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I. Von der Trauer zur Trauerkultur

2. Definitorische Annäherungen

2.4. Trauerkultur im Wandel

Dass dieser „Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in den vergangenen einhundert Jahren einem Wandel unterlag“ ist indes keine erstaunliche Neuigkeit. Schon 54 Phillip Ariès stellte in seinen opulenten Werken Studien zur Geschichte des Todes im Abendland55 und Geschichte des Todes56 jene Veränderungen dar, die sich in der menschlichen Einstellung zu Tod und Trauer vom frühen Mittelalter bis in die Moderne ergeben haben. Wenngleich sich Ariès’ Beobachtungen auf die Entwicklung vor allem materieller Kultur – in Form etwa von Grabsteinen – und die Orte des Todes – wie zum Beispiel Friedhöfe – beziehen, so lässt sich gerade an ihr auch die dezidierte Geschichte eines ideologischen Wandels der Trauerkultur nachvollziehen, der sich im beginnenden 20. Jahrhundert immer rasanter durchzusetzen schien. 57

Für den in der vorliegenden Arbeit relevanten deutschsprachigen Kulturraum etwa differenzierte sich diesbezüglich zunächst „mit dem Beginn der Neuzeit eine auf das diesseitige Individuum bezogene Bestattungs- und Gedenkkultur aus“, die in der späten Phase der Aufklärung dann eine „emotional-bürgerliche Ausprägung“ erfuhr, die letzten Endes „in der Verdrängung des religiös fundierten Totenbrauchtums durch eine Vielzahl möglicher Trauerstrategien“ gipfelte und die zu einem späteren Zeitpunkt der vorliegenden 58

Sunderbrink 2010, S. 192.

53

Rosentreter/Groß 2010, S. 77.

54

Ariès, Phillip: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, München 1981.

55

Ariès, Phillip: Geschichte des Todes, Stuttgart 1991.

56

Vgl. Fischer 2001a, S. 57.

57

Sunderbrink 2010, S. 192.

58

Arbeit noch einmal näher betrachtet werden soll. Zwar führte die auch gerade für die deutsche Geschichte prägende, ehemals sehr enge Verbindung zwischen Staat und Kirche zunächst noch dazu, dass Tod und Trauer noch selbst im Zeitalter der Aufklärung stark durch die kirchliche Liturgie bestimmt waren, jedoch datiert 59 Norbert Fischer die ersten Spuren einer Modernisierung und Säkularisierung der Trauerkultur schon auf die Zeit unmittelbar nach der Reformation zurück. Gerade in den Jahren nach 1648 sieht Fischer demnach eine zunächst noch religiös grundierte Individualisierung angelegt und interpretiert diese als – wenn auch unbewussten – Vorboten dessen, was später dann unter dem Begriff der A u s d i f f e r e n z i e r u n g i m m o d e r n i s i e r u n g s - u n d v o r a l l e m säkularisierungstheoretischen Sinne weitestgehend verstanden werden sollte.

Mit dem Aufkommen der Aufklärung begannen sich nunmehr also jene Formen der Trauerkultur zu entfalten, „die als Mischung aus christlichen Traditionen, privater Emotionalität und symbolisch-gesellschaftlicher Repräsentation entstanden“ waren. Dieser Umstand führte dazu, dass das sich 60 später herausbildende Bürgertum „als bedeutendste Trägerschicht der modernen meritokratischen Gesellschaft“ als neue und aufstrebende Klasse sehr daran interessiert war, „Gefühlen – in ihrer Doppelfunktion als Markierung von Individualität und Soziabilität – eine bestimmte Form zu geben und ihren Ausdruck zu regulieren.“ In den Mittelpunkt dieser neu regulierten Trauer geriet 61 dabei vermehrt „die individuelle Lebensleistung des – meist männlichen – Verstorbenen.“ Diese, zunächst vor allem durch den Protestantismus 62 angestoßene Hinwendung zur Individualität zog zwar kurzfristig noch keine umfassend hegemoniale Tendenz nach sich, doch interpretiert Fischer das wachsende Interesse an der vor allem individuellen Würdigung des Verstorbenen als schleichenden Prozess der allgemeinen Etablierung einer neuen Trauerkultur

