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2. Literatur und theoretische Grundlagen

2.7 Festungsanlagen

2.7.2 Typologie und geographische Verbreitung

Diese Unterkapitel versucht eine kurze Zusammenfassung relevanter Aussagen zu Typologie, Systematik und Verbreitung von modernen Festungsanlagen zu geben. Im Detail sind trotzdem die wenigen zitierten Quellen zu betrachten, da Spezialfälle und militärtaktische Gründe und Überlegungen des Festungsbaus den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Das Kapitel dient daher nicht als Lexikon der Festungsbaukunst, sondern soll Nicht-Festungsexperten einen verständnisgebenden Überblick verschaffen. Daher soll auch in diesem Zusammenhang auf die teilweise sehr detaillierten Ausführungen zu Festungsbauaspekten im Wikimedia Archiv (anonymous, 2017a; 2017b) verwiesen werden, die de facto auch nur Exzerpte aus den üblichen Festungsbaulexika sind.

Dieses Kapitel ist auch eine Zusammentragung von Wissen des Verfassers aus verschiedenen Publikationen, unveröffentlichten Hochschulschriften, Forschungsberichten und nicht-akademischer Quellen. Es wird bewusst daher darauf verzichtet, in folgenden Ausführungen der Typologie usw. detaillierte Textnachweise im Fließtext zu geben. Aufgrund teilweise ungenügender Quellenlage ist dies unter Umständen auch gar nicht möglich. Benutzte und empfohlene, teilweise lexikaähnliche, Standardwerke sind u.a. Neumann (1994), Stadtgeschichtliches Museum Spandau (2001), Neumann (2002), Rolf (2004), Neumann (2005), Losse (2008), Büren (2011), Kaufmann und Kaufmann (2014). Für weitere deutschsprachige Festungsliteratur wird auf das Publikationsarchiv der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e.V. (2015) sowie des Studienkreises interfest e.V. (2017) verwiesen.

Je nach geographischer Lage sowie Zweck der Existenz kann man folgende prinzipielle Typen von Festungen unterscheiden: Landes- und Stadtbefestigungen, Bergfestungen und Küstenbefestigungen. In beiden letzteren Fällen sind tendenziell Komplexsysteme aus mehreren unterschiedlich großen Einzelkomplexen vorzufinden, z.B. die viktorianischen Küstenbefestigungen des Ärmelkanals. Nur selten sind Festungen ein Einzelobjekt und sind dann vergleichsweise groß. Gerade an Küsten oder Inseln finden sich oft Mischfestungen unterschiedlicher Entstehungszeiten, die sowohl Stadt- als auch Küstenbefestigungen aufweisen, z.B. die Befestigungsanlagen Valettas/ Maltas (M), die Venedigs (I) und von Plymouth (GB).

Schmuck- und Pseudobefestigungen ziviler Objekte, sowie Befestigung sakraler Bauten wie Wehrkirchen und Klöster werden hier und weiter nicht betrachtet.

Das Kapitel versucht die umfangreiche Festungsforschung der letzten 30 bis 40 Jahre, den aktuellen Stand der Diskussion um Typisierung von europäischen Festungsanlagen, akademische und nichtakademische Festungsforschung, durch Vereine und AGs europaweit, wiederzugeben. Alle großen Festungen in Europa haben Vereine, die das Erbe, die Kultur und die Geschichte der Einzelfestung(en) pflegen und zur Typisierung aber auch zum Wissen- und Bauerhalt beitragen. Deren Beiträge sind von unschätzbarem Wert für die Festungsforschung und Kulturgutpflege dieser architectura militaris, wurden aber bislang zu stark vernachlässigt und missachtet.

Durch die Entmilitarisierungen des 20. Jahrhunderts v.a. durch die Versailler Verträge, aber auch durch vorhergehende Entfestigungen im Rahmen der Napoleonischen Kriege, sowie durch allgemeine Aufgabe und Stadterweiterungen, Beispiel Berlin (D) oder Wien (AT), sind viele Festungsbauten nicht mehr vorhanden, obwohl diese einstmals teilweise als Idealtypen galten.

Erstlingsbauten und zitierte Idealtypen und hier aufgeführte Festungen können daher nicht mehr als solche existieren.

