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Systematisierung der Indikatorsuche

4. GESAMTANSÄTZE ZUR QUANTIFIZIERUNG EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG

4.3. L ANDWIRTSCHAFT

4.3.2. Systematisierung der Indikatorsuche

Am Anfang der Darstellung der verschiedenen Einzelindikatoren sowie Gesamtindikatoren-konzepte steht die Frage, ob und auf welche Weise die Indikatorauswahl selbst nach formali-sierten Kriterien erfolgen kann. Hierzu gibt es in der wissenschaftlichen Literatur inzwischen einige Beispiele, die jedoch oft nur die konzeptionelle Ebene beschreiben und nicht für die Erstellung von tatsächlich nutzbaren Systemen herangezogen wurden (VERIJKEN 1992, 1997, HEYLAND 1998).

Einen pragmatischeren Ansatz verfolgen HARGER und MEYER (1996) von MÜNCHHAUSEN und NIEBERG (1997), YLI-VIIKARI (1998) sowie GUSTAVSON et al. (1999). Umweltinformationen müssen danach folgenden Anforderungen genügen, um als Indikatoren geeignet zu sein:

• Indikatoren sollten auf hochwertigen statistischen Daten beruhen. Dies beinhaltet eine große zeitliche und räumliche Differenzierung sowie ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis bei gleichzeitig hoher Qualität und langer und regelmäßiger Erhebungsdauer

• Indikatoren sollten methodisch abgesichert sein und dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen. Voraussetzung ist die Validität in Akzeptanz von internationalen Standards. Gleichzeitig sollte die Möglichkeit bestehen, die Indikato-ren in entsprechenden Simulationsmodellen oder Prognosesystemen zu verwenden.

• Eine weitere wichtige Anforderung liegt in der Politikrelevanz und Benutzerfreundlichkeit der gewählten Indikatoren. Nur wenn bestimmte Parameter auch nachvollziehbar und lo-gisch interpretierbar sind, wird ein Indikator erfolgreich eingesetzt werden können.

Gleichzeitig sollten die Indikatoren die Basis für internationale Vergleiche bieten und ex-akte Schwellenwerte aufweisen, um die Bedeutung der ermittelten Werte auch einordnen zu können.

Um die Eignung unterschiedlicher Indikatoren für die Bewertung von Agrar-Ökosystemen zu beurteilen, empfiehlt dagegen BECKER (1997a und 1997b) eine Einordnung in eine zweidi-mensionale Raum-Zeit-Koordination. Danach sind Indikatoren besonders für die Beschrei-bung von Systemzuständen geeignet, wenn sie Aussagen über lange Zeiträume und für große Areale erlauben. Beispiele wären der Zustand der Atmosphäre oder langfristige Veränderun-gen der Landnutzung. Ertragsdaten und VeränderunVeränderun-gen von BodeneiVeränderun-genschaften sind dage-gen eher von kurz- bis mittelfristigem Charakter und weniger sinnvoll. Andere Autoren ver-suchen, geeignete Indikatoren über kritische Belastungswerte auf der Basis von Anpassungen im Agrarökosystem zu definieren und daran anschließend Handlungsempfehlungen für die Produzenten abzuleiten (ALTIERI,1988, HÄRTDLEIN et al., 1997).

DALAL et al. (1999) demonstrieren am Beispiel des australischen Getreideanbaus, dass die Auswahl der Indikatoren ein dynamischer Prozeß ist. Danach sollten möglichst viele Interes-sengruppen aus Landwirtschaft, Industrie, Umweltverbänden und lokalen Arbeitsgemein-schaften an der Entwicklung beteiligt werden, um eine möglichst hohe Akzeptanz der Indi-katoren und der sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen zu gewährleisten. Die Auto-ren schlagen hierzu gemeinsame Workshops mit den genannten Gruppen vor. Für die eigentliche Indikatorfindung empfehlen DALAL et al. (1999) dann eine streng formalisierte Vorgehensweise.

