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1 Einleitung

1.1 Protein-basierte Materialien

1.1.2 Strukturelle Grundlagen mechanischer Eigenschaften

Viele Strukturproteine zeigen eine hierarchische Zusammensetzung (z. B. Quartärstruktur, Fibrillen/Filamente, Fasern) sowie einen modularen Aufbau aus repetitiven, meist wenig komplexen Wiederholungseinheiten (Kushner & Guan, 2011; Csete & Doyle, 2002). Lineare mechanische (Zug-)Belastung von Proteinfasern führt einerseits zum Entfalten oder Gleiten von Molekülketten und andererseits zum Aufbrechen von Bindungen. Betroffen sind dabei Wasserstoffbrückenbindungen, quervernetzende kovalente Bindungen sowie intermolekulare Verschlaufungen (Buehler & Yung, 2009). Die jeweiligen mechanischen Eigenschaften von Proteinfasern, die sich z. B. in ihrer Elastizität, Festigkeit oder Energiespeicherkapazität unterscheiden, lassen sich oftmals gut mit unterschiedlichen Sekundärstrukturelementen korrelieren. Im Folgenden werden beispielhaft Proteinfasern vorgestellt, welche sich durch unterschiedliche mechanische Charakteristika auszeichnen und von unterschiedlichen Sekundärstrukturen dominiert werden.

Tabelle 1.1: Übersicht über ausgewählte Protein-basierte Materialien und potentielle Anwendungsfelder.

Protein/Molekül Prozessierungsform Anwendungsfelder Referenzen

Elastin

Tropoelastin (solubilisiert) Vliese Tissue Engineering (Weichteilgewebe) (Li et al., 2005) Elastin (solubilisiert) Mikrokapseln

(Lyophili-somen)

Bioaktive Kapseln (Daamen et al., 2007)

Elastin-mimetische Block-Copolymere

Beschichtungen Gefäßprothesen (Jordan et al., 2007; Woodhouse et al.,

2004) Hydrogele Stimulierbare Materialien (Temperatur/pH/Ionen

abhängig), z. B. Wirkstofftransport

(Morihara et al., 2005; Lao et al., 2007;

Meyer et al., 2001; Dreher et al., 2003) Nano-/Mikropartikel Wirkstoffverkapselung, Gentherapie (Wright & Conticello, 2002; Chen et al.,

2008)

Blends mit PLGA#, Gelatin Vliese Tissue Engineering (Li et al., 2006)

SF (Peptide) Hydrogele Gerichtete Gentherapie (Haider et al., 2005; Megeed et al., 2004)

SF Poröse Filme Biomaterialien/Zellsupport (Hu et al., 2010)

Keratin

extrahiert aus Haar Hydrogele Arterienklemme (Hemostat) (Aboushwareb et al., 2009)

Hydrogele Tissue Engineering, Nervenregeneration (de Guzman et al., 2011; Sierpinski et al., 2008)

Hydrogel/poröse Scaffolds Tissue Enginering (Hill et al., 2010; Srinivasan et al., 2010)

Blend mit SF Filme Tissue Engineering/Wirkstofftransport (Vasconcelos et al., 2008)

Kollagen

Gelatin Hydrogele Wirkstofftransport (z. B. Knochenregeneration)

Hautersatz, Wundabdeckung

(Sakai et al., 2009; Young et al., 2005;

Hwang et al., 2011; Kempen et al., 2008) (Sheila, 2008; Boateng et al., 2008)

aus Zellkultur bzw. Peptide Hydrogele Kosmetik (Baumann et al., 2006; Sadick &

Sorhaindo, 2007) Blends mit Chitosan/PLGA/

Polycaprolacton

Vliese Hautersatz (Franco et al., 2011)

Muschelbyssus-Proteine (z. B. aus Mytillus edulis)

Mefp-1 rekombinant Kleber (z. B. für Weichteilgewebe) (Ninan et al., 2003; Frank & Belfort, 2002)

+ PEG* Antifouling (Schutz vor Biokorrosion) (Dalsin et al., 2003)

Seidenproteine

Seidenfibroin (SF) Bombyx mori

gereinigt (Sericin-frei) Fasern Textilien, Tissue Engineering Zusammengefasst in (Hardy et al., 2008) (Numata & Kaplan, 2010; Vepari, 2007; SF aus Antheraea. pernyi, A. mylitta, Samia cynthia ricini

