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Das Verständnis von Komödien ging in der Frühen Neuzeit maßgeblich auf Auseinandersetzungen mit Dramen von Terenz zurück, der mit der Wiederent-deckung des Kommentars von Aelius Donatus1 1433 in Italien und spätestens 1456 in Deutschland ins Zentrum des gelehrten Interesses rückte. Als Peter Luder 1456 an der Universität Heidelberg seine Inauguralrede hielt, hob er den didaktischen Wert der Poesie im Allgemeinen und den der Komödien des Terenz im Besonderen hervor.2 Seine ein Jahr später gehaltene Terenz-Vorlesung, in der er gleichfalls den didaktischen Nutzen betont, war so erfolgreich, dass er sie in Erfurt und Leipzig wiederholte.

Luder, wie auch Donat in De Comoedia, stützt seine Argumentation auf Cice-ros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und Charaktere.3 Donat führt aus:

Die Komödie ist eine Geschichte, die verschiedene Darstellungen von Leidenschaften von Bürgern und Privatleuten beinhaltet, aus denen man lernt, was im Leben nützlich und andererseits zu meiden sei. […] Cicero sagt, die Komödie sei eine Nachahmung des Lebens, ein Spiegel des Alltags, ein Abbild der Wahrheit.4

1 Vgl. Herrick 1964, S. 3 ff., zu weiteren Kommentierungen der Dramen von Terenz in der Frühen Neuzeit.

2 Neben dem Wissen um Regularien zur Textherstellung war das selbstständige Dichten im Sinne der imitatio antiker Literatur konstitutiver Bestandteil für das humanistische Selbstverständnis. Das nachahmende aber dennoch als selbstständig geltende Dichten war Ausweis einer neuen Bildungselite zugehörig zu sein. Vgl. Bernstein 2004, S. 115.

Das Vorgehen wurde unter den Humanisten mit dem Bienengleichnis beschrieben: Wie Bienen, die sich die besten Blüten auswählen, um daraus einen qualitativ neuen Stoff, Honig und Wachs, herzustellen, suchen sich die neulateinischen Dichter aus den anti-ken Stücanti-ken die besten für ihre Neuschöpfungen heraus. Vgl. Bernstein 2004, S. 117. Bei Seneca im 84. Brief an Lucilius heißt es: „Apes, ut aiunt, debemus imitari, quae vagantur et flores ad mel faciendum idoneos carpunt, deinde quicquid attulere, disoponunt ac per favos digerunt et ut Vergilius noster ait, liquentia mella. Stipant et dulci distendunt nec-tare cellas.“ Seneca: Ad Lucilium Epistulae Morales, 84. Zum Bienengleichnis bei Seneca und Macrobius vgl. De Rentiis 1998, S. 30 – 44.

3 Vgl. Herrick 1964, S. 12 ff., zur Rolle von Terenz für Ciceros De oratore.

4 Aeli Donati Commentum Terenti 1962, S. 22: „Comoedia est fabula diuersa continens affectuum ciuilium ac priuatorum, quibus discitur, quid sit in uita utile, quid contra

Der von Donat formulierte Anspruch an die Komödie, ein Spiegel der Sitten zu sein, war das Hauptargument für Luther und Melanchthon, das Theaterspiel im Verlauf der Reformation zu legitimieren, ermöglicht es doch eine Nachahmung des Lebens und, bei entsprechender Lesart, die Vermittlung moraldidaktischer Inhalte. Neben solcherart Vermittlung trat die universitäre Grammatik- und Rhetorikschulung, eignen sich Komödien doch bestens für die lateinische Sprachausbildung.5

Der didaktische Ansatz im Zugang zum Drama fand schließlich ab dem 15. Jahrhundert seine Umsetzung in der Dramenproduktion. Er war in der Frü-hen Neuzeit ein wesentlicher Zweck der Dramendichtung. Vor diesem Hinter-grund sind auch die Werke von Sachs als Teil eines literarhistorischen Gesamt-prozesses zu sehen.

Die Komödie nahm möglicherweise gegenüber der Tragödie in der Frühen Neu-zeit eine bevorzugte Stellung ein, weil die Rede vom Drama als Spiegel der Sitten, das eine Besserung des Menschen bewirke, nur die Komödie betrifft. Die Ausnahmestellung von Terenz unter den antiken Dramendichtern spiegelt sich nicht nur bei Donat und Luder, sondern auch im ersten Druck eines antiken Autors und der ersten deutschen Übersetzung wider: 1470 wurde in Straßburg eine Terenzausgabe gedruckt und 1486 übersetzte Hans Neidhart den Eunuchus ins Deutsche. Die mit Anmerkungen versehene Übersetzung wurde ohne große

euitandum […] comoediam esse Cicero ait imitationem uitae, speculum consuetudinis, imaginem ueritatis.“ Übersetzung nach Dietl 2005, S. 21.

