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G esellschaftliche Konflikte und soziale IntegrationIntegration

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3 Konfliktbereiche und Problem

3.1 G esellschaftliche Konflikte und soziale IntegrationIntegration

Z

um Bild des wiedervereinigten Deutschland wie es vor allem in den Medien gegenwärtig gezeichnet wird, gehören nicht nur das Wohlstandsgefälle und die Wohlfahrtsdisparitäten zwischen West und Ost, die sich nur langsam verringern, sondern auch eine tiefe gesellschaftliche Zerrissenheit, ein spannungsgeladenes soziales Klima und eine bleibende, wenn nicht sogar wachsende Kluft und Entfrem­

dung in den persönlichen und sozialen Beziehungen zwischen der westdeutschen und der ostdeutschen Bevölkerung. Auskunft darüber, wie es um die Entwicklung der „inneren Einheit“, aber auch um darüber hinausgehende gesellschaftliche Konfliktlinien und die soziale Integration in der Bundesrepublik gegenwärtig tatsächlich bestellt ist, liefern uns verschiedene Indikatoren: die Wahrnehmung von Konflikten zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Symptome der Anomie, wechsel­

seitige Einschätzungen und Bewertungen von Problemen im Prozeß der Einigung sowie die Mitgliedschaft und Integration in gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen.

Wahrnehmung von gesellschaftlichen Konflikten: Ost-West- Problem nicht auf Platz 1

erbreitung und Ausmaß der Wahrnehmung von Konflikten dokumentieren die

V

Anworten auf eine Frage nach der Existenz und Intensität von Interessen- Konflikten zwischen ausgewählten gesellschaftlichen Gruppen, wie z.B. Arbeitge­

bern und Arbeitnehmern, Gastarbeitern und Deutschen, Männern und Frauen, Ost- und Westdeutschen. Auch wenn aus der Konflikt Wahrnehmung nur bedingt auf das tatsächliche Ausmaß von entsprechenden Konflikten geschlossen werden kann, weil sich Konflikte als mehr oder weniger sichtbar und virulent darstellen und - gefiltert über die Medien - beachtet werden oder unbeachtet bleiben, dramatisiert oder heruntergespielt werden können, sind Befunde zur Konfliktperzeption aufschluß­

reich, weil sie Rückschlüsse auf das aktuelle gesellschaftliche Klima erlauben.

Festzustellen ist zunächst, daß die Gesellschaft der Bundesrepublik von ihrer Bevölkerung mehrheitlich als konfliktreich erlebt wird: Im Osten wie im Westen der Republik nehmen jeweils beachtliche Bevölkerungsanteile - in den meisten Fällen sogar eine Majorität der Bevölkerung -“starke“ vielfach auch „sehr starke“ Konflikte zwischen den vorgegebenen gesellschaftlichen Gruppierungen wahr. Das Muster der Konfliktwahmehmung unterscheidet sich in West- und Ostdeutschland nur wenig, aber das Ausmaß in dem Konflikte perzipiert werden, ist in den neuen Bundesländern im Durchschnitt etwas größer als in den alten.

Hier wie dort werden häufiger als zwischen allen anderen Gruppen Konflikte zwischen Asylbewerbern und Deutschen wahrgenommen, gefolgt von politisch links und rechts stehenden Parteien (Schaubild 13). Dabei fällt auf, daß ein Interes­

senkonflikt zwischen Asylbewerbern und Deutschen von der ostdeutschen Bevölke­

rung - entgegen manchen Vermutungen oder auch Behauptungen - seltener wahrge­

nommen wird als von der westdeutschen. Der gegenwärtig so sehr im Mittelpunkt der Medienberichterstattung stehende Interessenkonflikt zwischen Ost- und West­

deutschen folgt nach der Häufigkeit der Nennungen im Westen nur an dritter und im Osten sogar erst an vierter Stelle - noch nach dem Interessenkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Daß es einen starken oder sehr starken Konflikt zwischen Ost- und Westdeutschen gibt, glauben aber immerhin jeder zweite west­

deutsche und 60 Prozent aller ostdeutschen Bürger. Einen „starken“ oder „sehr starken“ Interessenkonflikt zwischen Gastarbeitern und Deutschen nehmen rund 50 Prozent der Befragten in Ost und West wahr. Anhaltspunkte für eine stärkere

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Abbildung 13: Konfliktwahrnehmung in West- und Ost­

deutschland

„Ausländerfeindlichkeit“ oder zumindest eine konkurrenzbedingte stärkere Rivali­

tät gegenüber Ausländem in den neuen Bundesländern bieten diese Befunde nicht.

