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Studie 2 - Erinnerungsvorteil nach einer Vergessensinstruktion beim Directed-Forgetting älterer Erwachsener

II EIGENE UNTERSUCHUNGEN ZUM DIRECTED-FORGETTING IM ALTER Das zentrale Anliegen dieser Arbeit besteht darin zu klären, ob mit der Listenmethode

7 Studie 2 - Erinnerungsvorteil nach einer Vergessensinstruktion beim Directed-Forgetting älterer Erwachsener

7.1 Fragestellung

Mit der folgenden Studie werden zwei Ziele verfolgt. Zuerst ist sicherzustellen, dass es sich bei den in der ersten Studie gefundenen Ergebnissen nicht um ein Zufallsphänomen handelt, d.h. das fragliche Befundmusters soll repliziert werden. Zeigt sich erneut bei älteren Erwachsenen einer Vergessensgruppe beim Listenmethoden-Directed-Forgetting kein Erinnerungsnachteil für Precued Items, aber ein Erinnerungsvorteil für Postcued Items, dann erhebt sich die Frage, welche kognitiven Mechanismen außer der bisher angenommenen Abrufhemmung dieses Phänomen erzeugen könnten und dabei keiner Altersveränderung unterliegen. Daher besteht das zweite Ziel dieser Studie darin, die in der Diskussion der Ergebnisse der ersten Studie angesprochene Alternativerklärung für das Phänomen des alter-sunabhängigen Erinnerungsvorteils für Postcued Items zu prüfen.

Gemäß dieser Annahme zeigt die Vergessensgruppe gegenüber der Behaltensgruppe bei älteren Erwachsenen einen Erinnerungsvorteil, weil sie eine Chance zum „Neuanfang“

bekommen und sich beim Lernen der Precued Items mit der Lernanforderung vertraut machen konnten. Wenn sich diese Alternativerklärung empirisch bestätigen lässt, dann würde das die Beibehaltung der Annahme eines Hemmungsdefizits im Alter erlauben. Obwohl die Diskussion in der ersten Studie deutlich macht, dass der Begriff der „Vertrautheit mit der Lernanforderung“ nicht allen kognitiven Einflüssen gerecht werden kann, die schließlich zu dem beobachteten Erinnerungsvorteil älterer Probanden einer Vergessensgruppe bezüglich der Postcued Items führen, wird die Bezeichnung „Vertrautheitshypothese“ im folgenden als zusammenfassender Begriff für diese Alternative zur Abrufhemmungserklärung verwendet.

Die hier verfolgte Idee für eine Prüfung der Vertrautheitshypothese ist an die Über-legung geknüpft, dass es sich bei der Vertrautheit mit einer Lernanforderung um ein singulä-res Phänomen handelt. Sobald die angenommenen Unterschiede in der Vertrautheit zwischen

den Gruppen ausgeglichen werden, zum Beispiel durch eine vorherige Übungsphase, sollte kein Erinnerungsvorteil mehr zu beobachten sein. Eine Angleichung der Vertrautheit mit der Anforderung zwischen den Gruppen kann man erreichen, wenn man nach einem ersten Ver-suchsdurchgang, der mit dem Grunddesign der Listenmethode des Directed-Forgetting der ersten Studie identisch ist, einen zweiten gleichartigen Versuchsdurchgang anfügt, bei dem Vergessens- und Behaltensgruppe gewissermaßen die Rollen tauschen (siehe Abb. 7.1).

Für die Vergessensgruppe des zweiten Durchgangs sollte das Vertrautheitsphänomen nicht in demselben Maße zum Tragen kommen, weil diese Probanden durch den ersten Ver-suchsdurchgang bereits ebenso mit den Anforderungen vertraut sind wie die Vergessens-gruppe im ersten Durchgang nach dem Lernen der ersten Liste. Ein entsprechender Anstieg der Erinnerungsleistung für die Postcued Items (Liste 2) wie im Grunddesign sollte demnach bei älteren Probanden im zweiten Versuchsdurchgang (Liste 4) nicht beobachtet werden, d.h.

der Erinnerungsvorteil der Vergessensgruppe verschwindet vom ersten zum zweiten Durch-gang. Bei jüngeren Probanden sollte der Erinnerungsvorteil dagegen erhalten bleiben, sofern er bei ihnen auf Abrufhemmung beruht und Vertrautheit eine untergeordnete Rolle spielt.

