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Subjektives Wohlbefinden

Im Dokument W W J L P93-108 (Seite 36-66)

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as erhebliche Wohlstandsgefälle zwischen Ost- und Westdeutschland war spätestens seit der Maueröffnung den meisten Bürgern im Osten aus eigener Anschauung direkt bekannt, und die Unzufriedenheit mit den alten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen war entsprechend ausgeprägt. Mit dem Ende der DDR und dem Beitritt zur Bundesrepublik verbanden die Ostdeutschen zweifellos hohe Erwartungen und Hoffnungen an die Zukunft. Diese Hoffnungen richteten sich nicht zuletzt auf eine möglichst rasche Angleichung ihrer Lebensbedingungen an das westdeutsche Niveau. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führte nun zwei Gesellschaftssysteme zusammen, die sich unter wohlfahrtsrelevanten Gesichtspunkten erheblich voneinander unterschieden. Dies betraf keineswegs nur die konkreten Lebensbedingungen, wie die Einkommensverhältnisse oder die Woh­

nungssituation, sondern auch die subjektiven Bewertungen, die Bedürfnisse, Ori­

entierungen, Sorgen und Ängste der Menschen.

Neben dem Vergleich der objektiven Lebensverhältnisse kommt deshalb in dieser Situation auch den darauf bezogenen subjektiven Bewertungen eine besonde­

re Bedeutung zu. Für den Erfolg oder Mißerfolg der gesellschaftlichen Transforma­

tionsprozesse in Ostdeutschland gilt in besonderem Maße, daß sich verbessernde Lebensbedingungen und höhere Lebensqualität letzten Endes von den Betroffenen selbst wahrgenommen werden müssen. Diese Wahrnehmungen wiederum werden- jedoch nicht ausschließlich von den tatsächlichen Verhältnissen geprägt; sie stehen auch in einem engen Zusammenhang mit sozialen Vergleichen - was habe ich im Vergleich zu anderen? - und mit individuellen Ansprüchen - was habe ich, was stände mir zu? Diskrepanzen zwischen der Realität und den subjektiven Anspruchshaltun­

gen bestimmen dabei nicht alein die emotionalen Befindlichkeiten, sondern können durchaus auch handlungswirksam werden. Vor allem massiv geäußerte Unzufrie­

denheit weist auf die Notwendigkeit hin, die sie verursachenden Faktoren zu ändern.

Im Hinblick auf die politische Zielsetzung, die ostdeutschen Lebensverhältnisse den westdeutschen anzugleichen, aber auch in Verbindung mit den sozialen und men­

talen Integrationsaufgaben im Rahmen einer gemeinsamen, deutschen Nation, kommen insofern auch Informationen über die Ansprüche der ehemaligen DDR- Bürger und die Bewertung ihrer Lebensverhältnisse eine hohe Bedeutung zu.

Nach der bisherigen Darstellung des Niveaus und der Entwicklung objektiver Lebensverhältnisse steht nun die subjektive Perspektive der Bevölkerung im Vor­

dergrund der Analysen, Im folgenden werden hierzu anhand von verschiedenen Indikatoren Fragen zur wahrgenommenen Lebensqualität angesprochen: Wie be­

werten die Menschen in West- und Ostdeutschland ihre Lebensbedingungen?

Welche Lebensbereiche sind ihnen besonders wichtig? Welche Entwicklungen und Verhältnisse bereiten den Deutschen in Ost und West besonders große Sorgen und welche Bevölkerungsgruppen haben mit den neuen gesellschaftlichen Bedingungen seit der deutschen Einheit besondere Probleme?