Viel stärker als im Westen sehen die Bürger im Osten dagegen einen Interessenge­

gensatz zwischen Arm und Reich. Interessenkonflikte zwischen den Geschlechtern und den Generationen werden im Vergleich zu den anderen Gruppierungen trotz intensiver Diskussionen über die geschlechtsspezifische Ungleichheit und die durch die Verwerfungen der Altersstruktur bedingten Belastungen, die für die junge Generation zukünftig zu erwarten sind, nur in sehr geringem Umfang wahrgenom­

men.

Über die Zeit betrachtet hat sich das Ausmaß der Wahrnehmung von Konflikten in der Gesellschaft der Bundesrepublik - für das ehemalige Bundesgebiet - erheblich

Tabelle 19: Konfliktwahrnehmung im Zeitverlauf

Arbeitgebern u. Arbeitnehmern 15 32 16 10 15 20

Gastarbeitern u. Deutschen *) 15 18 19 15 29 15

Asylbewerbern u. Deutschen 44 38

Ost- u. Westdeutschen 10 8 17

Anteil "sehr starke“ Konflikte in Prozent

*)1984 bis 1990: zwischen Ausländern und Deutschen

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1978, 1984, 1988, 1990-Ost, 1993

verringert. Am Ende der siebziger, aber auch während der achtziger Jahre nahmen ausnahmslos wesentlich größere Bevölkerungsanteile Konflikte zwischen den berücksichtigten gesellschaftlichen Gruppierungen wahr als gegenwärtig (Tabelle 19). So gingen beispielsweise im Vergleich zu 1978 die Anteile der Bevölkerung, die

„starke“ oder „sehr starke“ Interessenkonflikte zwischen politisch links und rechts stehenden Parteien sehen, von 84 auf 66 Prozent zurück, zwischen Arm und Reich von 67 auf 46 und zwischen Jungen und Alten sogar von 63 auf 20 Prozent. Weniger klar ist die Tendenz der Konfliktwahmehmung in Ostdeutschland im Vergleich von 1990 und 1993. Während in einigen Fällen - z.B. zwischen Links und Rechts oder Jungen und Alten, auch hier Konflikte seltener perzipiert werden als im Oktober 1990, werden Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Arm und Reich und nicht zuletzt zwischen Ost- und Westdeutschen dort heute häufiger wahrgenommen als damals.

Die Abhängigkeit der Perzeption von soziodemographischen Merkmalen ist hier wie dort sehr ähnlich: Es sind jeweils die Merkmale Alter, Bildungsniveau und Geschlecht, die die Konfliktwahrnehmung beeinflussen. Frauen, jüngere und

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detere Personen nehmen in der Regel Konflikte stärker wahr als Männer, ältere und weniger gebildete Personen. Nur im Falle des Interessenkonflikts zwischen Jungen und Alten kehrt sich der Zusammenhang mit dem Alter um. Die Korrelationen sind allerdings in aller Regel nicht sehr stark und für die ostdeutsche Population zumeist noch schwächer als für die westdeutsche.

Wechselseitige Einschätzungen und Wahrnehmungen: Orien­

tierung am Westen

D

ie Mißstimmungen, die sich nach der ersten Euphorie der Maueröffnung Zug um Zug eingestellt haben und das „Reizklima“, das die Stimmung in Deutsch­

land seit einiger Zeit zu beherrschen scheint, sind nicht nur auf die unerwartet großen objektiven Schwierigkeiten zurückzuführen, die der Transformationsprozeß in Ostdeutschland und die Angleichung der Lebensbedingungen an das in den alten Bundesländern erreichte Niveau mit sich bringt. Offenbar spielen dabei auch subjektive Momente, wie gegenseitige Ressentiments oder die Befürchtungen verschiedener Bevölkerungsgruppen deklassiert oder marginalisiert zu werden, Besitzstände zu verlieren, vom versprochenen Wohlstand ausgeschlossen zu bleiben oder auf erwartete und gewohnte Wohlfahrtssteigrungen verzichten zu müssen, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Für die nur schwer in Gang kommende soziale und kulturelle Integration von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang - daran lassen die uns hierzu vorliegenden Ergebnisse keinen Zweifel - vor allem auch die wechselseitigen Wahrnehmungen, Einschätzungen und Motivzuschreibungen der Bevölkerungsteile in Ost und West.

