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Problem gruppen und Problem ­ kum ulationenkum ulationen

Im Dokument W W J L P93-108 (Seite 102-116)

3 Konfliktbereiche und Problem

3.2 Problem gruppen und Problem ­ kum ulationenkum ulationen

D

ie soziale Schichtung moderner Gesellschaften ist u.a. dadurch gekennzeichnet, daß es nicht nur eine einzige homogene Randschicht oder benachteiligte Gruppe gibt. Vielmehr lassen sich verschiedene Bevölkerungsgruppen identifizie­

ren, die in unterschiedlichen Lebensbereichen Defizite aufweisen. Bevölkerungs­

gruppen, die in einem oder mehreren Bereichen hinsichtlich ihrer objektiven Lebensbedingungen unter den vorhandenen oder allgemein akzeptierten Standards der Mehrheit der Bevölkerung liegen oder deren subjektives Wohlbefinden stark beeinträchtigt ist, können als „Problemgruppen“ einer Gesellschaft verstanden werden. Schlechte Lebensbedingungen werden hier als „objektive Problemlagen“

und starke Beeinträchtigungen des Wohlbefindens als „subjektive Problemlagen“

bezeichnet. Im folgenden werden sechs objektive und drei subjektive Problemlagen untersucht. Die objektiven Problemlagen betreffen die Bereiche Einkommen, Woh­

nung, Bildung, Sozialbeziehungen und Gesundheit. Die subjektiven Problemlagen beziehen sich auf die Dimensionen Einsamkeit, Glück sowie Ängste und Sorgen.

Die sozialpolitischen Maßnahmen des Wohlfahrtsstaates richten sich nicht zuletzt auf die Aufgabe, die Wohlfahrt insbesondere jener Bürger zu sichern bzw.

wiederherzustellen, die in wichtigen Lebensbereichen solche Defizite aufweisen.

Diese Aufgabe schließt seit der deutschen Einheit in hohem Maße die Probleme und Versorgungsdefizite der Bevölkerung in den Neuen Bundesländern mit ein. In vielen Lebensbereichen können für die Alten Bundesländer innerhalb der letzten Dekade durch die Wirkung sozialpolitischer Maßnahmen insgesamt zwar Verbesserungen festgestellt werden (Riede 1989), allerdings konnten von diesen Verbesserungen keineswegs alle betroffenen Gruppen gleichermaßen profitieren. Auch in West­

deutschland ist die Situation vieler Bürger nach wie vor durch erhebliche Wohl­

fahrtsdefizite gekennzeichnet. In den folgenden Ausführungen stehen deshalb drei Fragestellungen im Vordergrund: Erstens soll untersucht werden, welche Größen­

ordnungen einzelne Problemgruppen in Ost- und Westdeutschland haben und welche sozialen Merkmale für sie charakteristisch sind. Zweitens soll der Frage nachgegangen werden, wie häufig sich objektive und subjektive Problemlagen

kumulieren und welche Bevölkerungsgruppen von mehrfachen Benachteiligungen besonders betroffen sind.

Objektive und subjektive Problemlagen:beachtliche horizonta­

le Disparitäten

D

ie Größenordnung der Problemgruppen variiert in den einzelnen Lebensberei­

chen, Dimensionen sowie zwischen Ost- und Westdeutschland beträchtlich*

(Tabelle 23). Das Ausmaß der Betroffenheit von bestimmten objektiven Problemla­

gen ist in Westdeutschland vor allem im Wohnungsbereich zurückgegangen. Diese Entwicklung wird anhand von zwei unterschiedlichen Indikatoren, Belegungsdichte und Wohnungsausstattung, dargestellt. Waren 1978 nach dem allgemein anerkann­

ten Standard der Belegungsdichte einer Wohnung (eine Person pro Wohnraum) noch rund 17% der Bundesbürger mit Wohnraum unterversorgt (Riede 1989:514f.), so ging dieser Anteil bis 1988 auf rund 7 % zurück. 1993 ist in den Alten Bundesländern hier allerdings wieder ein leichter Anstieg erkennbar. Ebenso deutlich fällt die Verbesserung hinsichtlich der Ausstattung der Wohnungen mit einem Bad aus.

