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Theoretischer Hintergrund der ESR-Spektroskopie

3.5 Spektroskopische Arbeitsmethoden

3.5.1 Elektronenspinresonanz (ESR)-Spektroskopie von MTSSL-markierten SurA-Cys- bzw. SurAІ-

3.5.1.1 Theoretischer Hintergrund der ESR-Spektroskopie

Zur Untersuchung der Interaktion von spezifischen Peptiden mit SurA und zur Identifikation von Peptid-Bindestellen auf der Oberfläche des SurA-Proteins wurde die Methode der Elektronenspinresonanz (ESR)-Spektroskopie (auch Elektronenparamagnetischeresonanz (EPR)-Spektroskopie genannt) verwendet. Mit ihrer Hilfe können die Struktur und konformationelle Änderungen unter nahezu nativen Bedingungen untersucht werden [Altenbach et al., 1989; Altenbach et al., 1990]. Für die ESR-Spektroskopie ist es notwendig die Proteine mit einer Radikalsonde zu markieren. Dies geschieht ortsspezifisch an hierfür gezielt in das Protein eingeführten Cystein-Resten [Pfeiffer et al., 1999]. Für diese auch site directed spin labeling (SDSL) genannte Methode sind besonders Proteine mit Primärsequenzen ohne Cystein geeignet [Millhauser et al., 1995; Oh et al., 1999; Columbus and Hubbell, 2002], zu denen auch das SurA-Protein gehört. Nach Auswahl der zu untersuchenden Positionen anhand der Kristallstruktur von SurA wurden die vorhandenen Aminosäuren durch Cystein substituiert. An dieses wurde über eine Thiolbindung die Radikalsonde (1-oxyl-2, 2, 5, 5-tetramethylpyrroline-methyl) Methanthiosulfonat (MTSSL, [Stone et al., 1965; Berliner et al., 1982]) kovalent gebunden [Kirby et al., 2004] (Abb. 6). Diese paramagnetische Verbindung ist aufgrund ihrer relativ geringen molekularen Größe, vergleichbar zu der einer Tryptophan-Seitenkette, für diese Anwendungen sehr beliebt.

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Abb. 6: Reaktion der Radikalsonde (1-oxyl-2, 2, 5, 5-tetramethylpyrroline-methyl) Methanthiosulfonat (MTSSL) mit der SH-Gruppe des Cysteins (kovalente Thiol-Kopplung). (Abb. modifiziert nach [Klare and Steinhoff, 2009])

MTSSL besitzt ein freies Elektron am Stickstoff-Atom, mit dessen Hilfe die nähere Umgebung der Radikalsonde analysiert werden kann [Owenius et al., 1999]. In der ESR-Spektroskopie liefert das freie Elektron bei Bestrahlung mit Mikrowellen in einem angelegten Magnetfeld ein charakteristisches Resonanzsignal bzw. Spektrum.

Über die Mobilität der Sonde können daher spezifische Informationen über Bindungen z.B. eines Peptides an ein Protein oder Konformationsänderungen innerhalb eines Proteins erhalten werden, wobei hierbei die Änderung des Immobilisationsgrades der Radikalsonde entscheidend ist [Steinhoff, 2004]. Durch Substratbindung in der direkten Umgebung der Sonde MTSSL ist eine Abnahme ihrer Mobilität zu erwarten, die in einem verbreiterten Spektrum resultiert. Des Weiteren können Peptid-Interaktionen auch zu lokalen und globalen strukturellen Änderungen, die in einer Verringerung des Immobilisationsgrades sichtbar werden, führen [Svensson et al., 1995; Hubbell et al., 1998; Hubbell et al., 2000]. Diese indirekten Änderungen sind beispielsweise durch die Bindung eines Peptides an anderer Stelle im Protein hervorgerufene Konformationsänderungen [Wegener et al., 2001].

Die ESR-Spektroskopie ist auf das Vorhandensein eines ungepaarten Elektrons, eines sogenannten paramagnetischen Zentrums, angewiesen [Freifelder, 1982]. Bei diamagnetischen chemischen Verbindungen ist das magnetische Nettomoment gleich null, da diese nur über gepaarte Elektronen verfügen. Chemische Verbindungen mit einem freien, ungepaarten Elektron (Radikal) nennt man paramagnetisch, da bei diesen das magnetische Moment der Elektronenspins innerhalb des Orbitals nicht durch eine Spinpaarung mit entgegengesetztem magnetischem Moment aufgehoben werden. Nur diese paramagnetischen Zentren sind mittels der ESR-Spektroskopie detektierbar [Mortimer, 2001].