Abbildung 14: Wechselseitige Einstellungen über die Betastungen im Einigungs-prozeß

Westdeutschland Ostdeutschland

Anteil: ’ stimme voll zu’ und "stimme eher zu"

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993

Im Kern stehen sich - was die Einschätzung des Transformationsprozesses und der damit zusammenhängenden Probleme angeht - zwei gegensätzliche Deutungs­

muster gegenüber: Während den Ostdeutschen der Prozeß der Angleichung der Lebensverhältnisse zu langsam geht und sie der Ansicht sind, ihren wohlhabenden und über Jahrzehnte privilegierten westdeutschen Landsleuten könnten größere Opfer zugemutet werden, sind die Westdeutschen angesichts der enormen Kosten der Vereinigung um ihren Lebensstandard besorgt und zudem mehrheitlich davon überzeugt, daß die neuen Bundesbürger ihr Anspruchsniveau reduzieren und mehr Geduld aufbringen müßten. 1993 stimmen 80 Prozent der ostdeutschen Befragten, aber lediglich 50 Prozent der westdeutschen der Aussage zu, „die Bürger der alten Bundesländer sollten zu mehr Opfern bereit sein, um die Lage in den neuen Bundesländern zu verbessern“. Demgegenüber vertreten 94 Prozent, d.h. nahezu die

Lebensbedinqungenund Wohlbefinden Seite 9 3

Abbildung 15: Bewertungen der gesamten Lebensbedingungen

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993

gesamte westdeutsche Bevölkerung, die Auffassung, „die Bürger der neuen Bun­

desländer sollten mehr Geduld zeigen, was die Verbesserung ihrer Lage betrifft“, im Vergleich zu 63 Prozent der Ostdeutschen. Diese Haltungen sind - wie der Vergleich der Werte mit Resultaten anderer Untersuchungen ergibt - über die Zeit weitgehend stabil geblieben und haben sich der Tendenz nach eher noch verfestigt.

Weniger drastisch sind die Ost-West-Unterschiede hinsichtlich der Bereit­

schaft, zugunsten der Förderung des ökonomischen Aufbaus und einer Beschleu­

nigung der Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern Verzicht zu üben und finanzielle Belastungen hinzunehmen. Erwartungsgemäß ist die Bereitschaft dazu in der ostdeutschen Bevölkerung geringer, zumal dort auch der Anteil derjenigen größer ist, die für sich beanspruchen, bereits sehr starke Belastun­

gen zu tragen. Deutlich wird aber vor allem, daß die Akzeptanz weiterer finanzieller Belastungen in der Bevölkerung in erster Linie von einer gerechten Verteilung abhängt. Dieser Auffassung stimmen im Osten wie im Westen eine Majorität von rund 70 Prozent der Befragten zu.

Die paradoxe Situation der gegenseitigen Einschätzungen, die jeweils andere Bevölkerung hätte zunächst „Vorleistungen“ zu erbringen, zeigt sich auch in den abweichenden Vorstellungen über die Lebenslage im jeweils anderen Teil Deutsch­

lands . Hierzu wurden anhand einer Skala unter anderem Fragen nach dem Niveau der eigenen Lebensbedingungen sowie nach dem durchschnittlichen Niveau im Osten und im Westen gestellt; diese wurden durch Fragen nach den besten vorstellbaren Lebensbedingungen sowie nach den gerechterweise zustehenden Lebensbedingun­

gen und der Einschätzung der Lebensbedingungen vor fünf und in fünf Jahren ergänzt.