Auf diese Weise ist es möglich, durch eine einfache Erweiterung des Grunddesigns durch einen zweiten Versuchsdurchgang, sowohl die angestrebte Replikation der Befunde der ersten Studie als auch eine Prüfung der Vertrautheitshypothese zu gewährleisten. Damit lassen sich für die zweite Studie folgende Hypothesen formulieren.

Hypothese - Altersveränderung beim Erinnerungsnachteil (wie in Studie 1): Aufgrund der im Alter nachlassenden Effizienz kognitiver Hemmungsprozesse zeigen die älteren Erwachsenen in einer Vergessensgruppe bei der Listenmethode des Directed-Forgetting unter den Bedingungen des freien Reproduzierens keinen oder im Vergleich zu jungen Erwachsenen nur einen geringeren Erinnerungsnachteil für die Precued Items.

Hypothese – Altersunabhängigkeit beim Erinnerungsvorteil (Replikation des über-raschenden Befundes aus Studie 1): Der Erinnerungsvorteil einer Vergessensgruppe älterer Erwachsener bezüglich der Postcued Items bei der Listenmethode des Directed-Forgetting beruht nicht ausschließlich auf Abrufhemmung. Daher kann hier keine altersabhängige Ver-änderung (wie beim Erinnerungsnachteil der Precued Items) festgestellt werden, und ältere Personen zeigen den Erinnerungsvorteil ebenso wie jüngere.

Hypothese – Vertrautheit mit der Lernanforderung als Ursache für den Erinnerungs-vorteil bei älteren Erwachsenen: Der ErinnerungsErinnerungs-vorteil für Postcued Items nach einer Vergessensinstruktion im Rahmen der Listenmethode des Directed-Forgetting-Paradigmas

beruht bei älteren Erwachsenen auf der größeren Vertrautheit der Vergessensgruppe mit den Lernanforderungen. Demzufolge wäre kein Erinnerungsvorteil bei älteren Erwachsenen zu beobachten, wenn der Vertrautheitsgrad von Vergessens- und Behaltensgruppe angeglichen würde.

Falls der Vertrautheitseinfluss als alternative Erklärungsmöglichkeit des Phänomens eines im Alter erhaltenen Erinnerungsvorteils für Postcued Items mit dieser Studie ausge-schlossen werden kann, wären andere kognitive Mechanismen als Erklärung dieses Phäno-mens in Betracht zu ziehen.

7.2 Methode

Wegen der angestrebten Replikation der in der ersten Studie gewonnenen Befunde lehnt sich die Methode und der Versuchsablauf der zweiten Studie in weiten Teilen an das bereits beschriebene Vorgehen an. Da jedoch zusätzlich die weiterführende Fragestellung nach den Ursachen des Phänomens eines Erinnerungsvorteils gestellt wird, ist für den zweiten Untersuchungsabschnitt dieser Studie die Einführung einer zusätzlichen Variablen und eine Veränderung des Versuchsdesigns notwendig. Die gegenüber der ersten Studie vorgenomme-nen Veränderungen werden bereits im folgenden Abschnitt deutlich, wenn die abhängigen und unabhängigen Variablen konkretisiert und das Versuchsdesign vorgestellt werden.

Versuchsplan: Zu den bereits aus der ersten Studie bekannten unabhängigen Variablen Altersgruppe (alte vs. junge Erwachsene) und Directed-Forgetting-Instruktion (Vergessen vs. Behalten) kommt in dieser Studie als dritte unabhängige Variable der Grad der Vertrautheit mit der Aufgabenanforderung bei der Listenmethode des Directed-Forgetting hinzu. Entsprechend der in der Fragestellung beschriebenen Realisierung variiert der Faktor Vertrautheit mit der Lernanforderung in zwei Stufen vom ersten Durchgang (unvertraut) zum zweiten Durchgang (vertraut) (s. Abb. 7.1). Der Versuchsplan in dieser Studie wird auch als erweitertes Grunddesign bezeichnet, wobei die beiden Directed-Forgetting Versuchsgruppen Vergessens–Behaltens- bzw. Behaltens–Vergessensgruppe genannt werden, je nachdem, ob sie bereits im ersten oder erst im zweiten Versuchsdurchgang eine Vergessensinstruktion erhalten. In den entsprechenden Tabellen werden die Begriffe „VB-Gruppe“ und „BV-Gruppe“ als abgekürzte Bezeichnungen verwendet.