5 Vgl. Dortmund 1995, S. 151 f., und Dietl 2005, S. 22. Luther WA TR 1, 1912, S. 431 f., äußerte sich zur Komödie mit den Worten: „Comödien zu spielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, erstlich, daß sie sich uben in der lateinischen Sprache; zum Andern, daß in Comödien sein künstlich erdichtet, abge-malet und fürgestellt werden solche Personen, dadurch die Leute unterrichtet, und ein Iglicher seines Ampts und Standes erinnert und vermahnet werde, was einem Knecht, Herrn, jungen Gesellen und Alten gebühre, wohl anstehe und was er thun soll, ja, es wird darinnen furgehalten und fur die Augen gestellt aller Dignitäten Grad, Aempter und Gebühre, wie sich ein Iglicher in seinem Stande halten soll im äußerlichen Wandel, wie in seinem Spiegel. – Zudem werden darinnen beschrieben und angezeigt die listigen Anschläge und Betrug der bösen Bälge; desgleichen, was der Eltern und jungen Knaben Amt sei, wie sie ihre Kinder und junge Leute zum Ehestande ziehen und halten, wenn es Zeit mit ihnen ist, und wie die Kinder den Eltern gehorsam sein, und freien sollen usw.

Solchs wird in Comödien furgehalten, welchs denn sehr nütz und wohl zu wissen ist.

Denn zum Regiment kann man nicht kommen, mag auch dasselbige nicht erhalten, denn durch den Ehestand. Und Christen sollen Comödien nicht ganz und gar fliehen, drum, daß bisweilen grobe Zoten und Bühlerey darinnen seyen, da man doch um derselben willen auch die Bibel nicht dürfte lesen. Darum ists nichts, daß sie solchs fürwenden, und um der Ursache willen verbieten wollen, daß ein Christe nicht sollte Comödien mögen lesen und spielen.“

Veränderung, insbesondere ohne Versifikation, sondern unter Beibehaltung der Prosa in die Grüninger-Ausgabe von 1499 übernommen.6

Die Besonderheit von Neidharts Übersetzung ist die ausführliche Kom-mentierung des Stückes, die auch dramentheoretische Aussagen zum Aufbau von Komödien liefert. Dies ist hervorzuheben, da Neidharts Text mit Sicherheit Sachs bekannt war und als Vorlage für seine Comedi Von der bulerin Thais und iren zweyen bulern, dem ritter Thraso und Phoedria diente.7

Neidhart stellt seinen Erläuterungen zur Komödie ein Vorwort und ein dop-peltes argumentum voran. Er gibt nicht nur für die Komödie im Allgemeinen, sondern auch für ihre einzelnen Bestandteile sowie für das argumentum Erläu-terungen. Um die Lektüre des Dramas zu erleichtern, geht er zu einer Erklärung des Begriffes comoedia über, den er als dem Leser unbekannt einstuft, denn es bestehe eine „grosse notturfft“, ihn zu erklären.

Ähnlich wie schon Donat bezieht sich Neidhart auf Ciceros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und der Wahrheit und hebt in gleicher Weise den didakti-schen Nutzen hervor. Mit der etymologididakti-schen Erläuterung des Wortes comoedia ordnet er die Figuren dem mittleren Stand zu. Die Komödie sei in vier Teile gegliedert: (a) der Vorrede („Methaplasmus“) folgen (b) der Anfang und eine Aufzählung der Verwicklungen, so dass das Volk neugierig werde („Prothesis“), woraufhin (c) die Konflikte sich so zuspitzten, dass alle betrübt seien („Epen-thesis“), aber am Ende (d) die Betrübnis sich zu einem glücklichen Ausgang wende („Paragoge“). Diese vier Teile werden in fünf Akten untergebracht.8

6 Vgl. Bernstein 1978, S. 96 f. Im Vorwort zu Neuauflage der Straßburger Terenzausgabe von 1499 betont Jacob Locher die Bedeutung von Terenz für moralische Fragen. Dabei erwähnt er das Terenz-Lob des Kirchenvaters Hieronymus und die moralische und rhe-torische Lehrhaftigkeit der neuen Ausgabe. Vgl. Dietl 2005, S. 137 ff.

7 Vgl. Dortmund 1995, S. 154. Neben der Hauptvorlage von Neidhart erwähnt Dortmund eine zweite Übersetzung, die Sachs ergänzend eingesehen habe: Die 1540 erschienene Übersetzung von Valentin Boltz.

