Prophylaxe und Therapie von Durchfallerkrankungen
Die Nutzen-Risiko-Relation muß der Prüfstein für Medikamente zur Prä
vention und Therapie von Durchfall
erkrankungen sein. Was diesbezüg
lich für die verschiedenen verfügba
ren Medikamente in die Waagscha
len zu werfen ist, wurde bei einem von Nordmark veranstalteten Exper- ten-Workshop am 9. 7. 1994 in Ue
tersen herausgearbeitet.
Die meisten Durchfallerkrankungen - Prof. Dr. R. Ottenjann, München, sprach von fast 90 Prozent - verlau
fen selbstlimitierend, das heißt, sie verschwinden relativ rasch - nach einigen Tagen - spontan und ohne Komplikationen. Wegen der lästigen Symptomatik kann aber trotzdem eine Therapie erwünscht bzw. erfor
derlich sein, die häufig in Selbstme
dikation vorgenommen wird.
Kurzfristige Selbstmedikation akzeptabel
Eine kurzfristige Selbstmedikation über wenige Tage beurteilten die Ex
perten als akzeptabel. Es müsse je
doch verhindert werden, daß im Zuge der Selbstmedikation Risiken übersehen werden, so die Experten weiter. Die Antwort, wie dies sicher
zustellen sei, mußten sie allerdings schuldig bleiben. Risiken bestehen einerseits darin, daß eine Diarrhö
eventuell doch gravierende Ursachen haben bzw. gravierend verlaufen kann, und andererseits gibt es Risi
kopatienten, bei denen auch eine an sich harmlose Diarrhö zu Komplika
tionen führen kann.
Prof. Dr. R. Wanitschke, Mainz, dif
ferenzierte drei pathogenetische Formen der Diarrhö:
• die Malabsorptionsdiarrhö,
• die sekretorische Diarrhö und
• die funktionelle Diarrhö.
Die Malabsorptionsdiarrhö kommt dadurch zustande, daß Nahrungs
substrate - etwa aufgrund eines En
zymdefekts - nicht adäquat aufge
schlossen werden. Infolgedessen können die Kohlenhydrate, Fette bzw. Proteine dann nicht, wie dies physiologisch wäre, in den oberen Darmabschnitten resorbiert werden, sondern sie gelangen in untere Darmabschnitte, wo sie von Mikro
ben in osmotisch aktive Spaltpro
dukte zerlegt werden. Die Folge:
Entsprechend dem osmotischen Gra
dienten strömt Wasser ins Darmlu
men, es kommt zu einer mit Sub
stratverlusten verbundenen Diarrhö.
Sekretorische Diarrhö:
Patienten sollen essen
Ganz anders der Pathomechanismus bei sekretorischer Diarrhö: Hier ist eine Irritation bzw. Zerstörung von
Schleimhautzellen in den unteren Darmabschnitten grundlegend, meist auf dem Boden einer bakteri
ellen Infektion. In den unteren Darmabschnitten findet normaler
weise die Absorption von Wasser und Elektrolyten statt, umgekehrt kann aber bei Bedarf der Kot durch Wassersekretion auch verflüssigt werden. Durch die Einwirkung etwa von Bakterientoxinen kommt es zu einer unphysiologischen Wasserse
kretion, die Folge ist eine Diarrhö mit Elektrolytverlusten.
Wanitschke wies darauf hin, daß man mittels Nahrungskarenz testen kann, ob eine malabsorptorische oder eine sekretorische Diarrhö vor
liegt. Bei Patienten mit sekretori
scher Diarrhö führt diese Maßnahme zur Besserung, eventuell zum völli
gen Sistieren der Diarrhö, während es bei Patienten mit Malabsorptions
diarrhö zu einer Verschlechterung kommt. Auch therapeutisch ist dies von Bedeutung: Patienten mit sekre
torischen Durchfällen sollten dazu angehalten werden, trotz Übelkeit Nahrung zu sich zu nehmen. Gegen
über malabsorptorischen und sekre
torischen Durchfällen grenzte Wanit
schke die funktionellen Durchfälle etwa beim irritablen Kolon ab: Die betroffenen Patienten berichten zwar über eine erhöhte Stuhlfre
quenz, bei einer genauen Bilanzie
rung sind jedoch weder Substrat- noch Elektrolytverluste nachweis
bar.