Danach sollen die möglichen Indikatoren den folgenden Kriterien genügen:

• Reaktionseigenschaften des Indikators auf Veränderungen der Anbautechnik

• Meßbarkeit

• Interpretationsfähigkeit und Vorhandensein von klaren Grenzwerten

• Häufigkeit der Messungen

• Kosten der Datenbeschaffung

• Räumlich und zeitlich differenzierte Erfassungsmöglichkeiten

• Möglichkeiten der Aggregierung der Einzelindikatoren

• Akzeptanz in den beteiligten Interessengruppen

Im Konzept von DALAL et al. (1999) gibt es für jeden der genannten Indikatoren eine Punkt-bewertung, so dass damit ein Vergleich der verschiedenen Indikatoren ermöglicht werden soll. Dabei muss allerdings einschränkend bemerkt werden, dass die Indikatorauswahl bereits den gleichen Schwierigkeiten und Restriktionen unterliegt wie anschließend die Nutzung der Indikatoren zur Beurteilung des Agrar-Umwelt-Systems selbst.

Eine exakt strukturierte Vorgehensweise zur Bestimmung von Indikatoren und die Einord-nung in ein System von differenzierten Werten stellt auch BOSSHARD (2000) vor. In einem sozio-kulturellen Kontext werden in einer hierarchisch strukturierten Vorgehensweise ver-schiedene Indikatoren oder Indikatorgruppen ausgewählt und anschließend an die spezifi-schen natürlichen, kulturellen, politispezifi-schen und ökonomispezifi-schen Rahmenbedingungen angepaßt.

BOSSHARD (2000) sieht in diesem spezifischen Anpassungsprozeß gleichzeitig den wichtigsten Vor- wie auch Nachteil des Systems. Zum einen ergeben sich auf einer regional- oder projektgebundenen Ebene und nach den jeweils gewählten Kriterien optimale Lösungen.

Dagegen steht allerdings, dass es sich nicht um eine grundsätzlich übertragbare und damit allgemein gültige beste Lösung handelt. Vor dem Hintergrund der Konzeption der Agenda 21 steht diese regionsspezifische Optimierungsstrategie sicherlich in Übereinstimmung mit dem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung. Darüber hinaus ist für eine Beurteilung landwirtschaftlicher Anbausysteme auch bedeutsam, dass die Indikatoren einen direkten Bezug zu der landwirtschaftlichen Produktion haben und in vorhersehbarer Weise auf Veränderungen dieses Anbausystems reagieren (CORNFORTH 1999).

Als weitere Möglichkeit die Indikatorfindung zu systematisieren schlagen CLAYTON und RADCLIFFE (1996) als Basis die Nutzung der Systemtheorie vor. Hierbei sollen auch globale, nationale und regionale Bezugsgrößen gewählt werden. Die Autoren nehmen allerdings

keinen Bezug zur Landwirtschaft, so dass eine Umsetzung nicht überprüft werden kann.

