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2   Theoretische Grundlagen

2.3   Systembiologie und metabolische Analyse

Zur Optimierung und Steigerung der Produktivität bei der Kultivierung tierischer Zellen ist ein tieferes Verständnis der Zelle und der in ihr ablaufenden Vorgänge notwendig. Diesem Ansatz widmet sich der relativ neue Wissenschaftszweig der Systembiologie, dessen Etablierung auf einen Zeitraum um die Jahrtausendwende zu legen ist [131]. Ziel der Systembiologie ist das systematische Verständnis komplexer und dynamischer Abläufe der Zelle und der ihr zugrundeliegenden Prinzipien unter der Mitwirkung unterschiedlicher Disziplinen, wie beispielsweise der Biologie, der Computersimulation oder der Nanotechnik [132]. Als Basis zur Charakterisierung einer Zelle und aller regulatorischen Prozesse dient dabei die Technologie der „Omics“, die sich in drei Untergebiete, die Transkriptomics, Proteomics und Metabolomics, aufteilen lässt, wie sie in Abbildung 4 dargestellt sind [133]. Im Gesamtzusammenhang sollen die Daten, die auf genomischer, proteomischer und metabolomischer Ebene gewonnen werden, der Erforschung der komplexen Eigenschaften biologischer Systeme und dessen Wechselwirkungen dienen.

Abb. 4: Übersicht der drei Omics-Technologien.

Das Transkriptom dient der Erfassung der kompletten transkribierten RNA, das Proteom der Erfassung aller Proteine und das Metabolom der Analyse aller Metaboliten [133].

Hierfür werden die experimentell erarbeiteten Daten durch mathematische und heuristische Methoden simuliert, um so dynamische, realitätsnahe Modelle von physiologischen Reaktionen innerhalb der Zelle oder sogar ganzer Organismen zu entwickeln [131]. Durch Verwendung der erhaltenen Modelle sollen biologische Prozesse und ihr Verhalten gegenüber äußeren Einflüssen vorhersagbar werden, wodurch letztendliche neue Strategien entwickelt werden können um Zellen oder Zellverbänden gezielt zu manipulieren, zu kontrollieren und eine Optimierung der Zelleigenschaften zu ermöglichen.

Der Bedarf der metabolischen Optimierung von Organismen wird im Besonderen dadurch bedingt, dass tierische Zellen bei der Kultivierung in vitro einen deregulierten Metabolismus aufweisen. Wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben, schlägt sich dies in erster Linie in überhöhten und ineffizienten Substratverbrauchsraten nieder, die zu einer vermehrten Produktion von häufig toxischen Stoffwechselprodukten und einer verminderten Produktivität bzw. Synthese des Zielprodukts führen [40].

Für die Steigerung der Produktivität von CHO Zellen wurden bereits zahlreiche Strategien entwickelt, um beispielsweise die Bildung dieser unerwünschten Stoffwechselprodukte zu vermeiden [45, 134]. Hierfür wurden Prozessparameter wie der pH-Wert, die Temperatur, CO2 oder die Osmolarität optimiert [135–137] und komplexe Zufütterungsstrategien entwickelt, bei denen eine minimale Glukose- und Glutaminzufuhr oder der Austausch dieser durch andere Substrate getestet wurden [44, 138, 139]. Zudem wurde der Metabolismus von CHO Zellen gezielt genetisch verändert, um die anaplerotischen Reaktionen durch die Überexpression von Pyruvatcarboxylase-Genen [140] und Anti-Apoptose-Genen, wie beispielsweise Bcl-2 oder Bcl-xl [134, 141], zu erhöhen [22].