Abbildung 7.1 Versuchsdesign der Studie 2 für junge und alte Probanden.

Damit sind alle zu berücksichtigenden unabhängigen Variablen - Altersgruppe (alte vs. junge Erwachsene), Directed-Forgetting-Instruktion (Vergessen-Behalten vs. Behalten-Vergessen) und Vertrautheit mit der Lernanforderung (im ersten Durchgang unvertraut vs. im zweiten Durchgang vertraut) - zweifach gestuft, und es resultiert ein 2 x 2 x 2-faktorieller Versuchsplan mit interindividueller Bedingungsvariation. Für eine Replikation der Ergebnisse der ersten Studie ist nur der erste Versuchsdurchgang von Interesse. Der zweite Versuchs-durchgang soll dann klären, ob bei einem angeglichenen Vertrautheitsniveau der Erinne-rungsvorteil der Vergessensgruppe für die Postcued Items (Liste 4) gegenüber der Behaltens-gruppe erhalten bleibt. Als abhängige Variable fungiert wie bereits in der ersten Studie die Erinnerungsleistung der Probanden in Form des prozentualen Anteils korrekt erinnerter Items an den insgesamt dargebotenen Items der zu lernenden Wortlisten.

Versuchspersonen: Die für diese Studie rekrutierten jungen Probanden wurden über Aushänge im psychologischen Institut und Anfragen in Lehrveranstaltungen gewonnen. Es handelte sich dabei überwiegend um Psychologie- und Lehramtsstudenten der Universität Göttingen im Alter zwischen 19 und 34 Jahren. Wie in der ersten Studie wurde beim Anwerben der älteren Erwachsenen darauf geachtet, dass diese keine pathologischen, nicht altersbedingten kognitive Einbußen aufwiesen und als geistig und körperlich vitale „Alte“

einzustufen waren. Deshalb wurden gezielt Personen ab 58 bis 75 Jahren gesucht, die noch aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Da im Hinblick auf die höhere

Lebens-erwartung von Frauen bei den älteren Probanden ein Frauenüberschuss zu erwarten war, wurde auch bei der Stichprobe der jungen Erwachsenen auf die Rekrutierung eines vergleich-baren Anteils von Frauen geachtet.

Um unerwünschte Varianzquellen möglichst gering zu halten, wurde die Vergleich-barkeit der Stichproben junger und alter Erwachsener bzgl. der altersinvarianten kristallinen Intelligenz bei Erwachsenen angestrebt. Dazu wurde als Kontrollvariable der Wortschatz-Test von Schmidt und Metzler (1992) erhoben. Für den zusätzlich über den Zahlen-Symbol-Test von Oswald und Fleischmann (1995) ermittelten Wert für fluide Intelligenzleistungen wurde dagegen gemäß den Erkenntnissen einschlägiger gerontopsychologischer Intelligenzforschung eine deutliche Altersabhängigkeit zugunsten höherer Werte für junge Erwachsene erwartet.

Wie dem Überblick in Tabelle 7.1 zu entnehmen ist, unterscheiden sich junge und ältere Probanden tatsächlich hinsichtlich ihrer fluiden Intelligenzwerte deutlich. Auffällig sind jedoch die größeren Streuungen innerhalb der älteren Probanden, die auf eine stärkere Inho-mogenität dieser Stichprobe hindeutet. Die genauere Betrachtung der einzelnen Versuchs-gruppen zeigt, dass die randomisierte Zuweisung der Probanden auf die VersuchsVersuchs-gruppen zu unerwünschten Selektionseffekten bei den älteren Untersuchungsteilnehmern geführt hat. Die beschriebenen Unterschiede werden bei Datenauswertung und Diskussion berücksichtigt.

