen Materie einer Strategie zur Reduzierung von Mikroschadstoffen in die Umwelt dem Vorgehen nach dem Vorsorgeprinzip. Bei den diskutierten Mikroschadstoffen geht es um Stoffe mit vielfältigem human- und ökotoxikologischem Gefährdungs- oder Schadenspotenzial.

6.3 Methodik

Quellenorientierte Maßnahmen als Bestandteil der Minderungsstrategie, ermöglichen eine unmittel-bare Anwendung des Verursacherprinzips, welches im Grundsatz besagt, dass derjenige, der eine Umweltbeeinträchtigung zu vertreten hat (verursacht) auch im Hinblick auf deren Beseitigung oder Verringerung in die Pflicht genommen wird. Wie beim Vorsorgeprinzip spricht man auch beim Verur-sacherprinzip von einem Grundprinzip des Umweltrechts.

In der Literatur wird mit Verweis auf die Theorie der Wirtschaftswissenschaften das Verursacherprin-zip aber auch als „Leerformel“ bezeichnet und damit in seiner Bedeutung deutlich geschmälert. Un-strittig ist, dass man im Bereich der Mikroschadstoffe nicht nur einen Verursacher identifizieren kann, denn sowohl Produzent als auch Konsument und Entsorger können im Hinblick auf den Ein-trag ins Gewässer als Verursacher angesehen werden. Das Prinzip ist somit zunächst nicht unmittel-bar anwendunmittel-bar.

Die Verfolgung des Verursacherprinzips im Gesamtkontext Mikroschadstoffe scheint dennoch vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Strategieentwicklung von Bedeutung. Sie kann eine Grundvo-raussetzung für eine ausreichende Akzeptanz für die Maßnahmenumsetzung darstellen, sowohl was die Identifizierung der Maßnahmenträger als auch die Übernahme von Kosten betrifft. Darüber hin-aus sollte es Ziel einer umfassenden Minderungsstrategie sein, die Verursacher – an welcher Stelle der Verursacherkette sie auch anzusiedeln sind – an der Finanzierung der Maßnahmen angemessen zu beteiligen.

Die Diskussion um die Finanzierung der Maßnahmen und eine angemessene Beteiligung potentieller Verursacher (Hersteller, Verbraucher, Einleiter, etc.) oder auch Vorteilhabender kann vor dem Hin-tergrund der grundsätzlichen, bekannten Maßnahmenoptionen, aber darüber hinaus auch in allge-meiner Form geführt werden.

Maßnahmenauswahl

Vor Einleitung ins Gewässer stehen die oben erläuterten quellenorientierten, dezentralen und nach-geschalteten Maßnahmen) zur Verfügung (Abbildung 51). Zusätzlich setzt die Trinkwasserwirtschaft noch auf das sogenannte Multi-Barrieren-Prinzip (Castell-Exner und Meyer). Ähnlich wie bei den Eli-minationsverfahren von Mikroschadstoffen auf Kläranlagen stehen als eine Barriere zur Verhinde-rung des Eintrags von Mikroschadstoffen ins Trinkwasser grundsätzlich sowohl oxidative Verfahren wie die Ozonung als auch adsorptive Verfahren wie die Aktivekohlefiltrierung zur Verfügung.

166 Abbildung 51: Verknüpfung von Maßnahmenbereichen mit Aspekten der Finanzierung

Darstellung: FiW, angelehnt an Fraunhofer ISI

Zu den quellenorientierten Maßnahmen gehören Stoffverbote, die wiederum zu Stoffsubstitutionen oder auch Produktneuentwicklungen führen können. Bei der Forderung, das Verursacherprinzip stärker zur Anwendung zu bringen und die Stoffeinträge an ihrer Quelle zu reduzieren, verweist das UBA (2015c) auf Umsetzungshemmnisse: „Für alle stoffrechtlichen Maßnahmen zur Beschränkung oder zu Verboten der Verwendung ist das europäische Stoffrecht einschlägig. Allerdings werden die-selben Stoffe, je nach Verwendung (z. B. als Pflanzenschutzmittel oder Biozid), zu einem unter-schiedlichen Zeitpunkt und mit unterunter-schiedlichen Restriktionen reguliert. Gleichzeitig werden häufig nur besonders wichtige Anwendungen beschränkt und es verbleiben Einträge aus kleineren, nicht beschränkten und auch nicht substituierbaren Anwendungen. Schließlich betreffen die Regelungen nur die Herstellung, Vermarktung und Anwendung, weshalb die Emissionen während des Nutzungs-zeitraums – etwa bei Baumaterialien – teilweise mehrere Jahrzehnte betragen können und auch die Entsorgung der Reststoffe unberücksichtigt bleibt. Humanarzneimittel werden in den entsprechen-den europäischen Zulassungsverfahren bislang zwar im Hinblick auf Umweltrelevanz bewertet, es erfolgen aber keine Anwendungsverbote oder -einschränkungen bei nachgewiesener Umweltrele-vanz.“ Daraus folgt, dass eine Strategie, die allein auf quellenorientierten Maßnahmen wie der allei-nigen europäischen Regulierung der Inverkehrbringung von Stoffen fußt, zu kurz. Mit Blick auf die räumliche (Eintragspfade), funktionale (Eliminationsmechanismen/-maßnahmen) und zeitliche (kurz-, mittel- und langfristige Entfaltung der Wirksamkeit) Kompelxität des Themas ist ein Maßnah-menmix zur Emissionsminderung erforderlich.