Bei den wechselseitigen Einschätzungen des Niveaus der gesamten Lebensbe­

dingungen in Ost- wie in Westdeutschland (vgl. Schaubild 15) stoßen wir auf erstaunliche Phänomene: Die westdeutsche Bevölkerung unterschätzt erheblich das ostdeutsche Niveau der Lebensbedingungen, wie die ostdeutsche Bevölkerung das westdeutsche deutlich überschätzt. Und während für die Bürger in Westdeutschland kaum Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, welches Niveau man heute selber hat, welches einem gerechterweise zusteht und was die bestehen vorstellbaren Lebensbedingungen wären, klafft für die Bürger Ostdeutschlands eine mehrfache

„Anspruchslücke“. Die Abstand der durchschnittlichen ostdeutschen Lebensbedin­

gungen zu den besten vorstellbaren Lebensbedingungen ist erheblich. Diese Diskre­

panz ist noch größer zu den gerechterweise zustehenden Lebensbedingungen, und noch weiter entfernt liegen die vermuteten Lebensbedingungen der westdeutschen Bevölkerung. Auch wenn hier die westdeutschen Lebens Verhältnisse überschätzt werden, sind die entsprechenden Auffassungen soziale Tatbestände. Sie bilden gewissermaßen den Ankerpunkt für die Beurteilung der eigenen Situation und des bisher Erreichten - für die ostdeutsche Bevölkerung ist das Ziel der Angleichung an die westdeutschen Lebensbedingungen. Allerdings finden wir auch hier das Phäno­

men, daß die eigene Lage besser als die allgemeine Lage eingeschätzt wird - im Durchschnitt liegen die eigenen Lebensbedingungen der ostdeutschen Bevölkerung erheblich über dem Niveau, das sie selbst für den Durchschnitt hält. Die allgemeine Wahrnehmung der typischen Lebenslage ist schlechter als die eigenen Erfahrungen.

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Verbreitung von Anomiesymptomen: Macht- und Orientie­

rungslosigkeit

ls Anomie bezeichnet die soziologische Theorie ein gestörtes Verhältnis zu und 2 V zwischen gesellschaftlichen Normen auf der einen und gesellschaftlichen Zielen oder Werten auf der anderen Seite. Anomie ist das Symptom einer aus dem Gleichgewicht geratenen und in ihrer Integration gefährdeten Gesellschaft. Wäh­

rend ein bestimmtes Maß an Anomie selbst unter stabilen gesellschaftlichen Verhält- nissen als „normal“ gilt, ist eine Zunahme anomischer Zustände vor allem infolge eines raschen und tiefgreifenden sozialen Wandels sowie einer nachhaltigen Ver­

schlechterung oder auch Verbesserung der ökonomischen Situation - Prozessen wie sie in den neuen Bundesländern derzeit in großem Umfang zu beobachten sind - zu erwarten. Operational definiert wird Anomie heute gewöhnlich als die Empfindung von Sinnlosigkeit, Machtlosigkeit, Normlosigkeit, Beziehungslosigkeit und Ent­

fremdung. Im Rahmen des Wohlfahrtssurveys werden anhand von fünf Fragen verschiedene Symptome der Anomie operationalisiert und in ihrer Verbreitung gemessen. Ermittelt werden damit Empfindungen der Einsamkeit und der Entfrem­

dung von der Arbeit, der Gefühlslage, Problemen ausgeliefert zu sein und der Orientierungslosigkeit in komplizierten Verhältnissen sowie eine mehr oder weni­

ger zuversichtlichen Haltung gegenüber der Zukunft.

Die vorliegenden Befunde bestätigen die Vermutung, daß Anomiesymptome in den neuen Bundesländern gegenwärtig generell häufiger verkommen als in den alten. Allerdings gilt dies nicht für alle Symptome gleichermaßen. Einsamkeit und fehlende Arbeitsfreude z.B. werden von den ostdeutschen Befragten zwar auch geringfügig häufiger genannt als von den westdeutschen, aber die Differenzen sind nicht oder nur schwach signifikant. Bemerkenswert ist vor allem auch, daß Ost- und Westdeutsche sich in ihrer Zukunftszuversicht - die als ein Indikator für ein als sinnvoll angesehenes Leben interpretiert werden kann - so gut wie nicht unterschei­

den. Dabei mögen hier „bottom“ und „ceiling“-Effekte durchaus eine Rolle spielen:

