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Monologanalyse in G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn im Vergleich zur Kuplerin mit dem Thumbherrn im Vergleich zur

vorreformatorischen Fastnachtspiel-Vorlage

Das in Handschrift G59 anonym überlieferte vorreformatorische Fastnachtspiel K 37 Ein spil von eim Thumherrn und einer Kuplerin, das vor 1494 entstanden sein muss und, obwohl in Nürnberg geschrieben, weder von Hans Rosenplüt60 noch von Hans Folz61 stammen dürfte, liefert die Vorlage62 für eine Bearbeitung durch Sachs aus dem Jahr 1553. Sachs fügt 10 Monologe ein, anhand derer sich nachzeichnen lässt, wie sie das Handlungsgeschehen der Vorlage verändern und welche Funktionen ihnen hier zukommen.

Das Spiel ist als Handlungsspiel zu klassifizieren, das eine Struktur63 mit nicht-austauschbarer Reihenfolge der Abschnitte aufweist. Darin unterscheidet

58 Vgl. Fernau 1922, S. 40.

59 Handschrift G (HAB, Guelf. 18.12., Aug. 4°) enthält 66 Spiele, die teilweise dem 1426 erst-mals erwähnten Nürnberger Büchsenmacher Hans Rosenplüt und dem 1497 von Worms nach Nürnberg gekommenen Wundarzt und Handwerker Hans Folz zugeordnet werden.

Auf Folz entfallen 12 Spiele, unter ihnen sechs, in denen er sich selbst als Dichter nennt.

Für 24 Stücke ist keine Zuordnung möglich, weshalb sie zu den anonym überlieferten zählen. Vgl. Ridder u. a. 2005, S. 244 ff. Zur Überlieferung vgl. auch Habel 1994.

60 Das Verzeichnis der Spiele in der Handschrift M (BSB, Cgm 714) trägt den Titel Vasnacht Spil Schnepers und weist damit auf Rosenplüt hin. „Da die Handschrift zwischen 1455 und 1458, also noch zu Lebzeiten Rosenplüts, in Nürnberg geschrieben wurde, darf man daraus folgern, dass man ihm diese Spiele (es handelt sich um 49) damals zugerechnet hat.“ Ridder u. a. 2009, S. 196. Zudem lassen sich Rosenplüt aufgrund sprachlicher und metrischer Übereinstimmungen mit einiger Sicherheit weitere 21 Spiele zuweisen.

61 Ob dieses Fastnachtspiel aufgrund seiner komplizierten Handlung Folz zuzuschreiben ist, wie etwa Hampe 1900, S. 26, und Catholy 1968, S. 34 ff., meinen, kann hier dahinstehen, da es sich bei ihm unstreitig um ein vorreformatorisches Spiel handelt, worauf es für vor-liegende Untersuchung allein ankommt.

62 Catholy 1968, S. 58, hält es für unwahrscheinlich, dass Sachs das vorreformatorische Fast-nachtspiel zur Vorlage hatte. Stattdessen geht er von der Versnovelle Alten Weibes List als Vorlage für die Bearbeitung von Sachs aus. Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Fast-nachtspielen, von der Botenszene abgesehen, sind jedoch so markant, dass von K 37 als direkter Vorlage auszugehen ist.

63 Catholy 1968, S. 36, weist ebenfalls auf eine „gewisse Geschlossenheit“ innerhalb des Fastnachtspiels hin, die der Dichter über das Mittel des Stichreims erreicht, „so daß das Ende einer solchen durch Stichreime verbundenen kleinen ‚Szene‘ einen deutlichen Ein-schnitt bezeichnet.“

es sich vom Reihenspiel als dem typischen vorreformatorischen Fastnachtspiel und einem Großteil der Handlungsspiele.64 Eine eindeutige Abgrenzung der Di-alogabschnitte ist jedoch nur begrenzt möglich, weil es nur vereinzelt Auf- und Abtritte gibt. Statt von Szenen ist darum von einer Gliederung in Abschnitte auszugehen.

