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Antwort auf die zentrale Frage der Untersuchung

III SCHLUSSDISKUSSION UND AUSBLICK

10 Antwort auf die zentrale Frage der Untersuchung

Die Frage, ob die Listenmethode des Directed-Forgetting geeignet ist, ein Hemmungs-defizit im Alter nachzuweisen, muss auf der Grundlage der Ergebnisse der vorgestellten Studien für die beiden betrachteten Basisphänomene des Directed-Forgetting unterschiedlich beantwortet werden.

Für das Phänomen des Erinnerungsnachteils der Vergessensgruppe gegenüber der Behaltensgruppe bezüglich der Precued Items fällt die Antwort positiv aus. Die konsistenten Befunde aller drei Studien für die Precued Items - einschließlich des für junge Erwachsene in der dritten Studie gezeigten „release of retrieval inhibition“-Phänomens - passen wider-spruchsfrei zu dem aktuellen allgemeinpsychologischen Erklärungsmodell für die Listen-methode des Directed-Forgetting, wonach dieser Effekt auf Abrufhemmung zurückzuführen ist. Dass bei den untersuchten älteren Erwachsenen kein derartiger Effekt beobachtet werden konnte, spricht aus gerontopsychologischer Perspektive für die Annahme eines Hemmungs-defizits im Alter, wie es von Hasher und Zacks (1988) vorgeschlagen wurde.

Die Antwort für das Phänomen des Erinnerungsvorteils einer Vergessensgruppe gegenüber einer Behaltensgruppe für Postcued Items fällt dagegen nicht so eindeutig aus. Der Effekt für die Postcued Items ist anscheinend wesentlich sensibler für moderierende Einflüsse als der für die Precued Items, was potentiell zu Fehlinterpretationen bezüglich der gefundenen Altersveränderungen oder auch Altersstabilitäten führen kann. Zum Beispiel könnte der in der ersten Studie in beiden Altersgruppen gefundene Erinnerungsvorteil der Vergessensgruppe für Postcued Items fälschlich als Ausdruck von Altersinvarianz bei der Abrufhemmung angese-hen werden, obwohl er bei älteren Erwachsenen, nach den im Laufe der aufeinanderfolgenden Studien gewonnenen Erkenntnissen, wahrscheinlich auf Unterschieden in der Vertrautheit mit den Lernanforderungen zwischen Vergessens- und Behaltensgruppe beruht. Außerdem legen die Befunde der dritten Studie nahe, dass interindividuelle Unterschiede in der strategischen Kompetenz beim Einspeichern des Lernmaterials insbesondere bei jungen Erwachsenen den Effekt für Postcued Items beeinflussen können, während sich der Effekt für die Precued Items gegen diesen Einfluss als resistent erwies.

Obwohl die Ergebnisse des zweiten Versuchsdurchgangs in den Studien 2 und 3 den Schluss zulassen, dass auch Altersveränderungen bezüglich des Erinnerungsvorteils der Vergessensgruppe für Postcued Items im Sinne eines Hemmungsdefizits im Alter interpretiert werden können, sprechen die in den drei Studien gesammelten empirischen Erfahrungen ins-gesamt für eine klare Unterscheidung der Verursachungsbedingungen der beiden Basis-phänomene des Listenmethoden-Directed-Forgetting. Auch aus der theoretischen Perspektive scheint diese Trennung sinnvoll, denn im Phänomen des Erinnerungsnachteils der Verges-sensgruppe wird die Wirkung der Hemmung auf die Precued Items direkt abgebildet. Auf der anderen Seite steht dagegen das Phänomen des Erinnerungsvorteils der Vergessensgruppe auf die Erinnerungsleistung für die Postcued Items, die nicht selbst von der Abrufhemmung betroffen sind, sondern indirekt durch die aufgrund der auf die Precued Items wirkenden Abrufhemmung unterdrückte proaktive Interferenz profitieren. Es ist für die Postcued Items viel wahrscheinlicher, dass sie auch von anderen kognitiven oder motivationalen Faktoren beeinflusst werden, die eine vorhandene Hemmungswirkung überdecken können, wie die Diskussion von interindividuellen Unterschieden in den Lernstrategien in Studie 3 gezeigt hat.

Exkurs zirkadiane Rhythmik: Ein weiterer moderierender Faktor wurde in jüngster Zeit im Zusammenhang mit dem Hemmungsdefizit-Ansatz verstärkt untersucht, der potentiell beide Basisphänomene des Directed-Forgetting betreffen kann. In verschiedenen Studien konnte festgestellt werden, dass der zirkadiane Arousal Rhythmus einen massiven Einfluss auf die Effizienz kognitiver Prozesse hat (z.B. Bodenhausen, 1990; Intons-Peterson, Racchi, West, McLellan & Hackney, 1998; May, Hasher & Stolzfus, 1993). Dabei ist eine deutlicher Altersunterschied im täglichen Arousal-Rhythmus festzustellen, wenn mit dem

„Morningness-Eveningness Questionnaire” (Horne & Osterberg, 1976) Morgentypen und Abendtypen unterschieden werden. Über 75 % der untersuchten vitalen, gebildeten älteren Probanden sind Morgentypen und erreichen ihre höchsten Arousal-Werte am frühen Morgen, was nur auf 5% der jungen Probanden zutrifft. Dagegen sind 35 % der jungen Erwachsenen Abendtypen, die ihr höchstes Arousal erst am späten Abend erreichen, was nur bei 2 % der Älteren der Fall ist (Hasher et al., 1999).