Film, Vliese, poröse Matrizes

Tissue Engineering, Wirkstofftransport (Kundu et al., 2012)

Spinnenseidenproteine

natürlich Fäden Nervenregeneration (Allmeling et al., 2008; Radtke et al., 2011)

rekombinant Mikropartikel Wirkstoff-Freisetzung (Lammel et al., 2011)

rekombinant Kapseln Verkapselung (Hermanson et al., 2007a)

rekombinant Fasern, Filme, Vliese,

3D Scaffolds

Zellwachstum (potentiell Tissue Engineering) künstliche Gefäße

(Widhe et al., 2010; Fredriksson et al., 2009; Agapov et al., 2009; Xiang et al., 2011)

rekombinant + Polylysin/ RGD‡‡ Komplexe/Vesikel Gerichtete Gentherapie (Numata et al., 2012; Numata et al., 2011) rekombinant +Silaffin

(R5-Peptid)

Fasern, Filme Biomineralisierung (Foo et al., 2006)

rekombinant Filme v. a. Zellwachstum s. Tabelle 1.5

Soja Protein, Zein

isoliert Film/Membran Essbare Verpackung/Nahrungsmittelindustrie (Guerrero et al., 2010; Pruneda et al., 2008) Amyloide

Diphenylalanin aus Amyloid-β Nanoröhren Nanodrähte, eletrochemische Biosensoren (Adler-Abramovich et al., 2006; Reches &

Gazit, 2003; Reches & Gazit, 2006; Yemini et al., 2004)

Sup35 Fibrillen Nanodrähte (Scheibel et al., 2003)

Hybridmaterilalien / Peptid-Polymer Amhiphile

(Deng et al., 2007; Gebhardt et al., 2007)

7-8 mer Peptid

+ Aspartat Nanoröhren, Vesikel Biologische Detergenzien (lipid-frei) (Vauthey et al., 2002)

Octreotide + DOTA‡‡/ + Alkylkette

Mizellen Bildgebung (Morisco et al., 2009)

#PLGA: Polylactid-co-Glycolid, SF: Seidenfibroin, *PEG: Polyetylenglycol, ‡‡RGD: Zelladäsionssequenz (Arg-Gly-Asp),

THF: Tetrahydrofuran, ‡‡DOTA: 1,4,7,10-Tetraazacyclododecan-1,4,7,10-tetraessigsäure

1.1.2.1 β-Schleifen: elastische Struktur gezeigt am Beispiel Elastin

Elastinfasern zeichnen sich durch eine extrem hohe Elastizität und Resilienz aus, d. h. das Material kann bei Verformung viel Energie speichern, ohne dass diese verloren geht (Urry et al., 2002). Diese Eigenschaft wird hauptsächlich auf in der Struktur vorhandene β-Schleifen zurückgeführt.

Tropoelastin, die lösliche Vorstufe des extrazellulären Elastins, besteht aus alternierenden hydrophoben Domänen und quervernetzenden Einheiten. Letztere sind reich an Alanin und Lysin und bilden vermutlich α-Helices aus (Gray et al., 1973). Durch Desaminierung der Lysinreste verschiedener Moleküle entstehen kovalente Quervernetzungen zwischen den Ketten, welche das extrazellulär gebildete, polymere Elastin-Netzwerk stabilisieren (Abb. 1.1) (Brown-Augsburger et al., 1995; Keeley et al., 2002; Vrhovski & Weiss, 1998). Die hydro-phoben Domänen bestehen hauptsächlich aus kurzen Wiederholungseinheiten der Amino-säuren Glycin, Prolin, Leucin und Valin, angeordnet z. B. in dem Pentapeptid VPGXG (wobei X häufig V entspricht), dem Hexapeptid GVGVAP und dem Tetrapeptid VPGG (Sandberg et al., 1985; Yeh et al., 1987). CD- und NMR-Untersuchungen an synthetischen Peptiden ergaben, dass (VPGVG)n bei Überschreiten einer kritischen Temperatur Typ II β-Schleifen mit einer Wasserstoffbrücke zwischen Position 1 und 4 bildet (Reiersen et al., 1998; Cook et al., 1985; Urry et al., 1975; Urry et al., 1985). Dem Modell von Urry et al. zufolge ordnen sich diese β-Schleifen zu regelmäßigen β-Spiralen an (Urry et al., 2002; Venkatachalam &

Urry, 1981), einer Struktur, die oft als molekulare Springfeder bezeichnet wird und beispielsweise auch in der elastischen Spinnenseide der Fangspirale postuliert wird (Becker et al., 2003; Hayashi & Lewis, 1998).