Die fünf Abschnitte haben folgenden Inhalt:

1. Abschnitt: Die Kupplerin erzählt dem Domherrn von einer Frau, die ihn begehrt.

Für ihren Dienst verlangt sie Geld. Der Domherr geht auf das An-gebot ein.

2. Abschnitt: Der Domherr wird zum Bischof bestellt, weil er einen Brief siegeln soll.

3. Abschnitt: Die Kupplerin erzählt einer Frau von einem Verehrer, der die Frau sehen will.

4. Abschnitt: Die Magd erkennt in dem Verehrer den Ehemann der Frau und rät ihr, den Mann zu schelten.

5. Abschnitt: Die Frau beschimpft ihren Mann. Dieser entschuldigt sich und be-schimpft die Kupplerin, die jedoch der Knecht beschützt.

Die Abschnittseinteilungen gehen mit den Abgängen des Domherrn (mit Boten) sowie der Kupplerin und dem Wiederauftritt der Kupplerin (mit Ehemann) ein-her. Obwohl es sich um ein Handlungsspiel mit literarischer Vorlage handelt,65 lassen sich durch den Vergleich mit der Bearbeitung von Sachs vom 27. Oktober 155366 in G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn die funktiona-len Veränderungen nachweisen, die der Monologeinsatz bewirkt. Ist es dem

64 Die Unterteilung in Reihenspiel, Handlungsspiel und Mischformen aus beiden geht auf Catholy 1966, S. 24 – 48 zurück. Er meint, dass sich das Handlungsspiel aus dem Reihen-spiel entwickelt habe, bspw. Catholy 1966, S. 34. Vgl. dazu Simon 2003, S. 320 ff. Wuttke 2006, S. 448, wiederum ist der Ansicht, dass beide Spielformen von Anfang an neben-einander stehen, auch wenn im 15. Jahrhundert das Reihenspiel – das „Revuehaft-Epi-sche“ – häufiger zu finden ist.

65 Es handelt sich um die Versnovelle Frau Metze die Käuflerin des Armen Konrad. Vgl.

Neumann 2005, S. 251, und Goetze 1884, S. Xf. Der Text ist ediert in: Neues Gesamtaben-teuer 1967, S. 70 – 83.

66 Als Jahresangabe am Ende des Spieles ist „Anno Salutis M. D. LXIII., Am 27. Tag Oc-tobris“ (Goetze 1884, S. 83) angegeben. Da es sich in der Ausgabe von Goetze um eine chronologische handelt und die vorausgehenden und nachfolgenden Fastnachtspiele 1553 als Jahresangabe haben, kann davon ausgegangen werden, dass auch das Fastnacht-spiel G 57 1553 geschrieben wurde und es sich bei der Jahresangabe M. D. LXIII um einen Druckfehler handelt. Sachs verarbeitet denselben Stoff am 7. März 1553 im Meisterlied Die alt kuplerin, vgl. Neumann 2005, S. 251 – 264.

Dichter der Vorlage möglich, die Handlung ohne Monologe und mit 165 Versen zu vermitteln, nutzt Sachs 426 Verse und 10 Monologe. Insgesamt besteht mit 108 Versen ein Viertel des Spiels aus Monologen.

G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn:

Sz. Vers Rede und

strukturell-gliedernde Funktionen

handlungsbezogene Funktionen

Figur Zeit und Ort

1 1 – 32 Auftritt-Abgangs-Monolog Selbstcharakteri-sierung, Enthüllung, Affektdarstel-lung (Klage)