Typologie

Es ist existiert eine teilweise uneinheitliche Nomenklatur und Systematik der Festungsanlagen innerhalb Europas, bzw. eine Unmöglichkeit der Anwendung der v.a. durch deutsch-österreichische Festungsforschung entstandenen und im folgenden aufgeführten Klassifikationen der Bauten und Architekturen auf andere Länder. Es wird u.a. vermutet, dass diese bedingt sind durch parallele aber autonome nationale Forschung sowie den Fokus auf das eigene architektonische Kulturgut und dessen Interpretation unter rein nationalstaatlichen Aspekten. Die französische kultähnliche Auseinandersetzung mit dem Vauban’schen Erbe soll hierfür als Beispiel dienlich sein. Allerdings gibt es durch die verschiedenen EU-Projekte v.a.

der letzten 15 Jahre durch Baltic Fort Route oder Forte Cultura und verschiedene andere Veranstaltungen Ansätze und Bestrebungen der Festungsforschung, sich über diese spezielle europäische architectura militaris auszutauschen und ein gemeinsames Verständnis hierzu zu erarbeiten.

Zitadellen sind die ursprünglichsten Befestigungsanlagen. Historisch sind in Europa Anfänge der Zitadellen in den Befestigungen der Stadtstaaten Griechenlands zu suchen, welche vermutlich durch Bauten der älteren Kulturen Mesopotamiens oder Indiens inspiriert waren.

Neuzeitliche Zitadellen waren entweder befestigte Städte oder in sich geschlossene Festungen innerhalb oder am Rand einer Stadt, z.B. auf einem Hügel am Rand einer Stadt, z.B. Zitadelle Petersberg (D). Errichtet wurden sie in allen Jahrhunderten (von Beginn der Renaissance in Italien bis zum Ende des 19.Jahrhunderts). Durch den Umbau älterer mittelalterlicher Burgen oder Wasserburgen wurden diese teilweise auch in einen Zitadellenform überführt, z.B.

Zitadelle Spandau (D). Grundlage der Verteidigungssysteme von Zitadellen sind einerseits hohe Mauern oder unüberwindliche (natürliche) Erhebungen sowie Bastionen. Zitadellen wurden teilweise in den Jahrhunderten sukzessive weiterentwickelt oder umgebaut, z.B. Zitadelle von Bitsch (F) oder die Zitadelle Jülich (D). Zitadellen des Flachlandes sind oft sehr regelmäßig konstruiert (Abbildung 1, links oben).

Bastionärsystem ist das Grundprinzip der modernen neuzeitlichen Festungsbaukunst, welches durch ein systematisches Anordnen vorspringender Bastionen aus den Mauern des Hauptwalls gekennzeichnet ist. Bastionen weisen dabei zwei Vorderseiten auf und haben je nach Bauzeit und Stil entweder einen stumpfen oder einen spitzen ausspringenden Winkel (saillant). Die Bastionen dienen zur Aufnahme von Facengeschützen (Geschützen gegen den Angreifer) und Flankengeschützen zum Schutz der Kurtinen (seitliche Flanken und Räumen zwischen den Bastionen). Bastionen wurden meistens kasemattiert. Auch das Bastionärsystem ist ein regelmäßiges Vieleck (Abbildung 1, rechts oben).

Entwickelt wurde das Bastionärsystem ursprünglich in Italien bereits Ende des 15. Jahrhunderts und Anfangs des 16. Jahrhunderts (altitalienische Manier). Es ist grundsätzlich gekennzeichnet durch stumpfe Bastionen und lange Kurtinen (Abbildung 1, mitte links). Runde Bastionen, z.B.

Ston (HR), sind zwar älter als vieleckige Bastionen, sind aber wegen ihrer toten Winkel ungünstiger für die Verteidigung, und oftmals durch nachträglichen Umbau kaum noch existent.

Spitze Winkel und kürzere Kurtinen kennzeichnen das Bastionärsystem der neuitalienischen Manier (Abbildung 1, rechts oben). Ursprünglich sind Bastionen und das Bastionärsystem reine Mauerwerks- oder Steinbauten, erst später kam eine Gemischtbauweise hinzu. Die Hochphase des Bastionärsystem war die sogenannte „Vauban-Schule“ im späten 17. Jahrhundert.

Ein Variation der italienischen Manieren ist die niederländische Manier (Abbildung 1, mitte rechts) des späten 16. Jahrhunderts; — eine reine Erdbauweise der Wälle und nicht

kasemattierter Bastionen, mit breiten Wassergäben, vorgeschobenen Niederwällen (Fausse-Braie) und gedeckten Wegen plus zahlreichen Außenwerken; insgesamt ein historischer Vorgriff auf Gürtelfestungen und Tenaillesysteme.

Die Aufgabe des Baustils erfolgte in Europa meist Anfang des 19. Jahrhunderts bedingt durch die Einführung von Geschützen mit gezogenem Lauf während der Napoleonischen Kriege, die die Schwächen dieser Systeme zu Tage förderten. Zudem waren diese Bauten sehr teuer im Vergleich zu neueren Fortifikationssystemen.

Tenaillesystem ein ursprünglich französisches Befestigungssystem des 17. Jahrhunderts mit meist sternförmiger Grundrissausbildung ohne Verwendung von Bastionen und Kurtinen.