Weniger als 2% aller westdeutschen Haushalte verfügten 1993 über kein eigenes Bad innerhalb ihrer Wohnung.

In den Neuen Bundesländern waren 1990 im Wohnungsbereich noch erhebliche Versorgungsdefizite vorhanden. Über 17% aller Haushalte wiesen eine Belegungs­

dichte auf, die unter dem anerkannten Standard liegt. Eine Verbesserung dieser Situation zeichnet sich bis 1993 nicht ab. Angelaufene Wohnungsbau- und Sanie­

rungsprogramme werden hier erst in einiger Zeit zu einer spürbaren Entlastung beitragen können; dies allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die Kostenent­

wicklung für größere Wohnungen die finanziellen Möglichkeiten der ostdeutschen Bevölkerung nicht übersteigt. Die hohe Unterversorgung vieler Haushalte in den Neuen Bundesländern dokumentiert sich auch in dem niedrigen sanitären

Ausstat-Die Größenordnung einzelner Problemgruppen hängt natürlich auch davon ab, wel­

che Kriterien bei der Definition der jeweiligen Problemlage angewandt werden. Da es bspw. keine verbindlichen Armutsgrenzen gibt, werden im Einkommensbereich hier die 10% der Bevölkerung, die die niedrigsten gewichteten Pro-Kopf-Einkommen der Haushalte haben, als „arm“ definiert.

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Tabelle 23: Objektive und subjektive Problemlagen

1988

Im untersten Einkommensdezil 10.0 10.0 10.0 10.0

Relativ arm* 9.8 8.5 3.8 5.1

Weniger als 1 Wohnraum (ohne

Oft einsam 14.0 22.2 13.1 16.1

Immer wieder Ängste und

Im untersten Einkommensdezil befinden sich alle Personen, deren Ein­

kommensniveau im untersten Zehntel der Verteilung des nach Größe des Haushalts und nach Bedarf einzelner Haushaltsmitglieder gewichteten Einkommens liegt. Dieser Anteil ergibt für jedes Jahr 10%. Als „relativ arm“ werden alie Personen bezeichnet, deren Haushaltseinkommen weni­

ger als 50% des durchschnittlichen Haushaltseinkommens beträgt. Für die weiteren Analysen betrachten wir aus pragmatischen Gründen lediglich die Gruppe im untersten Dezil.

** Anteil der Personen ohne beruflichen Ausbildungsabschluß an der er­

werbsfähigen Bevölkerung (18-60 Jahre): 1988: 21.5%; 1990-Ost: 5.6%;

1993-West: 15.9%; 1993-Ost: 5.8%.

*** 988 und 1990 Frage: „Haben Sie eine andauernde Krankheit oder Behin­

derung, die Sie gezwungen hat, Ihren Beruf zu wechseln oder Ihr Leben ganz umzustellen?“. 1993 wurde die Frage gestellt: „Sie Sie dauerhaft be­

hindert oder pflegebedürftig?“

tungsgrad der Wohnungen: Jede sechste Wohnung verfügte 1990 über kein eigenes Bad. Dieses Defizit konnte allerdings innerhalb von zwei Jahren durch zahlreiche Einbaumaßnahmen bereits deutlich reduziert werden (9.7%).

Auch die Ausbildungssituation hat sich in den Alten Bundesländern nennenswert verbessert: 1988 verfügten noch fast 30% der Bundesbürger über keine abgeschlos­

sene Berufsausbildung; dieser Anteil ist bis 1993 insgesamt auf rund 18% zurück­

gegangen. Nur noch jeder sechste Westdeutsche im erwerbsfähigen Alter (18-60 Jahre) verfügt über keinen beruflichen Ausbildungsabschluß; dennoch handelt es sich hierbei um eine nach wie vor bedeutende Gruppe. Für diese Personen stellt die fehlende Ausbildung gerade heute ein besonders großes Problem dar, da sie unter der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit mit immer mehr qualifizierten Arbeitskräften konkurrieren müssen. Das Qualifikationsniveau der erwerbstätigen Bevölkerung stieg in der Bundesrepublik und in der DDR in den letzten Jahrzehnten deutlich an.