Bedeutung einzelner Lebensbereiche: Privates hat Vorrang

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er Alltag der meisten Bürger wird durch verschiedene Kombinationen der Teilhabe an mehreren Lebensbereichen wie Ausbildung, Familie, Beruf oder Freizeit und durch die jeweils vorhandenen Lebensbedingungen geprägt. Entspre­

chend werden den verschiedenen Bereichen auch unterschiedliche Bewertungen zugewiesen. Insgesamt besteht in Deutschland jedoch ein breiter Konsens darüber, welchen Lebensbereichen für das eigene Wohlbefinden eine hohe Priorität einge­

räumt wird. Die Rangfolge der Wichtigkeiten weist in den alten und neuen Bundes­

ländern nach wie vor eine erstaunliche Ähnlichkeit auf. Dabei steht das Privatleben im Vordergrund: „Familie“, „Gesundheit“ sowie „Liebe und Zuneigung“ werden jeweils von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung als „sehr wichtig“ für das eigene Wohlbefinden eingestuft (Tabelle 4a, b). Daneben nehmen aber auch die öffentlichen Bereiche „Schutz vor Kriminalität“ und „Umweltschutz“

in der Einschätzung der Bürger einen hohen Stellenwert ein. Die hohen Bedeutungs­

zuweisungen dieser Bereiche lassen auf eine hohe Sensibilisierung und auf einen großen Problemdruck in der Bevölkerung schließen. Als relativ unwichtig werden von den Ost- und von den Westdeutschen „Erfolg“, „Glaube“ und der „Einfluß auf

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Abbildung 7: Wichtigkeit von Lebensbereichen in Ost- und Westdeutsch­

landl 993 (Skala von 1 bis 4)

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993

Tabelle 6a: Wichtigkeit einzelner Lebensbereiche in Ost- und Westdeutsch­

* Die Angaben zur Wichtigkeit von „Arbeit“ lediglich für Männer und Frauen bis 64 Jahre

Liebe und Zuneigung Einfluß auf politische Freizeit Entscheidungen

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Tabelle 6b: Wichtigkeit einzelner Lebensbereiche in Ost- und Westdeutsch­

land 1988/90 -1993 • Teil II (Anteile von „sehr wichtig“)

Erfolg im Beruf Glaube Gesundheit

West Ost West Ost W est Ost

Insgesamt: 60 57 68 41 56 68

Geschlecht

- Schüler/Studenten 66 67 82 48 39 79

- Hausfrauen 58 55 56 53 60 68

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988, 1990 1993

politische Entscheidungen“ angesehen. Bemerkenswert ist für eine säkularisierte Gesellschaft wie die westdeutsche immerhin, daß „Glaube“ insgesamt bedeutsamer eingestuft wird als politischer Einfluß. Die Wichtigkeit des „Einflusses auf politi­

sche Entscheidungen“ hat zwar im Zeitraum seit 1980 bei den westdeutschen Bürgern wie kein anderer Bereich an Bedeutung zugenommen; dennoch rangiert der politische Bereich nach wie vor am unteren Ende der Rangordnung. In der sehr geringen Bedeutung des Glaubens im Osten kommt sicherlich zum einen auch die mangelnde staatliche Förderung religiöser Belange in der DDR zum Ausdruck. Zum anderen dürfte sich das laizistische Element der früheren DDR-Gesellschaft zu einer eigenständigen Grundüberzeugung verfestigt haben; die Wichtigkeit von Aspekten des Glaubens oder von Religion hat sich bislang in den neuen Ländern nur wenig verändert.

Trotz der vergleichbaren Rangfolge in den Wichtigkeitseinschätzungen von West- und Ostdeutschen zeigen sich auch bemerkenswerte Unterschiede. Wir interpretieren die Wichtigkeitseinschätzungen im Sinne von Ansprüchen an einzel­

ne Lebensbereiche und beobachten somit zum einen in nahezu allen Bereichen höhere Erwartungen der ostdeutschen Bürger im Vergleich zur westdeutschen Bevölkerung. Zum anderen zeigen sich deutliche Unterschiede in dem Niveau der Bedeutungszumessungen von „Arbeit“, „Einkommen“ und „Freizeit“. Die ostdeut­

schen Angaben verweisen auch hier auf ausgeprägte Einstellungsmerkmale einer

„Arbeitsgesellschaft“, die nicht zuletzt auf den hohen gesellschaftlichen Stellenwert der Erwerbsarbeit in der ehemaligen DDR, den vergleichsweise niedrigeren Lebens­

