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Nichtadaptierte Monologformen:

2 Gattungsverständnis von Hans Sachs

3.1 Nichtadaptierte Monologformen:

Überbrückungsmonolog und Affektdarstellung in  Lucretia2 und Virginia3

Das erste Drama ist die 1527 gedichtete Tragedi Lucretia. Darin greift Sachs einen antiken Stoff auf, der auf Titus Livius’ Ab urbe condita zurückgeht. Diesen nennt er im Prolog neben Valerius Maximus als Quelle, die eigentliche Vorlage ist indes Bernhard Schöfferlins Übersetzung von 1505.4 Schöfferlin hält sich zwar an das Handlungsgerüst, liefert an Stelle einer Übersetzung aber eine um

„eingestreute Geschehenskommentare erweiterte und stilistisch vollkommen andersartige Nacherzählung“.5 Bemerkenswert ist, dass Sachs einen antiken

1 Stuplich 1998, S. 243.

2 Der vollständige Titel lautet: Tragedia von der Lucretia, auß der beschreybung Livii, hat 1 actus und 10 person.

3 Der vollständige Titel lautet: Tragedia, mit 24 personen zu agiren, die Virginia.

4 Vgl. Stuplich 1998, S. 244.

5 Holzberg 1992, S. 539 f., er weist dagegen für Sachs’ Bearbeitung eine Zweiteilung nach.

narrativen Text als Vorlage für sein erstes Drama wählte, nicht jedoch ein anti-kes oder neulateinisches Drama.

Anders als spätere Schauspiele besteht die Lucretia nur aus einem Akt.6 Sze-nengrenzen oder Ortswechsel benennt Sachs nicht ausdrücklich, dennoch weist Stuplich anhand des Reimschemas eine Unterteilung in drei Szenen nach,7 die sich so auch in der Vorlage findet:8

1. Szene: Der Königssohn Sextus vergewaltigt Lucretia, wozu er ihr mit Ehr-verlust droht.

2. Szene: Lucretia erzählt ihrem Mann, dem Vater und Freunden von der Ver-gewaltigung. Sie will sich, entgegen der Argumente ihrer Dialogpart-ner, wegen des Ehrverlustes umbringen.

3. Szene: Ehemann, Vater und Freunde trauern um Lucretia und schwören Rache.

Der erste szenische Abschnitt, der die Vergewaltigung von Lucretia enthält, weist drei Monologe auf, alle anderen keine. Fehlende Regieanweisungen zu Auf- und Abtritten lassen für die Monologe nach dem situativen Kriterium kei-ne eindeutige Klassifizierung zu, weshalb von eikei-ner simultakei-nen Präsentation auszugehen ist.9 Anhand der ersten Tragedi und der Virginia, die auf derselben Vorlage beruhen, kann gezeigt werden, welches Verständnis Sachs von Mono-logen hatte, verwendete er doch eine narrative Quelle, die nur eine kurze nar-rativierte Rede über Lucretias Gefühle enthält.10

Den ersten Monolog spricht Lucretia (KGXII, S. 7 vv. 25 – 32), nachdem Sextus sie erpresst hat:

25 Ach Gott Apollo, mir ist angst.

Soll ich leiden den bittern tod

6 Ausführlich Holzberg 1992, S. 539 – 547 und Stuplich 1998, S. 243 – 256.

7 Vgl. Stuplich 1998, S. 244 f. Zum Reimschema bemerkt sie (S. 245): „Die Idee zu der auch im Drama erkennbaren Dreiteilung könnte Sachs von Valerius Maximus entnommen haben. Als äußeres Einteilungsmerkmal verwendet Sachs hierzu den Paarreim am Ende einer Replik, bzw. er läßt eine neue mit einem Paarreim beginnen. Daß Sachs den Drei-reim später als akustisches Signal zur Strukturierung der Handlung einsetzt, haben die Untersuchungen zur Akteinteilung gezeigt. In seinem ersten Drama erfüllt der Paarreim anstelle der Reimbrechung eine vergleichbare Funktion.“

8 Vgl. Holzberg 1992, S. 534 f. und S. 540 f.

9 Vgl. Stuplich, S. 248 ff.

10 Auch wenn die Lucretia nicht mit den Dekameron-Bearbeitungen vergleichbar ist, zeigen sich hier bereits erste Ansätze, die Erzählerrede in monologische Figurenrede zu über-tragen. Vgl. Teil B, Kap. 4.1.

Und zu ewiger zeit den spot, Samb sey ich ein ehbrecherin?

Ach, wo sol ich mich kehren hin?