Einzelne Schübe der Höherqualifizierung erfolgten in der DDR jedoch früher und zahlenmäßig umfangreicher als in der Bundesrepublik (Geißler 1992:212ff.)*. Ein Resultat hiervon war, daß 1990 das formale Ausbildungsniveau in Ostdeutschland über dem in Westdeutschland lag. Nur 6% der erwerbsfähigen Bevölkerung war ohne beruflichen Abschluß. Die konkrete Qualität der Bildungsabschlüsse wird durch rein quantitative Entwicklungen formaler Qualifikationen aber nur ungenü­

gend erfaßt. Die Probleme bei der Umgestaltung der Arbeitsplätze in den Neuen Bundesländern zeigen, daß eine häufig veraltete Arbeitsplatzstruktur mit häufig veralteten Qualifikationen der Erwerbstätigen einherging. Dementspricht, daß viele Erwerbstätige in der DDR für ihre Tätigkeit gar keine Ausbildung oder nur eine kurze Einweisung gebraucht haben. Ostdeutsche Berufstätige waren häufiger unter­

qualifiziert eingesetzt als Westdeutsche (Wagner/ Schupp 1991:179ff).

Eher geringfügige Veränderungen im Ausmaß der Betroffenheit zeigen sich in Ost und West hinsichtlich des Defizits an Sozialbeziehungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Zwischen 3% und 6% der Deutschen lebten zwischen 1988 und 1993 in einer gewissen sozialen Isolation, da das bei den meisten Menschen vorhandene Bedürfnis nach engen sozialen Bindungen weder in einer Part­

nerbeziehung noch in einer Freundschaftsbeziehung realisiert werden konnte. Schließ­

lich scheinen auch im Gesundheitsbereich nicht unbedeutende Beeinträchtigungen vorhanden zu sein: Fast jeder achte Befragte in den Alten und Neuen Bundesländern berichtete 1988 bzw. 1990 von einer Krankheit oder Behinderang, die ihn gezwun­

gen hat, den Beruf zu wechseln oder das Leben ganz umzustellen. Die nur 1993 gestellte Frage nach der eigenen, dauernden Pflegebedürftigkeit ergibt für Ost- und Westdeutsche ebenfalls ein vergleichbares Bild; jeweils jeder zwanzigste Befragte über 18 Jahren gab an, dauerhaft pflegebedürftig zu sein.

Es ist an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen, daß ein beträchtlicher Anteil der unqualifizierten Arbeiterpositionen in Westdeutschland von ausländischen Arbeit­

nehmern gestellt wird. Ausländische Mitbürger sind in der Stichprobe der Wohlfahrts- surveys jedoch aus erhebungstechnischen Gründen nicht enthalten. Der Anteil an unqualifizierten Arbeitnehmern in der Gesamtbevölkerung wird für die Verteilung in Westdeutschland deshalb unterschätzt.

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Ein teilweise beträchtliches Ausmaß an Betroffenheit zeichnet sich auch bei subjektiven Problemlagen ab. So hatte 1988 fast jeder fünfte Westdeutsche immer wieder Ängste und Sorgen; jeder Zehnte fühlte sich gewöhnlich unglücklich oder niedergeschlagen und jeder Siebte fühlte sich oft einsam. In einer der hier betrach­

teten subjektiven Problemlagen kann bis 1993 ein Rückgang im Ausmaß der Betroffenheit festgestellt werden: Nur noch 17% der Westdeutschen berichten 1993, gewöhnlich unglücklich oder niedergeschlagen zu sein. Die Belastungen der Um­