standard und auf die anhaltende Arbeitsmarktkrise in Ostdeutschland zurückzufüh­

ren sind. Arbeit und Einkommen nehmen in Westdeutschland dagegen lediglich einen mittleren Rangplatz ein, wobei jedoch „Einkommen“ keinesfalls als völlig unwichtig eingeschätzt wird. Die Charakterisierung der westdeutschen Gesellschaft im Sinne einer ausgeprägten „Freizeitgesellschaft“ erscheint angesichts der vor­

liegenden Ergebnisse allerdings eher übertrieben: Der Freizeitbereich nimmt im Westen zwar einen vergleichsweise hohen Stellenwert ein, er ist in seiner Bedeutung für das individuelle Wohlbefinden Arbeits- oder Einkommensaspekten aber nur annähernd gleichzusetzen. Beide Bereiche, sowohl „Freizeit“ als auch „Arbeit“, beeinflussen bis heute die Lebensqualität der Westdeutschen.

Die Bedeutungszuweisung für einzelne Lebensbereiche hat sich in Ostdeutsch­

land im Verlauf der Transformationsprozesse seit 1990 zum Teil erheblich ver­

ändert; die Rangfolge der Bereiche wurde allerdings nur geringfügig verändert.

Auffällig ist, daß vor allem der Umweltschutz 1993 von vielen Bürgern als weniger wichtig als noch 1990 eingestuft wird. Neben einer regional günstigeren Wahrneh­

mung des Umweltzustandes dürften hierbei auch veränderte Prioritäten eine Rolle

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spielen. Die bereits 1990 relativ hohe Bedeutung von Einkommen hat sich dagegen - ungeachtet der gestiegenen Haushaltseinkommen - in den neuen Bundesländern insgesamt leicht erhöht. Angesichts der rapide gestiegenen Zahl von Nichterwerbs­

tätigen ist weiterhin hervorzuheben, daß sich der subjektive Stellenwert von „Ar­

beit“ in Ostdeutschland bis 1993 insgesamt kaum verändert hat. Die hohe Bedeutung der eigenen Erwerbstätigkeit findet ihre umgekehrte Entsprechung in dem nachlas­

senden Stellenwert des Freizeitbereichs. Weniger als jeder vierte Ostdeutsche gibt 1993 noch an, „Freizeit“ sei für sein persönliches Wohlbefinden „sehr wichtig“; in Westdeutschland ist dies immerhin fast jeder Dritte. Die Zustände und Entwicklun­

gen der materiellen Bereiche „Arbeit“ und „Einkommen“ kennzeichnen damit den Kern jener Problemfelder, die bis 1993 das individuelle Wohlbefinden weiter Teile der ostdeutschen Bevölkerung wesentlich bestimmen.

Trotz des friedlichen Umbruchs und des veränderten politischen Rahmens spielte bereits 1990 der politische Einfluß für die Befragten in Ostdeutschland erstaunli­

cherweise keine ausgeprägte Rolle. Bis 1993 hat die Bedeutung dieses Bereichs weiter nachgelassen. Kaum noch ein Befragter in den neuen Ländern sieht zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeiten, politischen Einfluß zu nehmen, als „sehr wichtig“ für das eigene Wohlbefinden an. Hier deuten sich Veränderungen in Richtung einer resignativen „Distanzierung“ vom Politischen an.

Im Rahmen des Wohlfahrtssurveys 1993 wurden aus aktuellem Anlaß dem Thema „Kriminalität“ erstmals ein breiterer Raum eingeräumt. Damit wurde unter anderem dem Umstand Rechnung getragen, daß in Westdeutschland Kriminalität - wie in anderen westlichen Gesellschaften - nahezu zu einer „normalen“ Erschei­

nungsform geworden ist. Wie nun die Bürger diese Belastung wahmehmen und bewerten, war ein Ziel dieser Fragen. In Ostdeutschland dagegen stellten noch im Jahre 1990 die zunehmenden Medienberichte über Strafdelikte für die meisten Bürger eine neue Art von „Wirklichkeitserfahrung“ dar. Kriminalität wurde zuvor in der offiziellen Ideologie als typisches Merkmal kapitalistischer Gesellschaften gesehen; das dennoch vorhandene Ausmaß zählte entsprechend zu „Tabu-Themen“, über die selten oder gar nicht berichtet wurde (Baier/Boming 1991). Umso spekta­

