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II. Einblicke in die Branche

11. Branchenspezifische Erkenntnisebene

11.2. Auswirkungen des Wandels

Bedingt durch die hohe Kundenorientierung, die sich in unterschiedlichen, mit den Hinterbliebenen abgestimmten Dienstleistungen äußert sowie allgemeine gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die sich in der Trauerkultur durch anhaltende Veränderungen und regelmäßige neue Trends zeigen, muss die Branche der Trauerredner immer „up to date“ und vielseitig bleiben. Dieser Zwang zeigte sich in den Daten in Form von unterschiedlichen Modernisierungsschüben, welche die Branche mal mehr, mal weniger intensiv, aber konstant begleiten. Diese Schübe korrespondieren mit der im Laufe der vorliegenden Arbeit immer wieder herausgearbeiteten Ausdifferenzierung der Trauerkultur, mit ihren Anonymisierungs- und Entritualisierungs-, aber auch Reritualisierungstendenzen, ihren räumlichen und zeitlichen Verschiebungen, einem damit in Zusammenhang stehenden wachsenden Bedürfnis nach Selbstbestimmung der Hinterbliebenen sowie mit Veränderungsprozessen innerhalb einer spätkapitalistischen Arbeitswelt.

Ausdifferenzierung des Angebots

Eine Form von Modernisierungsschub zeigt sich etwa in der sukzessiven Ausdifferenzierung des Angebots der Branche. Hierbei wird hauptsächlich das als klassisch kategorisierte Aufgabenfeld der Branche, dessen Kern die Vorbereitung und Inszenierung einer individuellen Trauerrede ist, wenn nicht verdrängt, so

Reuter 2008, S. 161.

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doch zumindest um andere Komponenten erweitert. Vor allem konnte eine zunehmende Bedeutung dessen herausgearbeitet werden, was unter Rückgriff auf die Selbstbezeichnung einer Interviewpartnerin als Ritualdesign bezeichnet wurde. In diesen Aufgabenbereich fallen demnach die explizite Trauerfeiergestaltung und die Konzeption vor allem neuer, alternativer Rituale oder das starke Miteinbeziehen der Hinterbliebenen, während die klassischen Aufgaben eines Trauerredners in den Hintergrund gedrängt werden. Dieser Trend hat mit dem zunehmenden Bedürfnis vieler Hinterbliebener nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu tun, etwa wenn die Ausarbeitung und das Vortragen einer Trauerrede selbst in die Hand genommen werden oder in der Trauerfeier keine Rolle spielen soll. Die exponierte Rolle des Trauerredners, die sich lange auf die Inszenierung einer Trauerrede beschränkte, wird dadurch aufgeweicht.

Ebenso konnte eine Modernisierung des Angebots in Richtung Trauerbegleitung festgestellt werden, die sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit allerdings ebenfalls noch nicht wirklich durchgesetzt zu haben schien. Es gab unter den Gesprächspartnern nur eine Minderheit, die dieses Angebot offen und vor allem offensiv formulierte – allerdings kann davon ausgegangen werden, dass dieses Angebot perspektivisch zunehmen wird, da einerseits im gesamten Bestattungswesen die Tendenz zur therapeutischen Begleitung zu beobachten ist, etwa in Form von Trauercafés oder Trauerkreisen, die von zahlreichen Bestattungsunternehmen angeboten werden; und andererseits der rituelle Charakter des Arbeitsalltages potenziell auch Auswirkungen auf den Trauerprozess nach der Trauerfeier haben kann, womit es nur logisch scheint, die indirekt bereits in den ersten Phasen des Arbeitsalltages stattfindende Begleitung in Phase 4 des branchenspezifischen Arbeitsalltages fortzusetzen.

Ausdifferenzierung des Ausbildungsangebots

Sicherlich auch aufgrund der eben beschriebenen Erweiterung des Angebots und als Reaktion auf die damit neu entstehenden Aufgaben für die Branche, ging aus den Daten weiter hervor, dass die flexiblen und von Wandel geprägten

Rahmenbedingungen der Trauerkultur mit einer Zunahme institutioneller Ausbildungsangebote einherzugehen scheint. In diesem Zusammenhang auffällig war vielmehr eine nicht unbeträchtliche Zunahme von Möglichkeiten, die es angehenden Trauerrednern bereits vor einem Brancheneintritt ermöglicht, sich auf den zunehmend ausdifferenzierten und schwierigen Arbeitsalltag spezifische vorzubereiten.

Gerade der ganzheitliche Anspruch der beschriebenen institutionellen Ausbildung der BATF, aber auch anderer, neuerer Institutionen als Alternative zum immer noch vorhandenen „learning by doing“ kann demnach paradigmatisch für einen neuen Branchentypus stehen, dessen Akteure sich neben den notwendigen ideellen Voraussetzungen wie subjektivem Einfühlungsvermögen, persönlicher Ausstrahlung oder individuellen Rhetorikfähigkeiten mehr und mehr auch an den Merkmalen einer modernen Dienstleistungs- und Selbstständigenbranche orientieren und möglichst ganzheitliches Expertenwissen generieren möchten. Deswegen geraten zunehmend als erlernbar erachtete Fähigkeiten und fachliche Kompetenzen, wie Schreib- und Rhetorikkurse, medizinisches Wissen, betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse oder Trauerpsychologie in den Ausbildungsfokus. Mit diesem zeitgemäßen Anspruch der Branche kann die eigene Expertenrolle nochmals betont werden. Die zunehmenden Formen der Qualifizierung für den Arbeitsalltag als Trauerredner können in dem beschriebenen Konkurrenzverhältnis, das in der Branche vorgefunden werden kann, somit zu einem Vorteil für jene werden, die ihr Angebot nach diesen Vorgaben ausrichten und gleichzeitig zertifizierte Nachweise in Form einer absolvierten und modernisierten Ausbildung erbringen können.

Ausdifferenzierung des Selbstverständnisses

Ein weiterer Modernisierungsschub innerhalb der Branche äußert sich in einer neuen Qualität des brancheninternen Selbstverständnisses. Dieses scheint sich momentan eher weg von einem klassischen Selbstverständnis als bloßem Trauerredner und hin zu einem progressiveren Selbstverständnis zu wandeln. Es kann zwar für die Beschreibung des Selbstverständnisses beide Teile der

übergeordnete Begriff der helfenden Dienstleistung angeführt werden, da hiermit sowohl die notwendige Bereitschaft zur Empathie, als auch die professionelle Kundenorientierung zur Geltung kommen, die beiden Teilen nachgewiesen werden konnten. Doch konnte der größte Teil meiner Interviewpartner in Anlehnung an diese Einteilung tatsächlich in letzter Konsequenz auf die Vorbereitung und Inszenierung einer klassischen Trauerrede reduziert werden -–

während das Angebot des anderen Teils eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Trends innerhalb der Trauerkultur erkennen ließ und dementsprechend offen war für Erweiterungen des Arbeitsbereichs jenseits der klassischen Trauerrede.

In diesen Modernisierungsschüben zeigt sich, wie sich die grundsätzlich anhaltende Ausdifferenzierung und Wandlungsfähigkeit der Trauerkultur, die in Form „von weit reichenden welt- und lebensanschaulichen Pluralisierungen“ 532 auftritt, auf die Branche der Trauerredner auswirkt. Damit spielt die kulturwissenschaftliche Kategorie des Wandels als Beschreibung einer anhaltenden Dynamik eine zentrale Rolle für die Branche der Trauerredner.