bruchsituation in den Neuen Bundesländern finden 1990, unmittelbar nach der deutschen Einheit, ihre Entsprechung in einer allgemein stärkeren Verbreitung subjektiver Problemlagen. Vor allem mit Ängsten und Sorgen sahen sich viele Ostdeutsche zu diesem Zeitpunkt konfrontiert (28%). Nicht zuletzt bildeten die verbreitete Unsicherheit über die weitere gesellschaftliche Entwicklung und über das tatsächliche Ausmaß der eigenen wirtschaftlichen und beruflichen Probleme den Hintergrund für die hohe Betroffenheit. Bis 1993 läßt sich bei allen angeführten Indikatoren - trotz der dramatisch gestiegenen Arbeitslosigkeit und der anhaltenden Wirtschaftskrise - im Bevölkerungsdurchschnitt eine leichte Verbesserung erken­

nen. Hierzu hat nicht nur der Abbau von Versorgungsdefiziten in einzelnen Le­

bensbereichen beigetragen. Vielmehr spiegelt sich in dieser Verbesserung zum Teil auch eine „psychische Stabilisierung“, ein subjektiver Verarbeitungsprozeß der ostdeutschen Bevölkerung nach dem „Transformationschock“ im ersten Jahr nach den deutschen Einheit wider (Landua 1993).

Problemlagen einzelner Bevölkerungsgruppen: Problemgrup­

pen benachteiligt

P

roblemlagen sind bei einem breiten Spektrum von Bevölkerungsgruppen festzu­

stellen. Einzelne Gruppen unterscheiden sich aber deutlich in der Art und im Umfang ihrer Probleme. Darüber hinaus hat sich das Ausmaß der Betroffenheit im

Laufe der letzten Jahre teilweise unterschiedlich entwickelt. Schaubild 1 zeigt im Überblick, welche soziodemographischen Gruppen in welchen Lebensbereichen benachteiligt sind.

Armut.

Die von Armut betroffenen Gruppen lassen sich im wesentlichen durch die Haushaltsform und den Erwerbs- bzw. Berufsstatus der Betroffenen charakte­

risieren. Anhand von soziodemographischen Merkmalen lassen sich vier besonders benachteiligte Gruppen identifizieren: Kinderreiche Familien; unvollständige Fa­

milien; Arbeitslose und, als besondere Problemgruppe in der ehemaligen DDR, die Haushalte von nichterwerbstätigen Rentnern.

Da Mütter mit zunehmender Kinderzahl oft auf eine Erwerbstätigkeit verzichten (müssen), ist das Armutsrisiko von kinderreichen Familien ziemlich hoch. Diese Problemlage konzentriert sich auf eine längere Phase im Lebenszyklus, die mit dem Ausscheiden der Kinder aus dem Haushalt aber oft beendet wird. Rund ein Fünftel der Angehörigen kinderreicher Familien (drei und mehr Kinder) fielen in der Bundesrepublik 1988 bzw. in Ostdeutschland Ende 1990 unter die hier gewählte relative Armutsgrenze. Bis 1993 hat sich an dieser Situation in Westdeutschland wenig verändert; das Armutsrisiko dieser Gruppe hat sich in den Neuen Bundeslän­

dern - nicht zuletzt durch die zunehmende Frauenarbeitslosigkeit - sogar etwas erhöht.

Wenig verändert hat sich die schlechte finanzielle Lage eines Großteils der Arbeitslosen; 1988,1990 und 1993 muß in Ost und West hier bei jeweils rund 30%

von einer problematischen Einkommenssituation ausgegangen werden. Arbeitslose sind eine Risikogruppe, deren Umfang in den Alten Bundesländern bereits in den 80er Jahren und in den Neuen Bundesländern seit 1990 erheblich zugenommen hat.

Eine besondere Rolle spielen dabei vor allem Formen der Langzeitarbeitslosigkeit.

Kurzfristige Arbeitslosigkeit ist in Westdeutschland seit fast zwei Jahrzehnten eine Massenerscheinung. Für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen in den Alten Bundesländern ist Arbeitslosigkeit eine harte, aber relativ schnell vorübergehende Erfahrung (Woll 1989; IAB 1990). Problematischer stellt sich die Situation momentan in den Neuen Bundesländern dar; hier ist der Anteil der Langzeitar­

beitslosen größer als in Westdeutschland. Ihre Problemlage könnte sich deshalb möglicherweise zu einem Element der Sozialstruktur verfestigen.