kulärer erschienen die nach der Wende verstärkt durch die Medien verbreiteten Berichte über Kriminalitätsereignisse in Ostdeutschland. Aber nicht nur die Medi­

enberichterstattung, sondern auch die Realität der steigenden Kriminalitätsentwick­

lung trugen zu einer rapide steigenden Kriminalitätsfurcht im Osten bei. Inzwischen ist die Angst vor Kriminalität in West- und in Ostdeutschland zu einer der größten Sorgen avanciert (siehe weiter unten) und bestimmt nachhaltig das Lebensgefühl der Bürger. Über zwei Drittel der Ostdeutschen und mehr als die Hälfte der Westdeut­

schen stufen 1993 den „Schutz vor Kriminalität“ als „sehr wichtig“ für ihr

Wohlbe-finden ein. Dies iibetrifft damit selbst den Stellenwert zentraler materieller Lebens­

bereiche wie Einkommen und Arbeit.

Die jeweilige Wichtigkeit einzelner Lebensbereiche für das persönliche Wohlbefin­

den ist in Ost- und Westdeutschland nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleicher­

maßen ausgeprägt, sondern variiert nach dem Geschlecht, dem Alter und der sozialrechtlichen Stellung der Personen. Mit zunehmenden Alter gewinnt, nicht zuletzt aufgrund der altersbedingt wachsenden Probleme in diesem Bereich, die eigene Gesundheit an Bedeutung; andere Lebensbereiche wie „Umweltschutz“,

„Arbeit“, „Freizeit“ treten in fortgeschrittenen Lebensphasen in ihrem Stellenwert dagegen zurück. Auch die Wichtigkeit privater Bereiche, wie „Familie“ oder „Liebe und Zuneigung“, wird nicht zuletzt von dem Alter der Befragten und ihrer jeweiligen Stellung im Lebenszyklus bestimmt. Vor allem ältere Befragte über 64 Jahren halten diese Bereiche für ihr Wohlbefinden vergleichsweise weniger wichtig. In West- und Ostdeutschland ist die Bedeutung dieser Privatbereiche bis 1993 bei allen Teilgrup­

pen aber gestiegen. Vermutlich spielt dabei, angesichts der vielen belastenden Folgen des gesellschaftlichen Transformationsprozesses, vor allem in den neuen Bundesländern die gestiegene Bedeutung des Familienverbandes für persönliche Hilfs- und Unterstützungsleistungen eine Rolle.

Der „Schutz vor Kriminalität“ ist ebenfalls ein Bereich, dessen Stellenwert in Westdeutschland stark vom Alter der Befragten beeinflußt wird. Ältere Befragte fühlen sich dabei vor allem durch Einbruchs- und Raubdelikte bedroht (Babl 1993).

In den neuen Bundesländern wird die Bedeutung der Kriminalitätsbekämpfung aber auch von jüngeren Befragten hervorgehoben. Allgemein halten vor allem Frauen in Ost und West diesen Bereich für „sehr wichtig“.

In Westdeutschland schreiben männliche Befragte im erwerbsfähigen Alter

„Arbeit“ eine etwas höhere Bedeutung zu als Frauen. Auch in Ostdeutschland gaben 1990 Männer zu einem größeren Teil als Frauen an, dieser Bereich sei für ihr persönliches Wohlbefinden „sehr wichtig“. Die Bedeutungszuweisungen entwik- kelten sich bei den Ostdeutschen bis 1993 allerdings unterschiedlich: Während männliche Befragte „Arbeit“ nun sogareinen etwas niedrigeren Stellenwert einräu­

men, heben Frauen die Wichtigkeit dieses Bereichs insgesamt noch stärker hervor.

