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4. Reaktionen und Auswirkungen sexueller Gewalt

4.4 Soziale Auswirkungen

Die Folgen von sexueller Gewalt auf den Alltag der betroffenen Frauen werden in der Fachliteratur nur sehr spärlich diskutiert, wobei genau diese Auswirkungen einen

wesentlichen Einfluss und eine enorme Belastung auf das Leben der betroffenen Frauen darstellen (vgl. Gahleitner et al. 2012, S.9).

Zusätzlich zu den psychischen und physischen Auswirkungen treten häufig Probleme im Alltag auf wie in Partnerschaften, bei Interaktionen im familiären Kreis, der Sexualität oder dem Aufbau von Beziehungen. Ebenso ist das Vertrauen in das Ich, das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl, die Sicherheit in das eigene Urteilsvermögen nach einer sexuellen Gewalttat erschüttert, welches besonders den sozialen Lebensbereich beeinflusst (vgl. Resick 2003, S. 50).

Darüber hinaus, werden Frauen nach der Tat oftmals mit der sekundären Viktimisierung konfrontiert, dies bedeutet, dass durch die Reaktionen auf die ursprüngliche Viktimisierung, also die Tat, die Opferrolle der betroffenen Frauen verstärkt wird. Dies kann zum Beispiel aus zusätzlichen Belastungen wie aus den negativen Reaktionen im sozialen Umfeld, oder durch den Umgang bei Gericht oder bei der Polizei resultieren (vgl. Weis 1982, S. 28).

Soziales Um feld

Frauen, welche Opfer von sexueller Gewalt wurden, sehen in einer Vergewaltigung keinen Sexualakt, sondern empfinden diese als Akt der Aggression und Erniedrigung.

Eine Vergewaltigung ist ein Machtkampf und eine gezielte Missachtung eines Menschen. Frauen werden dadurch auf ein (Sexual-)Objekt oder einen Gegenstand reduziert und herabgesetzt. Diese entwürdigende Handlung wiederum greift die Identität und Integrität der Frauen an. Ein sexuelles Gewaltverbrechen erfordert oft lange Phasen der Verarbeitung (vgl. Weis 1982, S. 74f.). Damit sich das Opfer nach der Tat erholen kann, ist es wichtig, dass es im sozialen Umfeld Unterstützung finden kann und das Geschehene nicht bewertet wird (vgl. Gahleitner et al. 2012, S.9).

Daher ist es bedeutend, über die Reaktionen und Folgen einer sexuellen Gewalttat Bescheid zu wissen, um als soziales Umfeld adäquat reagieren zu können (vgl. Heynen

2000, S. 100). Eine sexuelle Gewalterfahrung lässt die Opfer vorsichtiger werden und sie reagieren darauf mit Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen, besonders bei Zufallsbekanntschaften. Um die Situation einschätzen zu können, sind ihre Sensoren stets auf das Erkennen von Gefahren gerichtet. Viele Opfer ziehen sich daher nach einer Vergewaltigung zurück und versuchen soziale Kontakte zu vermeiden. Viele Opfer streben sogar nach dem Geschehenen überhaupt einen Arbeitsplatzwechsel oder Wohnwechsel an (vgl. Mörth 1994, S. 19ff.).

Die Folge dieses Wechsels bedeutet, dass bestehende soziale Interaktionsmuster unterbrochen werden, welche für die Opfer aber unterstützend und wichtig wären. In vielen Fällen gehen diese Frauen nicht mehr aus, da sie den Kontakt zu Unbekannten meiden, um dem Gefühl der Verletzlichkeit in diesen Situationen zu entkommen (vgl.

ebd., S. 19ff.).

Wie wichtig das soziale Umfeld vor allem für die Zeit nach der Tat ist, wurde bereits beschrieben, jedoch ist es häufig, dass Freundschaften und Beziehungen ins Wanken geraten oder sogar beendet werden, da die Personen, denen sich die Opfer anvertrauen mit Unverständnis, Unglauben und Misstrauen reagieren oder Frauen auf die Vergewaltigung reduziert werden. Durch diese Verletzung der Autonomie und Sicherheit fühlen sich viele betroffene Frauen unsicher anderen gegenüber (vgl.

Gahleitner et al. 2012, S. 29f.). Diese Unsicherheit kann zu einem sogenannten Klammereffekt führen (vgl. Mörth 1994, S. 130f) oder erschwert das Aufbauen von neuen Beziehungen, da es bei Betroffenen an konstruktiven Bindungsmustern und Abgrenzungsfähigkeiten fehlt (vgl. Gahleitner et al. 2012, S. 29).

Sexualität

Zum Thema Sexualität ist es schwierig allgemeine Aussagen in der Literatur zu finden, da die Reaktionen von Individuum zu Individuum stark variieren und die Auswirkungen bezüglich Sexualität mehr als in anderen Bereichen vom Verhalten vor

der Vergewaltigung abhängig sind. Einige Untersuchungen haben Auswirkungen dokumentiert, welche von rasch vorübergehenden Ängsten bis hin zu lang anhaltenden sexuellen Dysfunktionen oder Vermeidung sexueller Aktivität reichen.

Bei Frauen, welche vor der Vergewaltigung noch nicht sexuell aktiv waren, wird vermutet, dass sie in ihrer Sexualität noch stärker beeinträchtigt werden, als Frauen mit bereits erfahrenen positiven sexuellen Kontakten (vgl. Calhoun/Atkeson 1994, S. 27f.).

Alltag und Berufsw elt

Frauen werden nach einer Vergewaltigung mit neuen Situationen konfrontiert. Durch das Erlebte fühlen sich viele erschöpft und fühlen sich überfordert. Doch die Erwartungen und Forderungen der Umwelt bleiben gleich und dies bedeutet für betroffene Frauen, dass sie weiterhin funktionieren müssen. Da diese Anpassung oftmals unmöglich erscheint, reagieren Frauen häufig mit einem Rückzug aus ihrem sozialen Leben (vgl. Mörth 1994, S. 130).