Als schwierig ist auch die Situation unvollständiger Familien zu bezeichnen.

Diese hat - zumindest in den Alten Bundesländern - ihre Ursachen unter anderem in

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Abbildung 20: Objektive und subjektive Problemlagen bei besonders benachtei­

ligten Bevölkeurngsgruppen

Arbeiter

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988,1990-Ost, 1993

der unzureichenden V ersorgung durch die V äter sowie in den Arbeitsmarktproblemen und den niedrigen Einkommen der Frauen. Alleinerziehende Frauen bestreiten seltener als der Durchschnitt der Haushalte ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstä­

tigkeit und sind oft auf Sozialhilfe angewiesen. Es war abzusehen, daß sich mit der Einführung der westdeutschen Systeme der sozialen Sicherung Umschichtungen am Rand der ostdeutschen Gesellschaft vollziehen und das Armutsrisiko in den Neuen Bundesländern Gruppen treffen würde, die in der DDR nicht den Randgruppen zuzurechnen waren. Neben Arbeitslosen zählen möglicherweise hierzu auch allein­

erziehende Mütter. Unmittelbar nach der deutschen Einheit fiel rund die Hälfte von Ihnen unter die hier gewählte Armutsgrenze. Dieser Anteil ging bis 1993 zwar deutlich auf 39% zurück, liegt damit aber immer noch viermal so hoch wie der Anteil der Gesamtbevölkerung.

Eine besondere Problemgruppe der DDR waren alte Menschen. Die Sozialpolitik der DDR verteilte ihre Leistungen gewissermaßen „produktionsorientiert“. Staatli­

che Hilfen kamen vor allem den Erwerbstätigen zu Gute; benachteiligt wurden jene Gruppen, die aus Altersgründen oder wegen Krankheit aus dem Erwerbsleben ausscheiden mußten3. Die Einkommenssituation der Rentner in der DDR war im Vergleich zum Durchschnitt der Arbeitnehmer erheblich schlechter als in der Bundesrepublik; viele bezogen nur eine bescheidene „Mindestrente“ von wenigen hundert Mark (Geißler 1992:188f.). Unmittelbar nach der deutschen Einheit fielen deshalb noch über 18% aller Ostdeutschen über 64 Jahren unter die relative Armutsgrenze. Dieser Anteil ist bis 1993 weitgehend auf das westdeutsche Niveau gesunken und liegt sichtbar unter dem ostdeutschen Bevölkerungsdurchschnitt.

Schlechte Wohnbedingungen.

Defizite bezüglich der Wohnungsausstattung und des Wohnraums konzentrieren sich vor allem auf kinderreiche Familien und auf die Gruppe der un- und angelernten Arbeiter. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Unterversorgung mit Wohnraum ist aber auch bei den 18- bis 25jährigen zu erkennen. In den Alten Bundesländern ist dabei zwischen 1988 und 1993 sogar eine verschlechterte Wohnraumsituation in dieser Altersgruppe zu erkennen. Das Ausmaß der Betroffenheit liegt in allen angeführten ostdeutschen Gruppen teilweise erheblich über dem in Westdeutschland.

So lebten beispielsweise 1990 noch mehr als drei Viertel aller Ehepaare mit drei und mehr Kindern in den Neuen Bundesländern unter beengten Wohnverhältnissen.

Dieser Anteil ist bis 1993 zwar auf 69% gesunken liegt aber nach wie vor weit über dem von vergleichbaren westdeutschen Familien. Die Versorgung mit Wohnraum bei kinderreicher Familien hat sich in den Alten Bundesländern zwischen 1988 und

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1993 insgesamt deutlich verschlechtert. Fast die Hälfte der betroffenen Haushalte erreicht mittlerweile den Standard von mindestens einem Wohnraum pro Haushaltsmitglied nicht mehr. Untere Einkommensgruppen sind in Westdeutschland dabei stärker benachteiligt als höhere. Da unter den größeren Familien aber auch die oberen Einkommensgruppen mit Wohnraum unterversorgt sind (Berger 1984:270f.), kann gefolgert werden, daß zur Beseitigung dieser Defizite finanzielle Maßnahmen allein nicht ausreichen, sondern darüber hinaus ein besseres Angebot an großen Wohnungen erforderlich ist.