Jeweils rund zwei Drittel aller Männer und Frauen in den neuen Ländern betonen zu diesem Zeitpunkt die hohe Bedeutung einer Berufstätigkeit. Damit kann ausge­

schlossen werden, daß in den Lebensplänen ostdeutscher Frauen „Alternativen“ zur Erwerbstätigkeit - wie bspw. die in vielen westlichen Gesellschaften akzeptierte Hausfrauenrolle - auf absehbare Zeit ein höherer Stellenwert zukommen wird.

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Jüngere Befragte bis 30 Jahre, inbesondere aber Schüler und Studenten, gehören zu den Bevölkerungsgruppen in den neuen Bundesländern, für die „Arbeit“ weniger wichtig geworden ist. Inwieweit sich in diesen Veränderungen Ansätze für signifi­

kante Verschiebungen in den Wertorientierungen bei Teilen der ostdeutschen Jugend abzeichnen, kann zur Zeit noch nicht endgültig geklärt werden. Personen über 30 Jahre räumen dem Arbeitsbereich bis 1993 einen höheren Stellenwert ein.

Deutlich ist eine steigende Priorität von „Arbeit“ auch bei ostdeutschen Arbeits­

losen zu erkennen. In den alten Bundesländern haben hier die Bedeutungszumessun­

gen von 1988 bis 1993 hingegen erheblich nachgelassen. Nur noch etwas mehr als ein Drittel aller westdeutschen Arbeitslosen verbindet diesen Bereich noch wesent­

lich mit dem eigenen Wohlbefinden. In den neuen Bundesländern äußern 1993 hingegen vier von fünf Arbeitslosen hohe Erwartungshaltungen an den Arbeitsbe­

reich. Es ist angesichts dieser unverändert hohen bzw. sogar gestiegenen Wichtig­

keitszuweisungen davon auszugehen, daß ein reduziertes Anspruchsverhalten von Erwerbslosen in Ostdeutschland in naher Zukunft nicht zu erwarten sind. Die sichtbaren Reaktionen auf die Bedrohungen oder auf den direkten Verlust des eigenen Arbeitsplatzes werden weiterhin vor allem auf der Verhaltensebene zu finden sein: Migrationen von Ost- nach Westdeutschland, „Arbeitspendler“, Protest­

verhalten in Form von Demonstrationen, Hungerstreiks oder an der Wahlurne sowie zunehmende soziale Devianz.

Lebenszufriedenheit und Glücksempfinden: höheres Wohlbe' finden im Westen

E

s existieren eine Vielzahl von Möglichkeiten, subjektives Wohlbefinden zu beschreiben und im Rahmen von repräsentativen Bevölkerungsumfragen zu ermitteln. In unseren Erhebungen werden dabei vor allem Fragen nach „Zufrieden­

heit“ und „Glück“ gestellt. In Zufriedenheitsangaben kommt eine individuelle Bewertung zum Ausdruck; diese bezieht sich nicht ausschließlich auf die tatsächli­

che Qualität der Verhältnisse in bestimmten Lebensbereichen, wie beispiel weise auf die meßbare Höhe des Einkommens, sondern hängt darüber hinaus auch von sozialen Vergleichen mit wichtigen Bezugsgruppen ab und davon, was jemand im Rahmen seiner Lebenspläne im einzelnen wünscht, erwartet und anstrebt. Glück ist dagegen ein eher affektiver Zustand und ergibt sich aus dem Verhältnis positiverund negativer Erfahrungen und Erlebnisse einer Person. Einer der zentralsten Indikato­

ren ist dabei die Frage nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Diese verstehen wir als globales Maß der subjektiven Wohlfahrt. Die Einschätzung der eigenen Lebenszufriedenheit nehmen die Befragten in unseren Umfragen auf einer zehnstu­

figen Skala vor; sie reicht von „0“ (ganz und gar unzufrieden) bis „ 10“ (ganz und gar zufrieden).

