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1.5 Verwendung und Eigenschaften der Valproinsäure und des Valpromid

1.5.1 Teratogenität der VPA und des VPD

Im Jahre 1981 beschrieben NAU et al. die Induktion der Ausbildung von Exencephalien bei Feten im NMRI-Mausmodell durch die Behandlung mit VPA.

Nachfolgend wurde auch beim Menschen zunehmend das Auftreten von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen von unter Valproat-Therapie stehenden Müttern beobachtet. Hauptsächlich besteht die VPA-induzierte Missbildung beim Menschen in der Spina bifida aperta (ROBERT u. GUIBAUD 1982, ROBERT u.

ROSA 1983, ROBERT et al. 1984, OMTZIGT et al. 1992, JENTINK et al. 2010) aber auch zusätzliche Fehlbildungen von z.B. Gesichtsschädel, Gliedmaßen oder Herz wurden als „fetales Valproat-Syndrom“ beschrieben (ARDINGER et al. 1988, CLAYTON-SMITH u. DONNAI 1995, KULKARNI et al. 2006). Die Gefahr des fehlerhaften Neuralrohrschlusses beim ungeborenen Menschen liegt nach VPA-Exposition bei 1 – 5 % (LINDHOUT u. SCHMIDT 1986), wobei das Risiko der Ausbildung einer Spina bifida aperta als häufigster Neuralrohrdefekt im Vergleich zur Gesamtzahl an Missbildungen um den Faktor 10 bis 20 erhöht ist (ORNOY 2009).

Durch eine VPA-Gabe wurden in verschiedenen Tierspezies wie Amphibien (OBEREMM u. KIRSCHBAUM 1992), Ratten (VORHEES 1987, BINKERD et al.

1988), Kaninchen (PETRERE et al. 1986), Hühnern (BARNES et al 1996) oder Rhesusaffen (MAST et al. 1986) Skelett- und Organanomalien induziert. Besonders am Mausmodell konnte die Zeitabhängigkeit von Substanzgabe und Art der hervorgerufenen Missbildung gezeigt werden. Während die VPA-Behandlung am Gestationstag 8,25 bei der Maus eine Ausbildung der Exencephalie verursachte (KAO et al. 1981, NAU et al. 1991, MENEGOLA et al. 1996) wurde bei einer VPA-Exposition am Tag 9,5 vornehmlich ein fehlerhafter Neuralrohrschluss im hinteren Bereich (posterior) und damit die Spina bifida ausgelöst (NAU et al. 1991, EHLERS

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et al. 1992). Im Gegensatz zu ihrer hepatotoxischen Wirkung konnte gezeigt werden, dass die VPA selbst und keiner der Metaboliten die teratogenen Effekte auslöst (NAU 1986, EHLERS et al. 1992).

Insbesondere mit der Synthese von VPA-Derivaten konnte die Struktur- und Stereospezifität der teratogenen Wirkung der VPA gezeigt werden. Entscheidend für ihre fruchtschädigende Wirkung ist das Vorliegen einer freien Carboxylgruppe am C1-Atom und die Substitution eines Wasserstoffatoms am C2-Atom (HAUCK et al.

1991, RADATZ et al. 1998). Das Hinzufügen einer Dreifachbindung am C4-Atom oder die Verlängerung einer der beiden Seitenketten erhöhen ihre Teratogenität (NAU u. LÖSCHER 1986, BOJIC et al. 1996, BOJIC et al. 1998, VOLLAND 2002).

Bezüglich der Stereokonfiguration zeigen (S)-Enantiomere höheres teratogenes Potenzial als (R)-Enantiomere (HAUCK u. NAU 1989, NAU et al. 1991, HAUCK u.

NAU 1992, HAUCK et al. 1992).

Mit dem VPD liegt ein Derivat der VPA vor, welches auf Grund der Amid-Gruppe am C1-Atom keine freie Carboxylgruppe aufweist. Im Tierversuch zeigte das VPD eine drei- bis zehnfach höhere antikonvulsive Wirkung bei einer Induktionsrate teratogener Effekte, die wesentlich geringer war als unter VPA-Gabe (HAJ-YEHIA u.

BIALER 1989, RADATZ et al. 1998, BIALER 1999, OKADA et al. 2004). Diese positive Eigenschaft des VPD bezüglich der geringen teratogenen Potenz ist jedoch für menschliche Patienten ohne große klinische Bedeutung, da im humanen Organismus durch nicht näher bestimmte Esterasen bzw. Amidasen über 80 % des VPD zum Teratogen VPA metabolisiert wird.