Fehlende berufliche Qualifikation.

Bildung beeinflußt direkt oder indirekt die Lebenschancen von Individuen in vielen Lebensbereichen. Für die Erwerbschancen, das Erreichen guter Berufsposi­

tionen und die damit verbundenen Möglichekeiten der Einkommenserzielung und Altersvorsorge hat Bildung eine zentrale Bedeutung.

Die Unterschiede im Ausbildungsniveau von Männern und Frauen haben sich im Laufe der Zeit verringert, ohne daß sie bei der heutigen Generation ganz beseitigt wären. Ein wichtiger Faktor liegt dabei immer noch in der sozialen Herkunft. Eine fehlende berufliche Ausbildung stellte 1988 für mehr als ein Drittel der Frauen ein Problem dar; allerdings zeichnet sich im Trend eine insgesamt wahrnehmbare Verbesserung der Qualifikation von Frauen ab: 1993 war nur noch jede Vierte ohne einen Ausbildungsabschluß. Die formale Qualifikation von Frauen stellte bereits zu DDR-Zeiten kein großes Problem mehr dar; 1993 verfügte nur noch jede zehnte über keinen beruflichen Abschluß.

Auch ein Großteil der un- und angelernten Arbeiter kann erwartungsgemäß keine berufliche Ausbildung vorweisen kann. Allerdings ist bei dieser Gruppe der Anteil derer, die eine solche Problemlage aufweisen, bis 1993 stark zurückgegangen. „Nur“

noch etwas über ein Drittel sind in Westdeutschland 1993 unqualifizierte Arbeits­

kräfte. Eine fehlende Berufsausbildung ist für die meisten Betroffenen zwar eine dauerhafte, aber im Zeitablauf unterschiedlich schwerwiegende Problemlage. Bei guter Wirtschaftslage haben auch beruflich Unqualifizierte bessere Beschäfti­

gungschancen. Gegenwärtig sind Personen ohne Berufsausbildung deshalb vor allem in den Neuen Bundesländern eine Problemgruppe. Noch drastischer als im Westen fallen hier deshalb die Veränderungen in Ostdeutschland aus. 1993 sind nur noch 3% der un- und angelernten Arbeiter ohne beruflichen Abschluß. Der Rück­

gang um fast 20% dokumentiert nicht nur die kritische Situation unqualifizierter Arbeiter in der anhaltenden Arbeitsmarktkrise Ostdeutschlands; sie waren bis 1993 in hohem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen oder schieden über die

Vorruhe-Standsregelung aus dem Erwerbsleben aus. Vielmehr dürfte eine weitere Ursache für diese Positionsveränderungen in der fehlenden Anerkennung bestimmter Fachar­

beiterabschlüsse der ehemaligen DDR und in dem damit verbundenen „Abstieg“ von - überwiegend weiblichen - Facharbeitern in niedrigere Arbeiterpositionen zu finden sein (Landua 1992b: 10f.).

Für die fehlende berufliche Qualifikation sind auch generationsspezifische Unterschiede im Bildungsverhalten von Bedeutung. Der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung liegt bei älteren Befragten über 64 Jahren in Ost und West weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Nachrückende und besserqua­

lifizierte Jahrgänge prägen hier allerdings zunehmend das Bild. Die durchschnittli­

che Ausbildungsdauer hat sich in Westdeutschland im Laufe der letzten fünfzehn Jahre deutlich erhöht. Eine Folge davon ist, daß fast die Hälfte der der 18- bis 25jährigen 1993 noch keine abgeschlossene Berufsausbildung hatte. Nachdem mit der deutschen Vereinigung in den Neuen Bundesländern die früheren staatlichen Zulassungsbeschränkungen zur Abiturstufe und zu den Hochschulen abgeschafft wurden ist mit einem Annäherunsprozeß der ostdeutschen Abiturienten- und Stu­