PANNELL und GLENN (2000) versuchen die bislang vorgeschlagenen Einzelindikatoren anhand ihrer jeweiligen ökonomischen Relevanz zu beurteilen. Grundlage sind entscheidungs-theoretische Überlegungen zur Bewertung von Informationen bei Datenunsicherheit.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, läßt sich anhand der Tabelle 1 die Komplexität der vor-liegenden Indikatorsysteme aufzeigen. Einige Indikatoren und Indikatorbereiche sind in na-hezu allen Systemen vorhanden, wohingegen auch in jedem Modell spezielle Ansprüche und regionale Besonderheiten deutlich werden. Anhand der Darstellung wird bereits die Diskre-panz zwischen Wunschvorstellungen und konkreten, praxistauglichen Indikatorsystemen deutlich. So lassen sich einige der genannten Parameter wie Landschaftsbild, natürliche sen-sorische Erlebnisse (Farbe, Geruch, Laute) und Erlebnisse von Ganzheit, Geschichte und Wachstumsrhythmen sicherlich nicht in einem praktikablen Indikatorkonzept nutzen. In der Literatur existieren inzwischen eine Vielzahl von Einzelbeispielen, in denen die unterschiedlichsten Kriterien und Kriterienkataloge zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Anbausystemen oder Betriebsorganisationsformen gegenübergestellt wurden. Neben den konkreten Ergebnissen sind hierbei besonders auch Erfahrungen Praktikabilität, Interpretationsmöglichkeiten und Zeitaufwand der Erhebung von Interesse. Alle vorgeschlagenen Indikatorsysteme beinhalten Aussagen über die Ertragsleistung der angebauten Kulturarten. Darüber hinaus gibt es in der Anzahl, Ausrichtung und Komplexität der Indikatoren beträchtliche Unterschiede bei den verschiedenen Ansätzen. Neben der abweichenden Anzahl von Einzelindikatoren in den verschiedenen Gesamtansätzen unterscheiden sich auch Zahl und Definition der jeweiligen Kategorien, in denen die gewählten Indikatoren jeweils zusammengefaßt werden. Teilweise wurden auch Kategorien aufgestellt, die aufgrund der Übersichtlichkeit in dieser Form nicht in der synoptischen Darstellung aufgenommen werden konnten. Indikatoren können auch je nach Bezugsmaßstab in unterschiedlichen Kategorien eingeordnet werden, so dass hierbei teilweise keine klare Differenzierung möglich ist. Besonders im Hinblick auf eine Aggregierung der verschiedenen Einzelindikatoren kann die Einordnung zu übergeordneten Kategorien jedoch einen beträchtli-chen Einfluß auf den Stellenwert in der Gesamtbewertung ausüben. Zusätzlich wird durch die entsprechende Zuordnung auch die Interaktion mit anderen Einzelindikatoren vorherbe-stimmt. Konkret werden Wechselwirkungen zwischen den Einzelindikatoren jedoch ohnehin kaum berücksichtigt. Die verschiedenen Indikatorsysteme unterscheiden sich darüber hinaus deutlich in ihrer Praktikabilität. Hierbei ist deutlich erkennbar mit welchen Systemensich

be-reits im gegenwärtigen Zustand praktisch orientiert eine Beurteilung von landwirtschaftlichen Betrieben oder Regionen durchführen läßt (Beispiel REPRO oder KUL/USL) oder welche Systeme bislang eher den Status von Absichtserklärungen mit teilweise recht unscharfen De-finitionen oder Formulierungen erhalten haben (z. B. CLAYTON und RADCLIFFE 1996, STOBBELAAR und van MANSFELD 2000). Die hier vorgestellten Indikatorkonzepte sind zum überwiegenden Teil nur auf reine Ackerbaubetriebe und damit auf viehlose Wirtschaftsweise beschränkt. Aussagen über Haltungsformen und verschiedene Leistungs- sowie Effizienzkri-terien in der tierischen Erzeugung sind dagegen meist nicht enthalten. Ein spezielles Indika-torsystem, das konkret für viehhaltende Betriebe konzipiert wurde, hat HALBERG (1999) vorgeschlagen.

Um die verschiedenen Ansätze zu Systematisieren und damit eine vergleichende Bewertung zu erleichtern, schlägt Hülsbergen (2001) daher folgendes Schema vor (Tab.: 2).

Tab. 1: Einzelindikatoren in ausgewählten Indikatorsystemen

Autor/en Indikatoren1 Grundsätze, Anbautechnik, Betriebsorganisation Energie YLI-VIIKARI (1999) 32 Landnutzung

27 Ausreichende Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen

Ökonomische und effiziente Ressourcennutzung nachhaltige, regional angepaßte Anbausysteme

nicht direkt erfaßt

BOUMAN et al. (1999) 13 Landnutzungsvielfalt Kulturartenvielfalt

1 Teilweise handelt es sich hierbei schon um aggregierte Indikatoren, so dass die genaue Anzahl nicht in jedem Fall zu ermitteln ist.