Es besteht aus ausspringenden- (Saillants) und einspringenden Winkeln (Rentrants) zur zangenförmigen (tenaille= Zange) und gegenseitigen Flankierung der Wälle. Reduits und eine zweite Umwallungsline (Envellope) erweitern den Flächenanspruch dieses Systems.

Polygonalsystem ein ursprünglich in Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts entwickeltes Fortifikationssystem (neupreußische oder neudeutsche Befestigungsmanier). Anstatt von Bastionen oder Vorwerken des Bastionärsystems und flächenhaften Strukturen des Tenaillesystems stützt sich dieses auf die Konzentration von Verteidigungskraft in der Nähe der Festung. Hierfür wurde u.a. Kaponniere verwendet, die den Graben schützen, sowie Glacis erhöht anstatt verlängert. Das Polygonalsystem ist weniger raumgreifend und baukostenintensiv als ältere Strukturen und gab der Stadtentwicklung freieren Lauf (Abbildung 1, links unten).

Gürtelfestungen bestehen aus Hauptfestung und sie umgebenden mehreren detachierten (vorgelagerten) Forts (Abbildung 1, rechts unten). Taktische Überlegungen zur Defensivkraft von Festungen führten aufgrund nunmehr verlängerter Geschützreichweiten ab Anfang/ Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Ablösen und gleichzeitigem Vorschieben und Verteilen der alten Bastionen in Kanonenschußreichweite zur gegenseitigen Unterstützung der Forts/

Verteidigungswerke (äußerer Gürtel) und des Hauptsystems. Nahezu alle modernisierten und neu errichteten Festungsanlagen Preußens, Österreich-Ungarns sowie Russlands wurden in diesem Stil erbaut. Aber auch in Frankreich und den heutigen Beneluxstaaten sind diese errichtet worden. Zusätzlich waren diese nochmals mit Zwischenwerken, Infanterieräumen, Defensivkasernen, gedeckten Stellungen, Schanzen und Feldstellungen und anderen Werken ausgerüstet. Als Beispiel dienen hier Kostrzyn, Wrocław, Toruń, Przemyśl (alle PL), Mainz (D),

Brest (BY), Komárom (H), Kaunas (LT) und Kaliningrad (RUS) sowie das nach dem deutsch-französischen Krieg entwickelte Système Séré de Rivières bzw. Barrière de fer.

Abbildung 1: Festungstypen in Europa

Militärisch geprägte Landschaften sind prinzipiell um jede Festungsstellung vorhanden, da diese neben Bereitstellungsräumen der Infanterie, Feldstellungen und Beobachtungsposten, gedeckte Wege bzw. maskierte Straßen und diverse Lager und Magazine enthalten. Zudem sind u.a. komplexe landschaftliche wirkende Verteidigungssysteme entstanden, die über Schleusen, Wehre und Kanäle die Verteidigung im Kriegsfall gewährleisten sollten. Als Beispiel hierfür dienen hierfür die New Dutch Waterline (NL) sowie die Festung Wrocław (PL).

Verteidigungslinien sind aufgelöste Festungsformen. Sie bestehen meist aus einer Kombination verschiedener wehrtechnischer Anlagen und wurden im 20. Jahrhundert errichtet, z.B. die Salpa- und Mannerheim-Linie Finnlands, die Rupnik-Linie in Slowenien, der Tschechoslowakische Wall sowie der italienische alpine Verteidigungswall Vallo Alpino.

Geographische Verbreitung

Verschiedene Baumeister und Architekten waren vielfach in Europa zu allen Zeiten aktiv. D.h.

sie waren sowohl bei der Planung der Anlagen als auch direkt beim Bau zumindest zeitweise in verschiedenen Regionen Europas involviert oder auch anwesend; – es gab also einen regen kulturellen Austausch zwischen den Nationen und Ländern und viele Bauten und Erweiterungen sind durch diesen Ideenaustausch inspiriert worden. Berühmte Architekten sind Montalambert, Vauban, Chiaramella de Gandino und Scholl, die in vielen Teilen Europas ihre Spuren hinterließen. Das Festungserbe Europas ist auch aus diesem Grund ein gemeinsames und unabhängig von derzeitigen Landesgrenzen.

Geografisch sind diese Systeme höchst unterschiedlich verteilt. Im Rahmen des EU-Projektes Forte Cultura wurde versucht diese Bautypen zu katalogisieren und kartografisch darzustellen (Abb. A-27). Eine stetig wachsende aufgeführte Anzahl weltweit verbreiteter Festungsanlagen auf verschiedenen Kontinenten ist u.a. im Wikimedia Archiv (anonymous, 2018a) zu finden.

Kartografische Gesamtdarstellungen existieren derzeit nicht, soweit bekannt.