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1.3 Hemmungsdefizit als alternative Erklärung von Altersveränderungen

1.3.1 Altersunterschiede in der Gedächtnisspanne

Der Einsatz sogenannter Spannenaufgaben als Basismessung für mentale Kapazität und speziell der des Arbeitsgedächtnisses hat in der Psychologie interindividueller Differenzen eine lange Tradition. Dabei ist zwischen Einfachspannenaufgaben (z.B.

Wortspanne oder Zahlenspanne), die lediglich eine passive Speicherung von Informationen erfassen, und komplexeren „Arbeitsgedächtnis“-Messungen (z.B. Lesespanne oder Rechenspanne) zu unterscheiden, die eine simultane Verarbeitung und Speicherung von Informationen erfordern. Die derart gemessene Kapazität ist aus allgemeinpsychologischer Sicht für eine breite Palette kognitiver Aktivitäten von Bedeutung, angefangen von der Enkodierung neuer Informationen ins Langzeitgedächtnis, über den Abruf, das Sprachverständnis bis hin zum schlussfolgerndem Denken (z.B. Daneman & Carpenter, 1980;

Daneman & Merikle, 1996; Salthouse, 1993).

Obwohl einzelne Studien nur kleine oder keine signifikanten Altersdifferenzen berichtet haben (z.B. siehe Craik, 1977), zeigt eine Metaanalyse klar, dass Alte bei Einfach-spannenaufgaben schlechter abschneiden als Junge (Verhaeghen, Marcoen & Goosens, 1993).

Die aus 13 altersvergleichenden Studien gewonnene mittlere Effektstärke für den

Alters-unterschied in vorwärtsgerichteten Zahlenspannenaufgaben fällt jedoch geringer aus als für Altersdifferenzen in Paarassoziationsaufgaben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass man mit einem solchen Spannenmaß keine reinen Kapazitätsunterschiede abbildet, da auch Langzeit-gedächtnisprozesse die Messung beeinflussen (z.B. Craik, 1977). Die gefundenen Alters-unterschiede könnten teilweise auch auf andere alterssensitive Prozesse zurückgeführt werden, wie zum Beispiel schlechteres Rehearsal älterer Erwachsener (Kausler, 1994). Aus der Perspektive von Baddeleys (1986) Arbeitsgedächtnismodell trägt eine langsamere Artikulationsrate Älterer zur reduzierten Kapazitätsmessung der Phonologischen Schleife bei (Multhaup, Balota & Cowan, 1996).

Ähnlich wie bei den einfachen Spannenmaßen sind auch die Ergebnisse zu komplexen Spannenmaßen nicht homogen. In vielen Studien werden Altersunterschiede gefunden, in manchen nicht (siehe Light, 1991). Die Metaanalyse von Verhaeghen et al. (1993) zeigt jedoch einen klaren Alterseffekt. Wenn man zudem in Rechnung stellt, dass verbale Fähigkeiten mit derartigen Spannenmaßen korrelieren (Daneman & Carpenter, 1980) und Ältere in den untersuchten Stichproben meist Vorteile im Vokabular aufweisen, dann werden die vorhandenen Altersunterschiede eher unterschätzt.

Nach Ansicht der Vertreter der Geschwindigkeitshypothese (siehe Kapitel 1.1) lässt sich ein altersabhängiger Rückgang in den Spannenmaßen durch eine verlangsamte Verarbeitung erklären. Diese führt zu einer Verminderung der Informationsmenge, die im Kurzzeitgedächtnis gehalten oder verarbeitet werden kann. Laut Park et al. (1996) wird diese Auffassung durch folgende Befundmuster unterstützt: Erstens nimmt die Verarbeitungs-geschwindigkeit mit fortschreitendem Alter beständig ab. Zweitens teilt die altersbedingte Abnahme der Verarbeitungsgeschwindigkeit beträchtliche Varianzanteile mit den bei Arbeitsgedächtnismessungen gefundenen Altersdifferenzen. Drittens teilt die altersbedingte Abnahme der Verarbeitungsgeschwindigkeit Varianz mit den Altersdifferenzen beim episodischen Gedächtnis und der fluiden Intelligenz. Und schließlich bestätigen Struktur-gleichungsmodelle regelmäßig die Verarbeitungsgeschwindigkeit als stärkeren Mediator der altersabhängigen Varianz von Gedächtnis, schlussfolgerndem Denken und Sprach-verarbeitungsaufgaben, im Vergleich zur Arbeitsgedächtniskapazität. Dieses Befundmuster führte dazu, die herabgesetzte Verarbeitungsgeschwindigkeit als den grundlegenden Mediator von Altersdefiziten bei einer breiten Palette kognitiver Aufgaben anzusehen und ihr mehr Bedeutung zuzumessen als den Veränderungen in der Arbeitsgedächtniskapazität (siehe Salthouse, 1996; Verhaeghen & Salthouse, 1997).

