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In Evanthius’ Abhandlung De Fabula, die bis ins 16. Jahrhundert als ein Teil von Donats De Comedia galt, gibt es bereits eine unscharfe Charakterisierung der Tragödie in Abgrenzung zur Komödie,15 die in dieser Form, wie Mitschriften von Studenten zeigen, im Heidelberger Poetikunterricht gelehrt wurde:

Der Unterschied zwischen der Tragödie und der Komödie besteht unter anderem v. a.

darin, dass in der Komödie die Schicksale der Menschen unbedeutend, die Gefahren, denen sie begegnen, gering und die Ausgänge der Handlungen glücklich sind; in der Tragödie aber ist alles entgegengesetzt: da gibt es berühmte Persönlichkeiten, große Schrecken und tödliche Ausgänge. Dort beginnt es stürmisch und endet schließlich ruhig, in der Tragödie nehmen die Geschehnisse den entgegengesetzten Verlauf; au-ßerdem gilt, dass in der Tragödie das zu meidende Leben zum Ausdruck gebracht wird, in der Komödie das erstrebenswerte, und schließlich, dass es in der Komödie stets um Fiktives geht, während die Tragödie oft bezüglich der Geschichte für glaubwürdig angesehen wird.16

13 Vgl. Bernstein 1993, S. 23.

14 Die Frage nach den Lateinkenntnissen von Sachs ist umstritten, dürfte aber im Ergebnis zu bejahen sein. Für Sachs’ Lateinkenntnisse spricht das 1568 verfasste Spruchgedicht Die werck gottes sind alle gut, wer sie im geist erkennen thut (KG XV, S. 550 – 554). Darin heißt es: „Da ich lehrt griechisch und latein“, womit die ein Jahr zuvor getroffene Aussage in der Summa all meiner gedicht (KG II, S. 344), er könne weder Latein noch Griechisch, als Bescheidenheitsfloskel zu werten sein dürfte, wie Wingen-Trennhaus 1995, S. 127 ff.

feststellt. Vgl. auch Michael 1991, S. 429. Es sind aber vor allem die Bearbeitungen neula-teinischer Dramen, von denen es keine deutsche Übersetzung gab, wie bspw. Reuchlins Scaenica Progymnasmata und der Hecastus von Macropedius, die auf fundierte Latein-kenntnisse von Sachs verweisen. Stuplich 1998, S. 62 f. zieht die Möglichkeit eines Über-setzers in Betracht. Sie vermutet, dass Sachs Kontakte zu Humanistenkreisen unterhielt, von denen Venatorius als Übersetzer in Betracht käme. Zuletzt hat sich auch Kipf 2015, S. 428 f. dafür ausgesprochen, dass Sachs’ Lateinkenntnisse zumindest für Übersetzungen ausreichend waren.

15 Vgl. Herrick 1964, S. 58 ff.

16 Aeli Donati Commentum Terenti 1962, S. 21: „inter tragoediam autem et comoediam cum multa tum inprimis hoc distat, quod in comoedia mediocres fortunae hominum, parui

Der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie liegt demnach im unter-schiedlichen Ausgang, in der Trennung zwischen Fiktivität und Wahrheit und im unterschiedlichen Stand des Dramenpersonals.

Als einer der ersten deutschen Humanisten äußerte sich Konrad Celtis 1486 in seiner Ars versificandi zur Tragödie. Darin betont er „das moralisch-didaktische, aber auch das rhetorische Element der Tragödien und […] empfiehlt jungen Dramatikern Senecas Tragödien zur Nachahmung“.17 Sein Ziel ist es dabei, neben der weitaus erfolgreicheren Komödie, die Tragödie – und das heißt vor allem die Tragödien Senecas – als Literaturgattung wieder zu etablieren, weil sie Regeln vorgeben, wie Staatsdiener zu leben haben: „sie stellen die Gesamtheit der wichtigsten Regeln für das Leben eines Fürsten dar, und zwar in Form von sehr eindrücklichen Verboten und Lastern.“18

Cora Dietls Untersuchung der neulateinischen Dramendichter Jakob Wim-pheling, Joseph Grünpeck, Heinrich Bebel, Konrad Celtis, Johannes Reuchlin und Jacob Locher zeigt, wie heterogen die neulateinischen Dramen sind.19 Ei-nerseits finden sich unter ihnen Rezitationsdramen, die dem Prosadialog ähneln, andererseits können Tragödien bspw. zu Festspielen in Herrscherlob münden.