Analepse

2 33 – 50 Auftrittsmonolog Enthüllung, Selbstcharakteri-sierung, Reflexion

Ortswechsel

51 – 60 Auftrittsmonolog (Zutritt) Reflexion, Ent-schluss, Enthüllung

Teichoskopie

61 – 120 Dialog

121 – 128 Abgangsmonolog Reflexion,

Enthüllung Zeitüberbrü-ckung

3 129 – 136 Auftritt-Abgangs-Monolog Reflexion, Ent-schluss, Enthüllung

Analepse, Prolepse, Ortswechsel

4 137 – 152 Dialog

153 – 163 Auftrittsmonolog (Zutritt) Fremdcharakte-risierung, Reflexion, Ent-schluss 164 – 212 Dialog

5 213 – 218 Auftrittsmonolog Reflexion,

Ent-hüllung Zeitsprung, Ortswechsel, Teichoskopie 219 – 240 Dialog

241 – 248 Abgangsmonolog Reflexion, Ent-schluss, Enthüllung, Affektdar-stellung

6 249 – 258 Auftrittsmonolog Enthüllung, Be-richt, Selbstcha-rakterisierung

Analepse, Ortswechsel 259 – 264 Auftrittsmonolog (Zutritt)

Fremdcharak-terisierung, Reflexion, Ent-schluss

Teichoskopie

265 – 286 Dialog

7 287 – 426 Dialoge

Die Handlung teilt Sachs auf sieben Szenen auf:

1. Szene: Eine ältere arme Frau beschließt, ihr Geld mit Kupplerei zu verdienen.

Sie will sich dafür im Dom umschauen.

2. Szene: Sie entdeckt einen umherlaufenden Domherrn, spricht ihn an und erzählt, dass ihn eine junge Frau begehre. Für den Verkupplungsdienst bekommt sie von dem Domherrn Geld.

3. Szene: Die Kupplerin will sich auf dem Markt nach einer Frau umschauen.

4. Szene: Auf dem Markt sieht sie eine Frau, die gerade mit ihrer Magd einkauft.

Die Kupplerin erzählt ihr von einem adligen Verehrer. Die Frau ist unsicher, woraufhin die Magd sie überredet, sich mit dem geheimen Verehrer zu treffen.

5. Szene: Die Kupplerin will den Domherrn abholen, der jedoch nicht mitgehen kann, weil ihn der Bischof zu sich hat rufen lassen. Die Kupplerin muss einen anderen Mann suchen.

6. Szene: Währenddessen hat sich der Ehemann der Frau auf die Suche nach ihr gemacht und ist auf dem Weg zum Markt. Da begegnet er der Kupp-lerin, die ihm erzählt, dass eine adelige Frau ihn begehrt. Er geht mit ihr mit.

7. Szene: Die Magd und die Frau sehen die Kupplerin mit dem Ehemann kom-men. Die Magd rät der Frau, nicht zu fliehen, sondern den Mann eines Betruges zu beschuldigen. Das tut sie, woraufhin sich der Mann ent-schuldigt. Die Frau fragt die Magd, woher sie wusste, dass dies funk-tioniere. Darauf antwortet die Magd, dass sie zwei Jahre einer adligen Frau gedient habe und die Tricks kenne. Die Frau beschließt das Spiel, indem sie bekundet, in Zukunft keiner Kupplerin mehr zu trauen.

Eine Kette aus drei Monologen bildet den Einstieg in das Fastnachtspiel. Den ersten (vv. 1 – 32) spricht die Kupplerin. Strukturell-gliedernd liegt hier ein Auf-tritt-Abgangs-Monolog vor, genauer: ein Expositionsmonolog, weil vv. 1 – 20 als externe Analepse die Lebenshintergründe der Kupplerin wiedergibt. Es handelt sich demzufolge auf der Figurenebene um eine Selbstcharakterisierung, die den gesamten Monolog durchzieht:

Ach, was sol ich nun fahen an?

Mein Geltlich ich verzehret han Mit schwerer Kranckheit lange Jar, Welches Gelt ich einsammlen war 5 Mit Bulerey in meiner Jugendt,

Da mir denn hauffenweiß zu trugent Edel, vnedel, Layen vnd Pfaffen.