Hinsichtlich der Wirkmechanismen, welche die Teratogenität der VPA bedingen, werden verschiedene Zielstrukturen diskutiert. So könnte ihr störender Einfluss auf den Folsäure-Zyklus (OGAWA et al. 1991) eine Beeinträchtigung der Methionin-Synthese bedingen und nachfolgend eine Hypomethylierung der DNA verursachen (ALONSO-APERTE et al. 1999). Außerdem konnte eine direkte Stimulierung von DNA-Demethylasen durch VPA gezeigt werden (DETICH et al. 2003). Neben der DNA-Demethylierung wurde andererseits eine Induktion der Mono-, Di- oder

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Methylierung von Histonen beobachtet (NIGHTINGALE et al. 2007), welche mit einer erhöhten Transkriptionsrate assoziiert ist. Auch die Erhöhung von oxidativem Stress durch VPA wird als Ursache neuronaler Fehlbildungen vermutet (NA et al. 2003, SCHULPIS et al. 2006, ORNOY 2009). Des Weiteren steht mit den PPARs eine Gruppe nukleärer Steroidhormon-Rezeptoren im Verdacht, als Teil einer Signalkaskade von VPA teratogene Effekte auszulösen. PPAR α, PPAR γ und PPAR δ sind die drei bekannten Isoformen, welche als Heterodimere mit Retinoid-X-Rezeptoren (RXR) die Transkription vieler Gene beeinflussen (FORMAN et al. 1996, WILLSON u. WAHLI 1997). Es wurde gezeigt, dass während der frühen für diese Neuralrohrschädigung kritische Entwicklungsphase (Gestationstag 8 und 9) in NMRI-Mäusen nur PPAR δ exprimiert wird (NAU et al. 1991). Eben dieser Rezeptor wird als einziger von den drei bekannten PPARs über VPA sowie die teratogenen VPA-Derivate struktur- wie stereoselektiv aktiviert (LAMPEN et al. 1999). Allerdings konnte keine direkte Bindung von VPA an PPARs nachgewiesen werden, weswegen PPAR δ nicht als molekulares Ziel von VPA sondern als molekularer Marker für VPA-induzierte Teratogenität vorgestellt wurde (LAMPEN et al. 2001).

Die DNA-Transkription wird neben anderen Faktoren auch über ihre Tertiärstruktur und damit über die Erreichbarkeit von DNA-Sequenzen für Transkriptionsfaktoren reguliert (ROTH u. ALLIS 1996). Dabei ist der Acetylierungsstatus der Kernhistone bedeutsam, um die die DNA angeordnet ist. Durch eine Hypoacetylierung der Histone sind die Nukleosomen sehr eng aneinandergereiht und die Transkriptionsfaktoren können nicht an die DNA binden. Im Zuge einer Acetylierung lockert sich die Nukleosomenformation und eine Transkription kann stattfinden (PAZIN u. KADONAGA 1997). Da die VPA einen hemmenden Einfluss auf die Enzymaktivität von Histondeacetylasen (HDACs) ausübt (PHIEL et al. 2001, TUNG u. WINN 2010), bewirkt sie als HDAC-Inhibitor der HDAC-Klassen 1 und 2 (GURVICH et al. 2004) eine Aktivierung von Genen. Auch In-vivo-Untersuchungen wie beispielsweise an Xenopus und Zebrafish (GURVICH et al. 2005) unterstützen die Theorie eines ursächlichen Zusammenhangs von HDAC-Hemmung und VPA-induzierter Teratogenität. Da die VPA über eine Beeinflussung der HDAC-Aktivität die Genexpression moduliert, greift sie in Regelkreise des Zellzyklus ein und kann

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das Schicksal von Zellen in Hinsicht auf Differenzierung, Proliferation oder Apoptose mitbestimmen. Die HDAC-Inhibierung, die Hemmung der Angiogenese (MICHAELIS et al. 2004, ZGOURAS et al. 2004), die Aktivierung des MAP-Kinase-Signalweges (YUAN et al. 2001, GURVICH et al. 2004), die Hemmung der Glykogen-Synthase-Kinase-3β (CHEN et al. 1999) oder ihre apoptotische Wirkung in verschiedenen humanen Leukämiezellen (KAWAGOE et al. 2002) verdeutlichen das teratogene und anti-tumorale Potenzial der VPA.

Als Ursache für die Fruchtschädigung nach Valproat-Exposition wird auch die Bedeutung des Neuronalen Zell-Adhäsionsmoleküls (N-CAM) diskutiert. Dieses spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Bildung des Nervensystems im Sinne einer Annäherung und Adhäsion von Nervenzellen. Das adhäsive Potenzial von N-CAM wird über die Bindung einer Kohlenhydratkette, die Polysialinsäure (PSA), aus sterischen Gründen abgeschwächt (YANG et al. 1994, RUTISHAUSER u.

LANDMESSER 1996). Die Addition der PSA an N-CAM kann durch die zwei PSA-Transferasen ST8SiaII (STX) und ST8SiaIV (PST1) erfolgen. Es konnte gezeigt werden, dass die VPA und ihre teratogenen Derivate die Expression von N-CAM und PST1 induzieren (LAMPEN et al. 2005), was zur Ausbildung eines unvollständigen Neuralrohrschlusses während der Embryogenese führen könnte.