In Ostdeutschland eine durch die faktische Lage bedingte Haltung, daß es kaum noch schlechter, sondern nur noch besser werden kann und in Westdeutschland das Unvermögen vieler, die auf hohem Standard leben, sich für die Zukunft eine weitere Steigerung vorzustellen oder zu erhoffen. Die Ost-West-Differenzen sind dagegen am stärksten ausgeprägt, wo sie am ehesten zu erwarten sind. So ist der Anteil derjenigen, die der Aussage „das Leben ist heute so kompliziert geworden, daß ich mich fast nicht mehr zurecht finde“ im östlichen Teil Deutschland mit 32 Prozent

Abbildung 16: Verbreitung von Anomie

Westdeutschland Ostdeutschland

Anteil: 'stim mt ganz" und "stimmt eher"

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993

erheblich größer als im Westen mit lediglich 13 Prozent. Das gilt auch für den Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmen, an den meisten unserer heutigen Schwierig­

keiten nichts ändern zu können, der mit 86 Prozent im Osten den im Westen mit 74 Prozent deutlich übertrifft. Offenbar hat die radikale Umgestaltung der gesamten Lebensverhältnisse bei einem beachtlichen Teil der ostdeutschen Bevölkerung Anomiesymptome vor allem in der Form von Gefühlen der Macht- und Orientie­

rungslosigkeit hervorgerufen.

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Tabelle 20: Anomiesymptome im Zeitverlauf

Westdeutschland Ostdeutschland

1978 1980 1984 1988

in Prozent

1993 1990 1993

Ichfühle mich oft einsam 18 18 17 14 13 21 18

Das Leben ist heute so 15 14 11 13 38 32

kompliziert geworden, daß ich mich fast nicht mehr zurecht finde

Meine Arbeit macht mir 15 15 14 11 21 17

eigentlich keine Freude

Ich kann an den meisten unserer 69 74 74 86

heutigen Schwierigkeiten nicht viel ändern

Wenn ich an die Zukunft denke, 57 54

bin ich eigentlich recht zuversichtlich

Anteile "stimmt ganz und gar" und "stimmt eher"

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1978, 1 984,1988,1990-Ost, 1993

Im Vergleich zu 1990 ist für die neuen Bundesländer jedoch fast durchgängig eine leichte Abnahme der Verbreitung von Anomiesymptomen zu beobachten - ein weiteres Zeichen für eine der Tendenz nach insgesamt positive Entwicklung.

Lediglich Gefühle der Machtlosigkeit haben sich gegenüber 1990 noch verstärkt - übrigens auch im Westen die einzige Anomiedimension für die im längerfristigen Vergleich ein Anstieg zu verzeichen ist.

Gesellschaftliche Integration: geringere Netzwerke im Osten

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robleme der sozialen Integration lassen sich nicht allein auf die Dimension des Ost-West-Verhältnisses im vereinigten Deutschland reduzieren, auch wenn die damit verbundenen Probleme gegenwärtig von besonderer Bedeutung sind und im Mittelpunkt des Interesses stehen. Neben der derzeit im Vordergrund stehenden makrogesellschaftlichen Komponente hat soziale Integration auf der Mikroeben auch die Dimension der Teilhabe an gesellschaftlichen Institutionen, der Mitglied­

schaft in entsprechenden Organisationen und Einrichtungen sowie der Eingebun­

denheit in persönliche Beziehungen und Netzwerke.

Die ausgeprägtesten Ost-West-Differenzen finden sich unter diesen Aspekten der sozialen Integration bei der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft:

Während in den alten Bundesländern lediglich 13 Prozent der Befragten angeben, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören, bildet der Personenkreis der Konfessi­

onslosen in den neuen Bundesländern mit einem Anteil von 70 Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung. In der Altersgruppe der 18 bis 30 Jährigen steigt der Anteil sogar auf über 80 Prozent.