Nun bin ich heßlich, vngeschaffen, Zum buln mein niemand mehr begert, 10 Bin ich auch verachtet vnd vnwert

Vnd thu mich doch deß Betels schemen, Daß ich solt das Almusen nemen, Mag auch nit spinnen an eim Rocken, Mag auch bey keinem Krancken knocken,

15 Auch nit den Kindern zopffn vnd lausen.

Sol ich mich den nehren mit mausen, So hab ich sorg der meinen Ohrn;

Mir ist die Statt vor versagt worn Von wegen meiner boͤsen stuͤck;

20 Ich denck gleich hinter mich zu ruͤck.

Vv. 21 – 32 vermittelt als zukunftsungewisse Prolepse die Absicht, Geld mittels Kupplerei zu verdienen:

Wil mich nun gleich mit Kuppeln nehrn, Dieselben kunst darff ich nicht lehrn, Bin gschwind durch mein arglistig renck, Darmit verdien ich danck vnd schenck, 25 Dieweyl gantz abwegs steht mein Hauß,

Ist recht gut darzu vberauß,

Daß ich drinn zsamm kuppel ein paar, Daß sein sonst niemand wird gewar.

Was steh ich, ich wil nein in Thumb, 30 Nach eim Thumbherren sehen vmb,

Mein handel kecklich fahen an, Dieweyl ich sonst nichts hab zu than.

Leitet Sachs hier den Monolog zu Beginn des Fastnachtspiels im Nebentext mit der Regieanweisung „redet mit jhr selb“ ein, kam die Exposition im vor-reformatorischen Fastnachtspiel noch dem Precursor zu, wie sich unschwer der Vorlage (vv. 4 – 12) entnehmen lässt:

Got gruß den wirt in hohen eren 5 Und was im got ie tet bescheren

Und alles, das das sein antrifft!

Hie kumpt von Banberg auß dem stift Unsers herrn bischofs sigler her.

Herr wirt, der leßt euch piten ser, 10 Das er bei euch hie sigeln het,

Der wird sich fugen wol herein, Des wolt mein herr euch danken sein.

In gleicher Weise wie der Precursor bzw. Einschreier von der Publikumsreali-tät – in diesem Fall das Wirtshaus als Aufführungsort – in das Spiel überleitet,

leitet der Ausschreier am Ende des Spiels wieder in diese zurück.67 In der Vorlage übernimmt diese Funktion bereits eine spielinterne Figur, der Knecht, der auch explizit die Funktion des Ausschreiers im Nebentext ausfüllt: „Tumherrn Knecht ist Auszschreier“ (S. 282 v. 3). Er gibt das uneindeutige Ende dem Publikum zur Diskussion frei, indem er den Wirt auffordert mitzureden, in die Wirtshaus-atmosphäre übergeht und zum Tanz bittet (S. 281 v. 31 – S. 282 v. 9):

Hor, freunt, schlag nit die alten huren, Laß dich kein kupplerin anfuren!

Herr wirt, redt auch zu den sachen!

Pauker, du solt ein tanz uns machen, Damit ein end und pald darvon, Wann wir noch weit haben zu gan.

Tumherrn Knecht ist Auszschreier:

Herr wirt, nu gebt uns euren segen, 5 Nit von essens noch trinkens wegen,

Als man zu gastung laden tut.

Neur das wir euch ein guten mut Mochten machen, was unser sind hir in.

Got gesegen euch all! Wir faren von hin.

Die Ansprachen des Wirts zu Beginn und Ende und die Aufforderung zum Tanz verdeutlichen die für das vorreformatorische Fastnachtspiel typischen Grenz-überschreitungen zwischen Schauspielern und Rezipienten.68 Grundlage hierfür ist die Verortung im Aufführungsrahmen, wenngleich die Fixierung in Lese-handschriften erfolgt.

