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Altersunterschiede beim Kontext– bzw. Quellengedächtnis

1.3 Hemmungsdefizit als alternative Erklärung von Altersveränderungen

1.3.3 Altersunterschiede beim Kontext– bzw. Quellengedächtnis

Die Erklärung von Altersunterschieden im Kontext- bzw. Quellengedächtnis ist typischer Weise die Domäne des Source-Monitoring-Ansatzes (Johnson et al., 1993; Johnson

& Raye, 1981). In Aufgaben, bei denen ein bewusster Abruf erforderlich ist, werden in der Regel für Ältere weniger präzise Erinnerungs- und Wiedererkennensleistungen für Kontextmerkmale gefunden als für Junge (siehe Spencer & Raz, 1995, für eine Metaanalyse).

So wurden bei Älteren Nachteile beim Erinnern verschiedener Wahrnehmungsdetails

festgestellt, wie Farbe, Fall oder Schrift von präsentierten Zielitems (z.B. Kausler & Puckett, 1981; Naveh-Benjamin & Craik, 1995; Park & Puglisi, 1985); ihre räumliche Anordnung (z.B. Chalfonte & Johnson, 1996; Cherry & Park, 1993; Light & Zelinski, 1983; Park, Puglisi

& Lutz, 1982; Uttl & Graf, 1993) oder ihre zeitliche Abfolge (Kausler, Salthouse & Saults, 1988). Auch in Studien mit alltagsrelevanteren Situationen zeigten sich entsprechende Alterseffekte, wenn es darum ging, ob der Sprecher ein Mann oder eine Frau gewesen ist (Bayen & Murnane, 1996; Kausler & Puckett, 1981), ob die Items im Video oder als Photo vorgegeben wurden (Schacter, Koustaal, Johnson, Gross & Angell, 1997) und ob die Darbietung akustisch oder visuell war (Light, La Voie, Valencia-Laver, Albertson-Owens &

Mead, 1992).

Selbst wenn bestimmte Ereignisse von alten und jungen Erwachsenen gleichermaßen gut erinnert werden, haben die Älteren größere Probleme, die Herkunft dieser Informationen zu identifizieren (Chalfonte & Johnson, 1996; Henkel et al., 1998; Johnson, DeLeonardis, Hashtroudi & Ferguson, 1995; Schacter et al., 1997; Schacter, Kanzniak, Kihlstrom &

Valdiserri, 1991). Das spricht dafür, dass entweder die Enkodierung der Merkmale oder deren Anbindung an die Items im Alter beeinträchtigt ist (z.B. Johnson, 1997). Die Gedächtnis-probleme Älterer liegen demzufolge in erster Linie am Kontext von Informationen und weniger an ihrem Inhalt.

Die Befunde verschiedener Studien lassen vermuten, dass es sich bei der Ähnlichkeit zwischen Merkmalen um eine für die Erinnerung von Quelleninformationen kritische Variable handelt (Johnson et al., 1993). Alten fällt die Unterscheidung zwischen zwei Ereignissen oder Objekten schwerer, wenn es sich um perzeptuell oder konzeptuell ähnliche Objekte handelt (z.B. ein Lolli und eine Lupe) (Henkel et al., 1998). Dieser Befund kann besonders gut aus der Perspektive des Hemmungsdefizit-Ansatzes erklärt werden, da eine größere Ähnlichkeit von Merkmalen mit der Annahme einer erhöhten Störbarkeit Älterer durch Interferenzquellen vereinbar ist (siehe Kane & Hasher, 1995).

Insgesamt sind die Befunde zu Altersdifferenzen im Kontext- und Quellengedächtnis komplex. Zwar kann von einem allgemeinen Altersdefizit in diesem Bereich gesprochen werden, aber die Größe des Defizits wird von vielen Faktoren beeinflusst. Dabei ist offen, ob die Ursachen für die gefundenen Altersunterschiede bereits im Enkodierungsprozess zu suchen sind. Die interessanten Befunde über moderierende Faktoren sprechen gegen diese Annahme, denn durch Veränderungen am Material oder den Instruktionen lassen sich die Altersdifferenzen weitgehend eliminieren (z.B. Multhaupt, DeLeonardis & Johnson, 1999;

Rahhal & Hasher, 1998). Beispielsweise werden kaum Altersunterschiede gefunden, wenn für die älteren Erwachsenen hochvertrautes und motivierendes Material verwendet wird (McIntyre & Friesen, 1998). Für den Kontext-Ansatz ist dieses Befundmuster problematisch, weil es die von ihm postulierte generelle Schwierigkeit Älterer in Frage stellt, Kontextmerkmale ebenso gut erinnern zu können wie Jüngere (Zacks et al., 2000).