Im Zuge der Folgen einer Vergewaltigung, wie Konzentrations- und Leistungsstörungen, beeinflusst die Gewalttat auch das Berufsleben, da Frauen häufig nicht in der Lage sind, den Leistungserwartungen und dem Druck im Beruf standzuhalten. Folglich hat eine Vergewaltigung auch wirtschaftliche Auswirkungen bei betroffenen Frauen (vgl. Breiter 1995, S. 107f.).

Zusätzlich zu Arbeitsverlust oder Arbeitswechsel kann es aufgrund der Gesellschaft zu weiteren Konsequenzen kommen, denn Vergewaltigung stellt eine Stigmatisierung in der Gesellschaft dar und Opfer fühlen sich durch die Zuschreibung der Opferrolle aus dem Leben gerissen. Das Gefühl, dass die Mitmenschen sehen, wie angespannt, entkräftet und überfordert sie sind, wird zu einer zusätzlichen Belastung für betroffene Frauen (vgl. Mörth 1994, S. 128f.).

Um dieser Stigmatisierung nicht ausgesetzt zu sein, wollen Frauen ihre Gefühle, Verwirrtheit und Trauer nicht ausleben. Somit dient das Verdrängen dem Selbstschutz und viele Frauen vermeiden das Zeigen von Gefühlen. Doch hinter dieser Maske drängen die Gefühle nach außen und das Spannungsverhältnis wird quälend für die Betroffenen. Durch diese Stresssituation werden die Wahrnehmung, Gefühle und das Denken gelähmt und führt dazu, dass betroffene Frauen das Gefühl haben den Verstand zu verlieren und nicht mehr in diese Welt zu passen (vgl. ebd., S. 128f.).

Soziales Verhalten

Wie einschneidend so eine Grenzüberschreitung im Leben einer betroffenen Frau ist, hängt auch mit dem Verlauf der Tat zusammen. Denn die Brutalität und die Todesangst in der Gewaltsituation haben einen großen Einfluss auf das Angstverhalten der Opfer. Fand die Tat in der Wohnung des Opfers statt, so zeigten viele Frauen, dass sie sich in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher und wohl fühlten. Betroffene Frauen, welche auf einem Parkplatz vergewaltigt wurden, versuchten nach der Vergewaltigung Parkplätze zu meiden usw. Dies sind Beispiele für spezifische Ängste, welche auf Grund des Tathergangs sehr unterschiedlich sein können und die Frauen in ihrem Alltag und sozialem Verhalten definitiv verfolgen und einschränken (Coulhan/Atkeson 1994, S. 22).

Doch nicht nur betroffene Frauen leiden an den unmittelbaren Folgen einer Vergewaltigung, auch nichtbetroffene Frauen passen ihre Verhaltensweisen aus Angst vor einer sexuellen Gewalterfahrung an (vgl. Heynen 2000, S. 38). Durch die Bewusstheit, dass eine Vergewaltigung jederzeit jeder Frau angetan werden kann, vermeiden viele Frauen bestimmte Situationen oder Orte (vgl. Flothmann/Dilling 1990, S. 74). Die Befragung von Weis (1982) ergab, dass die Zahl der Frauen, welche

bewusst Situationen wie, „nicht allein in einsamen Gegenden aufzuhalten, nicht nachts allein außer Haus gehen, in der Straßen- oder Eisenbahn ein bereits besetztes Abteil eher aufsuchen als ein leeres, ihr Auto nachts nicht mehr in Tiefgaragen fahren, usw.“ (Weis 1982, S. 213), vermeiden, sehr groß ist. Durch diese Vermeidung von gewissen Orten und Situationen werden Frauen unbewusst in ihrer Bewegungsfreiheit und ihrem Verhalten eingeschränkt (vgl. Pöhn 2010, S. 38; vgl.

Flothmann/Dilling 1990, S. 75; vgl. Heynen 2000, S. 38).

Wie weit diese Folgen und Ängste das soziale Verhalten einschränken können und das Leben beeinflussen, stellt eine etwas überspitzte und dennoch reale Darstellung von Bush dar:

„Gehen Sie nicht unbekleidet aus – das regt Männer an.

Gehen Sie nicht bekleidet aus – irgendwelche Kleidungsstücke regen immer Männer an.

Gehen Sie abends nicht allein aus – das regt Männer an.

Gehen Sie niemals allein aus – irgendwelche Situationen regen immer Männer an.

Gehen Sie nicht mit einer Freundin aus – einige Männer werden durch die Mehrzahl angeregt.

Gehen Sie nicht mit einem Freund aus – einige Freunde können auch vergewaltigen, oder Sie treffen einen Vergewaltiger, der erst Ihren Freund angreift und dann Sie.

Bleiben Sie nicht zu Hause – Eindringlinge und Verwandte sind potentielle Täter.

Seien Sie niemals Kind – einige Täter werden durch die ganz Kleinen gereizt.

Seien Sie nie alt – einige Vergewaltiger stürzen sich auf alte Frauen.

Verzichten Sie auf Nachbarn – die vergewaltigen häufig Frauen.

Verzichten Sie auf Vater, Großvater, Onkel oder Bruder – das sind die Verwandten, die junge Frauen am häufigsten vergewaltigen.

Heiraten Sie nicht – Vergewaltigung in der Ehe ist legal.

UM SICHER ZU GEHEN – VERZICHTEN SIE GANZ AUF IHRE EXISTENZ“

(Bush 1977, zit. n. Weis 1982, S. 225)