Größer als in Westdeutschland ist in Ostdeutschland auch der Anteil der Perso­

nen, die angeben, keiner Organisation und keinem Verein anzugehören. Die den Sozialismus charakterisierende Zentralität kollektiver und organisierter Lebensfor­

men ist in den neuen Bundesländern heute nicht mehr erkennbar. Lediglich in einer Gewerkschaft sind die Bürger der neuen Bundesländer häufiger Mitglied als im Westen, seltener dagegen in Parteien, Bürgerinitiativen und Vereinen. Überra­

schend sind vor allem die großen Ost-West-Unterschiede in der Vereinmitglied­

schaft. Eine partielle Erklärung für die niedrigeren Mitgliedschaftsquoten in Ost­

deutschland mag darin liegen, daß in der ehemaligen DDR die Betriebe zum Teil auch Funktionen übernommen hatten, die - wie das Angebot und die Organisation sportlicher und sonstiger Freizeitaktivitäten - im Westen traditionellerweise von Vereinen ausgeübt werden. Anders als im Westen sind Frauen in den neuen Bundesländern ebenso häufig gewerkschaftlich organisiert wie Männer. Darüber hinaus aber gilt, daß die Mitgliedschaft in Organisationen und Vereinen im Westen wie im Osten in erster Linie Männersache ist.

Betrachtet man die Eingebundenheit in persönliche Beziehungsnetze als die unmittelbarste Form der sozialen Integration, so ist zunächst festzustellen, daß der Anteil der Alleinlebenden in den neuen Bundesländern zumindest bisher noch

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Tabelle 21: Indikatoren der gesellschaftlichen Integration

Westdeutschland Ostdeutschland

1988 1993 1990 1993

in Prozent Wahrnehmung von

eigenen

Kontaktmöglichkeiten:

Gute Möglichkeiten 75 79 65 68

Geringe/ Keine Mögl. 23 20 33 31

Weiß nicht 2 1 2 1

Enge Freunde außerhalb 81 87 75 81

der Familie:

Durchschnittliche Zahl an 4,6 4,9 4,3 4,4

Freunden:

Häufigkeit der Treffen:

- Beinahe täglich 18 14 10 12

- Mindestens IxWoche 48 51 32 40

- Wenigstens IxM onat 25 27 37 35

- Seltener/ Nie 9 8 20 13

Haushaltsformen

Ein-Personenhaushalte 24 32 24 25

(Ehe-)Partnerhaushalte 64 57 68 64

Sonstige Haushalte 12 11 8 11

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988, 1990-Ost, 1993

niedriger als in den alten Bundesländern ist. Gegenüber zwei Drittel in Westdeutsch­

land leben in Ostdeutschland drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung innerhalb oder außerhalb einer Ehe mit einem Partner zusammen. Nicht bestätigt findet sich dagegen die häufig geäußerte These einer höheren Dichte und Intensität persönlicher

Tabelle 22: Mitgliedschaften in Organisationen und Vereinen

Westdeutschland Ostdeutschland

1983 1993 1990 1993

insq. M F Insg. M F Insq. M F Insq. M F

in Prozent

Gewerkschaft 17 30 7 17 27 8 46 45 47 25 26 24

Partei 5 9 2 5 7 3 6 6 5 3 4 2

Bürgerinitiative 2 3 1 2 2 2 2 2 1 0 1 0

Kirchlicher Verein

11 9 12 7 5 8 -* - - 5 3 6

Musik, -Gesangsverein

9 10 8 6 8 5 - 1 1 2

Sportverein 31 40 23 28 35 21 - 10 14 6

Anderer Verein 25 33 19 19 24 15 14 18 10

Kein Verein/

Organisation

42 30 52 44 31 55 - - - 53 47 58

• Indikatoren nicht erhoben.

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1 98 8,1990-Ost, 1993

Kontakte und Beziehungen außerhalb von Familie und Verwandtschaft in den neuen Bundesländern. Ostdeutsche Befragte schätzen nicht nur ihre Chancen mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen niedriger ein als ihre westdeutschen Landsleute, auch die Zahl der Freundschaften ist im Durchschnitt niedriger und die Kontakthäu­

figkeiten sind geringer als im Westen.

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3.2 Problem gruppen und Problem ­

Im Dokument W W J L P93-108 (Seite 88-102)