8 Der Eunuchus des Terenz 1915, S. 7 ff.: „So nun diß bůch im anfang ain Comedia genannt wirt so ist gar ain grosse notturfft das man wiß und verstan müge was Comedia zeteütsch gesprochen seie. Wie si auch getailt und aus gelegt werde. Darumb so wirt das aigent-lich und mit gůtem fleiß erstaigent-lich erklert was Comedia zeteütsch seie. Und nachfolgend wie si getailt und aus gelegt werde. Comedia ist ain gedicht aus mengerlai das gemüt und anfechtung mitler person inhaltende. Dar aus man lernet was gůt ist zůgebrauchen und das boͤß zemeiden. Und spricht Cicero das Comedia menschlichs wesens ain spiegel seie. Und ain pildung der warhait. Und wirt Comedia davon gehaissen das si offenlich vor allem volck des mitlen states oder wesens verkündt ward. Wann Camos bedeüt die wonung desselben volcks. es seien Stet maͤrckt oder doͤrffer. Wann Comedia der nam ist genomen aus den kriechischen woͤrttern camos und oda. Das ist gesang oder gedicht von den mitlen personen. Es kan noch mag si auch niemand recht noch wol verston er künde dann sein geberd und stimm auff hoch und nider sittlich und schnell nach wegung des gemüts verkern. Darumb es billich Comedia wirt gehaissen. Es ist zmercken das ain

Im weiteren Verlauf der Kommentierung findet sich eine Differenzierung zwischen Dialog und Monolog, indem Neidhart darauf verweist, dass „man ver-stan soll welche person in ainer yeden geschicht rede. Es seie das ir lützel oder vil darinn mit ainander reden. Oder es rede ain person mit ir selb.“9 Wie ein Monolog gestaltet sein sollte, erörtert er nicht.

Da eine didaktische Dichtungsintention für nahezu alle frühhumanistischen Dichter zutrifft, ist es keine Überraschung, dass Albrecht von Eybs Abhandlung zur Komödie, die er zwar 1472 und damit vor Neidhart geschrieben hat, die aber erst 1511 gedruckt wurde, ebenfalls im Zusammenhang mit einer Tugendlehre steht. Die Übertragung der Komödien Menaechmi und Bacchides von Plautus und die damit einhergehenden allgemeinen Äußerungen zur Komödie wurden dem Spiegel der Sitten, einer Tugend- und Ständelehre, angefügt und dienen als Beispiele für „falsches Handeln“, d. h. die Plautus-Übertragungen erschienen nicht unabhängig, sondern in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Spiegel der Sitten.10

Eyb wollte keine Übersetzungen antiker Dramen leisten, weshalb er, ähnlich wie Sachs, die Handlung nicht nur christianisierte, sondern auch antike Namen, Sprichwörter und Amtsbezeichnungen durch frühneuzeitliche ersetzte.11 Mit dem Spiegel der Sitten und Neidharts Übersetzung und Kommentierung des Eunuchus liegen zwei Texte vor, die Sachs als Vorlage nutzte und in denen sich theoretische Ausführungen zum Aufbau der Komödie finden. Beide schließen aus der Etymologie auf das Personal der Komödie, wenngleich Eyb daraus eine Ständeklausel ableitet und die Struktur weniger ausführlich als Neidhart be-schreibt: Am Beginn und in der Mitte ist sie traurig und zum Ende wendet sie sich ins Positive. Stuplich bemerkt dazu: „Der didaktische Nutzen der Komödie liegt nun darin, daß diese ‚widerwertikait‘ und die ‚verkerten sitten der men-schen‘ spielerisch entlarvt und damit angeprangert werden.“12

yetlich Comedi mag underschaidenlich getailt werden. in vier tail. Und wie ain yeder tail genennt wirt. Der erst teil ist ain vorred. Und wird genennt Methaplasmus. Der ander tail ist ain anfang und ain zettel der nagenden materieen. Und macht das volck begirig das nachfolgend zehoͤren. Und wirt genannt Prothesis. Der dritt tail ist ain merung der materien und betrübnuß aller personen. So dar ein getzogen werden. Und wirt genannt Epenthesis. Der vierd tail ist ain verkoͤrung aller betrübnuß zů froͤlichem außgang. darinn die gantz Comedi wirt geleütert. Uns ist genannt Paragoge. […] Mer ist zemercke das ain yetlich Comedia wirt in fünff underschaid oder geschichten getailet.“

9 Der Eunuchus des Terenz, S. 12.

10 Vgl. Bernstein 1978, S. 68 ff.

11 Vgl. Bernstein 1978, S. 73.

12 Stuplich 1998, S. 48.

Der von Eyb ins Deutsche übertragene Plautus ist neben Terenz der zweite wichtige Dichter der Palliata, wenngleich er hinter diesem – vor allem im Schu-lunterricht – weit zurückstand. Auch für Sachs, der eine der vier Nürnberger Lateinschulen von 1501 – 1509 besucht hat, dürfte Terenz schon im Schulunter-richt präsent gewesen sein.13 So könnte er, wenn auch nicht explizit Dramen-techniken, zumindest Latein mit Dramen von Terenz erlernt haben.14