Nur Reuchlins Scaenica progymnasmata stellt eine Ausnahme dar. Seine Komö-die ist

impetus periculorum laetique sunt existus actionum, at in tragoedia omnia contra, ingen-tes personae, magni timores, exitus funesti habentur; et illic prima turbulenta, tranquilla ultima, in tragoedia contrario ordine res aguntur; tum quod in tragoedia fugienda uita, in comoedia capessenda exprimitur; postremo quod omnis comoedia de fictis est argumen-tis, tragoedia saepe de historia fide petitur.“ Übersetzung nach Dietl 2005, S. 26.

17 Stuplich 1998, S. 45. Vgl. auch zur Poetik von Celtis: Asmuth 1994.

18 Wie Dietl 2005, S. 36 f. herausstellt, haben Celtis und ihm folgend sein Schüler Jacob Locher den persuasiven Ansatz der Rhetorik unter Bezugnahme auf Horaz so erwei-tert, dass er der Ordnung dienlich ist. Insbesondere die Tragödie wird damit eine Form des Schreibens, in der Historisches und Fürstenlehre zusammenfließen, eine „verdeckte und besonders eindringliche Art staats- und moralphilosophischen Schreibens“. Durch-setzen konnte sich die Lenkungsabsicht für eine bestimmte Ordnungsvorstellung indes nicht; vielmehr wird das Drama im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts als Medium allseits genutzt und auch instrumentalisiert. Melanchthon äußerte sich 1545 in der dritten Fassung seines Vorworts zu Terenz ausführlich über das Wesen von Komödie und Tragödie. Die Funktion antiker Dramen sei es, „Menschen durch die Betrachtung gräßlicher Beispiele und Schicksalsschläge zur Mäßigung und Zähmung ihrer Leidenschaften anzuleiten“ (Wels 2009, S. 72); die Tragödie könne dabei als Abbild des Aufstiegs und Falls von Städten und Königen Schreckensbilder vermitteln, die lehrhaft und nachdrücklich wirken. Das argumentum der Tragödie sei, so Wels 2009, S. 73, „daß die Gerechtigkeit durch die Bestrafung derjenigen, die durch ihre Taten die göttliche Ordnung verletzt haben, wiederhergestellt“ werde.

19 Vgl. Dietl 2005, S. 148 – 214.

„ein dramaturgisch straff durchgearbeiteter, dem klassischen Handlungslauf folgender jambischer Fünf-Akter mit Choreinlagen und geregelten Auf- und Abtritten, der ideal auf einer Terenzbühne aufgeführt werden kann und sich an die Ständeklausel hält.“20

20 Dietl 2005, S. 373. Möglicherweise liegt der Grund für widersprüchliche Einschätzun-gen zum neulateinischen Drama in AussaEinschätzun-gen, die zu wenig differenzieren. Beispielhaft hierzu Roloff 1958: Es sei ein einheitlicher Aufbau wiederzufinden, der sich an der rö-mischen Komödie orientiert, wenn es heißt: „Hauptunterschied zum m[ittel]al[terlichen]

Dr[ama] ist die äußerliche Nachahmung der antiken Kunstform; fast alle n[eu]lat[ein-ischen] Dramatiker hielten sich streng an den äußeren Aufbau der röm[n[eu]lat[ein-ischen] Komödie.

Demzufolge ist die Form des n[eu]lat[einischen] Dr[ama]s weitgehend konventionell:

grundsätzlich fünf Akte, die in Szenen eingeteilt werden (Ausnahmen sind selten); für die Akteinteilung hatte man noch wenig Gefühl. Oft beschließen Chöre ganz unmoti-viert die einzelnen Akte. […] Dem eigentlichen Dr[ama] läuft noch ein festgeregelter Vorspann voraus: Titel mit Gattungsbezeichnung, Epigramme auf den Autor, Dedikati-onsschreiben des Verfassers, Personenverzeichnis, das Argument […], der Prolog (Vor-stellung der Sprecher, Hinweis auf die Handlung und deren moralischen Nutzen, Anrede an die ‚Momi und Zoili‘, Ermahnung der Zuschauer zur Ruhe.) Epiloge sind selten; wo sie begegnen, bieten sie eine pädagogische Auswertung des Stückes.“ Roloff 1958, S. 646.

Zum anderen sollen „die Anfänge des n[eu]lat(einischen) Dr[ama]s weder im Inhalt noch in der Form eine verbindliche Einheitlichkeit [zeigen]; […] m[ittel]al[terliche] Tradition und ital[ienische] Einflüsse sind kräftiger als die antike Dramatik in ihrer Vorbildlich-keit.“ Roloff 1958, S. 654.