Vgl. Kaul, Wolfgang: Nichtkonfessionelle Bestattungs- und Trauerkultur und

59

nichtkonfessionelle Trauerredner. In: Institut für Kommunalwirtschaft Dresden (Hg.): Zur inhaltlichen Gestaltung nichtkonfessioneller Trauerfeiern. Ein Lehrbuch für Trauerredner, Dresden 1991, S. 1-13, hier S. 10. (Im Folgenden: Kaul 1991a)

Fischer 2001a, S. 45.

60

Frevert, Ute: Gefühle definieren: Begriffe und Debatten aus drei Jahrhunderten. In: Dies. et al.

61

(Hg.): Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt a. M./New York 2011, S. 9-39, hier S. 13.

Fischer 2001a, S. 45.

62

und versucht dies mit zwei inhaltlichen Fixpunkten zu belegen: Der zu dieser Zeit zum individuellen Inhalt tendierenden Trauerrede, die im Protestantismus stärker ausgeprägt war und den von großem Prunk und großer Öffentlichkeit gekennzeichneten bürgerlichen Bestattungen. Mit jenen Fixpunkten sollte die individuelle Lebensleistung und der soziale Rang sowohl für die Hinterbliebenen, als auch für die Öffentlichkeit klar ersichtlich sein – wenn auch zunächst noch von Pfarrer, Kirchengemeinde und religiösen Ritualvorgaben flankiert, deren dogmatischer Anspruch jedoch deutlich zugunsten eines individuellen Bezugs abgeschwächt wurde. Das Bedürfnis des städtischen Bürgertums, deren gewachsenes „gesellschaftliche[s] Prestige im Tod zu demonstrieren,“ verlangte somit nicht nur nach imposanten „Grabmälern, sondern auch nach repräsentativen Zeremonien“, wobei „nicht zufällig“ vor allem „die Trauerrede am offenen Grab, in der das Leben des Verblichenen noch einmal gefeiert wurde, im 19. Jahrhundert zu voller Blüte“ gelangte. 63

Es ließ sich – zusammenfassend gesagt – beobachten, „dass die Trauer ganz allgemein zu einem bedeutenden Element jener Feierkultur [wurde], die das Bürgertum des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich so vollendet zelebrierte.“ Ganz 64 im Sinne von Norbert Elias, der diese Entwicklung in der Trauerkultur als Folge eines zivilisatorisch notwendigen Individualisierungsprozesses betrachtete, in dem

„das Bild vom eigenen Tode aufs engste verbunden“ sei „mit dem Bild von sich selbst, von dem eigenen Leben, und zugleich auch von dieser Art des Lebens“ , 65 weist Fischer darauf hin, dass – auch wenn die Masse der Bevölkerung dieser Zeit

„nach wie vor ohne aufwendige Zeremonien und sepulkrale Symbolik, häufig auch ohne dauerhaften Grabstein beerdigt“ wurde, die Entfaltung einer 66

„bürgerlich-moderner Trauerkultur mit ihren zeremoniellen Elementen, ihrer Blumen- und Pflanzensymbolik und nicht zuletzt mit dem gefühlsgeladenen letzten Abschied am offenen Grab“ jedoch „eine hohe gesellschaftlich-normative

Fischer, Norbert: Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001, S. 45. (Im Folgenden:

63

Fischer 2001b) Fischer 2001a, S. 45.

64

Elias, Norbert: Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen, Frankfurt a. M. 1984, S.

65

90f. Fischer 2001a, S. 46.

66

Bedeutung“ bis in die unteren Schichten hinein besaß. Damit ist die Kategorie 67 des „Wandels“ eine zentrale in dieser Arbeit.