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10. Ergebnisse

10.3 Expertinnen

10.3.1 Angebote und Methoden

Das folgende Kapitel setzt sich mit den Angeboten und Methoden der Expertinnen auseinander.

Beratung und Intervention

Bei einem Erstgespräch wird viel Wert darauf gelegt, dass Klientinnen über die rechtliche Lage, das Trauma allgemein und die Reaktionen und Symptome aufgeklärt werden. Zu wissen, dass ihre Reaktionen und Symptome normal sind und auch eine bestimmte Zeit anhalten können, ist für die betroffenen Frauen sehr wichtig und gibt ihnen das Gefühl, dass sie nicht die einzigen sind, die damit umgehen müssen, oder abnormal sind. Zu diesen Zwecken hat TARA eine Informationsbroschüre „sexuelle Gewalt und Trauma“ zusammengestellt, die die Expertinnen bei dem Erstgespräch den Klientinnen mitgeben.

Alle fünf Expertinnen betonten stets wie wichtig es sei, zu informieren.

„Die erste Botschaft ist, dass man den Frauen von vornherein sagt, dass es nicht darum geht den Vorfall konkret zu erzählen, also das ist ganz klar, auch mit dieser Botschaft wir wollen, dass sie gleich gut raus geht wie sie reingekommen ist, zumindest nicht schlechter, also wir geben am Anfang ganz viel Informationen“ (A2, 118-121).

Bei der Dokumentenanalyse wurde auch der Aspekt untersucht, welches Angebot vergewaltigte Frauen bei der Beratungsstelle TARA in Anspruch nehmen möchten.

H äufigkeit

Abbildung 7: In Anspruch genommene Leistungen

Diese Darstellung ist deckend mit der Notwendigkeit von Informationen, welche von den Expertinnen zuvor benannt wurde. Es ist festzustellen, dass 28 Frauen sich bei TARA informieren wollten, nur fünf Frauen Interesse an einer Prozessbegleitung hatten und 21 Betroffene Beratung suchten. Nur eine Person beabsichtigte eine Psychotherapie bei TARA. Wobei viele Frauen an weitere PsychotherapeutInnen weitergeleitet werden, da die Kapazitäten der Psychotherapie bei TARA ausgeschöpft sind.

Viele Frauen zeigen Interesse an mehreren Angeboten, ebenso muss berücksichtigt werden, dass es sich je nach Erstgespräch von z.B. Info und Orientierung zu einer Beratung oder Prozessbegleitung entwickeln kann.

Auch ist es wichtig zu Beginn mit den Klientinnen zu klären, was ihre Anliegen sind und eine Zieldefinition zu finden, das ist auch im Sinne der Eigenverantwortung, was sie erreichen möchten und inwiefern sie realistisch gesehen Unterstützung erhalten

28

5 21

1

Inanspruchnahme der Angebote

(N=30)

Info und Orientierung Prozessbegleitung Beratung

Psychotherapie

Anzahl

„(…) auch ab und zu geglaubt, dass wir die Wunderwuzis sind, wir kommen mit einem Zauberstab und sie haben geglaubt, dann ist alles gut“ (A5, 270-272).

R essourcenarbeit und Stabilisierung

Alle fünf Expertinnen versuchen mit Hilfe der Ressourcen der betroffenen Frauen deren Prozess bestmöglichst zu unterstützen. Vielen Frauen ist bewusst, worauf sie zurückgreifen können, ob es eine sportliche Aktivität ist, ein Entspannungsbad, Gartenarbeit oder ihr soziales Umfeld. Dennoch ist diese Frage nach Ressourcen für viele betroffene Frauen schwer zu beantworten, da sie das Gefühl haben, sie haben alles verloren. Wenn dies der Fall ist, wird versucht durch oftmaliges Nachfragen und gemeinsames Überlegen die Ressourcen zu finden, denn jeder Mensch hat sich zumindest unbewusst Ressourcen aufgebaut, die es nun bewusst einzusetzen gilt.

„Manchmal hat man sie darauf hinweisen müssen, so nach dem Motto

‚Haben sie schon mal schwierige Situationen in ihrem Leben gehabt?‘ ja

‚Was hat Ihnen da geholfen?‘ und dann ist es meistens schon gesprudelt, aber manche haben diese auch schon angewandt. Die haben sich dann oft die Bestätigung geholt, dass es eine gute Idee ist“ (A5, 267-270).

Oftmals wird der Begriff Ressource aber auch falsch verstanden, da geglaubt wird, dass Ressourcen etwas Herausragendes sein müssen.