30 Ich wil eh thun nach deinem sagn, Mich nachmals der unschuld beklagn, Mir darumb setzen strenge buß.

Während Sextus sich noch auf der Bühne befindet, spricht Lucretia in Form des Monologs zu Apollo. Sachs nutzt hier eine Apostrophe, um aus dem Dialog in den Monolog überzuführen, wodurch der Monolog einen dialogischen Cha-rakter erhält. Allerdings sind Gebete immer als Monologe anzusehen, solange Gott nicht antwortet. Bei der Apostrophe handelt es sich um

eine Technik, die sich zum Beispiel bei Aischylos und Sophokles an allen, und bei Euripides an den meisten Monologen beobachten läßt. Das Gegenüber, das hier durch die Anrede jeweils geschaffen wird, antwortet zwar nicht unmittelbar, es entstehen je-doch semantische Richtungsänderungen innerhalb des Monologs, indem der Sprecher die Reaktionen und damit den semantischen Kontext des angesprochenen Wesens imaginiert.11

Lucretia erwartet keine Antwort von Apollo, weshalb die Apostrophe den Be-ginn der Affektdarstellung bildet. Ihre ausweglose Situation und Verzweiflung werden in den Fragen an Apollo sichtbar. Die anschließende Reflexion thema-tisiert die möglichen Folgen eines verweigerten Beischlafs, denn im vorher-gehenden Dialog hatte Sextus gedroht, sie des Ehebruchs mit dem Diener zu bezichtigen und als ehrlos darzustellen, sollte sie ihn zurückweisen. Die zweite Frage macht die einsame Verzweiflung Lucretias deutlich.

Während nun bei Schöfferlin (Fol. XIXr, 21 f.) Lucretia selbst in der von Sex-tus herbeigeführten Zwangslage ohnmächtig ihrem Peiniger ausgeliefert bleibt, ohne dass dieser allein ihr Denken in Bewegung zu versetzen vermag,12 ist sie es bei Sachs, die sich ihre Situation mittels Fragen an Apollo als ein imaginier-tes Gegenüber bewusst macht, und so, ohne ihre Ohnmacht zu leugnen, diese gleichwohl überwindet.

11 Pfister 2001, S. 184. Vgl. Hirsh 2003, S. 15 ff. Die Grenze zwischen Gebet und Monolog ist nicht immer klar, denn, so Hirsh 2003, S. 17, in „most ancient and medieval plays, the gods or God were presumed to exist even if they did not physically appear onstage, and they were presumed to be capable of hearing a prayer from a distance. But the dividing line between a prayer and a soliloquy in secular drama (and even sometimes in religious drama) is not always clear-cut. […] If a speech is ostensibly addressed to a god but the speaker does not really intend or hope that the speech will be heard by the god, the spe-ech is self-address in the form of an apostrophe.“

12 Vgl. Stuplich 1998, S. 249.

Die den Fragen nachfolgende Ansprache (vv. 30 – 32) ist an Sextus gerichtet und somit kein Monolog. Lucretia formuliert hier ihren Entschluss, sich Sextus zu fügen und „strenge“ Buße zu tun; der Entschluss oder die mutmaßliche Un-ausweichlichkeit des Schrittes zum Selbstmord scheint bereits auf.

Der direkt anschließende Monolog der Magd (KGXII, S. 8 vv. 1 – 4) dient dazu den Beischlaf nicht darstellen zu müssen, d. h. der Überbrückung:

Erst mich ewigklich rewen muß, Das ich die untrew an ir thet, Seit sie an ehren ist so stät.

Ich scheid dahin mit rew und klag.

In affektiver Darstellung macht sich die Magd Vorwürfe wegen ihres untreuen Verhaltens gegenüber ihrer Herrin. Der Monolog hilft einerseits die Darstellung der Vergewaltigung zu vermeiden, andererseits dient er dem Zeitsprung zum nächsten Morgen. Mit Verweis auf diesen tritt der Knecht im Anschluss an die Worte der Magd auf, worin eine Zeitraffung liegt.

Eine Kombination aus Apostrophe und Überbrückung liefert der dritte Mono-log (KGXII, S. 8 vv. 18 – 21), den Lucretia spricht:

O wie hat mich verlassen Got!

O Vesta, wie hast mich verlan, 20 Das ich war Venus unterthan?

Nun verdreust mich auff erd zu lebn.

Ist die überbrückende Funktion für diesen Monolog auch zentral, zeigt sich doch, wie Sachs die Andeutung der Vorlage, in der der Erzähler die klagende Lucretia beschreibt,13 in monologische Figurenrede überträgt. Ihre Hauptfunk-tion besteht darin, die Zeit bis zur Ankunft des Vaters auszufüllen. Als Teil der Gesamtkonzeption wird Lucretia auch mithilfe dieses Monologs durchweg po-sitiv dargestellt, um im Gegenzug die Herrscherfigur noch negativer erscheinen zu lassen. Mit diesem Negativbild kann Sachs zugleich im Epilog indirekt seine Vorstellung eines idealen Herrschers präsentieren.14

13 Schöfferlin 1523, XIX: „Da das geschahe vnd Sextus von ir schied tryb sie solichen iamer vn klag / das es über die maß was“.