Die angenommene ständige Drehung von Elektronen um die eigene Achse (Eigendrehimpuls) wird Spin genannt. Durch diese kreisende Bewegung wird das magnetische Moment µe erzeugt, welches zwei räumliche Orientierungen annehmen und mit einem äußeren Magnetfeld interagieren kann [Hoppe, 1982]

(Abb. 7a). Der Spin kann die Spinquantenzahl ms = -½ und ms = +½ besitzen. Die Anlegung eines äußeren Magnetfeldes führt zu einer Aufspaltung der Energieniveaus des Elektronenspins, wobei sich die Spins parallel oder antiparallel zur Ausrichtung des Magnetfeldes orientieren [Freifelder, 1982; Mortimer, 2001]. Hierbei haben parallel ausgerichtete Elektronen (ms = -½) eine niedrigere Energie als Elektronen mit antiparalleler Ausrichtung (ms = +½). Durch Einstrahlung von elektromagnetischer Energie in eine Probe mit einem freien Radikal werden Übergänge zwischen den beiden möglichen Energieniveaus der

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Spinquantenzahlen induziert. Für diese auch Resonanzbedingung genannte Energiedifferenz ΔE folgt nach der Quantentheorie für die Absorption von Strahlung beim Übergang:

B g

E

hv=∆ = e∗β∗

wobei ge der Landé-(Aufspaltungs-) Faktor ist, der für ein freies Elektron einen Wert von 2,00232 besitzt [Hoppe, 1982; Kurad et al., 2003], β ist das Bohr’sche Magneton (9,27400968 * 10-24 J T-1), B steht für das Magnetfeld (nach [Hoppe, 1982; Atkins, 2006]).

Abb. 7: Prinzip der ESR-Spektroskopie zur Erstellung eines ESR-Spektrums. (modifiziert nach [Bard, 2001] a) Diagramm des Energie-Levels des freien Elektrons innerhalb des Magnetfeldes B. Die Anlegung eines äußeren Magnetfeldes führt zu einer Aufspaltung der Energieniveaus des Elektronenspins, wobei sich die Spins parallel oder antiparallel zur Ausrichtung des Magnetfeldes orientieren [Freifelder, 1982; Mortimer, 2001]. Hierbei haben parallel ausgerichtete Elektronen (ms = -½) eine niedrigere Energie als Elektronen mit antiparalleler Ausrichtung (ms = +½). Das ESR-Spektrum wird in zwei Schritten erstellt.

Zunächst wird die Absorption der Mikrowellen bei einer Änderung des angelegten Magnetfeldes B detektiert (b). Die graphische Darstellung des Spektrums entspricht der 1. Ableitung der detektierten Absorption nach der Feldstärke [Atkins, 2006] (c).

Die Resonanzbedingung ist die Grundgleichung der ESR-Spektrokopie und gibt die zur Anregung erforderliche elektromagnetische Strahlung an, d.h. im Prinzip misst die ESR-Spektroskopie die Energie, die aufgebracht werden muss, um den Spin eines ungepaarten Elektrons umzukehren [Banwell, 1999].

Bei der ESR-Spektroskopie wird die Probe in der Regel einem Magnetfeld von 3000 Gauß (entspricht 0,3 Tesla) ausgesetzt. Die Induktion der Resonanz wird durch den Einsatz elektromagnetischer Strahlung aus dem X-Band Mikrowellenbereich einer Frequenz von v = 9 GHz mit einer Wellenlänge von λ = 3 cm

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erreicht. Das ESR-Spektrum wird in zwei Schritten erstellt. Zunächst wird die Absorption der Mikrowellen bei einer Änderung des angelegten Magnetfeldes detektiert (Abb. 7b). Daraus geht dann die graphische Darstellung des Spektrums als 1. Ableitung der detektierten Absorption nach der Feldstärke hervor [Atkins, 2006] (Abb. 7c).

Die Aufspaltung des Spektrums der freien Radikalsonde in drei Linien gleicher Intensität (Abb. 13b) lässt sich durch das ungepaarte Elektron im 2p π-Orbital des Stickstoff-Atoms erklären. Bedingt durch die Konfiguration des Stickstoff-Kerns (14N: 1s2 2s2 2px1 2py1 2pz1, Spinquantenzahl: I = 1) sind drei Spinorientierungen möglich, die jeweils von einem Drittel der Radikale einer Probe eingenommen werden.

Der energiegleiche Grundzustand der drei p-Orbitale wird auch als entartet bezeichnet. Diese Entartung kann durch das Anlegen eines äußeren magnetischen Feldes aufgehoben werden, was sich in einer Hyperfeinaufspaltung der Spektrallinien äußert (Zeeman-Effekt), solange sich die Probe im Magnetfeld befindet [Mortimer, 2001]. Bei einem Kern mit der Spinquantenzahl I = 1 wird, bedingt durch die Anzahl der möglichen Orientierungen, ein ESR-Spektrum in 2I+1 Hyperfeinstruktur-Linien gleicher Intensität erhalten [Freifelder, 1982].