In einer Studie zum Stop-Signal-Paradigma (Logan, 1994) mit jungen und alten Erwachsenen konnten May und Hasher (1998) beispielsweise zeigen, dass sowohl das Alter als auch das zirkadiane Arousal die Fähigkeit zur Hemmung eines dominanten Antwort-verhaltens beeinflusste. Allerdings war der gefundene Altersunterschied geringer, wenn die Leistungen zum jeweils individuell optimalen Testzeitpunkt bezüglich des zirkadianen

Arousals erhoben wurden. In zusätzlich durchgeführten Vokabeltests oder einem allgemeinen Wissenstest, in denen sich die Älteren auf dem gleichen Leistungsniveau bewegten wie Jüngere, konnte dagegen keine Arousal-Abhängigkeit festgestellt werden. Die Autoren inter-pretieren dieses Ergebnis als Beleg dafür, dass die Effizienz kognitiver Hemmungsprozesse eng mit der zirkadianen Rhythmik zusammenhängt, wobei die Einflüsse auf das Leistungs-niveau bei Älteren deutlich stärker ausgeprägt sind.

Wird der moderierende Einfluss der zirkadianen Rhythmik nicht beachtet, kann es zu Fehlinterpretationen der gefundenen Alterseffekte kommen, wie Zacks et al. (2000) warnend feststellen: „Failures to take this into account can increase (or decrease) estimates of age differences, depending on the task or processes studied and on the testing times used for younger and older participants.“ (S. 338). Im Zusammenhang mit den eigenen Unter-suchungsergebnissen sind aus diesem Grund verschiedene Aspekte zu diskutieren, da die Tageszeitabhängigkeit in den drei Studien nicht systematisch kontrolliert wurde. Obwohl junge und alte Erwachsene sowohl morgens als auch nachmittags getestet wurden, konnte rekonstruiert werden, dass der größte Teil der Untersuchungen mit älteren Probanden am Vormittag durchgeführt wurde, d.h. zu der für deren Arousal tendenziell günstigsten Testzeit.

Deshalb ist eher von einer strengen Prüfung der Altershypothesen auszugehen, weil die auf den Arousal-Einfluss zurückführbaren Altersdifferenzen zur optimalen Testzeit geringer ausfallen sollten.

Zu dieser Argumentation passt die Beobachtung, dass sich in den Daten der älteren Probanden im jeweils zweiten Versuchsdurchgang der zweiten und dritten Studie, wenn der Einfluss des moderierenden Faktors Vertrautheit kontrolliert ist, ein typisches Directed-Forgetting-Befundmuster andeutet. Das lässt eher ein graduelles Hemmungsdefizit im Alter vermuten, anstelle einer grundlegenden Veränderung in der kognitiven Verarbeitung, an der überhaupt keine Hemmungsmechanismen beteiligt sind. Es wäre zu prüfen, ob bei einer systematischen Berücksichtigung der in bezug auf die interindividuellen Unterschiede in der zirkadianen Rhythmik optimalen Testzeit bei älteren Probanden statistisch bedeutsame Directed-Forgetting-Effekte gefunden werden können.

Da ein unsystematischer Einfluss der zirkadianen Rhythmik auch als Ursache für einen Teil der großen Varianz innerhalb der jungen Probanden in Frage kommt, sollte dieser moderierende Einflussfaktor bei künftigen Untersuchungen zu Altersveränderungen kognitiver Hemmungsprozesse kontrolliert (zumindest protokolliert) werden. Wenn in nach-folgenden Experimenten mit der Listenmethode des Directed-Forgettting ebenso die

moderie-renden Faktoren Vertrautheit mit der Lernanforderung und die eingesetzte Lernstrategie systematisch berücksichtigt werden, verbindet sich damit die Hoffnung, die entsprechenden Alterseffekte auch über eine varianzanalytische Alters-mal-Bedingungsinteraktion absichern zu können.

Am Ende der Diskussion der in dieser Arbeit vorgestellten Studien steht als Fazit, dass die Listenmethode des Directed-Forgetting prinzipiell dazu geeignet ist, Hemmungsprozesse zu untersuchen und speziell ein Hemmungsdefizit im Alter nachzuweisen. Diese Feststellung ist jedoch mit der Forderung verbunden, die Basisphänomene des Listenmethoden-Directed-Forgetting für Precued und Postcued Items streng getrennt zu betrachten, da sie entsprechend der geführten Diskussion in unterschiedlicher Weise dem Einfluss moderierender Faktoren unterliegen können. Von ihnen kann es abhängen, ob die Wirkung der Hemmungs-mechanismen beobachtet werden kann oder nicht, bzw. die Wirkung der Hemmung selbst beeinflusst wird.

Diese Forderung hat vor allem Auswirkungen auf die Wahl einer inter- oder intra-individuellen Operationalisierung der Directed-Forgetting Phänomene der Listenmethode in zukünftigen Untersuchungen. Da bei einem intraindividuellen Vorgehen, wie es zum Beispiel von Zacks et al. (1996) gewählt wurde (siehe Kapitel 3.3), ein Directed-Forgetting-Effekt durch die intraindividuelle Differenz zwischen den Erinnerungsleistungen für Precued und Postcued Items oder nur über den Vergleich der unter Vergessens- bzw. Behaltens-anforderungen erinnerten Postcued Items erfasst wird, kommt es zwangsläufig zu einer Vermischung von direkten und indirekten Hemmungsindikatoren. Eine interindividuelle Bedingungsvariation ist daher insbesondere in altersvergleichenden Studien vorzuziehen.

Außerdem kann dabei durch eine entsprechende Abrufgestaltung auch das „release of retrieval inhibition“-Phänomen geprüft werden, was zur die Abgrenzung von Abrufhem-mungswirkung gegenüber Enkodierungseinflüssen wichtig ist (siehe Kapitel 3.1).