Tabelle 7.1 Charakterisierung der Teilstichproben aufgeschlüsselt (Stichprobengröße = N;

Altersdurchschnitt, Wortschatztest aus dem HAWIE-R = WST; Zahlen-symboltest = ZST; Standardabweichung in Klammern)

Versuchsgruppe N Altersdurchschnitt WST ZST

Junge – VB-Gruppe 16 24.9 (3.11) 35.44 (2.03) 43.19 (5.36) Junge – BV-Gruppe 16 25.1 (3.85) 34.44 (2.06) 44.13 (3.85) Alte – VB-Gruppe 16 73.8 (9.00) 34.25 (3.97) 27.37 (6.89) Alte – BV-Gruppe 16 64.7 (4.56) 31.69 (3.86) 31.75 (7.47)

Bei einer angestrebten Probandenzahl von N = 32 pro Altersgruppe wurden insgesamt 38 junge und 37 ältere Personen untersucht, weil sechs junge und fünf ältere Probanden nicht in die Auswertung einbezogen werden konnten. Bei ihnen waren in einer nach der

Durchfüh-rung des Experiments vorgenommenen Befragung Zweifel aufgetreten, dass die Vergessens-instruktion in gewünschter Weise gewirkt hatte.

Versuchsmaterial, Geräte und Hilfsmittel: Als Versuchsmaterial für die zweite Studie wurden vier Listen mit je 15 Wörtern neu zusammengestellt (Anhang B), wobei die Auswahl der 60 Substantive entsprechend der bereits in der ersten Studie spezifizierten Krite-rien mittlerer Bildhaftigkeit, Bedeutungshaltigkeit und Konkretheit auf der Grundlage des Handbuchs deutschsprachiger Wortnormen (Hager & Hasselhorn, 1994) erfolgte. Die zwei- bis viersilbigen Substantive wurden den vier Listen randomisiert zugeordnet. Zur Vermeidung systematischer Einflüsse infolge möglicher unterschiedlicher Listenschwierigkeit variierte die Darbietungsreihenfolge der Listen innerhalb jeder Versuchsbedingung.

Die Darbietung der Wortlisten steuerte wiederum die Software „Microsoft Power Point“. Allerdings wurden die Wörter, im Unterschied zur ersten Studie, mit Hilfe eines an den Laptop angeschlossenen Beamers auf eine Leinwand projiziert, so dass die Daten-erhebung in Gruppen durchgeführt werden konnte. Dazu waren zwei Reihen mit jeweils vier Tischen in einer vergleichbaren Entfernung von der Leinwand für die Probanden aufgestellt worden. Die Erfassung der Testleistungen erfolgte in einem für jeden Probanden bereit-gelegten Testheft in schriftlicher Form.

Versuchsdurchführung: Die Untersuchung dauerte ca. 50 Minuten und fand in einem Raum der Universität Göttingen bzw. mit den älteren Probanden zum Teil in adäquaten Räumen kirchlicher und sozialer Einrichtungen in Göttingen statt. Nach einer kurzen Einfüh-rung durch den Versuchsleiter, wobei der generelle Ablauf der Untersuchung und die Hand-habung des Testheftes erklärt wurden, waren auf der ersten Seite des Testheftes die Proban-dendaten (Alter, Geschlecht, Schulbildung) einzutragen. Die weitere Instruktionsdarbietung erfolgte in standardisierter Form mittels Testheft bzw. per Computerprogramm über die Leinwand. Das Testheft durfte nur auf Anweisung des Versuchsleiters umgeblättert werden.

Zur Demonstration der Präsentationsgeschwindigkeit und um sicherzustellen, dass die Instruktionen und die zu lernenden Wörter für alle Probanden gut lesbar waren, wurden zunächst drei Übungsitems gezeigt. Anschließend konnten Verständnisfragen zum Vorgehen gestellt werden, bevor der erste Versuchsdurchgang mit der Präsentation der Wortlisten 1 und 2 gestartet wurde. Die zu lernenden Wörter erschienen jeweils fünf Sekunden auf der Lein-wand, gefolgt von zwei Sekunden Pause, so dass für jedes Item sieben Sekunden zur Verar-beitung bzw. zum Enkodieren zur Verfügung standen.

Am Ende der ersten Liste erhielt die eine Hälfte der Probanden jeder Altersgruppe eine Vergessensinstruktion und die andere Hälfte eine Behaltensinstruktion für die zuvor gelernte Liste. Wie auch in den beiden vorangegangenen Studien wurde die Vergessens-instruktion als Folge eines Computerproblems getarnt. Der Versuchsleiter gab daraufhin vor, infolge eines Bedienungsfehlers den Versuch noch einmal von vorn starten zu müssen, aller-dings mit anderem Wortmaterial. Die zuvor gesehenen Wörter sollten deshalb wieder verges-sen werden, „damit die folgenden Wörter besser gelernt werden können“. Im Gegensatz dazu wurde den Probanden der Behaltensgruppe mitgeteilt, dass sie nun zusätzlich zur vorher gelernten Liste auch die folgende zweite Wortliste behalten sollten. Daraufhin wurde die zweite Liste des ersten Durchgangs präsentiert.