Abb. 1.1: Aufbau von Elastin.

(a) Schematische Darstellung des Aufbaus aus alternierenden hydrophoben und quer-vernetzenden Einheiten. Die kovalente Quervernetzung erfolgt über Lysin-Reste, wobei typischerweise vier Lysinreste Pyridinstrukturen wie Desmosin und Iso-desmosin bilden. (b) Für das Pentapeptid (VPGVG)n postulierte Struktur der β-Spirale.

(Abbildung erstellt mit SwissPdb-Viewer anhand einer Struktur von Li et al. (Li et al., 2001)).

Der zugrunde liegende Mechanismus der Elastizität wird in der Literatur kontrovers diskutiert, jedoch wird bei allen Arbeiten ein Entropie-elastisches Verhalten favorisiert. Dies könnte auf der Exposition verborgener hydrophober Reste bei mechanischer Streckung basieren, was zu einer Verminderung der Entropie des umgebenden Wassers führt (Weis-Fogh & Anderson, 1970). Urry et al. postulieren die Dämpfung oder Einschränkung der Ketten-internen Dynamik unter Zugbelastung als Ursprung der Elastizität. So wurden für die Aminosäuren, welche die Schleifen innerhalb der β-Spirale verbinden, Oszillationen nach-gewiesen, deren Amplitude bei mechanischer Streckung stark abnahm (Urry & Parker, 2002;

Henze & Urry, 1985).

1.1.2.2 Coiled-coil Struktur: Enthalpie-elastisches Verhalten gezeigt an Intermediär-filamenten

Im Gegensatz zu Elastin zeigen die Intermediärfilament-Proteine Vimentin oder Keratin eher Enthalpie-elastisches Verhalten. Neben mechanischer Stabilität zeichnen sie sich durch eine hohe Toleranz gegenüber Defekten im System aus (Ackbarow & Buehler, 2009).

Beide Proteine bestehen aus einer langen α-helikalen stäbchenförmigen Mitteldomäne und nicht-helikalen Termini (Fuchs & Weber, 1994). Jeweils zwei α-helikale Stränge winden sich umeinander und bilden so eine dimere coiled-coil-Struktur aus (s. Abb. 1.2). Typischerweise tritt dabei eine heptamere Wiederholungseinheit (abcdefg) in der Primärsequenz auf, wobei die Positionen a und d von unpolaren/hydrophoben Resten eingenommen werden (Abb. 1.2 a) (O'Shea et al., 1992; Strelkov et al., 2003). Aufgrund der α-helikalen Geometrie mit 3,6 Aminosäuren pro Windung treffen diese an einer Seite der Helix zusammen und stellen die Interaktionsfläche zur Ausbildung der superhelikalen Struktur dar. In der weiteren Hierarchie von Vimentin lagern sich zwei solcher dimeren coiled-coils zu einem anti-parallelen Tetramer zusammen (Strelkov et al., 2003).

Abb. 1.2: Coiled-coil Strukturen. (a) Schematische Darstellung der Anordnung der typischen heptameren Wiederholungseinheit (abcdefg) in der Aufsicht. Die Reste an den Positionen a und d bilden dabei eine hydrophobe Interaktionsfläche. (b) Aufbau von Vimentin aus einer langen α-helikalen stäbchenförmigen Mitteldomäne und nicht-helikalen Termini. Gezeigt ist die daraus gebildete dimere coiled-coil-Struktur. A und B bezeichnen individuelle Domänen, welche coiled-coils ausbilden. Diese sind durch kurze Linker (L) verbunden.

(Qin et al., 2009a, doi/10.1371/journal.pone.0007294.g002, mit Genehmigung durch die Creative Commons Attribution License).

