• Keine Ergebnisse gefunden

Die Attraktivität des Hemmungsdefizit-Ansatz von Hasher und Zacks (1988) ist un-gebrochen und liegt, angesichts der beobachtbaren Schwierigkeiten Älterer im Umgang mit ablenkenden bzw. irrelevanten Informationen, vor allem in der Plausibilität der Annahme im Alter nachlassender Effizienz kognitiver Hemmungsmechanismen als Ursache kognitiver Altersveränderungen begründet. Die Vielzahl der in den letzten Jahren entstandenen Forschungsarbeiten, die inspiriert durch den Hemmungsdefizit-Ansatz versucht haben, ein Hemmungsdefizit im Alter nachzuweisen oder seine Annahmen für die Erklärung gefundener Alterseffekte zu nutzen, sprechen eine deutliche Sprache.

Der besondere Wert des Hemmungsdefizit-Ansatzes liegt zum einen in seiner Integra-tionskraft, viele Befunde zu Altersveränderungen im kognitiven Bereich erklären zu können (z.B. Altersdefizite in der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, Probleme beim Abruf aus dem Langzeitgedächtnis). Zum anderen hat er einen großen Anteil daran, dass Hemmungs-mechanismen und deren Entwicklung am Ende der Ära der Computermetapher der Informa-tionsverarbeitung stärker in den Blickpunkt kognitionspsychologischer Forschung gerückt sind und in entsprechenden Modellen als notwendige „Partner“ von Aktivierungsprozessen angesehen werden (z.B. Anderson et al., 1994; Houghton & Tipper, 1994).

Leider ist trotz großer Plausibilität das Hemmungskonzept mit diversen Problemen behaftet, die seine Validität und reliable Messung betreffen. Für viele der zur Begründung des Ansatzes angeführten Befunde (z.B. Zacks & Hasher, 1994; Zacks et al., 1996) gibt es alter-native Erklärungsmöglichkeiten, die aufgrund der zu unspezifischen Annahmen des Modells über die konkrete Wirkungsweise der postulierten Hemmungsmechanismen bisher nicht aus-geschlossen werden können (z.B. Burke, 1997; McDowd, 1997). Insbesondere steht bei einigen eingesetzten Paradigmen in Frage, ob die erfassten Effekte überhaupt auf der Wirkung von Hemmungsmechanismen beruhen. Solange jedoch auf die Beteiligung von Hemmungs-mechanismen nur über die gefundenen Altersunterschiede geschlossen werden kann, bleibt die Begründungsstruktur eines altersbedingten Hemmungsdefizits als Ursache für die gefun-den Altersveränderungen zirkulär.

Im Folgenden sollen zwei mögliche Wege zur Lösung der Probleme mit dem Nach-weis von Hemmungsdefiziten im Alter skizziert werden. Eine Möglichkeit besteht in der weiteren Spezifizierung bzw. Modifikation der Modellvorstellungen des

Hemmungsdefizit-Ansatzes, wie sie bereits z.B. von Burke (1997) oder Park (1999) gefordert wurde und die Zacks et al. (2000) in einem ersten Schritt vollzogen haben. Das bedeutet, konkrete Funkti-onsmodelle für die postulierten Hemmungsmechanismen zu entwickeln und diese empirisch abzusichern. Auf diesem Weg ist es möglich, in altersvergleichenden Studien die Annahme eines generellen Hemmungsdefizits im Alter auf eine feste Basis zu stellen. Das Beispiel der konzeptionellen und empirischen Entwicklung der Modellvorstellungen zum Negative-Priming-Paradigma zeigt jedoch, wie schwierig es ist, die Wirkung von Hemmungs-mechanismen in Abgrenzung zu den funktionell eng damit verbundenen Aktivierungs-prozessen zu messen. Dabei haben besonders die Ergebnisse zur Altersentwicklung des Negative-Primings dazu geführt, dass die ursprünglich angenommene Hemmungserklärung des Phänomens immer weiter zurückgedrängt wurde.

