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Auftritt-Abgangs-Monolog im Judicium Paridis und HesterHester

2 Gattungsverständnis von Hans Sachs

3.4 Auftritt-Abgangs-Monolog im Judicium Paridis und HesterHester

In der zwei Tage später gedichteten Comedi Das judicium Paridis54, die Jacob Lochers Spectaculum de iudicio Paridis, de pomo aureo, de tribus deabus, et prilici hominum vita55 zur Vorlage hat,56 finden sich drei Monologe. Davon hat Sachs zwei selbstständig eingefügt, die hier jedoch nicht weiter zu analysieren sind.57 Einen dieser drei Monologe konnte Sachs ansatzweise seiner Vorlage entneh-men.

Neu ist in dieser Comedi der Auftritt-Abgangs-Monolog, der eine eigene Szene bildet. Sachs fügt diesen Monolog zu Beginn des zweiten Aktes zur Vermittlung des handlungsauslösenden Momentes ein (KGVII, S. 47 vv. 14 – 19):

Weil alle götter sind alda 15 Und ich göttin Discordia

Von in verschmecht bin worden gar, So würff ich in den apffel dar.

Der ist mit künsten zugericht, Das sie beleiben eynig nicht.

54 Einen ausführlichen Vergleich zwischen der Bearbeitung von Sachs und dem Original von Locher bietet Stuplich 1998, S. 64 – 69.

55 Eine neue Edition nach dem Augsburger Druck findet sich bei Dietl 2005, S. 464 – 491.

56 Da Sachs im Prolog von „Homerus und Virgilius, / Ovidius, Lucianus, / Auch andere mehr“ (KG VII, S. 41 vv. 18 – 20) spricht, kann seine Hauptvorlage nicht eindeutig benannt werden. Es ist jedoch mit Stuplich davon auszugehen, dass Sachs Lochers Spectaculum zur Vorlage nahm, weil er sich in dieser Zeit offensichtlich mit neulateinischen Dramen beschäftigte und es für ihn charakteristisch ist, im Prolog zwar antike Quellen zu nennen, die eigentliche Vorlage jedoch nicht.

57 Der erste Monolog dient wieder der Überbrückung (KG VII, S. 43 vv. 2 – 8), der zweite (KG VII, S. 59 vv. 4 – 27) dürfte eine Umsetzung der von Reuchlin adaptierten Form des Auf-trittsmonologs sein. Der Überbrückungsmonolog steht im ersten Akt, der in Reihenform die aktuellen Missstände anprangert. Im selben Jahr, in dem das Judicium Paridis er-scheint, schreibt Sachs zur Fastnacht am 1. Februar 1532 die Komödie Stulticia mit irem hofgesind auf der Grundlage des von Erasmus von Rotterdam stammenden und von Se-bastian Franck übersetzten Moriae Encomium. Ähnlich dem ersten Akt des Judicium Paridis und dem Caron gestaltet Sachs das gesamte Schauspiel als Reihenspiel. Wählte er beim Caron eine antike narrative Vorlage, ist es in diesem Fall eine zeitgenössische, die aber dieselbe monologfreie einaktige Reihenstruktur aufweist. Ob es der Aufführungszeit geschuldet ist, dass Sachs sich der Fastnachtspielform zuwendet, bleibt unklar. Hierzu Stuplich 1998, S. 100: „Die Reihenspiele sind indes nicht als das Produkt eines noch un-erfahrenen Bühnenautors anzusehen. Im Gegenteil, das Strukturmodell der Stulticia wur-de von Sachs als so ausgereift angesehen, daß er die späten Reihenspiele daran angelehnt konzipiert.“

In diesem aktionalen Monolog wirft Discordia einen Apfel in die Runde, der von ihr zuvor die Eigenschaft bekommen hat, Streit zu verursachen (vv. 17 – 19). Weil sie keine Einladung zur Götterfeier erhalten hat, will sie jetzt Zwietracht säen.