Z. Allg. Med. 1994; 70: 917-920. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1994
918 2aEA
Cave: chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Patienten mit Malabsorptions
diarrhö müssen einer spezifischen Therapie des grundlegenden Defekts zugeführt werden. Das heißt, Malab
sorptionsphänomene zählen zu den gravierenden Grunderkrankungen, die bei Patienten mit Diarrhö abzu
klären sind. Eine wichtige Differen
tialdiagnose bei Diarrhö stellen die chronisch entzündlichen Darmer
krankungen dar. Wie Ottenjann be
richtete, dauert es nach Auftreten des Erstsymptoms im Schnitt IV2 Jahre, bis die Diagnose »chronisch entzündliche Darmerkrankung« ge
stellt wird. Hier spielt die Ver
schleppung infolge symptomatischer antidiarrhoischer Therapie eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Steckt eine Hyperthyreose dahinter?
Bei der differentialdiagnostischen Abklärung muß weiter an die Mög
lichkeit einer Hyperthyreose gedacht werden. Mit steigendem Alter ver
laufen Hyperthyreosen zunehmend häufig monosymptomatisch, wobei die Diarrhö das einzige Symptom darstellen kann.
Ein zentraler Aspekt bei der diffe
rentialdiagnostischen Abklärung ist schließlich der Ausschluß einer ma
lignen Erkrankung. Liegt in unteren Darmabschnitten eine Obstruktion vor, etwa durch ein Sigmakarzinom, so wird durch Wassersekretion der vorher eingedickte Kot wieder ver
dünnt, damit die Engstelle besser passiert werden kann. Die Folge:
eine Diarrhö.
Auf der einen Seite steht also die Forderung, daß bei Patienten mit Diarrhö vergleichsweise seltene, aber gravierende Ursachen ausge
schlossen werden müssen. Auf der anderen Seite steht das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Stellt sich die Frage, wann bei einem Patienten mit
Hongt^S-Diarrhö das - aufwendige und bela
stende - Diagnoseprogramm initiiert werden muß, das für einen sicheren Ausschluß gravierender Erkrankun
gen erforderlich ist. Eine Pauschal
antwort auf diese Frage gibt es nicht.
Wichtig ist zunächst einmal, daß überhaupt an die diskutierten mög
lichen Ursachen einer Diarrhö ge
dacht wird.
Alarmsymptome: Fieber und Blut im Stuhl
Als Entscheidungskriterien im Hinblick auf eine weiterführende Diagnostik sind Dauer und Schwe
re (Stuhlfrequenz und -volumen) der Diarrhö zu berücksichtigen.
Alarmsymptome sind Blut im Stuhl und Fieber über 38,5 Grad, ln diesen Fällen ist eine differenzierte Abklä
rung obligat. Blut im Stuhl weist auf die Zerstörung von Mukosastruktu
ren hin, hervorgerufen etwa durch invasive Erreger oder eventuell auch ein Hinweis auf infiltrierendes Tu
morwachstum.
Bei infektiösen Durchfallerkrankun
gen sind laut Wanitschke drei Formen zu unterscheiden: Zu blutigen Durch
fällen kommt es, wie gesagt, wenn invasive Erreger - ein Beispiel sind Shigellen - in die Mukosazellen ein- dringen und sie zerstören. Es gibt zweitens aber auch invasive Erreger, die sich in submukösen Schichten an
siedeln und dort überleben. Das
^Heimtückische: Mehrere Wochen, nachdem die Diarrhö abgeklungen ist, kann es bei Infektion mit solchen Erregern - zum Beispiel Salmonellen - zu septischen Verläufen kommen.