Unmittelbar im Anschluss an die Darbietung der zweiten Liste wurden die Probanden aufgefordert, eine Aufgabe im Testheft zu bearbeiten, bei der in eine Länderskizze Deutschlands die Namen der Bundesländer einzutragen waren. Mit dieser Distraktortätigkeit sollte der Lernprozess abgebrochen und somit Recency-Einflüsse verringert werden. Nach 90 Sekunden erfolgte dann die Aufforderung, so viele behaltene Wörter wie möglich aufzu-schreiben, unter ausdrücklicher Betonung, dass die Wörter beider zuvor gelernten Listen erinnert werden sollten. Die Reihenfolge war dabei nicht zu beachten, und es gab auch keine Zeitbegrenzung. Wenn alle Probanden ihren Stift aus der Hand gelegt hatten und damit signa-lisierten, dass sie den Erinnerungsprozess abgeschlossen hatten, wurde ihnen eine kleine Pause zur Entspannung gewährt, bevor sie für die folgenden Anforderungen instruiert wurden.

Der sich nun anschließende zweite Versuchsdurchgang mit der Darbietung der Listen 3 und 4 verlief genau wie der erste, allerdings wechselten nun die gegebenen Directed-Forgetting-Instruktionen für beide Versuchsgruppen. Demzufolge bekamen die Probanden, die im ersten Durchgang eine Vergessensinstruktion bekommen hatten, im zweiten Durch-gang eine Behaltensinstruktion und umgekehrt (s. Abb. 7.1). Am Ende der Lernphase wurde wiederum für 90 Sekunden eine Distraktoraufgabe gegeben, bei der die Landeshauptstädte der deutschen Bundesländer in eine entsprechende Länderskizze einzutragen waren. Daraufhin sollten die Probanden alle behaltenen Wörter beider Listen des zweiten Durchgangs notieren.

Im folgenden bekamen die Probanden noch den Wortschatztest (WST) von Schmidt und Metzler (1992) und den Zahlen-Symbol-Test (ZST) aus dem Nürnberger Altersinventar von Oswald und Fleischmann (1995) zu bearbeiten. Um Deckeneffekte oder Inkonsistenzen bei der Bearbeitung des Zahlen-Symbol-Tests zu vermeiden, wurde den älteren Probanden entsprechend dem Manual ein Zeitrahmen von 90 Sekunden vorgegeben, den jüngeren wurde

jedoch nur 60 Sekunden Bearbeitungszeit gewährt. Zum Vergleich wurden die von den älteren Erwachsenen erzielten Werte auf die Zeitvorgabe der jüngeren umgerechnet.

Zum Abschluss wurden den Probanden Fragen zum Versuchsablauf vorgelegt, bei denen sie über die von ihnen beim Lernen der Wörter eingesetzten Strategien, die von ihnen empfundene Schwierigkeit des Wortmaterials sowie die Glaubwürdigkeit der Vergessens-instruktion Auskunft geben sollten. Die vom Versuchsleiter am Ende gegebenen Erklärungen über den Zweck der Untersuchung wurde mit der Bitte verbunden, nicht mit anderen poten-tiellen Versuchsteilnehmern über die gestellten Anforderungen und insbesondere über die fingierte Vergessensinstruktion zu sprechen, um deren Wirksamkeit nicht zu gefährden.

7.3 Ergebnisse

Im weiteren wird bei der Darstellung der Studien ein deskriptiver Ergebnisüberblick vorangestellt, um einen Gesamteindruck über das erzielte Befundmuster zu vermitteln und damit den Vergleich zwischen den Ergebnissen der einzelnen Studien zu erleichtern.

Anschließend erfolgt dann die Überprüfung der erzielten Ergebnisse auf ihre statistische Bedeutsamkeit entsprechend der aufgestellten psychologischen Hypothesen.

Directed Forgetting bei jungen Erwachsenen

0 20 40 60 80 100

korrekt erinnerte Wörter (in %) .

Vergessen -Behalten Behalten -Vergessen

2. Durchgang 1. Durchgang

Liste 1 Liste 2 Liste 3 Liste 4

Abbildung 7.2 Mittlerer prozentualer Anteil korrekt erinnerter Items beim Directed-Forgetting junger Erwachsener.