Gleiches findet sich in der Vorlage, wenngleich Locher eine dialogische Rede einsetzt, Discordia Jupiter direkt anspricht und Merkur sie vertreibt.58

In Sachs’ Bearbeitung des Dramas ist der Monolog in Form einer eigenen Szene zum ersten Mal nachzuweisen. Er erweitert möglicherweise die Technik des Auftritts-Monologs, der in die Szene einführt und die Figuren charakteri-siert. Erkennbar ist, dass Sachs das handlungsauslösende Moment, den Wurf des Apfels in die Götterrunde, mit der Rede von Discordia zusätzlich akzentuiert und begründet. Indem Discordia allein auf der Bühne ist, erhält ihre Rede mehr Gewicht und ist „für den Zuschauer deutlich als selbständige Handlungseinheit erkennbar“.59

Der Stoff vom Paris-Urteil war in Mittelalter und Früher Neuzeit so weit verbreitet,60 dass er sogar in einem Fastnachtspiel aus dem 15. Jahrhundert be-arbeitet wurde. Darin ist kein Monolog zu finden, auch nicht an der Stelle, an der Discordia den Apfel in die Runde wirft. Stattdessen hat das Spiel einen aus-führlichen Nebentext:

do ward ein apfel auf den tysch gepracht, dor auf geschriben stund: der apfel schol sunst nymant sein, denn der aller wirdigsten allen. darnach grayffen die drey gottin vnd zerkrigten sich, vnd ir yde wolt in haben.61

58 Iudicium Paridis 2005, S. 470 vv. 34 – 47:

Sic sine me lepido celebras convivia ludo Iupiter. et celi numina cucta vocas.

Sic sine me choreas agis ad spectacular molles.

Preponisque tuas undique filiolas.

Uxor adest iuno. cuius plerumque sequuta Iussa. quibus voluit sepe nocere tibi.

Nil ego commerui. quod me secluserit uxor Pronuba. vel peleus atque superb thetis (c4v) Sed ne liticie vestre sit gratia perpes.

Et sit letus hymen. et solidatus amor.

Proiicio pomum. moveat quod iurgia dura Tu censor scripti iupiter esto mei Tres adsunt dive. Quarum Formosa videri Quelibet efflictim. Solaque pulchra cupit.

MERCURIUS DISCORDIAM TAXAT.

59 Stuplich 1998, S. 163.

60 Vgl. Dietl 2005, S. 244.

61 Schnorr von Carolsfeld 1874, S. 6. Das Fastnachtspiel ist nicht in der Ausgabe von Keller verzeichnet. Es wurde 1874 mit drei weiteren bis dato ungedruckten Fastnachtspielen im Archiv für Litteraturgeschichte veröffentlicht.

Im Sinne der untersuchungsleitenden These, verdeutlicht die Nebentext-Pas-sage, dass Sachs trotz der Abweichungen näher am neulateinischen Drama als am Fastnachtspiel ist. Anders als die volkssprachliche Bearbeitung lehnt er sich stark an die Rede der Discordia aus dem neulateischen Drama an, die es im Fast-nachtspiel schlicht nicht gibt.

Im Verlauf des Schauspiels bleibt Sachs auch der Szeneneinteilung der neu-lateinischen Vorlage weitestgehend treu. Im Gegensatz zum Henno fällt die geringe Szenenstrukturierung auf, deren deutlichste Kontur im vorgestellten Auftritt-Abgangs-Monolog zutage tritt. In der Vorlage konnte Sachs keine Sze-nengrenzen finden, denn Locher strukturiert sein Stück nur mittels Akten und Interludien.

Wenn Sachs in der Henno-Bearbeitung derart nah an der Vorlage bleibt, dass man beinahe von einer Übersetzung sprechen kann, gilt für diese gleichwohl, wie Stuplich richtig meint, dass er sich „nicht an seine Vorlage bindet, sondern die Handlung nach eigenen Vorstellungen umstrukturiert und mit eigenen tech-nischen Mitteln spielbar zu machen sucht“.62 Begründet Stuplich dies mit Sachs’

eigenständiger Dramentechnik, so ist dem mit Blick auf den Monolog, so wie Sachs ihn ab 1550 einsetzte, einschränkend hinzuzufügen, dass er das breite Spektrum der Monologformen und -funktionen nur ansatzweise in dieses Dra-ma integriert und sich die Mehrheit der Monologfunktionen nicht nachweisen lässt.