Deshalb verspricht ein zweiter Weg mehr Erfolg, der vorschlägt, die Hemmungs-defizit-Hypothese zunächst an Paradigmen zu prüfen, bei denen die Beteiligung von Hem-mungsmechanismen bereits aus allgemeinpsychologischer Sicht gut abgesichert ist. Auf dieser Grundlage kann dann eine weitere Präzisierung der Modellvorstellungen über die beteiligten Hemmungsmechanismen und ihre Entwicklung im Alter erfolgen. Bei der Listen-methode des Directed-Forgetting scheint es sich um ein geeignetes Paradigma zu handeln, denn in der allgemeinpsychologischen Literatur besteht auf breiter empirischer Basis Konsens darüber, dass in erster Linie Abrufhemmung für die bei jungen Erwachsenen gefundenen Directed-Forgetting Phänomene verantwortlich ist. Die postulierte Abrufhemmung wird dabei als ein Mechanismus verstanden, der infolge einer Vergessensinstruktion den Zugang zu einer vorherigen Lernepisode blockiert, so dass sie beim selbstinitiierten freien Reproduzieren nur schwer abgerufen werden kann.

Versucht man die Vorstellung über die Abrufhemmung bei der Listenmethode mit denen über die beteiligten Hemmungsmechanismen im Modell der Kontrolle der Inhalte des Arbeitsgedächtnisses (Zacks et al., 2000) zu verbinden, dann scheint Abrufhemmung ein Zusammenspiel der „deletion“- und der „access“-Funktion darzustellen. Um den Zugriff auf eine vorherige Lernepisode zu verhindern, muss diese zunächst aus dem Arbeitsgedächtnis gelöscht werden („deletion“-Funktion) und dann während der Enkodierungsphase einer neuen Lernepisode am Zugang zum Arbeitsgedächtnis gehindert werden („access“-Funktion). Die gute Passung dieser Modellannahmen wird durch zusätzliche Präzisierungen der Hemmungs-vorstellung unterstrichen, die von einigen empirischen Ergebnissen zum Listenmethoden-Paradigma nahe gelegt werden. Demzufolge bewirkt dieser Hemmungsmechanismus nicht die

Deaktivierung der gelernten Items im semantischen Netzwerk. Außerdem ist er nicht als ein bewusst initiierbarer bzw. beeinflussbarer Mechanismus zu verstehen, sondern scheint eher automatisch ein effektives Funktionieren bewusster Verarbeitungsprozesse im Arbeits-gedächtnis zu gewährleisten.

Nimmt man auf der Basis des Hemmungsdefizit-Ansatzes von Hasher und Zacks (1988) an, dass die Effizienz kognitiver Hemmungsmechanismen im Alter generell nachlässt, so kommt man für die Listenmethode des Directed-Forgetting zur Vorhersage folgender al-tersbedingter Veränderungen in den beobachtbaren Basisphänomenen (in einem Versuchs-design mit interindividueller Bedingungsvariation):

a) Ältere Erwachsene sollten im Vergleich zu jüngeren keinen (oder einen geringeren) Erinnerungsnachteil für zu vergessende Informationen gegen-über zu erinnernde Informationen (Precud F-Items gegengegen-über Precued R-Items) aufweisen.

b) Ältere Erwachsene sollten im Vergleich zu jüngeren keinen (oder einen geringeren) Erinnerungsvorteil für nach Vergessensaufforderungen gelernte Informationen gegenüber nach Behaltensaufforderungen gelernte Informati-onen (Postcued Items) aufweisen.

c) Ältere Erwachsene sollten im Vergleich zu jüngeren eine größere Differenz zwischen nach einer Vergessensaufforderung gelernten Informationen und gelernten Informationen ohne vorherige Lernepisode aufweisen (Baseline für Postcued Items).

Das zentrale Anliegen dieser Arbeit besteht darin zu prüfen, ob sich mit der Listen-methode des Directed-Forgetting ein Hemmungsdefizit im Alter nachweisen lässt. Wenn das gelingt, könnten auf dieser Grundlage aus allgemeinpsychologischer Sicht weitere Schritte zur Konkretisierung der Vorstellungen über die in diesem Paradigma beteiligten Hemmungs-mechanismen vorgenommen werden. Aus gerontopsychologischer Perspektive wäre es be-sonders interessant, die Konsequenzen altersbedingter Hemmungsdefizite für die Verände-rung kognitiver Verarbeitungsprozesse und deren Beeinflussbarkeit bzw. Kompensations-möglichkeiten zu untersuchen.

II EIGENE UNTERSUCHUNGEN ZUM DIRECTED-FORGETTING IM ALTER