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Listenmethode als geeignetes Instrument zur Erfassung kognitiver Hemmung Eine Analyse der in der Literatur berichteten Studien zur Untersuchung von

3 Erfassung kognitiver Hemmung mit dem Directed-Forgetting-Paradigma

3.2 Listenmethode als geeignetes Instrument zur Erfassung kognitiver Hemmung Eine Analyse der in der Literatur berichteten Studien zur Untersuchung von

Directed-Forgetting mit der Listenmethode zeigt, dass es unterschiedliche Möglichkeiten der experi-mentellen Gestaltung und der Operationalisierung der Effekte gibt. Entsprechend einer von Bjork et al. (1998) vorgenommenen Systematisierung lassen sich, bei im Rahmen einer Basisprozedur durchgeführten Experimenten, stabile Basisphänomene des Directed-Forgetting nachweisen. Am Ende des Kapitels werden außerdem einige interessante empiri-sche Befunde zur Listenmethode angesprochen, die zu einer genaueren Charakterisierung des involvierten Hemmungsprozesses beitragen können.

Basisprozedur der Listenmethode: Wie in Abbildung 3.1 verdeutlicht wird, können in einem typischen Directed-Forgetting Experiment nach der Listenmethode drei experimentelle

Bedingungen unterschieden werden: eine Vergessensgruppe, eine Behaltensgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Probanden bekommen im Rahmen einer episodischen Gedächtnisaufgabe nacheinander zwei Wortlisten zu lernen. Die Listen enthalten je nach Studie 8 bis 24 Wörter, die im Abstand von einigen Sekunden seriell präsentiert werden. In einer zwischen beiden Listen gegebenen Instruktion (Cue) werden die Probanden entweder aufgefordert, die bisher gelernten Wörter (Precued Items) zu behalten (Behaltensgruppe) oder zu vergessen (Verges-sensgruppe).

Abbildung 3.1 Versuchsbedingungen beim Listenmethoden Directed Forgetting (freie Übertragung aus Bjork et al. (1998)).

Die in einigen Studien zusätzlich untersuchten Probanden einer Kontrollgruppe, müssen die Items der ersten Liste mit einer Kontrollaufgabe bearbeiten und lernen nur die Items nach dem Cue (Postcued Items) in gleicher Weise wie die anderen Gruppen. Als Kon-trollaufgabe bekommen die Probanden in der ersten Liste beispielsweise Item-Paare, deren Ähnlichkeit sie beurteilen müssen. Jedes Paar wird ihnen dabei in derselben Rate präsentiert, wie die Items der episodischen Gedächtnisaufgabe. Diese Kontrollbedingung kann somit als Baseline-Messung für die Erinnerungsraten der Postcued Liste dienen, da vorher keine andere Liste gelernt wurde.

Versuchsdesign und Operationalisierung: Die Directed-Forgetting Experimente nach der Listenmethode können entweder in einem Versuchsdesign mit intra- oder

interindividuel-ler Bedingungsvariation durchgeführt werden, bei denen jeweils unterschiedliche Operationa-lisierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Im Fall eines Versuchsdesigns mit intraindividueller Bedingungsvariation werden die Probanden vorher darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie mehrere Listen zu bearbeiten haben.

Allen Listen folgen Zwischeninstruktionen (in Form eines Vergessens-Cues oder Behaltens-Cues), die angeben, ob die zuvor gelernte Liste vergessen oder für einen späteren Gedächtnistest behalten werden soll. Nach jeweils zwei Listen werden dann nur die Postcued Items abgefragt, so dass die Aufrichtigkeit der Vergessensinstruktion bei dieser Vorgehensweise nie in Zweifel gezogen wird (z.B. Bjork, 1970; Timmins, 1974). Jeder Proband kann dadurch nacheinander alle drei Versuchsbedingungen durchlaufen. Erst am Ende der gesamten Darbietung werden alle Items abgefragt, unabhängig davon, ob diese vorher vergessen oder behalten werden sollten. Der Directed-Forgetting-Effekt wird in diesem Design durch den intraindividuellen Vergleich der drei Versuchsbedingungen hinsichtlich der Erinnerungsleistung für Postcued Items operationalisiert. Dabei wird angenommen, dass die Erinnerungsleistungen für Postcued Items in der Vergessensgruppe signifikant besser sein sollte als in der Behaltensgruppe, weil die Abrufhemmung proaktive Interferenz von Seiten der Precued Items herabsetzt.