Aus der Sicht des Hemmungsdefizit-Ansatzes (Hasher et al., 1999) lassen sich auch diese Befunde erklären, denn entsprechend seiner Annahmen wird die Geschwindigkeit und Akkuratesse des Abrufs zum Teil vom Enkodierungsprozess beeinflusst. Wenn also bereits beim Einspeichern durch Vorgabe hochvertrauten Materials dafür gesorgt wird, dass mehr relevante Informationen enkodiert werden, dann sollte sich das auch beim Abruf niederschlagen. Die bei Älteren auf Grund defizitärer Hemmungsprozesse angenommenen Probleme, die Inhalte des Arbeitsgedächtnisses zu kontrollieren, können so durch eine

„externe“ Kontrolle kompensiert werden.

1.4 Zusammenfassung

Das Gebiet der kognitiven Gerontopsychologie stellt in den letzten Jahren ein stark intensiviertes Forschungsfeld dar. Die wachsende Anzahl empirischer Arbeiten bringt immer neue interessante Befunde zu Altersveränderungen im Bereich des Gedächtnisses und der kognitiven Funktionen hervor, die ständig neuen Erklärungsbedarf schaffen. Dabei ist ein einheitliches Bild der Ursachen gefundener Altersdifferenzen und Altersstabilitäten noch nicht erkennbar, und die methodischen Zugänge und theoretischen Konzepte sind einem permanenten Wandel unterworfen. Die in der aktuellen Debatte über Altersveränderungen im kognitiven Bereich dominierenden theoretischen Erklärungskonzepte - Ansatz begrenzter Ressourcen und selbstinitiierter Verarbeitung, Ansatz abnehmender Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, Ansatz des beeinträchtigten Kontext- und Quellengedächtnisses, Ansatz kognitiver Hemmungsdefizite – wurden kurz im Überblick vorgestellt (Kapitel 1.1).

Jeder der betrachteten theoretischen Ansätze hat seine eigene Perspektive auf die altersbedingten Veränderungen von Gedächtnisfunktionen. Es ist daher leicht einsichtig, dass die verschiedenen Ansätze bei der Erklärung empirischer Altersbefunde in einzelnen Domänen besondere Stärken aufweisen können, aber in anderen Bereichen an ihre Grenzen stoßen. Dabei werden die Qualität der theoretischen Annahmen und ihr Geltungsbereich bei allen Modellen kritisiert. Zum Beispiel wird der Ressourcen-Ansatz als zu allgemein und vage

erachtet. Dem Geschwindigkeits-Ansatz wird vorgeworfen, mit seinem Konzept der allgemeinen kognitiven Verlangsamung der Komplexität der empirischen Ergebnisse nicht gerecht zu werden, die neben Altersveränderungen auch Altersstabilität über eine breite Palette von Gedächtnisaufgaben einschließt. Und auch der Kontext-Ansatz wird eher als ein funktioneller Rahmen für die gestellten Verarbeitungsanforderungen betrachtet, und nicht als ein theoretisches Konstrukt, welches sich auf die den Altersveränderungen zu Grunde liegenden Prozesse bezieht (Balota, Dolan & Duchek, 2001).

Dagegen gelten die theoretischen Annahmen des Hemmungsdefizit-Ansatzes von Hasher und Zacks (1988) als gut ausgearbeitet und relativ präzise (Kapitel 1.2). Mit seinen Vorstellungen über altersbedingte Defizite bei Hemmungsmechanismen hat er sehr stark auf die mögliche Bedeutung von Hemmungsprozessen für das Funktionieren des kognitiven Systems aufmerksam gemacht und damit viele Forschungsarbeiten angeregt, die sich mit Annahme altersbedingter Hemmungsdefizite auseinandersetzen. Insgesamt ist der Hemmungsdefizit-Ansatz als integratives Modell konzipiert, das möglichst viele Befunde der kognitiven Gerontopsychologie erklären will. Dieser generelle Geltungsanspruch äußert sich insbesondere darin, dass der Hemmungsdefizit-Ansatz auch in den Domänen anderer Ansätze als alternatives Erklärungskonzept fungiert, wie an den Beispielen zu Altersveränderungen beim Arbeitsgedächtnis, beim Abruf aus dem Langzeitgedächtnis und beim Kontext- und Quellengedächtnis demonstriert wurde (Kapitel 1.3).

Trotz der beschriebenen Stärken des Hemmungsdefizit-Ansatzes ist auch er in wachsendem Maß Gegenstand von Kritik. Verschiedene Autoren werfen ihm insbesondere vor, seine theoretischen Annahmen über die jeweils beteiligten kognitiven Prozesse seien zu vage und intuitiv (z.B. Burke, 1997; Park, 1999). Im folgenden Kapitel werden daher die Grenzen des Ansatzes genauer beleuchtet, und es soll geklärt werden, welche Konsequenzen sich aus dieser Diskussion für den Hemmungsdefizit-Ansatz bzw. seine weitere Entwicklung ergeben.