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10. Ergebnisse

10.2 Klientinnen

10.2.1 Umgang mit dem Erlebten

Das Kapitel „Umgang mit dem Erlebten“ beinhaltet die Aussagen der Expertinnen über die Reaktionen von betroffenen Frauen während und unmittelbar nach der

Vergewaltigung. Zusätzlich dazu wurde auch die Frage nach der selbst auferlegten Schuld und Mitverantwortlichkeit von Opfern thematisiert.

Es wurden in allen Interviews die drei unbewussten Reaktionen, die auch von Reddemann/Dehner-Rau (2006, S. 30) beschrieben werden, angesprochen, welche Frauen in der Gewalttat zeigen: Fight, Flight und wenn diese zwei Reaktionen nicht umgesetzt werden können, tritt die Schockstarre (freeze) ein. Die Expertinnen weisen darauf hin, dass dieses Wissen aus der Wissenschaft oder Literatur herangezogen werden soll, um das Verbalisieren der Reaktionen zu ermöglichen, da die Mehrheit der Frauen, welche zu TARA kommen, diese Situation nicht in Worte fassen kann.

Expertinnen weisen daraufhin, dass ihrer Erfahrung nach die Schockstarre die häufigste Reaktion bei betroffenen Frauen sei. Auch die Biographie der Opfer hat einen Einfluss auf die unmittelbaren Reaktionen von Frauen, denn ob es eine einmalige Vergewaltigung durch einen Fremden oder eine wiederholte Vergewaltigung durch eine bekannte Person ist, macht einen Unterschied, vor allem für die Zeit unmittelbar nach der Tat.

„Also ich habe primär Frauen die in Erstarrung sind, aber wenn es Frauen sind bei denen es eine Wiederholung ist, die vielleicht in der Kindheit schon Übergriffe hatten und das im Erwachsenenalter verdrängen, die gehen so gut wie immer in Erstarrung, da ist von Kampf und Flucht nicht mehr die Rede“ (A3, 95-98).

Für andere Expertinnen ist es schwer, die Frage nach den ersten Reaktionen der Gewaltopfer anhand ihrer Praxiserfahrungen zu beantworten, da die meisten Frauen erst einige Zeit später Hilfe in Anspruch nehmen.

„Ja das kann ich dir gar nicht genau sagen, denn direkt nach der Tat hab ich noch nie jemanden gehabt, sondern das ist eher, dass die Frauen heim gehen, sich waschen oder duschen und sich verkriechen und erst nach 2-3 Tagen wieder reagieren können“ (A2, 50-52).

Wenn es allerdings ZeugInnen für die Tat gab, oder sich die betroffenen Frauen gegenüber FreundInnen über die Vergewaltigung geäußert haben, war zu vermerken, dass diese Betroffenen schneller Unterstützung suchten und eher Anzeige erstatteten.

Doch die meisten Betroffenen versuchen die Tat zu verdrängen, um den normalen Alltag zu meistern.

Der Umgang mit dem Geschehenen ist von Frau zu Frau unterschiedlich, dies wurde in den Interviews stets betont, und dennoch sind fast alle betroffenen Frauen in einem Schockzustand und leiden an den typischen Traumafolgen. Besonders die hohe Anspannung und die Schreckhaftigkeit bleiben trotz Versuche des Verdrängens lange präsent.

Eine Expertin äußerte die Vermutung, dass dieses Verdrängen nach der Tat unmittelbar mit den Schuld- und Schamgefühlen der Frauen zusammenhängt, oder sogar für den sozialen Rückzug verantwortlich sind. Aus den Interviews geht hervor, dass die Frage der Schuld bei allen Frauen Thema ist und jede betroffene Frau sich in irgendeiner Form selbst die Schuld für das Gewaltverbrechen gegeben hat. Ebenso belasten die Frauen die Fragen, ob sie etwas falsch gemacht haben und wie sie es getrunken, ja also da gibt es kaum jemanden von den Frauen, die sich nicht das fragen, also das ist immer Thema“ (A2, 81-85).

Durch diese Fragen versuchen betroffene Frauen Erklärungen für die unbegreifliche Situation zu finden. Im Grunde genommen ist das eine menschliche Reaktion, der Versuch zu ergründen, um es nachher verstehen zu können. Eine Expertin bezeichnet dieses Verhalten, bis zu einem bestimmten Grad, als Notwendigkeit für den

Verarbeitungsprozess. Durch dieses Suchen nach Antworten, wird gleichzeitig gesucht, ob während der Vergewaltigung die Frau nicht irgendwo die Kontrolle gehabt hätte. Das würde für die Frau bedeuten, dass sie es nicht tatenlos und hilflos über sich ergehen hätte lassen müssen, denn zu wissen, dass in dieser Situation kein kompletter Kontrollverlust und kein Ausgeliefertsein war, wäre für den Verarbeitungsprozess hilfreich.

„Aber ich glaube, weil dieses Ereignis so traumatisierend, außergewöhnlich ist, ist nochmal diese Schuldfrage so permanent da, weil man es nicht erklären kann. Man kann eigentlich keine Erklärung dafür finden, warum ein anderer Mensch solch eine Gewalttat an einem anderen ausübt. Da gibt es keine Antwort, man kann nicht in die Psyche des anderen reingehen, man kann nicht sagen der ist so oder so.

Ich glaube darum bleibt es bei einer Schuld, das ist wie eine Erklärung (...)“ (A4, 97-102).

Doch das Wahrnehmen und Verinnerlichen, dass der Täter die volle Schuld an der Tat trägt, ist ein langer Prozess und gelingt bis zu 100% sehr selten. Meist bleibt bei den Frauen ein Gefühl von Schuld, Mitschuld oder Restschuld.

Bei der optionalen Interviewfrage „Wie gehen Frauen mit der Schuldfrage um?“

sprachen vier Expertinnen an, dass unsere Gesellschaft einen gravierenden Einfluss auf die Opfer und ihre Schuldgefühle hat, da oft eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet. Die Vorurteile in der Bevölkerung seien mitverantwortlich, dass die Verantwortung einer sexuellen Gewalttat den Opfern zugeschrieben wird. Eine Expertin sieht die Wurzeln dieser Mitverantwortung bereits in der Bibel.

„(…)Das ist das eine und das andere ist die Sozialisation von Frauen, dass Frauen von der Bibel her schon schuld sind. Seit sie den Apfel von dem Baum genommen hat, sind die Frauen schuld, in allem was nicht gut läuft“ (A4, 101-104).