Die Durchfälle sind bei derartigen In
fektionen in der Regel mukoid ver
quollen. Die - bei der Mehrzahl der Darminfektionen auftretenden - wäßrigen Durchfälle werden dage
gen durch nicht invasive Erreger her
vorgerufen. Solche Bakterien - im Vordergrund stehen Infektionen mit pathogenen E. coli - produzieren To
xine, welche eine unkontrollierte Wassersekretion auslösen.
Was kann der Apotheker leisten?
Angesichts der vielpraktizierten Selbstmedikation ist es wichtig, die Patienten darüber zu informieren, daß sie bei Durchfällen mit Blut und Fieber einen Arzt konsultieren sol
len. Eine entsprechende Beratung sollte der Apotheker bei Abgabe re
zeptfreier Antidiarrhoika immer vor
nehmen. Auch im Hinblick auf die Reisediarrhö - als gesondertes und zahlenmäßig größtes Problem - ist eine entsprechende Aufklärung er
forderlich.
Schwieriger dagegen die anzustre
bende Patientenberatung bezüglich der Frage, wie lange eine Diarrhö ohne Arztkonsultation selbstmedi- ziert werden darf Maximal drei Tage? Fünf Tage? Dies wurde zur Diskussion gestellt, woraufhin Prof Ottenjann zu bedenken gab, daß ein ausgeprägter Flüssigkeitsverlust bei einem älteren Menschen bereits in
nerhalb eines Tages zu einem kriti
schen Zustand führen kann.
Risikofaktoren bei Wasser- und Elektrolytverlusten
Die Liste zu berücksichtigender Risi
kofaktoren ist lang. Risikofaktoren heißt in diesem Zusammenhang: Die betroffenen Patienten tragen im Fall einer Durchfallerkrankung ein er
höhtes gesundheitliches Risiko, selbst dann, wenn die Diarrhö hin
sichtlich der diskutierten relevanten Kriterien (Dauer, Schwere, Blut, Fie
ber) als nicht bzw. wenig gravierend einzustufen ist.
Wie Wanitschke ausführte, besteht ein solches erhöhtes Risiko sowohl bei Säuglingen und Kleinkindern als auch bei älteren Menschen. In bei
den Altersgruppen können Flüssig
keitsverluste rasch zu Herz-Kreis- lauf-Komplikationen führen. Bei äl
teren Menschen besteht ohnehin ein teren Menschen besteht ohnehin ein erhöhtes Exsikkoserisiko, da sie häu
fig zu wenig Flüssigkeit zu sich
neh-men. Weiter wird dieses Risiko bei Einnahme von Diuretika aggraviert.
Abgesehen von hämodynamischen Komplikationen infolge Volumen
mangel kann der diarrhöbedingte Flüssigkeitsverlust bei Risikopatien
ten zu thrombotischen Komplikatio
nen infolge der veränderten Rheolo
gie führen. Besonders gefährdet sind in dieser Hinsicht Patienten im Zu
stand nach Hirninfarkt bzw. transi
torischen ischämischen Attacken.
Zu eventuell bedrohlichen Kompli
kationen kann eine »harmlosere«
Durchfallerkrankung weiterhin - wegen der Ausschwemmungsgefahr - bei Patienten führen, die lebens
wichtige Medikamente einnehmen.
Patienten, die mit Herzglykosiden behandelt werden, sind speziell da
durch gefährdet, daß Kaliumverluste zu einer erhöhten Erregbarkeit des Herzens mit der Folge lebensbedroh
licher Arrhythmien führen können.
Schließlich kann ein erhöhtes Kompl
ikationsrisiko speziell bei infektiösen Durchfallerkrankungen bestehen, und zwar dann, wenn die Patienten immunsupprimiert sind. Auch Pati
enten mit künstlichen Herzklappen bezeichnete Wanitschke in diesem Zusammenhang als Risikopersonen.