„Aber dann muss man es herunterbrechen und den Klientinnen schmackhaft machen, dass das eine Ressource ist, wenn ich z.B. gehen kann, ich sehen kann, (…) das ist eine Ressource. Oder man versucht mit den Klientinnen sozusagen von außen etwas zu finden, was sie als Ressource empfinden, und sich diesen Zugang dazu dann erarbeiten.

Jeder Mensch hat Ressourcen“ (A4, 205-208).

Vielmals sind Ressourcen in diesem Moment für Frauen nicht spürbar, daher ist es häufig erforderlich bei der Ressourcensuche eine gewisse Beständigkeit und Hartnäckigkeit zu zeigen. Gleichzeitig gilt es die Arten der Stressbewältigung

gemeinsam mit der Klientin zu erarbeiten. Da die betroffenen Frauen wissen, dass die Expertinnen helfen wollen, sind sie meist geneigter das Erarbeitete umzusetzen und auszuprobieren, wohingegen Ratschläge von Familienmitgliedern oder FreundInnen oft nicht angenommen werden können.

„(…) also es gilt das aufzugreifen, was oft nicht klar und bewusst wahrgenommen wird, was gut ist und es gilt dies zu erarbeiten, was bedeutet gut hinzuhören und achtsam sein. Genau zu schauen was gut ist und was nicht gut ist, weil oft kann das auch nicht wahrgenommen werden. Welche Kontakte wirklich hilfreich sind und ihr auch Unterstützung geben in diesem Bereich. Weil es ist alles sehr verschwommen und da muss man achtsam aufpassen, damit da nicht etwas passiert, wo sie irrtümlich meint, es wäre gut für sie, oder es würde jemand von ihr erwarten – Pustekuchen, das tun wir nicht! Das muss wirklich gut und hilfreich sein, das wird in die Wege geleitet und das ist eine Herausforderung in dieser Situation“ (A3, 198-205).

Durch das Aufzeigen von Ressourcen soll eine Stärkung und Stabilisierung der Person erreicht werden, damit die Betroffenen sich wieder besser selber spüren und wahrnehmen können und die Eigeninitiative der Frauen gefördert wird. Bei der Stabilisierung ist der Alltag von großer Bedeutung, denn die Bewältigung des Alltags ist die Voraussetzung um sich mit dem traumatisierenden Vorfall auseinandersetzen zu können. Daher ist es notwendig die Tagesstruktur wieder aufzubauen, damit die Frauen wieder eine Regelmäßigkeit bekommen und das Funktionale wieder gestärkt wird. Auch wenn kein Appetit vorhanden ist, wird darauf hingewiesen, dass gegessen werden muss und auch die Schlafzeiten werden bewusst gewählt, damit die Frau wieder einen Rhythmus in ihren Alltag bringen kann. Auch mit Tätigkeiten, welche nicht als angenehm empfunden werden, aber dennoch notwendig sind, um das Funktionieren wieder zu aktivieren, beispielsweise Zähne putzen oder Kochen.

„(…)das heißt aufzustehen, anzuziehen, das was für Frauen oft sehr mühsam ist, Zähne putzen, wenn eine ganz tiefe Sinnlosigkeit da ist, dann wird es schwierig, dann ist alles eine Schwerstarbeit und das wird auch so erlebt und dennoch bleibt nichts anderes übrig“ (A3, 171-13).

Diese Stabilität im Alltag ist nur der Beginn und hat als Ziel den Tag zu überleben.

Bis zur Aufarbeitung und Verarbeitung ist es von hier aus noch ein langer Weg.

Tools

Stabilisierung ist die Kontrolle über die Symptomatik und gleichzeitig die Grundlage für die spätere Anwendung von Tools. Durch mehrmaliges Anwenden und Trainieren der Handwerkzeuge, welche die Expertinnen den Frauen empfehlen, stellen die Frauen fest, dass sie die Symptomatik kontrollieren können. Dies ist ein großer Schritt, da Traumatisierung mit Kontrollverlust einhergeht, und die Frauen durch die Anwendung der Handwerkzeuge die Kontrolle wiedererlangen.

Zu den Tools, welche Expertinnen den Frauen anbieten, gehören Imaginationsübungen wie zum Beispiel „der innere sichere Ort“ oder die

„Tresorübung“. Allerdings erfordern diese Übungen eine gewisse Praxis um sie erfolgreich anwenden zu können. Es wurde von den Expertinnen auch hingewiesen, dass Imaginationsübungen bevorzugt von den Psychotherapeutinnen angewandt werden. Wohingegen Sport von allen Expertinnen empfohlen wurde.