Deskriptive Ergebnisdarstellung: Die in Abbildung 7.2 dargestellten Erinnerungs-leistungen der jungen Probanden weisen ein typisches Directed-Forgetting Datenmuster auf,

wie es aus allgemeinpsychologischer Sicht erwartet wird. Im ersten Durchgang erinnert die Vergessensgruppe weniger Items der ersten Liste, aber mehr Items der zweiten Liste, die Behaltensgruppe erinnert dagegen mehr Items der ersten Liste, aber weniger Items der zweiten Liste. Für den zweiten Durchgang zeigt sich ebenfalls das entsprechende Muster, wobei der Unterschied zwischen den von Vergessens- und Behaltensgruppe erinnerten Postcued Items noch deutlicher ausfällt als im ersten Durchgang.

Auch die älteren Untersuchungsteilnehmer zeigen laut Abbildung 7.3 im ersten Durchgang Erinnerungsleistungen, die dem in der ersten Studie beobachteten Befundmuster sehr ähnlich sind: Während Vergessens- und Behaltensgruppe etwa gleichviele Precued Items (Liste 1) erinnern, werden die Postcued Items (Liste 2) von den älteren Probanden der Ver-gessensgruppe wesentlich besser erinnert als von der Behaltensgruppe. Dagegen treten im zweiten Versuchsdurchgang keine derartigen Unterschiede in den Erinnerungsleistungen beider Versuchsgruppen auf, auch wenn von der Vergessensgruppe etwas mehr Postcued als Precued Items erinnert werden. Ob die beobachteten Unterschiede im Sinne der aufgestellten Hypothesen interpretiert werden können, muss die Prüfung der statistischen Bedeutsamkeit in den folgenden Abschnitten zeigen. Zu beachten ist, dass die grafische Darstellung ein insge-samt sehr niedriges Erinnerungsniveau der älteren Probanden offenbart und damit die Gefahr eines funktionalen Bodeneffekts anzeigt.

Directed Forgetting bei alten Erwachsenen

0 20 40 60 80 100

korrekt erinnerte Wörter (in %) .

Vergessen -Behalten Behalten -Vergessen

2. Durchgang 1. Durchgang

Liste 1 Liste 2 Liste 3 Liste 4

Abbildung 7.3 Recall-Leistung: Mittlerer prozentualer Anteil korrekt erinnerter Items beim Directed-Forgetting älterer Erwachsener.

Ergebnisse zu den Precued Items im ersten Versuchsdurchgang: In diese Auswertung werden nur die Daten der im ersten Durchgang des Experiments erhobenen Liste 1 einbezo-gen. Es soll geprüft werden, ob der sowohl in der Pilotstudie als auch in der ersten Studie gefundene Alterseffekt für den Erinnerungsnachteil einer Vergessensgruppe bezüglich der Precued Items repliziert werden kann.

Tabelle 7.2 Recall-Leistung: Mittlerer prozentualer Anteil korrekt erinnerter Precued Items (Liste 1) in Abhängigkeit von Directed-Forgetting-Instruktion und Altersgruppe (Standardabweichung in Klammern).

Altersgruppe Directed-Forgetting

Instruktion Junge Erwachsene Alte Erwachsene

Vergessen (VB-Gruppe) 25 (15) 14 (10)

Behalten (BV-Gruppe) 35 (15) 15 (11)

Die in der Tabelle 7.2 dargestellten Erinnerungsleistungen wurden mittels einer 2 x 2 faktoriellen univariaten Kovarianzanalyse (ANCOVA) mit den Faktoren Altersgruppe und Directed-Forgetting-Instruktion ausgewertet, in die der Wortschatztest (WST) aufgrund der gefundenen Unterschiede zwischen beiden Altersgruppen (s. Tabelle 7.1) als Kovariate einbezogen wurde. Die Analyse ergibt einen signifikanten Haupteffekt der Altersgruppe (F(1,59) = 19.61, Mse = 172.30, p < α), keinen Haupteffekt der Directed-Forgetting-Instruktion (F(1,59) = 2.16, Mse = 172.30, p = .112), und auch der Interaktionseffekt von Altersgruppe und Directed-Forgetting-Instruktion verfehlt die Signifikanzgrenze (F(1,59) = 1.48, Mse = 172.30, p = .262). Das Fehlen des Interaktionseffekts überrascht, denn die Inspek-tion des Datenmusters (Abb. 7.2 und Abb. 7.3) lässt deutliche Unterschiede zwischen jungen und alten Erwachsenen in der Wirkung der Vergessensinstruktion auf die Precued Items vermuten. Die große Varianz, insbesondere bei den jungen Probanden, gepaart mit den kleinen Stichproben von N = 16, sowie Probleme bei der randomisierten Gruppenzuordnung kommen als Ursachen für das Ausbleiben der Altersinteraktion in Frage.