Um eine Optimierung einer Zelllinie durch eine positive Regulation des Metabolismus erzielen zu können, ist eine detaillierte Charakterisierung der metabolischen Reaktionen entscheidend. In diesem Zusammenhang hat der Forschungsbereich der Metabolomik in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Die Metabolomik (im Englischen:

„Metabolomics“) befasst sich mit der Untersuchung des Metaboloms, welches die Gesamtheit aller charakteristischen Stoffwechseleigenschaften einer Zelle oder eines Organismus zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreibt. In Anlehnung an die Bereiche der Transkriptomik und Proteomik bezeichnet die Metabolomik die gezielte Suche und Erfassung von Metaboliten, welche die funktionalen Endpunkte physiologischer Prozesse darstellen (siehe Abb. 4) [142]. Als ein derzeit aufstrebender Bereich innerhalb der

Systembiologie wurde der Begriff Metabolomik durch verschiedene Forschungsarbeiten geprägt, die einerseits grundlegende metabolomische Erkenntnisse beschreiben [131, 143, 144] und sich andererseits auf die angewandte Methodik für industrielle Zwecke [66] oder den Einsatz innerhalb der Zellkultur und der Arzneimittelforschung beziehen [145, 146].

Neben der Analyse von Metabolitkonzentrationen, Durchflussraten und Enzymaktivitäten einzelner, sowie der Untersuchung von Interaktionen verschiedener Stoffwechselwege, nimmt im Bereich der Metabolomik die Kompartimentierung der Stoffwechselwege innerhalb tierischer Zellen eine zentrale Rolle ein [147]. Eine besondere Herausforderung bei der Bestimmung des Metaboloms liegt in der hohen Diversität der Metaboliten, den schnellen Umsetzungsraten und der großen Konzentrationsunterschiede der Metaboliten, die von Kompartiment zu Kompartiment variieren können [45, 148]. Die Stoffflussanalyse (metabolic flux analysis) bildet hierbei eine wichtige Technik für die Charakterisierung intrazellulärer metabolischer Flüsse [149, 150]. Durch die Bestimmung der Stoffflüsse in lebenden Zellen können quantitative Informationen über die Wechselwirkungen und Verbindungen der verschiedenen Stoffwechselwege gewonnen werden [45]. Die Identifizierung und Quantifizierung von Metaboliten wird heutzutage routinemäßig mittels geeigneter Standardanalytik (z.B. LC-MS, NMR-Spektroskopie, GC-MS) ermöglicht.

Manche Metaboliten oder Abweichungen im Metabolitenprofil können als Marker für bestimmte Krankheiten dienen oder Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden enzymatischen Reaktionen oder Stoffwechselwege zulassen, was die große Bedeutung für die gezielte Erforschung des Metaboloms aufzeigt. Für die Erforschung des Metaboloms wurden bereits verschiedene methodische Ansätze beschrieben, wie beispielsweise das

„Metabolic Profiling“, „Metabolic Fingerprinting“, „Targeted Metabolomics“, oder

„Metabolic Engineering“ [151–153]. Beim Metabolic Profiling wird nur eine spezielle Gruppe von Metaboliten analysiert, die mit einem bestimmten Stoffwechselweg assoziiert wird. Im Gegensatz dazu beschreibt das Metabolic Fingerprinting eine Gesamtanalyse des Metaboloms, wodurch eine Differenzierung zwischen Proben unterschiedlicher biologischer Herkunft ermöglicht wird. Der Bereich der Targeted Metabolomics befasst sich hingegen mit der gezielten quantitativen Analyse von ausgewählten Metaboliten.

Diese Methode, wie auch das Metabolic Profiling, erlauben eine direkte biochemische Interpretation der erhaltenen Daten.

Die ausführliche Analyse metabolischer Netzwerke stellt einen zentralen Bereich der Systembiologie dar und soll letztendlich in der gezielten Optimierung des Stoffwechsels durch gentechnische Veränderungen der Ursprungszelle resultieren, dem sogenannten

„Metabolic Engineering“ [154]. Die Anwendungsspektren des Metabolic Engineering sind sehr weitreichend und umfassen neben der Optimierung von Organismen für die Produktion von Biopharmazeutika oder Biokraftstoffen unter anderem die Entwicklung von neuen Diagnose- und Behandlungsmethoden für Krankheiten sowie Untersuchungen zur evolutionären Optimierung metabolischer Netzwerke [155].