Die Einheit von Publikum, Bühne und Darstellern ist dem Fastnachtspiel des Spät-mittelalters selbstverständlich. Die Aufführung vollzieht sich in engstem Kontakt zu den Zuschauern. Die Spieler sprechen die Zuschauer an, gehen (vermutlich) unter sie, werben um Wohlwollen (und indirekt wohl auch um Entlohnung), fordern am Schluss der Stücke zu Musik und Tanz auf.69

67 Vgl. zur Verwischung der Grenzen zwischen Zuschauern und Spieler im vorreformatori-schen Fastnachtspiel Barton 2009, S. 171 f.

68 Der im 15. Jahrhundert nicht vorhandene feste Bühnenort und die damit erforderliche Einkehr der Schauspieler in Wirtshäuser mag die Grenzverschiebung zum Publikum ebenso verstärkt haben wie die Verwendung lebensweltlich und sozial bedeutsamer The-men, die eine Interaktion zwischen beiden besonders gut ermöglichen. Vgl. Ridder u. a.

2009, S. 206. Zur Terminologie ‚Einkehrspiel‘ vgl. Simon 2003, S. 320 – 326.

69 Ridder u. a. 2009, S. 206.

Nach Pfisters Terminologie handelt es sich um Grenzüberschreitungen zwi-schen dem inneren und äußeren Kommunikationssystem, die dem Precursor oder im Fall des Fastnachtspiels K 37 der Spielfigur des Knechtes die Rolle eines vermittelnden Kommunikationsteilnehmers zukommen lassen.70

In den frühen Fastnachtspielen bis 1549 und vereinzelt auch noch danach wählt Sachs eine schon in K 37 teilweise gebrauchte Zwischenform der Ein-schreier- und AusEin-schreier-Rede, bei der spielinterne Figuren diese Reden über-nehmen. Mit der Einleitungsformel ‚redt mit jhr / jhm selb‘, die erstmals 1544 im Nebentext des Fastnachtspiels G 16 ausgewiesen ist, wenn auch nicht zu Beginn, unterstreicht Sachs den Monologcharakter gegenüber der Begrüßung des Publikums, die zu erwarten wäre.71

Die analeptische Konstruktion und gleichzeitige Selbstcharakterisierung des Expositionsmonologes begründet das Verhalten der Kupplerin, indem er Le-benshintergründe benennt.72 Die Enthüllung, Geld mit Kupplerei zu verdienen, vermittelt den Rezipienten unmissverständlich das Wissen über die leitenden Figurenabsichten und führt ihnen vor Augen, dass es sich bei der auftretenden Figur um eine Kupplerin handelt. Die Affektdarstellung in den einleitenden Worten „ach, was soll ich nun fahen an?“ (v. 1) verdeutlicht ihre verzweiflungs-nahe Suche nach einem Lebensunterhalt. Ihrer Selbstcharakterisierung nach möchte sie ihn nicht mit Spinnen oder Krankenpflege verdienen und empfindet Scham bei der Vorstellung, betteln zu müssen. Als in der Stadt „verachtet und unwert“ (v. 10) angesehen, entsinnt sie sich ihrer Kunstfertigkeit in der „arg-listig renck“ (v. 23). So erscheint ihr gefasster Plan plausibel, durch Kupplerei

„danck und schenck“ (v. 24) zu verdienen, zumal ihr abgelegenes Haus für eine verschwiegene Abwicklung des Kupplergeschäfts gute Voraussetzungen bietet.