14 Vgl. Holzberg 1992, S. 544 ff.

Sein drittes15 Schauspiel Virginia geht auf dieselbe Quelle wie Lucretia zurück.

Mit 601 Versen ist die Tragedi beinahe doppelt so lang wie sein Erstlingswerk, weist aber ebenfalls keine Aktgrenzen auf. Im Gegensatz zur Lucretia finden sich ausführliche Regieanweisungen, die Auf- und Abtritte, Dialogpartner, Ges-ten und Gefühle benennen sowie einen Monolog ausdrücklich mit den WorGes-ten

„spricht Apius zu im selb“ kennzeichnen.

Insgesamt integriert Sachs zwei Monologe (KG II, S. 4 vv. 7 – 16 und S. 5 vv. 9 – 16) in das Stück, die keine Entsprechung in der Vorlage haben. Beide wei-sen eine ähnliche Struktur wie die in der Lucretia auf. Durch die Apostrophe an einen Gott haben sie einen dialogischen Charakter mit Affektdarstellung (Kla-ge). Das zeigt sich etwa in dem der Überbrückung dienendem zweiten Monolog (KGII, S. 5 vv. 9 – 16):

O Venus, du hohe göttin,

10 Wend dieser jungkfraw mut und sin Genedigklich zu meinem willen, Mein hart verwundtes hertz zu stillen!

Ach Cupido, zünd an ir gmüt, Das es in gleichen flamen wüt 15 Und sich in liebe gen mir neyg!

O glück, dein angsicht mir erzeyg!

Für die ersten drei Schauspiele lässt sich damit festhalten, dass Sachs ein Grund-verständnis von Monologtechnik hatte, das handlungsbezogen auf Affektdar-stellung zielt und in Gestalt der Apostrophe stark dialogisch ist. Strukturell-glie-dernd ist die überbrückende Funktion vorherrschend, so dass Sachs Auf- und Abtritte mit Zeitsprüngen im Handlungsgang inszenieren kann.

15 1530 dichtete Sachs sein zweites Drama, die Comedia, darin die göttin Pallas die tugend und die göttin Venus die wollust verficht, die keine Monologe aufweist. Sie beruht auf der Komödie des Chelidonius Voluptatis cum virtute disceptio, gedruckt 1515 in Wien.

Thon 1889, S. 19, sieht im Erscheinen der Comedi Pallas den Anfangspunkt für die erste geschlossene Periode in der dramatischen Tätigkeit Sachs’, die er ausdrücklich als hu-manistische bezeichnet: „Was auf diesem Gebiet vorhergeht, das kampfgesprech von der lieb vom Mai 1515 (K. III. 406), das damit im Wesentlichen identische ‚Fastnachtspiel von der Eygenschaft der Lieb‘ (vom 8. Jan. 1518 G. F. Nr. 1) das an Pamphilus Gengenbachs

‚Gouchmat‘ erinnernde Fastnachtspiel ‚das Hoffgesindt Veneris‘ (vom 21. Febr. 1517 G. F.

Nr. 2), sowie die Tragedi von der Lucretia (vom 1. Jan. 1527 K. XII, Nr. 1) sind nur spora-dische Vorläufer. Und zwar ist es die etwa 5 Jahre umfassende recht eigentlich humanis-tische Periode unseres Dramatikers, die mit der Comedi beginnt.“

Wenn Stuplich zusammenfassend für die Lucretia feststellt, dass sie „noch Schwachstellen“ aufweist, „die durchdachte Konzeption […] allerdings für einen Dramatiker mit einem ausgeprägten Strukturbewußtsein“16 spricht, ist mit Blick auf die Typologie festzuhalten, dass die Fülle von verschiedenen Monologtech-niken, die sich im Fastnachtspiel ab 1550 zeigen, hier noch nicht anzutreffen ist. Für die Monologe der Fastnachtspiele gilt einschränkend, dass sich auf der handlungsbezogenen Ebene keine klagenden Apostrophen, wie sie Sachs in der Lucretia und Virginia einfügt, finden lassen. Hier reduziert sich die Ansprache

„Ach Gott“ auf eine einleitende Formel und es kann nicht mehr, wie etwa im Monolog des Apius, von einer dialogischen Tendenz gesprochen werden.

Wie das zweite Drama von Sachs zeigt, das ohne Monologe auskommt, wa-ren diese in seiner ersten Schaffensphase noch kein fester Bestandteil seines

‚Strukturbewusstseins‘.