„Den Raum wieder zu öffnen, wieder was reinzulassen, werden auch wieder positive Aspekte und positive Erfahrungen damit verknüpft werden können und sei es nur man hört das Vogerl singen, oder man sieht einen Schwan auf der Mur oder kurze nette Begegnungen, die Sonne zu spüren, die Wärme, das sind alles positive Aspekte in der Natur. Und das ist mir wichtig und da bin ich hartnäckig, dass da zumindest ein Zugang dazu da ist“ (A3, 243-247).

Den Zugang zu Sport zu finden ist für Frauen, welche Sport in ihrem Alltag bereits integriert oder ausgeführt haben, leichter. Dennoch gaben die Expertinnen an, in dieser Hinsicht hartnäckig zu sein. Vorschläge für nichtsportbegeisterte Frauen sind das „Powerputzen“ oder auch ein 15-minütiger Spaziergang. Es wird versucht durch pragmatische Argumente die Frauen zur Bewegung zu bringen.

„(…) dass es etwas mit Adrenalin zu tun hat, denn jeder Albtraum oder jedes Flashback, Adrenalin in den Körper pumpt und das Adrenalin muss dann wieder raus aus dem Körper und am besten rausgehen tut es mit Bewegung“ (A5, 341-343).

Viele Frauen beschäftigt die Frage, wie sie mit den Albträumen, Flashbacks und Panikattacken umgehen sollen. Daher ist ein wichtiger Aspekt in der Arbeit mit sexuellen Gewaltopfern, den Frauen Werkzeug mitzugeben.

„Und da war mein Eindruck: Wenn ich Werkzeug in die Hand bekomme, (…) dann reicht mir das auch, dann ist es gut. Ich brauche nicht drei Mal durchkauen, integrieren mit der Bildschirmtechnik blablabla. Das ist nicht notwendig, weil jetzt fühle ich mich nicht mehr eingeschränkt und das reicht mir“ (A5, 248-251).

Alle fünf Expertinnen erklärten das Sonnentagebuch, jedoch betonte eine Expertin explizit, dass die Tools, wie Notfallkoffer, Imaginationsübungen oder Sonnentagebuch – besonders das Sonnentagebuch – an die Person angepasst werden müssen und es nicht hilfreich ist, jeder betroffenen Frauen einfach das Sonnentagebuch zu geben.

Das Sonnentagebuch erfüllt den Zweck, dass Frauen vor dem Schlafengehen, den Tag Revue passieren lassen sollten und dabei schöne Momente im schön gestalteten Sonnentagebuch festhalten sollen. Dadurch soll den Betroffenen vermittelt werden, dass es trotz schwieriger Situation schöne Momente in ihrem Leben gibt.

Das Pendant zu dem Sonnentagebuch ist ein Heftchen, welches nach Albträumen und Flashbacks zum Einsatz kommt. Darin sollen die negativen Gefühle und Gedanken niedergeschrieben werden und nach dem Verfassen in eine Schublade weggepackt werden. Das Ziel dieses Büchleins ist das klare Differenzieren zwischen dem Belastenden und dem Schönen im Leben.

Zwei Expertinnen erläuterten genauer, welche „Kleinigkeiten“ Frauen ein besseres Gefühl geben können.

„Wie ich dann mit mir selber umgehen kann, wie ich mich selber beruhigen oder ablenken kann. Wenn es z.B. so eine Situation gibt, dass die Gefahr groß ist, gedanklich abzudriften und einfach das in Erinnerung und Gefühle des Ereignisses reinzukippen droht, sich z.B.

selber zu kneifen, oder ganz bewusst in 13 Schritten von 900 zurück zu zählen. So Sachen wo man ganz bewusst das Gehirn mit einer anderen Aufgabe beschäftigt“(A1, 205-209).

Diese bewusste Steuerung gibt den Frauen wieder das Gefühl Kontrolle zu haben. Im letzten Jahr wurde von der Stadt Graz ein Projekt initiiert, in Zuge dessen gratis Taschenalarmgeräte verteilt wurden. Es ist zu bezweifeln, dass diese Geräte Frauen vor sexuellen Übergriffen bewahren, jedoch gibt es den Frauen ein Stück weit Sicherheit und das macht das Gerät sinnvoll.

Ebenso wurden mit betroffenen Frauen praktische Techniken geübt, beispielsweise den Schlüssel richtig in der Hand halten, damit er zur Abwehr eingesetzt werden kann, oder die Handtasche so zu nehmen, damit eine Verteidigung mit der Handtasche möglich ist. Diese „Kleinigkeiten“ – wie das Taschenalarmgerät –, geben den Frauen ein Gefühl von Sicherheit und sind ein Anfang, damit sich Frauen wieder stärker und selbstsicherer fühlen, denn bis sich Frauen wirklich wieder stark und selbstbewusst fühlen, kann es oft Jahre dauern.