70 Gerade die Überschreitung der Grenzen, die nach Krohn 1974, S. 147, dem Publikum

„eine Rolle in dieser (Ver-) Handlung“ zuweist, lässt in den 70er und 80er Jahren sub-versive Interpretationsansätze der Fastnachtspiele etwa bei Bastian 1983 aufblühen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der subversiven Theorie von Michail Bachtin und der affirmativen von Dietz-Rüder Moser bietet Mertens 2008. Zusammengefasst heißt es dort, S. 59: „Ich will Rosenplüt, den anonymen Autor, oder Folz nun nicht zum Propa-gandaminister der Stadtregierung machen, wohl aber festhalten, daß von Subversion keine Rede sein kann. Das Gegenteil ist der Fall. Das Fastnachtspiel handelt ständeüber-greifende Probleme ab im Sinn einer Bestätigung der bestehenden politisch-sozialen und der Geschlechterordnung. Die Szene ist ein Spiegel, der dem Publikum sein eigenes Bild zeigt im Sinn eines Weglachens möglicher Selbstzweifel. Die karnevaleske Gegenkultur ist ein sozialromantisches Konstrukt, ebenso wie die religiös-katechetisch-karthartische Wirkung ein pastoral-adventistisches.“

71 Zum Zusammenhang zwischen wegfallender Begrüßung des Publikums und der sich ab ca. 1550 etablierenden und das Wirtshaus als Spielstätte ablösenden festen Bühne vgl.

Teil D.

72 Vgl. Catholy 1968, S. 52 ff.

Das Motiv, durch Kupplerei Geld verdienen zu wollen, ist das handlungsauslö-sende Moment.73

Der wesentlich informierende Monolog findet sein Ende im sprachlich ver-mittelten aktiven Übergang, der den Ort74 der Handlung mitteilt: „Was steh ich, ich wil nein in Thumb“ (v. 29). In der Vorlage findet sich für die Fülle an Infor-mationen, die der Expositionsmonolog vermittelt, keine Entsprechung. Auch die Figurenidentität zeigt sich im Haupttext der Vorlage allein dadurch, dass die auftretende Figur von einer den Domherren begehrenden Frau wissen will und dem Domherren dieses Wissen in einer Weise anträgt, das als typisch für das Verhalten einer Kupplerin angesehen worden sein dürfte. Darüber hinaus sind Figur und handlungsauslösende Situation nicht entwickelt; sie erscheinen primär im Nebentext, durch den Titel des Spiels und Rollennamen („Kupplerin dicit“).

Sachs hingegen entwirft Elemente einer Biographie für die Figur, die von „Bu-lerey in meiner Jugend“ (v. 5) über „kranckheit lange Jar“ (v. 3) bis zur Gegen-wart reicht, in der „mein Geltlich ich verzehret han“ (v. 2). Der Monolog, der die Selbstsicht der Figur als Introspektion präsentiert, ist für diese Informationen das geeignete Mittel. Sachs schickt damit der eigentlichen Handlung eine aus-gearbeitete Situation voraus, die in plausibler Weise das Handeln motiviert.75

Diese Funktionen des Monologs sind jedoch nicht nur auf den Expositions-monolog beschränkt, sie gelten auch für den der nachfolgend auftretenden Figur (vv. 33 – 50):

Ich wil da meine Horas beten Vnd allmitt hin vnd wider tretten 35 Vnd wil als bald im Thumb vmbschawen

Nach den zarten vnd schoͤnen Frawen, Ob ich der eine vberkoͤmb,

Die mich zu eim Bulen annoͤmb.

Da wolt kein vnkost ich an sparn.

40 Als denn so wolt ich lassen fahrn Daheimen mein alte Schaf schelln, Die nichts kann denn gronen vnd pelln, Wil schir mein gantzen Hof regieren:

73 Vgl. Geiger 1904, S. 18.

74 Vgl. Neumann 2005, S. 252 f., zu der konkreten Ortsbenennung Würzburg bzw. „Vranken-landt“ im Meisterlied und der Versnovelle Frau Metze und die Bezugnahmen von Sachs im Namensregister des Fastnachtspiels „Burckhardus, Thumbherr zu W.“.

75 Vgl. Geiger 1904, S. 46, und Catholy 1968, S. 52. Zur Betonung der materiellen Aspekte in Frau Metze vgl. Neumann 2005, S. 254 – 261.

Was ich jr kauff vnd thu hofieren, 45 Wil sie mir gar zu Herrisch sein,

Wuͤrd mich endtlichen gar thun ein.