Eine näherungsweise quantitative Beschreibung der Hyperfein-Aufspaltung der Spektren liefert der Hamilton-Operator (nach [Hoppe, 1982]):

hSTI SgB +

=

Η β * 0

mit S, I und B0 als Vektoren des Elektronenspins (S), des Kernspins (I) und des äußeren Magnetfeldes (B0). h ist die Planck-Konstante (6,62606957 * 10-34 J s) und β das Bohr’sche Magneton (9,27400968 * 10

-24 J T-1). g ist der Tensor des Proportionsalitätsfaktors g (auch Landé-Faktor). Dieser Faktor ist oft anisotrop, d.h. orientierungsabhängig, und sein Wert hängt von der Elektronenkonfiguration des zu untersuchenden Radikals ab. Für freie Radikale liegt der Wert bei 2,00232. Der T-Tensor beschreibt die anisotrope Hyperfein-Wechselwirkung [Hoppe, 1982].

Mit den beiden Tensoren g und T wird im Hamilton-Operator die Wechselwirkung des ungepaarten Elektrons und des Kernspins als Aufspaltung berücksichtigt. Der g-Faktor und die Hyperfein-Wechselwirkung sind sehr empfindlich gegenüber der gegenseitigen Orientierung des Magnetfeldes und des 2p π-Orbitals [Hoppe, 1982], in dem das ungepaarte Elektron der Radikalsonde lokalisiert ist (s.o.;

[Kurad et al., 2003]). Im Laborsystem wird eine Ausrichtung in z-Richtung angenommen [Wegener, 2000;

Kurad et al., 2003], was bedeutet, dass sich die Längsachse der Sonde auf der z-Achse des 2p π-Orbitals befindet. Die Extremverläufe der Orientierungen äußern sich durch charakteristische Signalverläufe der Spektren. Bei einer Orientierung des Magnetfeldes B0 senkrecht zur z-Achse wird ein scharfes Triplettspektrum erhalten, welches die völlige Mobilität des Elektrons und dessen schnelle Rotation darstellt (Abb. 8b). Herrscht ein immobilisierter Zustand vor, so ist das Magnetfeld parallel zur z-Achse des Elektrons ausgerichtet und stellt sich durch wesentlich verbreiterte peaks dar (Abb. 8a) [Hoppe, 1982].

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Abb. 8: Schematische Darstellung der Anisotropie (Richtungsabhängigkeit) einer Nitroxid-Radikalsonde im ESR-Spektrum. (modifiziert nach [Hoppe, 1982] a) Bei völliger Immobilisierung der Sonde ist das Magnetfeld B0 parallel zur z-Achse des 2p π-Orbitals ausgerichtet, was durch Umweltveränderungen, bei denen der Beitrag der anisotropen Hyperfein-Wechselwirkung (T-Tensor) ansteigt, verursacht wird. Dies äußert sich in einer Verbreiterung der peaks. Beeinflussende Faktoren können die Polarität des Lösungsmittels, der pH-Wert oder auch Interaktionen mit benachbarten Atomen sein. b) Ist die Radikalsonde in einem freien Zustand und nur sehr wenigen umgebenden Einflüssen ausgesetzt, so ist auch der T-Tensor gering. In diesem Fall orientiert sich das Magnetfeld senkrecht zur z-Achse des 2p π-Orbitals. Dies wird durch ein scharfes Triplettspektrum gekennzeichnet.

Die Änderungen der Spektren resultieren aus Wechselwirkungen mit der Umwelt. Diese werden durch Veränderungen des T-Tensors, der von der anisotropen Hyperfein-Wechselwirkung bestimmt wird, determiniert. Faktoren, die darauf Einfluss haben, sind die Viskosität des Mediums, der pH-Wert, Interaktion mit benachbarten Seitenketten und Dipol-Dipol-Wechselwirkungen [Hoppe, 1982; Wegener, 2000; Hammarström et al., 2001; Kurad et al., 2003; Steinhoff, 2004].

Mit der Methode der ESR-Spektroskopie können über die positionsspezifische Mobilität der Nitroxid-Seitenkette einer Radikalsonde sowohl ortstypische Informationen über Bindungen oder Konformationsänderungen (zusammengefasst u.a. in [Hubbell et al., 1998; Hubbell et al., 2000; Klare and Steinhoff, 2009]), als auch Erkenntnisse über die Beschaffenheit und die Sekundär- und Tertiärstruktur der näheren Umgebung der Sonde erhalten werden [Pfeiffer et al., 1999].