Wird die Listenmethode in einem Versuchsdesign mit interindividueller Bedingungs-variation angewendet, dann erfolgt die Vergessensinstruktion nach dem Lernen der ersten Liste für die Probanden überraschend. Die Vergessensgruppe bekommt vom Versuchsleiter beispielsweise mitgeteilt, dass diese Liste nur der Übung diente. Sie sollten die gelernten Items am besten vergessen, um sich die folgenden Items besser einprägen zu können. Die Probanden der Behaltensgruppe werden dagegen aufgefordert, sich zusätzlich zu den bisher gelernten Wörtern nun auch noch die Folgenden gut zu merken. Bei Einbeziehung einer Kontrollgruppen müssen die Probanden nur die zweite Liste lernen, während die Wörter der ersten Liste nach bestimmten Kriterien beurteilt werden soll (s. Abb. 3.1). Am Ende der Darbietung werden alle gelernten Items abgefragt, weshalb die beschriebene Vergessensprozedur bei jedem Probanden nur einmal eingesetzt werden kann. Der Vergleich der Erinnerungsleistung für Precued und Postcued Items zwischen den Gruppen gibt Aufschluss darüber, ob ein Directed-Forgetting-Effekt eingetreten ist oder nicht.

Basisphänomene des Directed-Forgetting bei der Listenmethode: In Studien zur Listenmethode des Directed-Forgetting treten immer wieder die selben Effekte auf, die von Bjork et al. (1998) in Form von drei Basisphänomenen zusammengefasst wurden. Von einem

Directed-Forgetting-Effekt wird in einem Versuchsdesign mit interindividueller Bedignungs-variation immer dann gesprochen, wenn:

(a) die Vergessensgruppe die Precued Items schlechter erinnert als die Behaltengruppe (Erinnerungsnachteil),

(b) die Vergessensgruppe Postcued Items besser erinnert als die Behaltensgruppe (Erinnerungsvorteil),

(c) die Vergessensgruppe Postcued Items ebenso gut erinnert wie eine Kontrollgruppe, die nur die zweite Liste gelernt hat (Baseline).

Bei genauerer Betrachtung der Basisphänomene fällt auf, dass nur im Fall (a) eine direkte Erfassung der von der Abrufhemmung betroffenen F-Items erfolgt. Bei den Basis-phänomenen (b) und (c) wird der Directed-Forgetting-Effekt dagegen aus der Leistung für R-Items abgeleitet. In diesem Zusammenhang weist MacLeod (1998) darauf hin, dass “some potential for confusion exists because there are two logical candidate measures of the basic directed forgetting effect" (S. 4). Der logische Unterschied zwischen beiden „Mess-kandidaten“ kann am besten in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse der jeweiligen Erinne-rungsleistungen verdeutlicht werden.

Vergleicht man die Erinnerungsleistungen der Vergessens- und Behaltensgruppen für die erste Liste (Precued Items), dann sollten die F-Items einen erheblichen Erinnerungs-nachteil gegenüber R-Items aufweisen. Der Directed-Forgetting-Effekt ergibt sich hier aus der Differenz erinnerter F- und R-Items. Das hat den Vorteil, dass die von Abrufhemmung betroffenen F-Items in die Analyse einbezogen werden und deshalb von einer direkten Messung der Wirkung von Abrufhemmung gesprochen werden kann.

Bei dem anderen Messkandidaten können dagegen die Erinnerungsleistungen aller drei Gruppen für die zweite Liste (Postcued Items) gegenüber gestellt werden. Dabei sollte die Vergessensgruppe einen Erinnerungsvorteil für Postcued R-Items gegenüber der Behaltens-gruppe aufweisen und sich nicht von der KontrollBehaltens-gruppe unterscheiden, die eine Baseline für die Postcued R-Items darstellt. In diesem Fall liegt eine indirekte Messung der Auswirkungen der postulierten Abrufhemmung vor, da die Verfügbarkeit der F-Items nicht erfasst wird.

Stattdessen wird argumentiert, dass die abrufgehemmten Precued F-Items weniger proaktive Interferenz erzeugen als die ungehemmten Precued R-Items und so den Erinnerungsvorteil für die Postcued Items in der Vergessensgruppe bedingen.

Obwohl in den Basisphänomenen der Listenmethode offensichtlich zwei Facetten des Directed-Forgetting enthalten sind, die auf unterschiedlichen Messungen beruhen, wird auf der Ebene der Erklärungsansätze keine Differenzierung vorgenommen. Für die Erklärung beider Facetten des Directed-Forgetting mittels Abrufhemmung sprechen Studien, die einen Zwischengruppenvergleich der Erinnerungsleistung für Postcued Items gestatten (z. B. Bjork, Bjork & Glenberg, 1973; Bjork, Bjork & White, 1984). Die Leistung der Vergessensgruppe für die Postcued Items verschlechtert sich nach einer erneuten Konfrontation mit den F-Items, so dass der Erinnerungsvorteil gegenüber der Behaltensgruppe verschwindet. Dies spricht laut Bjork (1989) für eine Wiederbelebung vorhandener proaktiver Interferenzen innerhalb der Vergessensgruppe und stellt einen direkten Zusammenhang mit dem „release of retrieval inhibition“-Phänomen her, welches als zentrales Argument für eine Abrufhemmungserklärung angesehen wird (siehe Kapitel 3.1).