MD Simulationen des mechanischen Verhaltens von Vimentin unter Zugbelastung zeigen in Übereinstimmung mit experimentellen Daten drei Abschnitte (Kreplak et al., 2008; Qin et al., 2009a; Qin et al., 2009b). Extern angelegte Zugkraft führt zunächst zur Ausrichtung und Dehnung der coiled-coil Segmente, wobei ein linearer Kraftanstieg beobachtet wird. Die superhelikale Quartärstruktur ermöglicht dabei eine Dehnung um fast das doppelte als bei einer einzelnen α-Helix (Qin et al., 2009a). Anschließend erfolgt durch Aufbrechen von intrahelikalen Wasserstoffbrücken (meist in Clustern von 3-4) eine schrittweise Entfaltung der α-helikalen Segmente, wodurch Energie dissipiert wird (Ackbarow et al., 2007). Die Streckung der Helixwindungen ist hierbei die Grundlage für die beobachtete Dehnbarkeit auf über 100 %. Im Fall von Vimentin und Keratin konnte gezeigt werden, dass die mechanisch induzierte Entfaltung superhelikaler Bereiche zur anschließenden Ausbildung von intermolekularen β-Faltblättern führt, was einen entscheidenden Gewinn an Festigkeit im Vergleich zu isolierten α-Helices darstellt (Qin et al., 2009a; Fudge et al., 2003; Kreplak et al., 2004). Bei weiterer Dehnung schließlich gleiten die zu Tetrameren angeordneten Dimere aneinander bevor das Material versagt (Qin et al., 2009a).

1.1.2.3 β-Faltblatt-reiche Proteine

Fasern aus Strukturproteinen mit hohem β-Faltblatt-Anteil zeichnen sich durch außer-gewöhnlich hohe Zugfestigkeit und einen hohen E-Modul sowie Stabilität gegenüber Umweltfaktoren aus, besitzen dafür aber nur begrenzte Dehnbarkeit (Smith et al., 2006;

Smith, 2010; Keten & Buehler, 2008a). Beispiele hierfür sind Amyloid(-ähnliche) Proteinfasern, im Muskel vorkommende Titinfasern oder Seidenfäden. Bemerkenswert ist dabei, dass die Festigkeit dieser Fasern die von Stahl erreichen kann (Smith et al., 2006), obwohl die Molekülinteraktion auf Wasserstoffbrücken beruht, einer mit etwa 8-20 kJ/mol (Sheu et al., 2003; Xu & Buehler, 2010) per se schwachen, nicht-kovalenten Bindung. Einen wichtigen Beitrag liefert allerdings die Anisotropie des Materials (Brockwell et al., 2003):

Die zur Entfaltung eines antiparallelen Faltblatts aus zehn Alaninresten benötigte Kraft variiert um eine Zehnerpotenz zwischen longitudinaler und orthogonaler Belastung (Rohs et al., 1999).

Die außergewöhnlichste Kombination von mechanischen Eigenschaften weisen Seidenfasern, und insbesondere der von einigen Spinnen produzierte Abseilfaden (dragline Seide), auf (Tabelle 1.2). Die Fäden sind einerseits sehr zugfest, dabei jedoch noch bis zu etwa 30 % dehnbar, wodurch eine Zähigkeit erreicht wird, welche die von technischen Hochleistungs-fasern wie Kevlar sogar übertrifft (Gosline et al., 1999).

Tabelle 1.2: Vergleich mechanischer Eigenschaften ausgewählter Materialien (nach Gosline et al., 1999). LF:

relative Luftfeuchtigkeit

Material Dichte Zugfestigkeit E-Modul

(Steifigkeit) Dehnbarkeit Zähigkeit

g/cm3 GPa GPa % MJ/m3

Abseilfaden

(A. diadematus) 1,3 1,1 10 27 160

Kokon-Seide

(B. mori) 1,3 0,6 7 18 70

Elastin 1,3 0,002 0,001 150 1,6

Wolle (bei 100 % LF) 1,3 0,2 0,5 50 60

Kollagen 1,3 0,15 1,5 12 7,5

Kevlar 49 1,4 3,6 130 2,7 50

Hochfester Stahl 7,8 1,5 200 0,8 6

Carbonfaser 1,8 4 300 1,3 25

Im Vergleich zu anderen β-Faltblatt-reichen Proteinfasern weisen Seiden einige Besonder-heiten auf. Zum einen sind die β-Faltblatt-Bereiche hier in eine flexiblere „amorphe“ Matrix eingebettet (s. Kapitel 1.2.1, Abb. 1.3), zum anderen unterliegt ihre Assemblierung einem komplexen Spinnvorgang.