Dezentrale Maßnahmen im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft betreffen beispielsweise den Be-reich der Regenwasserbehandlung. Die Relevanz der hierüber eingetragenen Mikroschadstofffrach-ten in Bezug auf die Gesamtfracht aus dem Bereich der Siedlungsentwässerung kann noch nicht ab-schließend bewertet werden. Zumindest für gelöste Mikroschadstofffrachten spielen sie mit rund 3-5 Prozent Anteil an den gesamten Jahresfrachteinträgen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu kontinuierlichen Kläranlageneinträgen (Wermter 2015). Ihre Relevanz wäre nach Festlegung des Grads der Umsetzung der 4. Reinigungsstufe auf kommunalen Kläranlagen neu zu bewerten. Eher partikulär gebundene Mikroschadstoffe weisen ein anderes Verhalten auf: hier hängen Emissions-frachtanteile von der Konfiguration der Behandlungsbauwerke ab. In solchen Fällen ist nach eigener Einschätzung von einer größeren Bandbreite der Eintragspotenziale auszugehen.

167 Als technische Maßnahmen vor der Einleitung in die aquatische Umwelt steht die Ertüchtigung von kommunalen Kläranlagen grundsätzlich zur Verfügung. Mit Eliminationsverfahren der so genannten 4. Reinigungsstufe erfolgt eine Breitbandwirkung auf eine Vielzahl von bekannten und unbekannten Stoffen mit Eleminationsgraden von 10 bis über 90 Prozent je nach Mikroschadstoff und damit in der Summe eine relevante Reduzierung der Gesamteinträge.

Informationsmaßnahmen unterschiedlicher Art stellen eine weitere Maßnahmenoption dar, bei der sowohl die breite Öffentlichkeit (Information, Konsumverhalten etc.) oder ausgewählte Berufsgrup-pen (Ärzte, Produktanwender, etc.) für die Thematik Mikroschadstoffe in der Umwelt sowie mögliche Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen sensibilisiert werden.

Für die Auswahl von Maßnahmen werden wiederholt zwei Kernanforderungen formuliert (Hillen-brand et al. 2015, Gälli et al. 2009):

▸ Maßnahmen mit hoher Relevanz im Hinblick auf das Minderungspotenzial möglichst mit Breitbandwirkung; Identifizierung der zu ertüchtigenden Anlagen auf Grundlage einer kom-binierten Betrachtung (Emissions- und Immissionsminderungspotenzial), d. h. mit Blick auf die Einhaltung der UQN-Zielkriterien (OGewV, Anlage 7) sowie flussgebietsspezifischen An-forderungen der OGewV (Anlage 5),

▸ Kosteneffizienz, unter Berücksichtigung der vorhandenen technischen Rahmenbedingungen.

Zur Gewährleistung eines nachhaltigen Vorgehens wird es um einen Maßnahmenmix gehen, der als Gesamtstrategie aufeinander abzustimmen ist und für den die Fragen der Finanzierung und Kosten-trägerschaft zu beantworten sind. Instrumente mit Lenkungswirkung und der Möglichkeit zur Verste-tigung von Verhaltensanreizen sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung.

Bei einem Vergleich mit dem Schweizer Vorgehen ist zu berücksichtigen, dass für die Strategieent-wicklung in Deutschland in erster Linie die europäischen Anforderungen (UQN) maßgebend sind, in der Schweiz aber mehrere Zielkriterien definiert (Oberliegerverantwortung, Frachtreduktion, schwa-che Vorfluter, Trinkwassernutzung) und öffentlich diskutiert wurden. Auf Grundlage von Kosten-Nut-zen-Bewertungen wurden auf diesen Kriterien aufbauend die zu ertüchtigenden Anlagen identifi-ziert.

Das MKULNV nennt in diesem Zusammenhang vergleichbare Kriterien und die wasserwirtschaftlich ungünstigen hydrologischen Randbedingungen (Mertsch 2015). Sie umfassen: Gewässer mit un-günstigen Mischungsverhältnissen (gereinigtes Abwasser zu natürlichem Abfluss) bei MNQ, Trink-wasserrelevanz, Handlungsbedarf bei abwasserbürtiger Belastung in Gewässern mit schlechtem öko-logischen Zustand, Immissionsbetrachtung.

Entsprechende Kostenansätze und Ergebnisse der Kostenabschätzung sind in Kapitel 5 dargestellt.

Im Dokument 60/2016 (Seite 164-167)