Als in der Einleitung des Abschnitts B von einer Entwicklung der poetologischen Kompetenz gesprochen wurde, lag die Vermutung nahe, dass es sich um einen kontinuierlichen Prozess handelt. Die Analyse des Judicium Paridis zeigt nach-drücklich, dass sich Sachs nur eng an Vorlagen anlehnt, wenn sie eine antike Dramenform hatten. Dafür spricht insbesondere die Bearbeitung des Henno und des Hecastus von 1549. Sachs greift sich punktuell Vorlagen heraus, aus denen er das Formenrepertoire entlehnt, bearbeitet andere Vorlagen hingegen selbst-ständig, ohne aber stets auf die bereits bekannten Techniken zurückzugreifen.

Dem entgegenzuhalten ist die Zweifachbearbeitung der Hester. Hier zeigt sich, wie Sachs einerseits auf das adaptierte Formenrepertoire zurückgreift und andererseits zugleich aufgrund seiner poetologischen Kompetenz in der zwei-ten Bearbeitung dieses weiter entwickelt. Die Hester ist das letzte Drama vor seiner neunjährigen dramatischen Schaffenspause von 1536 – 1545. Der ersten Bearbeitung von 1536 folgt 1559 eine zweite.

Beide Monologe der Hester-Fassung von 1536 (KG I, S. 120 vv. 19 – 24 und S. 123 vv. 17 – 26) finden sich auch in der Fassung von 1559 wieder, dort

aller-62 Stuplich 1998, S. 69.

dings neben acht weiteren, mit komplexerem Aufbau und ohne simultane Prä-sentation (KGXV, S. 107 vv. 25 – S. 108 v. 9 und S. 113 vv. 3 – 22). Die Entwicklung zwischen erster und zweiter Bearbeitung zeigt der Monolog von Hammon:

1536 1559

Der küng hat mich erhöcht in ehren, Ich wil ein weyl da gehn spatzieren, Die küngin thut mein wird auch mehren, In deß königes hof refieren, Das ich allein soll mit ir essen. Und so sichs füglich zu wird tragen, Noch ist mein hertz mit leyd besessen, So wil ich beim könig verklagen Weyl ich den Juden vor mir sie, Den jüden, der mir auß hochmut Der vor mir nit beugt seine knie. Kein ehr noch reverentz an-thut, Der küng thut mir in geren schencken, Veracht auch deß königs gebot, Das ich in an ein baumb laß hencken Dem sonst als hofgsind volg ist than.

In mein hauß fünfftzig klaffter hoch, Wenn ich dem köng das zeige an, Welcher ist zu-bereytet doch. Wil ich thum ein gewaltig bitt,

Hoff, er wird mirs abschlagen nit, Sonder den alten jüden schencken, Auff daß ich in alß bald laß hencken An galgen, den ich auffrichtet doch In meinem hauß füntzg klaffter hoch;

Nach dem ich gentzlich auff und ab Forthin mehr kein anfechtung hab, Sonder geht alls gelücklich hin Nach meines hertzen mut und sin.

Während 1536 der Monolog simultan präsentiert wird, ist 1559 Hammon allein auf der Bühne und beschreibt den Ort, an dem er sich befindet. Der König liefert Hammon Mardocheus aus, den er sodann hängen lassen will. 1559 erläu-tert Hammon indes seinen Plan, den er mit einer Auflistung der Vergehen von Mardocheus begründet und der ihn zu seiner Anklage bewegt. Sachs legt damit in seiner späteren Fassung Wert auf die sukzessive Präsentation und räumt dem handlungsbezogenen Wissen um den neuen Ort und der Ausgestaltung von Kausalität eine hohe Bedeutung ein. Stuplich stellt hierzu fest, dass Sachs nicht alle simultanen Passagen der frühen Fassung in sukzessive umwandelt.63 Ihrer Schlussfolgerung, dass die Ausführlichkeit der späteren Fassung „nicht auf dem Versuch, das Gerüst besser verständlich zu machen“, beruhe, „da schon das simultane Spiel den Konflikt zwar knapp, aber gleichwohl konsequent“

63 Vgl. Stuplich 1998, S. 280 ff.

darstelle,64 ist nicht ohne weiteres zuzustimmen, denn die Entwicklung von Handlungskausalität dient neben der dramaturgischen Verfeinerung auch dem Verständnis der Rezipienten.