Darumb muß ich sie nach gepuͤr Fuͤr den Ars schlagen mit der Thuͤr, Ein blasn anheckn, wie man thut sagen, 50 Vnd darmit auß zum Teuffel jagen.

Als Auftrittsmonolog übernimmt er die strukturell-gliedernde Funktion, den Beginn der zweiten Szene zu signalisieren. Die Rezipienten erfahren durch die ersten Verse, in denen der Monologisierende die „Horas beten“ (v. 33) und sich im „Thumb“ (v. 35) umschauen will, dass es sich um einen Domherrn handelt.

Gleichzeitig verdeutlicht der Monolog die dramaturgisch relevante Information, dass ein Ortswechsel zum Dom hin stattgefunden hat. Diesen Ortswechsel hat die Kupplerin in ihrem Monolog bereits angekündigt. Selbstcharakterisierend enthüllt der Domherr seine Bereitschaft, sich eine Geliebte zu nehmen. In der Vorlage vermittelt der Precursor die Rollenidentität der Figur. Er kündigt nach der Begrüßung des Wirts den Domherrn aus Bamberg an (vv. 7 – 8):

Hie kumpt von Banberg auß dem stift Unsers herrn bischofs sigler her

Weitere Erläuterungen zum Agieren des Domherrn finden sich nicht. Vielmehr antwortet er auf die Eröffnung der Kupplerin ohne Umschweife, dass sie die Frau bringen solle, er würde es der Kupplerin lohnen, bitte sich aber Verschwie-genheit aus.

Sachs dagegen entwickelt wie schon im Fall der Kupplerin ein motivationales Konstrukt für das Handeln der Figur. Im Unterschied zur Vorlage hegt der Dom-herr erstens selbst und eigenständig die Absicht, nach einer Geliebten Ausschau zu halten. Zweitens liefert er in der Rede mit sich selbst eine Begründung für diese Absicht. Diese Enthüllung hat als Kernaussage, dass der Domherr seiner misslaunigen und herrischen Geliebten überdrüssig ist. Obwohl es sich um ei-nen Domherrn mit seiner Geliebten handelt, könnte Sachs hier auf das stereo-type Motiv der Fastnachtspieltradition, den Machtkampf zwischen Eheleuten in Haus und Hof, zurückgegriffen haben. In der Regel erfolgt für diesen Kon-flikt in der Fastnachtspieltradition eine Affirmation der patriarchalen Ordnung.

Die Zuflucht des Mannes bei einer anderen Frau und der Wunsch, die eigene zum Teufel jagen zu wollen, erscheinen dann als konventionelles Motiv, nach dem das folgende Handeln plausibel wäre. Wenngleich Sachs für den Domherrn keine ähnlich weit ausgearbeitete Selbstcharakterisierung wie für die Kupplerin

entwirft, erfüllt der Monolog insgesamt dennoch dieselben Funktionen und ver-mittelt darüber hinaus funktional den Ortswechsel.

Die Verwendung der beiden Monologe bewirkt, dass im Dialog zwischen den zwei Figuren einander ergänzende Absichten zusammentreffen, die mittels Gleichzeitigkeit von ‚Motiv und Gelegenheit‘ eine kongruente Zielsetzung für das Handeln ergeben und so eine begründete Ausgangssituation präsentieren.

Dem Dialog zwischen Kupplerin und Domherrn vorangestellt ist jedoch noch ein dritter Monolog (vv. 51 – 60). Als Zutrittsmonolog gestaltet, fasst die Kupp-lerin den Entschluss, dem Domherrn von einer schönen Frau zu erzählen, ob-wohl sie diese noch nicht gefunden hat:

Dort ich ein jungen Thumbherrn sich, Den wil geleich ansprechen ich, Der wird mich je ins Maul nit schlagen, Wil jm von einr schoͤn Frawen sagen, 55 Die ich jm zu kupplen verheiß,

Wiewol ich noch selbst keine weiß.

Wiewol ich noch selbst keine weiß.