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Modifizierung und Funktionalisierung von Spinnenseidenfilmen

4 Diskussion

4.3 Modifizierung und Funktionalisierung von Spinnenseidenfilmen

Zusätzlich zu den inhärenten Eigenschaften des Films ist das Einbringen weiterer Funktionalitäten wünschenswert, um das potentielle Einsatzspektrum der Seidenfilme zu erweitern. Prinzipiell können solche Modifikationen bei Proteinen über Änderung der genetischen Information (genetic engineering) oder aber post-translational chemisch erfolgen.

Die Modifikation auf genetischer Ebene ist dabei langwieriger, da jedes Konstrukt kloniert, rekombinant produziert und gereinigt werden muss. Andererseits bietet es aber den Vorteil einer 100 %-igen Veränderung des Proteins und einer reproduzierbaren Herstellung. Limitiert ist diese Methode allerdings dadurch, dass nur Modifikationen auf Aminosäurebasis möglich sind, welche zudem auf natürliche Bausteine begrenzt sind. Diese Strategie eignet sich beispielsweise gut für die Bildung chimärer Proteine mit funktionellen Peptidmotiven (Erkennungssequenzen, Bindedomänen, Adhäsionssignale, etc.), nicht jedoch z. B. für das Anbringen zyklischer Peptide. Eine post-translationale chemische Modifikation des Proteins hingegen erlaubt die Integration völlig unterschiedlicher Molekülklassen und -größen, solange entsprechende chemisch funktionelle Gruppen – in Form vom Aminosäureseitenketten – vorhanden sind. Zudem können eine große Anzahl verschiedener Effektormoleküle in kurzer Zeit angefügt oder verschiedene Kombinationen getestet werden. Nachteile sind dabei meist

eine ineffizientere Kopplung sowie eventuell auftretende, unerwünschte Nebenreaktionen (z. B. mit konkurrierenden Bindestellen).

Für Seidenproteine wurden beide Ansätze bereits beschrieben. So wurden z. B. chimäre Proteine aus Spinnenseidenproteinen und einer Zelladhäsions-Erkennungssequenz bzw. einem Silica-präzipitierendem Peptid hergestellt (Bini et al., 2006; Foo et al., 2006) oder versucht, die Assemblierung der rekombinant hergestellten Seidenproteine durch Einbringen von sterisch anspruchsvollen Seitenketten zu beeinflussen (Szela et al., 2000; Winkler et al., 1999;

Winkler et al., 2000). An eADF4(C16) wurden über chemische Kopplung Fluorescein und ein Enzym angefügt (Huemmerich et al., 2006). Die Reaktion erfolgte an Carboxygruppen von Glutamatresten nach EDC-Aktivierung. Damit wurde eine Kopplungseffizienz von etwa 70 % erreicht, aufgrund der 17 vorhandenen Carboxygruppen war die Verteilung jedoch heterogen und keine definierte Kopplung möglich. Mittels Amin-Chemie konnte die endständige Aminogruppe modifiziert werden (Wohlrab, 2010). Allerdings trat eine Mischung an ein- bis fünffach gekoppeltem Protein auf. Da eADF4(C16) keine weiteren primären Amine enthält, waren im gewählten pH-Bereich vermutlich auch Hydroxylgruppen von Tyrosinresten an der Reaktion beteiligt.

In der vorliegenden Arbeit wurden Cystein-beinhaltende Derivate von eADF4(C16) hergestellt, um über die dadurch implementierte Thiolgruppe eine spezifische Kopplungsstelle zur kontrollierten Reaktion einzufügen. Da das ursprüngliche Protein keine Thiole enthält, konnte die Kopplung somit an der gewünschten, durch die Platzierung des Cysteins definierten Stelle erfolgen. Andererseits konnten mit diesem Ansatz nicht-natürliche Aminosäuresequenzen, wie eine zyklische Zelladhäsionssequenz, oder Metallpartikel angebracht werden.