Die große Mehrheit der westdeutschen Bundesbürger ordnet sich dabei 1993 im oberen Skalenbereich ein (Schaubild 8). Nur drei Prozent der Befragten stufen ihre Gesamtbewertung unterhalb der Skalenmitte ein, aber 14 Prozent sind mit ihrem Leben ganz und gar zufrieden. Trotz nicht unbedeutender Veränderungen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet ist dieses hohe Wohlfahrtsniveau seit 197 8 in Westdeutschland weitgehend unverändert geblieben (Tabelle 7) und lag im Be­

völkerungsdurchschnitt zwischen 7,7 und 7,9 auf der genannten Skala (Landua 1992a). Die Lebenszufriedenheit erweist sich damit als sehr stabiles Phänomen, das sich zwar bei einzelnen Individuen schnell verändern kann, aber für die Gesamtbe­

völkerung, zumindest im Rahmen einer Wohlstandsgesellschaft und unter den Bedingungen eines mäßigen sozialen Wandels, offenbar auf einem bestimmten Niveau verharrt.

In Ostdeutschland lag dieses Niveau 1990, kurz nach der deutschen Einheit, mit einem Gesamtdurchschnitt von 6,6 deutlich niedriger; der Anteil der hochgradig Zufriedenen einerseits (6%) und der Unzufriedenen (11%) andererseits kehrte sich im Vergleich zu den westdeutschen Werten von 1988 beinahe um. Die

Gesamtbe-Lebensbedingungenund Wohlbefinden Seite 45

Tabelle 7: Allgemeine Lebenszufriedenheit1 in Ost- und Westdeutschland

Unzu­

1 Zufriedenheitsskala von 0 bis 10.

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1978, 1980, 1984,1988,1990,1993

Abbildung 8: Allgemeine Lebenszufriedenheit in Ost- und Westdeutschland

Westdeutschland

Tabelle 8: Emotionales Wohlbefinden - Glück

sehr ziemlich unglücklich

ziemlich sehr glücklich

in Prozent W e s t

1978 1 4 74 22

1980 1 5 69 26

1984 1 8 72 20

1988 1 4 72 23

1993 1 5 70 24

O st

1990 1 14 74 10

1993 1 12 75 12

Datenbasis: Wohlfahrissurvey 1978,1980, 1984, 1988, 1990,1993

völkerung im Osten Deutschlands wies damit Ende 1990 in der Gesamtbilanzierung ihrer Lebensumstände ein Zufriedenheitsniveau auf, wie es im Westen lediglich bei Arbeitslosen, alleinlebenden, einsamen Älteren und dauerhaft gesundheitlich Beeinträchtigten - d.h. bei typischen Problemgruppen - anzutreffen ist. Den Hinter­

grund für dieses hohe Ausmaß an Unzufriedenheit bildeten, neben den (im Vergleich zu den westdeutschen Verhältnissen) schlechten Lebensbedingungen in der DDR, vor allem die Belastungen und Unsicherheiten im Rahmen des einsetzenden Trans­

formationsprozesses Ostdeutschlands. Bis 1993 ist in den neuen Bundesländern, trotz der anhaltenden und teilweise sogar intensivierten Probleme des ostdeutschen Transformationsprozesses, insgesamt eine leichte Verbesserung der Lebenszufrie­

denheit zu erkennen. Das große, allgemeine Wohlfahrtsgefälle zwischen neuen und alten Bundesländern hat sich dadurch jedoch bislang nur wenig reduziert.

Für die Angaben der Bürger zum Glück gilt bis 1993 in etwa die gleiche Tendenz:

Ein Fünftel bis ein Viertel der Westdeutschen bezeichnet sich jeweils als „sehr“; die große Mehrheit der Befragten fühlt sich „ziemlich glücklich“ (Tabelle 8). In die Kategorie „sehr unglücklich“ stuft sich nur ein kleiner Anteil von meist weniger als ein Prozent der befragten Personen ein. In den neuen Bundesländern gaben 1990 hingegen rund dreimal so viele Personen an, „sehr“ oder „ziemlich“ unglücklich zu

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sein, etwa ebenso viele wie in Westdeutschland äußerten, „ziemlich glücklich“ zu sein und weniger als halb so viele Befragte wie im Westen fühlten sich zu diesem Zeitpunkt „sehr glücklich“. Obwohl sich der weitaus größte Teil der neuen Bundes­

bürgerkurz nach der deutschen Einheit alles in allem eher „glücklich“ fühlte, deutete die ungünstigere Verteilung durchaus eine andere emotionale Grundstimmung in der ehemaligen DDR an. An diesem Tatbestand hat sich bis 1993 nichts grundlegen­

des verändert; es finden sich allerdings auch für diesen Indikator Anzeichen dafür, daß sich die Stimmungslage insgesamt eher etwas verbessert hat.