Charakterisierung der Abrufhemmung bei der Listenmethode: Verschiedene interes-sante Befunde geben Anhaltspunkte für eine genauere Charakterisierung der postulierten Abrufhemmung. Bjork et al. (1998) weisen außerdem darauf hin, dass notwendige Bedingungen erfüllt sein müssen, damit überhaupt Directed-Forgetting-Effekte auftreten bzw.

die Abrufhemmung ihre Wirkung entfalten kann. Insbesondere kommt es auf einen engen zeitlichen Abstand zwischen der Lernepisode und der Vergessensinstruktion an. Werden Probanden erst mit großer Verzögerung zum Vergessen einer Liste aufgefordert, nachdem sie bereits noch anderes Material gelernt hatten, dann verringert sich der Vergessenseffekt deut-lich und die proaktiven Interferenzen nehmen zu (z.B. Epstein, Massaro & Wilder, 1972;

Roediger & Tulving, 1979).

Einen in bezug auf die „Natur“ der postulierten Abrufhemmung sehr aufschlussreichen Befund berichten Gelfand und Bjork (1985) in einer Studie, in der Directed-Forgetting nach einer Vergessensinstruktion nur dann auftrat, wenn den Probanden danach eine gleichartige Lernanforderung in Form einer zweiten Lernliste gestellt wurde. Mussten sie stattdessen nach der Instruktion nur abwarten oder eine andere Aufgabe erledigen, dann konnte kein Effekt beobachtet werden. Anscheinend reicht eine Vergessensaufforderung an sich nicht aus, um eine Abrufhemmung der F-Items zu bewirken, sondern sie wird offensichtlich erst durch einen neuen Lernprozess ausgelöst.

Es bleibt die Frage zu beantworten, was genau gehemmt wird. Betrifft die Abrufhem-mung den gesamten Zugang zu den Items, so dass diese Items auch bei anderen Anforderun-gen indirekt bzw. unbewusst beeinflusst sind, oder wird nur der Zugang zur Lernepisode

inklusive der darin verbundenen Items blockiert? Insbesondere Arbeiten von Bjork und Kollegen liefern zur Beantwortung dieser Frage einige interessante Anhaltspunkte.

In einer von Bjork und Bjork (1996) nach der beschriebenen Basisprozedur des Directed-Forgetting durchgeführten Studie mussten die Postcued Items entweder direkt nach der Lernphase frei reproduziert werden oder erst nach einer dazwischen geschalteten Wort-FragmKomplettierungsaufgabe, die sowohl einige Precued als auch Postcued Items ent-hielt. Mit diesem datengetriebenen Test wurden für F- und R-Items gleiche Priming-Effekte gefunden. Das kann zweierlei bedeuteten. Entweder können die Items selbst nicht gehemmt worden sein oder die ursprüngliche Hemmung wurde während der Komplettierungsaufgabe gelöst. Da aber im darauffolgenden freien Reproduktionstest trotz der vorgeschalteten Auf-gabe das gleiche Directed-Forgetting Befundmuster gezeigt wurde wie beim unmittelbaren Abruf, kann es nicht zur Auflösung der Abrufhemmung („release of retrieval inhibition“) gekommen sein. Für eine Auflösung der Abrufhemmung reicht offenbar allein die erneute Konfrontation mit dem F-Item nicht aus, sondern das „vergessene“ Material muss dabei in der gleichen Weise verarbeitet werden wie in der ursprünglichen Lernepisode. Das ist zum Beispiel bei einem Wiedererkennenstest oder einem „part list cuing“-Abruf der Fall.

Zusammenfassend kann die bei der Listenmethode des Directed-Forgetting postulierte Abrufhemmung demzufolge als ein kognitiver Mechanismus charakterisiert werden, der den bewussten Zugang zu einer Lernepisode blockiert, die instruktionsgemäß vergessen werden sollte. Die Abrufhemmung scheint jedoch den Aktivierungsgrad der „vergessenen“

Information im Semantischen Gedächtnis nicht zu beeinflussen, da sie keine Auswirkung auf indirekte oder unbewusste Beteiligung der betroffenen Items an anderen kognitiven Prozessen hat (Bjork et al., 1998).