Um eventuell auftretende Beeinträchtigungen der Assemblierungseigenschaften des Proteins oder Unterschiede in der Kopplungseffizienz zu identifizieren, wurden drei verschiedene Varianten hergestellt. Bei zwei war das Cystein im carboxyterminalen Bereich eines C-Moduls integriert, welches seinerseits als 17. Modul amino- bzw. carboxyterminal an eADF4(C16) angefügt wurde. Die dritte Variante enthielt das Cystein in einer aminoterminal angefügten kurzen Aminosäuresequenz (ntagCysC16). Untersuchungen der Sekundärstruktur und der Assemblierung dieser Cys-Proteine ergab keine signifikanten Änderungen zum Ursprungsprotein. Alle Cys-Proteine bildeten Disulfid-verbrückte Dimere mit etwa 20-30 % Monomer-Anteil. Die Ausbildung und Stabilität von Disulfidbindungen sind stark abhängig von Umgebungsparametern, wie etwa dem Sauerstoffgehalt des Puffers. Jedoch erwies sich die Monomer-Dimer-Verteilung der drei Cys-Proteine in mehrfachen Ansätzen und bei

Analyse mit unterschiedlichen Methoden wie SDS-PAGE, nativ-PAGE (Spiess et al., 2010b) und SEC als reproduzierbar. Ausgehend von der Annahme, dass zusätzlich zu der chemischen Umgebung der Cysteine strukturelle Faktoren wie räumliche Nähe und eine bestimmte Geometrie der Moleküle relativ zueinander die Ausbildung von Disulfidbrücken erleichtert sowie deren Stabilität erhöht, liegt der Grund für das etwas negativere Redoxpotential der Cysteine innerhalb des C-Moduls möglicherweise in dynamischen (nicht-kovalenten) Interaktionen der repetitiven C-Module. Dementsprechend sollte das Cystein in ntagCysC16 in einer vergleichsweise flexibleren Umgebung liegen, was zu einer besseren Zugänglichkeit des Thiols für Kopplungen führen würde.

Die Kopplungseffizienz für ntagCysC16 in Lösung lag zwischen 75 % und über 90 %.

Möglicherweise spiegelt der etwas geringere Wert das dynamische Auftreten von Dimeren/

Oligomeren über nicht-kovalente Wechselwirkungen wider, das in einer vorübergehenden schlechteren Zugänglichkeit einiger Thiolgruppen resultiert und somit eine vollständige Kopplung behindert. Das Anbringen kleiner Moleküle (Fluorescein, RGD-Peptid) behinderte dabei nicht die anschließende Assemblierung zu Filmen mit vergleichbaren strukturellen und morphologischen Charakteristika wie die von eADF4(C16) Filmen. Analyse dieser Filme mittels konfokaler Fluoreszenzmikroskopie zeigte eine patch-förmige Anreicherung des Farbstoffs (Wohlrab, 2010). Dies könnte sowohl auf eine heterogene Anordnung der Moleküle im Film als auch auf Clusterbildung der hydrophoben Fluorescein-Moleküle im Film hindeuten. Eine selektive Quantifizierung von an der Filmoberfläche exponierten Effektormolekülen war nicht möglich. Jedoch wurde eine Steigerung der Zelladhäsion auf mit c(RGDfK)-funktionalisierten Filmen beobachtet, so dass hier das Peptid auch an der Filmoberfläche zugänglich sein muss.

Zum Anfügen größerer Moleküle und/oder um Kopplungsreagens einzusparen, sowie um gegebenenfalls eine gezielte Funktionalisierung der Filmoberfläche zu erreichen, wurden zudem bereits assemblierte Filme chemisch modifiziert. Bei den Kopplungsversuchen ergaben sich geringe Unterschiede zwischen den drei Cys-Varianten, mit dem stärksten Signal für ntagCysC16. Da es zudem in höherer Ausbeute hergestellt werden konnte und geringere Aggregationsanfälligkeit zeigte, wurde ntagCysC16 für weitere Kopplungsversuche eingesetzt.

Über die verwendete Methode konnten sowohl Peptid-Sequenzen als auch Gold-Nanopartikel und das Enzym β-Galaktosidase unter Beibehaltung seiner Aktivität kovalent an die Filme gebunden werden.

Für c(RGDfK) ergab sich genau wie für Fluorescein eine Kopplung von 15-16 pmol/cm2 Film. Allerdings handelt es sich dabei vermutlich nicht um eine ausschließliche

Modifi-zierung der Oberfläche. Vielmehr zeigte sich, dass Fluorescein in den Film eindringen kann.