Tab.2: Systematisierung und Bewertung ausgewählter Indikatormodelle (nach HÜLSBERGEN 2001)

räumlich zeitlich Art Ökologie Ökonomie

OECD Rm I nein P,S,R ja nein + Rahmenkonzept

Lewandowski = LEWANDOWSKI et al. (1999) Rm = Rahmenmodell P = Pressure B = Bilanzierungsmodell Z = Zielwerte

EMA = LEWIS und BARDON (1998) Bm = Basismodell S = State E = Expertensystem A = Datenaggregation

ESI = SANDS und PODMORE (2000) R = Response I = Indikatoransatz N = Normalisierung oder Ranking

Girardin = GIRARDIN et al (1996) S = Simulationsmodell

REPRO = HÜLSBERGEN (2001) KUL / USL = ECKERT et al. (1999)

Tab.: 1: Fortsetzung

Autor/en Boden Wasser Luft und Klimarelevanz Biodiversität

YLI-VIIKARI (1999) Chem. Zustand

nicht direkt erfaßt nicht direkt erfaßt Kulturartendiversität

STOBBELAAR und van MANSVELT (2000)

"saubere" Umwelt hohe Boden-fruchtbarkeit

Wasserqualität nicht direkt erfaßt Biodiversität

Vielfalt von Fauna und Flora BOUMAN et al. (1999) nicht direkt erfaßt N-Verluste durch

Auswaschung N-Verluste durch

Tab.: 1: Fortsetzung

Autor/en Tierhaltung Produktqualität Schutzgebiete Ökonomie Soziale

YLI-VIIKARI (1999) Gesundheitszustand der Tiere

nicht direkt erfaßt Anteil der Ökolo- gisch-landeskultu-rellen Vorrangflä-chen

nicht direkt erfaßt nicht direkt erfaßt

STOBBELAAR und

nicht direkt erfaßt nicht direkt erfaßt Betriebsgewinn Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen an der Gesamtbevölkerung DALAL et al. (1999) nicht erfaßt Proteingehalt

Qualitätszielerrei-chung bei Weizen

nicht direkt erfaßt Ertragseinheit je Investitionsvolumen

nicht direkt erfaßt Anteil ÖLV Umweltprogramme

Tab.: 1: Fortsetzung

Autor/en Landschaft Interaktionen Bezugsrahmen Aggregation Anwendung

YLI-VIIKARI (1999) "Landschaftsbild" nein Betrieb, Region nein nicht bekannt ECKERT et al.

(1999)

nicht direkt erfaßt nein Betrieb Gewichtung der

verschiedenen

nicht direkt erfaßt nein Region Nein in gleicher

Veröffent-lichung

DALAL et al. (1999) nicht direkt erfaßt nein Betrieb , Region ja in gleicher Veröffent-lichung

Basierend auf dem Modelltyp (Indikatorsystem, Expertensystem, Bilanzierungsansatz oder Simulationsmodell) sowie Kategorien, die die Grenzwertfindung betreffen, lassen sich auch die Systemgrenzen und das Vorhandensein der verschiedenen Indikatorenbereiche aufzeigen.

Zusätzlich werden durch die Darstellung auch die besonderen Schwerpunktsetzungen der unterschiedlichen Ansätze deutlich. Wiederum ist die Tabelle nur auf einige wenige Systeme begrenzt, da hierbei schon die grundsätzlich abweichenden Ansätze deutlich werden.

Inwieweit diese Systematisierungskriterien für die Beurteilung der verschiedenen In-dikatorsysteme herangezogen werden können, wird eingehend im Kapitel 8 erläutert.