Inwieweit Anazidität, zum Beispiel unter einer Therapie mit Säu
reblockern, bei Darminfekten einen Risikofaktor darstellt im Sinnne ei
ner Magenkolonisation, ist nicht ab
schließend geklärt. Zu beachten ist im Hinblick auf infektiöse Durchfall
erkrankungen auch, daß bei älteren Menschen selbst im Fall einer schwe
ren Infektion häufig die Fieberreak
tion als Warnsymptom unterbleibt.
Diese lange Liste zu berücksichtigen
der Risikofaktoren macht deutlich:
Der Apotheker, der den Patienten mit einer Diarrhö am Scheideweg zwi
schen Selbstmedikation und Arzt
konsultation in die richtige Richtung schicken könnte und sollte, ist über
fordert. Die Beratung durch den Apotheker kann deshalb nur einen
Kongf^
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Kompromiß darstellen in dem Sinne, daß die Selbstmedikation nur über wenige Tage erfolgen darf und bei Persistenz der Diarrhö bzw. bedroh
lichen Symptomen sofort ein Arzt konsultiert werden muß.
Eine symptomatische antidiarrhoi- sche Therapie kommt als primäre Maßnahme bei sekretorischen oder funktionellen Durchfällen in Be
tracht. Adjuvant kann ein Anti- diarrhoikum aber auch bei spezifisch zu therapierenden Grunderkrankun
gen indiziert sein.
Es gibt verschiedene antidiarrhoi- sche Wirkprinzipien:
• Adsorption von Bakterientoxinen
• Motilitätshemmung und
• Darmdesinfektion.
Synergistische Wirksubstanzen Die Abwägung von Nutzen und Risi
ken der verschiedenen verfügbaren Medikamente legen nahe, das Kom
binationspräparat Tannacomp® als Medikament der ersten Wahl zu empfehlen. Dies gilt sowohl für die Therapie von Durchfallerkrankun
gen als auch für die Prophylaxe der Reisediarrhö.
Die Wirkweise von Tannacomp® läßt sich nur zum Teil nach dem oben genannten Raster klassifizieren.
Eine Filmtablette enthält 500 mg Tanninalbuminatund 50 mg Ethacri- dinlactat. Nach den vorliegende Un
tersuchungen entfalten die beiden Inhaltsstoffe synergistische Effekte:
Die aus Tanninalbuminat freige
setzte Gerbsäure Tannin wirkt ad
stringierend. Feinste Kapillaren der entzündlich veränderten Darm
schleimhaut werden verschlossen, was einen Schutz gegenüber toxi
schen Substanzen bedeutet. Die durch Toxine induzierte Wasserse
kretion läßt nach. Ethacridinlactat wirkt ebenfalls adstringierend und hat zusätzlich bakteriostatische und spasmolytische Eigenschaften.
Hohe Wirksamkeit in klinischen Studien erneut bestätigt
Sowohl die therapeutische als auch die prophylaktische Wirksamkeit von Tannacomp® ist inzwischen gut dokumentiert. Prof Dr. R. Raedsch, Wiesbaden, referierte die vorliegen
den klinischen Studien. In einer randomisierten, allerdings nicht ver
bündeten Therapiestudie wurde Tannacomp® (dreimal 2 Tabletten täglich) bei jeweils 20 Patienten mit unspezifischer Diarrhö gegen Imo
dium® (dreimal 1 Kapsel mit 2 mg Loperamid) geprüft. Wie Raedsch berichtete, erwies sich Tannacomp®
als gleich gut wirksam wie der Moti- litätshemmer, der lange in der anti- diarrhoischen Therapie als Standard galt.
Die Stuhlfrequenz nahm unter bei
den Medikamenten parallel ab (Abb. 1). Wichtig: die vergleichbar rasche Wirkung bereits in den ersten 24 Stunden. Bezüglich der Stuhlkon
sistenz ergab sich unter Tanna
comp® sogar eine günstigere Ten
denz (Tab. 1). Flüssige Stühle waren
Tabelle 1: Stuhlkonsistenz an den Behandlungstagen
Tag 1 2 3 4 5