Mittels initialer Diffusionsexperimente konnte eine Durchlässigkeit der Filme bis zu 20 kDa (bestimmt für Fluorescein-markiertes Dextran) gezeigt werden, was etwa einer Molekülgröße von 3,3 nm entspricht (Angabe des Herstellers). Ähnliche Werte wurden für die Permeabilität von Grenzflächen-assemblierten Kapseln aus eADF4(C16) erhalten (Hermanson et al., 2007a). Eine Diffusion kleiner hydrophober oder positiv geladener Moleküle in eADF4(C16)-basierte Materialien wurde auch als Mechanismus der Beladung von Mikrokugeln mit Wirkstoffen beobachtet (Lammel et al., 2011). Da es sich hierbei um einen reversiblen Prozess handelt, sind solche Systeme beispielsweise zur Speicherung und Freisetzung von Medikamenten (drug delivery) geeignet.

Der mit 0,185 pmol/cm2 Film etwa hundertfach kleinere Wert der Kopplung von Gold-partikeln spricht hingegen für eine oberflächenspezifische Kopplung. Die mittels TEM analysierten Partikel waren ohne auffällige Musterbildung über den Film verteilt, was vermutlich auf dem bereits gezeigten Fehlen einer Vorzugsordnung der Seidenmonomere im Film beruht.

Die in dieser Arbeit gezeigte Modifikation rekombinanter Spinnenseidenfilme mit unterschiedlichen Molekülklassen liefert die Grundlage für weiterführende Funktionali-sierungen (Schema 4.2). Die Möglichkeiten reichen dabei von der Herstellung leitender Materialien über Biosensoren hin zum Aufbau komplexer Materialien, beispielsweise für Geweberegeneration. So könnten durch Verstärkung der immobilisierten Goldpartikel (über spezifische Ablagerung von Metallen) Proteinfilme erhalten werden, welche mit einer durchgehend leitendenden Oberfläche beschichtet sind (Schema 4.2 A). Neben Dünnschicht-transistoren sind solche Systeme auch als Abschirmung von z. B. Prothesen interessant.

Andererseits lassen sich durch Immobilisierung bestimmter Makromoleküle entsprechende Biosensoren herstellen. Die verwendete nachträgliche Kopplung bietet zusätzlich das Potential, in weiteren Schritten Filme an beiden Oberflächen selektiv zu modifizieren. Durch Verwenden einer zweiten chemischen Funktionalität, wie Amin-Chemie eines eingefügten Lysins, wären zudem kontrollierte Mehrfachkopplungen möglich (Schema 4.2 B).

Modifizierung mit Biotin hingegen ermöglicht den Aufbau verschiedenster Schicht-Komposite, wobei die einzelnen Materialien ohne störende Einflüsse über die starke Biotin-(Strept-)Avidin-Interaktion verbunden werden (Schema 4.2 C). Angefügte Zelladhäsions-sequenzen, wie RGD-Peptide, oder Wachstumsfaktoren können für gezielte Zell-und Gewebeinteraktion genutzt werden (Schema 4.2 D).

Möglicherweise verändert das eingefügte Cystein durch Ausbilden der kovalenten intermolekularen Bindung die mechanischen Eigenschaften der Filme. Dabei wäre durch die zusätzlichen Bindungen eine Erhöhung der Zugfestigkeit zu erwarten. Entsprechende Messungen wurden während dieser Arbeit jedoch nicht durchgeführt.

Schema 4.2: Funktionalisierungsmöglichkeiten von eADF4(C16)-basierten Spinnenseidenfilmen. (A) Herstel-lung von Filmen mit leitender Beschichtung, (B) selektive Modifizierung der Oberflächen mit variablen Effektormolekülen, (C) nicht-interferierende Verknüpfung verschiedener Materialien über Biotin und (Strept-)Avidin, (D) verbesserte/veränderte Zellinteraktion durch spezifische Moleküle (verändert nach Spiess et al., 2010b mit freundlicher Genehmigung des Verlags Royal Society of Chemistry).