Aber auch der Hemmungsdefizit-Ansatz beansprucht für sich, die gefundenen Alters-veränderungen in den Spannenmaßen erklären zu können. Von den drei in diesem Ansatz zur Kontrolle der Inhalte des Arbeitsgedächtnisses postulierten Hemmungsprozessen soll der

„deletion“-Prozess für die Altersunterschiede bei den Spannenmaßen verantwortlich sein, denn ältere Erwachsene haben demnach Schwierigkeiten, nicht länger relevante Informationen zu unterdrücken. Entsprechend dieser Argumentation werden die Spannenaufgaben als eine Serie von Tests aufgefasst, bei denen nacheinander mehrere Listen gelernt werden müssen, deren Länge ständig anwächst. Die gerade gelernten und erinnerten Items der vorhergehenden Listen sind nicht länger relevant und sollten unterdrückt werden. Je schlechter man dazu in der Lage ist, umso mehr Items bleiben im Gedächtnis verfügbar. Das führt zu immer größeren aktivierten Sets im Gedächtnis, die nach den relevanten Informationen abgesucht werden müssen. Mit anderen Worten wird die funktionale Listenlänge bei schlechter Hemmungseffizienz wesentlich größer als bei guter (Zacks et al., 2000).

Der Einfluss der Listenlänge auf die Abrufleistung ist auch in anderen Bereichen der Literatur gut dokumentiert. Typische Erklärungen der Befunde im Rahmen der Interferenz-theorie beruhen beispielsweise auf der Annahme, dass mit längeren Listen beim Abruf größere Konkurrenz unter den potentiellen Antwortkandidaten auftritt (z.B. Watkins &

Watkins, 1975). Ein entsprechend größerer Suchraum hat zwei Effekte auf den Abruf. Er reduziert die Menge der erinnerten Items und vermindert die Abrufgeschwindigkeit. Daher sollten die reduzierten Gedächtnisspannen älterer Erwachsener auf deren Defiziten bei der Hemmungskontrolle über nicht länger relevante Informationen im Arbeitsgedächtnis beruhen.

Zur Unterstützung dieser Argumentation führen Zacks et al. (2000) eine Studie an, in der auf der Basis der Lesespannenaufgabe von Daneman und Carpenter (1980) neben dem traditionellen Vorgehen (die Listen werden in aufsteigender Reihenfolge mit wachsender Listenlänge präsentiert) auch eine Darbietungsvariante mit absteigender Listenlänge eingesetzt wird (May, Hasher & Kane, 1999). Damit wurde beabsichtigt, die „carryover“- (oder proaktive Interferenz-) Effekte von kurzen zu langen Listen zu reduzieren, was tatsächlich gelang. Die ermittelten Arbeitsgedächtnisspannen waren bei Messung in absteigender Reihenfolge für alte und junge Erwachsene gleich groß. Wenn dagegen in aufsteigender Reihenfolge vorgegangen wurde, dann hatten die Jungen Vorteile.

Entsprechend der skizzierten Argumentation lassen sich die in Spannenaufgaben gefundenen Altersunterschiede, die typischerweise auf altersbedingte Kapazitätseinbußen des Arbeitsgedächtnisses zurückgeführt wurden, auch mit dem Hemmungsdefizit-Ansatz erklären.