Für die Untersuchung der Dramen ab 1545, die hauptsächlich das Dekameron zur Vorlage haben, ist über die Monologfunktionen hinaus der Frage nach der poetologischen Aneignung zur Vermittlung von Handlungskausalität nach-zugehen.

3.5 Zwischenfazit

In der Untersuchung der Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527 – 1536 fällt die Bearbeitung von Reuchlins Henno ins Auge. Die Vorlage gilt aufgrund der Konvergenz von antiker Dramenform und volkssprachlicher Literaturtradition als Ausnahme unter den variantenreichen Dramen der Frühen Neuzeit. Die Be-arbeitung von Sachs gleicht einer Übersetzung.

Drei Monologformen lassen sich nicht auf eine Vorlage zurückführen: struk-turell-gliedernd handelt es sich um den Überbrückungsmonolog sowie den Auf-tritt-Abgangs-Monolog und handlungsbezogen um die Affektdarstellung. Erst nach der Henno-Bearbeitung gestaltet Sachs den Monolog als eigene Szene, weshalb der in die Szene einführende Monolog eine Voraussetzung für den Auftritt-Abgangs-Monolog ist.

Zwar finden sich in der Pluto-Bearbeitung erstmals komplexere Monologe, die nicht nur der Überbrückung oder Affektdarstellung dienen, etwa ein beiseite gesprochener Expositionsmonolog, aber erst mit dem Henno nimmt der Mono-log jene Form und Strukturierungsfunktion an, die sich ab 1550 auch in den Fastnachtspielen nachweisen lässt. Strukturell-gliedernd verwendet Reuchlin den Monolog weniger zur Überbrückung als vielmehr zur Szenenabgrenzung.

Diese Technik übernimmt Sachs und setzt sie bemerkenswerterweise selbst-ständig in seiner Bearbeitung ein. Dass Sachs den Monolog vorher nicht zur Szenenstrukturierung verwendet, lässt sich damit erklären, dass die Dramen nur in Akte unterteilt und Szenengrenzen, abgesehen vom Pluto und selbst dort nur ein Mal, schwer erkennbar sind.65

Handlungsbezogen sind es die Selbst- und Fremdcharakterisierung, die Sachs für die Einführung einer neuen Figur in das Handlungsgeschehen funktiona-lisiert. Sie erscheinen inhaltlich strukturierter und mit komplexerem Aufbau

64 Stuplich 1998, S. 280.

65 Als Sachs nach dem Henno eine biblische Vorlage bearbeitet, benutzt er zwar keine Mo-nologe, bedient sich aber einer Fünfaktstruktur und setzt Szenengrenzen mittels leerer Bühne.

als im Pluto. Das handlungsauslösende Moment präsentiert Sachs erstmalig in der Henno-Bearbeitung in Form einer Enthüllung und bewirkt damit, dass den Rezipienten ein Informationsvorsprung zukommt, der sie die Betrugshandlung verstehen lässt. Zugleich können komische Momente entstehen.

Insgesamt zeichnen sich die Dramen bis 1536 durch unterschiedlichste For-men aus. Wie variantenreich Sachs in seinen Bearbeitungen vorging, zeigt bei-spielsweise die Reihenspielform mit einem antiken und neulateinischen Inhalt (Caron, Stulticia mit irem hofgesind oder der erste Akt des Judicium Paridis) im Vergleich zur Nachdichtung von Bibelstoffen in antiker Dramenform (Tobie).

Abgesehen von Reuchlins Henno änderte Sachs seine Vorlage meistens ab und zeigte einen durchaus eigenständigen Dichtungsansatz. Zwar ist Stuplich zu-zustimmen, wenn sie meint, „daß sich Sachs nicht an seine Vorlage bindet, son-dern die Handlung nach eigenen Vorstellungen umstrukturiert und mit eigenen technischen Mitteln spielbar zu machen sucht“,66 aber sie übersieht, dass er sehr wohl aus seinen neulateinischen und antiken Vorlagen ein Formenreper-toire adaptierte, ohne das sich eine Dramentechnik, wie sie ab 1550 gegeben ist, schwer erklären lässt.

66 Stuplich 1998, S. 69.