Da sich die Erinnerungsleistungen insgesamt auf einem niedrigen Niveau bewegen, besteht die Gefahr, dass kleinere Effekte unentdeckt bleiben. Die in jeder Altersgruppe zusätzlich vorgenommene Mittelwertsprüfung zwischen Vergessens- und Behaltensgruppe mittels einseitigem t-Test zeigt bei den jüngeren Probanden einen signifikanten Unterschied bezüglich der Anzahl erinnerter Precued Items (t = -1.71, p < α.), bei den älteren Probanden

dagegen nicht (t = -.39, p = .351). Das bestätigt den deskriptiv gewonnen Eindruck von einem Altersunterschied bezüglich des Erinnerungsnachteiles für Precued Items. Die insgesamt niedrige Erinnerungsleistung der Alten deutet jedoch auf die Gefahr eines funktionalen Bodeneffekts hin, der bei der Diskussion der Ergebnisse in Rechnung gestellt werden muss.

Ergebnisse zu den Postcued Items im ersten Versuchsdurchgang: Diese zweite Analyse betrifft die Erinnerungsleistungen für die Liste 2 des ersten Durchgangs, denn es soll geprüft werden, ob der Erinnerungsvorteil für die Postcued Items, wie in der ersten Studie, sowohl für junge als auch für ältere Erwachsene nachgewiesen werden kann. Die in Tabelle 7.3 dargestellten Mittelwerte zeigen für Alte sogar eine größere Differenz zwischen der Ver-gessens- und der Behaltensgruppe als für Junge.

Tabelle 7.3 Mittlerer prozentualer Anteil korrekt erinnerter Postcued Items (Liste 2) in Abhängigkeit von Directed-Forgetting-Instruktion und Altersgruppe (Standardabweichung in Klammern).

Altersgruppe

Directed-Forgetting-Instruktion

Junge Erwachsene Alte Erwachsene

Vergessen (VB-Gruppe) 33 (16) 20 (10)

Behalten (BV-Gruppe) 30 (14) 13 (8)

Eine univariate 2 x 2 (Altersgruppe x Directed-Forgetting-Instruktion) Kovarianzana-lyse (ANCOVA) über die Mittelwerte der erinnerten Postcued Items (Liste 2), mit dem WST als Kovariate, deckt einen statistisch bedeutsamen Haupteffekt Altersgruppe auf (F(1,59) = 18.48, Mse = 146.31, p < α) und zeigt, dass der Interaktionseffekt von Altersgruppe und Directed-Forgetting-Instruktion (F(1,59) = .16, Mse = 146.31, p = .695) und der Haupteffekt Directed-Forgetting-Instruktion (F(1,59) = 1.55, Mse = 146.31, p = .218) nicht signifikant sind.

Da der für den Nachweis des Erinnerungsvorteils wichtige Haupteffekt bezüglich der Directed-Forgetting-Instruktion erwartungswidrig nicht nachgewiesen werden konnte, wurden zusätzlich für ältere und jüngere Probanden getrennt Mittelwertsvergleiche zwischen Vergessens- und Behaltensgruppe durchgeführt. In einem einseitigen t-Test zeigt sich, dass bei den jüngeren Erwachsenen der Erinnerungsvorteil der Vergessensgruppe gegenüber der

Da der für den Nachweis des Erinnerungsvorteils wichtige Haupteffekt bezüglich der Directed-Forgetting-Instruktion erwartungswidrig nicht nachgewiesen werden konnte, wurden zusätzlich für ältere und jüngere Probanden getrennt Mittelwertsvergleiche zwischen Vergessens- und Behaltensgruppe durchgeführt. In einem einseitigen t-Test zeigt sich, dass bei den jüngeren Erwachsenen der Erinnerungsvorteil der Vergessensgruppe gegenüber der