Zufriedenheit mit einzelnen Lebensbereichen: private Wohl­

fahrt und öffentliche Krise?

F

ür die Wohlfahrtsentwicklung in Deutschland sind neben den angeführten Verbesserungen in den objektiven Lebensbedingungen von 1990 bis 1993 auch die subjektiven Beurteilungen der Bürger über ihre konkreten Lebensumstände von Bedeutung. Hier findet sich ein Muster, das durchaus den objektiven Verbesserun­

gen folgt: Aus diesen resultieren im Osten ein entsprechend leichter Anstieg der Zufriedenheiten mit Wohnung, Wohngegend, Lebensstandard und auch Umwelt­

schutz sowie eine erhebliche höhere Zufriedenheit mit den eigenen Einkommens­

verhältnissen. Einige dieser Entwicklungen sollten hier kommentiert werden. So sind beispielsweise die gestiegenen Zufriedenheiten mit dem Umweltzustand nicht nur auf konkrete Maßnahmen zur Umweltsanierung, sondern auch als „Nebenfolge“

zahlreicher industrieller Betriebsstillegungen zurückzuführen. Bei der gestiegenen Einkommenszufriedenheit ist zu berücksichtigen, daß ein nicht unerheblicher Teil der ihr zugrundeliegenden Einkommenssteigerungen nicht als Resultat einer verbes­

serten Produktion oder Produktivität in den neuen Bundesländern anzusehen ist, sondern nur durch umfangreiche Finanztransfers von West nach Ost erzielt werden konnte. Im Rahmen knapper werdender öffentlicher Finanzmittel und zunehmender Verteilungskonflikte könnte die bislang positive Einkommensentwicklung in Ost­

deutschland durchaus unterbrochen werden.

Abbildung 9: Zufriedenheit in Lebensbereichen Ost- und Westdeutschland (Mittelwerte auf der Zufriedenheitsskala von 0 bis 10)

Ehe / Partnerschaft Familie Arbeitsteilung Haushalt Wohnung Wohngegend

'88 '93 ’90 ’93

Soziale Sicherung

West Ost

Demokratie

West Ost

6,5 5,7 / 4,2 Ausbildung

West Ost

7,2 7,2 6,9 7,3

Einkommen

West Ost

7,1 7,1 4,7 5,8

Politische Beteiligung

W est Ost

6,0 5,2 5,7 4,5

Ö ffentlicher Sicherheit

W est Ost

5,8 5,0 3,4 3,6

Kirche Umweltschutz

West Ost

4,5 5,0 2,2 4,8

Allgemeine Lebenszufriedenheit

Zufriedenheits­

skala 10

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988, 1990, 1993

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Das Niveau der Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz wies bei erwerbstätigen Personen 1990 noch große Ost-West-Unterschiede auf. Diese haben sich bis 1993 deutlich reduziert. Die Ursachen für die besseren Bewertungen sind nicht zuletzt in direktem Zusammenhang mit dem enormen Arbeitsplatzabbau in den neuen Bun­

desländern zu sehen. Viele von denen, die bis 1993 erwerbstätig bleiben konnten, erfuhren im Rahmen ihrer Berufstätigkeit positive Veränderungen: Höhere Einkom­

men, bessere technische Ausstattung des Arbeitsplatzes und mehr Eigenverantwor­

tung; umgekehrt wurden viele der unattraktiven und unproduktiven Arbeitsplätze in der Industrie abgebaut. Neben der durchschnittlich gestiegenen Arbeitszufrieden­

heit ist gleichzeitig jedoch auf die ebenfalls gestiegene Differenzierung in diesem

heit ist gleichzeitig jedoch auf die ebenfalls gestiegene Differenzierung in diesem

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