dentenquoten an das westdeutsche Niveau zu rechnen. Ein Indiz für diesen Anpas­

sungsprozeß liefert die steigende Zahl der Studienanfänger in den Neuen Ländern (Geißler 1992:234f.). Hinweise für mögliche Tendenzen zu verlängerten Ausbil­

dungszeiten lassen sich auch anhand des vorliegenden Materials finden. Der Anteil der 18- bis 25jährigen Ostdeutschen, die noch über keinen beruflichen Bildungs­

abschluß verfügen, ist zwischen 1990 und 1993 von 12% auf über 27% gestiegen.

Alleinlebend und ohne Freunde; dauerhaft krank, behindert oder pflegebedürftig.

Das Problem sozialer Isolation betrifft bis 1993 zwar nur etwas über 10% der Gesamtbevölkerung, es ist aber insofern von großer Tragweite, als es das allgemeine Wohlbefinden relativ stark beeinträchtigt. Gute Sozialbeziehungen sind für die meisten Menschen ein B edürfnis von hoher Priorität und eine wichtige Determinante ihrer Lebenszufriedenheit (Landua 1992a:573f.). Die Situation, allein zu leben und keine engen Freunde zu haben, tritt vorwiegend am Ende des Lebenszyklus auf. Da der Anteil alter Menschen in der Bevölkerung zunehmen wird, besteht die Gefahr, daß Probleme sozialer Isolation auch im Hinblick auf das Ausmaß der Betroffenheit zukünftig ein größeres Gewicht haben werden. Das Problem, dauerhaft gesundheit­

lich beeinträchtigt zu sein, trifft ebenfalls überwiegend alte Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen. 1993 waren den eigenen Angaben der Befragten zufolge rund 12% aller Westdeutschen und 16% aller Ostdeutschen über 64 Jahren

„dauerhaft behindert oder pflegebedürftig“.

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Oft einsam; Niedergeschlagenheit; Ängste und Sorgen.

Subjektive Problemlagen treten vergleichsweise häufig bei solchen sozialen Gruppen auf, die auch schon von objektiven Problemlagen betroffen sind, insbeson­

dere aber dann, wenn sie ein Defizit an Sozialbeziehungen haben. Es fallen besonders die älteren Bundesbürger über 64 Jahren auf, die neben ihren teilweise schlechteren Lebensbedingungen auch stark psychisch beeinträchtigt sind. Entspre­

chend dem Defizit vieler alter Menschen bei engen Sozialbeziehungen, sind sie häufig von Gefühlen der Einsamkeit betroffen und fühlen sich unglücklich oder niedergeschlagen. Die überdurchschnittliche Verbreitung von Ängsten und Sorgen deutet bei alten Menschen nicht notwendigerweise auf das Vorhandensein materi­

eller Notlagen hin; auch die mit zunehmendem Alter steigenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen können zu Ängsten und Sorgen Anlaß geben. Das Ausmaß der Betroffenheit von diesen Problemlagen liegt in den Neuen Bundesländern allgemein über dem westdeutschen Niveau. Zwischen 1990 und 1993 zeichnet sich dabei - trotz der in diesem Zeitraum aufgebrochenen Wirtschaftskrise - keine Verschlechterung der subjektiven Befindlichkeit einzelner Problemgruppen ab. Vor allem die in ihrem Umfang und Zusammensetzung veränderte Gruppe der un- und angelernten Arbeiter

eller Notlagen hin; auch die mit zunehmendem Alter steigenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen können zu Ängsten und Sorgen Anlaß geben. Das Ausmaß der Betroffenheit von diesen Problemlagen liegt in den Neuen Bundesländern allgemein über dem westdeutschen Niveau. Zwischen 1990 und 1993 zeichnet sich dabei - trotz der in diesem Zeitraum aufgebrochenen Wirtschaftskrise - keine Verschlechterung der subjektiven Befindlichkeit einzelner Problemgruppen ab. Vor allem die in ihrem Umfang und Zusammensetzung veränderte Gruppe der un- und angelernten Arbeiter

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