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1 Einleitung

1.2 Spinnenseide

1.2.3 Fadenassemblierung – der natürliche Spinnprozess

Die Proteine der dragline Seide (MaSp) werden in der großen Ampullendrüse von hochspezialisierten Epithelzellen gebildet und mit Hilfe von Vesikeln in das Lumen der Drüse sekretiert (Plazaola & Candelas, 1991). Eine entsprechende Sekretionssequenz konnte in den aminoterminalen nicht-repetitiven Domänen nachgewiesen werden (Rising et al., 2006). Im Lumen werden die Proteine als hoch viskose Spinnlösung mit Proteinkonzentrationen von bis zu 50 % (w/v) gespeichert, bevor sie bei Bedarf durch einen S-förmigen Spinnkanal zum Ausgang des Spinnapparates, der Spinnwarze, gelangen (Hijirida et al., 1996; Vollrath &

Knight, 2001). Im Verlauf der drei Abschnitte des Kanals erfolgt durch Zusammenwirken verschiedener physikalischer und chemischer Trigger der Übergang von einer hoch konzentrierten Lösung in einen festen Faden (Abb. 1.4) (zusammengefasst in Heim et al., 2009; Humenik et al., 2011).

Untersuchungen der Sekundärstruktur der MaSp in der Drüse ergaben random coil- sowie dynamische helikale Konformationen, darunter Polyprolin II-Helix-ähnliche Strukturen (Lefevre et al., 2007a). Letztere zeigen die Eigenschaft, dass sie die Löslichkeit der Proteine durch extensive Ausbildung von Wasserstoffbrücken zu umgebenden Lösungsmittelmole-külen erhöhen (Hijirida et al., 1996). Zum anderen ermöglichen die dabei eingenommenen Diederwinkel eine energetisch günstige Umlagerung in β-Faltblatt-Strukturen (Blanch et al., 2004), welche einen großen Anteil der Struktur (etwa 50 %) im fertigen Faden darstellen (Simmons et al., 1996) .

Es wird vermutet, dass sich die MaSp aufgrund ihrer amphiphilen Eigenschaften in der Drüse Mizellen-artig arrangieren (Jin & Kaplan, 2003). Dies wird gestützt durch die Beobachtung tröpfchenförmiger Strukturen in der Drüse (Knight & Vollrath, 1999) sowie durch in vitro Untersuchungen an rekombinanten, von MaSp abgeleiteten Proteinen (Rammensee et al., 2008; Exler et al., 2007; Hagn et al., 2010). Wie auch für andere Biopolymere bei ent-sprechend hohen Konzentrationen wurden der Spinnlösung Eigenschaften flüssig-kristalliner Systeme zugeschrieben (Vollrath & Knight, 2001; Willcox et al., 1996; Knight & Vollrath, 2002). Dazu gehört die Fließfähigkeit der Lösung, welche durch erleichterten Transport entlang der Fließrichtung innerhalb des Spinnkanals gekennzeichnet ist. Gleichzeitig weist der Flüssigkeitsfilm eine erhöhte Stabilität auf, die ein Reißen des Stromes verhindert. Durch die Geometrie des sich stetig verjüngenden Spinnapparats wird bis zum Erreichen des letzten Abschnitts ein gleichmäßiger Elongationsfluss erzeugt, welcher die Ausrichtung der Moleküle unterstützt (Knight et al., 2000; Lefevre et al., 2008; Knight & Vollrath, 1999).

Abb. 1.4: Schematische Darstellung des Spinnprozesses zur Herstellung eines Spinnenseidenfadens (Abseilfaden). Die Spidroine werden in das Lumen der großen Ampullendrüse sezerniert und dort als hochkonzentrierte Spinnlösung gespeichert. Durch verschiedene physiko-chemische Parameter entsteht innerhalb des Spinnkanals bis zum Austritt an der Spinnwarze ein fester Faden.

(nach Spiess et al., 2010a, mit Genehmigung des Verlags John Wiley & Sons)

Im Verlauf des Kanals wird durch verschiedene Faktoren eine Phasenseparation induziert, welche schlussendlich zur Bildung eines festen Fadens führt. Ein Faktor ist dabei der kontrollierte Austausch von Natrium- und Chlorid-Ionen gegen kosmotropere Kalium- und Phosphat-Ionen, wodurch hydrophobe Wechselwirkungen verstärkt werden können (Knight

& Vollrath, 2001). Einen weiteren Beitrag stellt die Ansäuerung des Milieus mit Hilfe von Protonenpumpen dar, was vermutlich intermolekulare Interaktionen durch Protonierung negativ geladener Aminosäure-Seitenketten erleichtert (Chen et al., 2002; Dicko et al., 2004).

Zusätzlich treten durch eine veränderte Geometrie des Spinnkanals (Knight & Vollrath, 1999) Scherkräfte auf, welche die Ausbildung von Protein-Protein-Kontakten und intermolekularen, dicht gepackten β-Faltblatt-Bereichen fördern (Chen et al., 2002; Knight et al., 2000).

Vervollständigt wird der Spinnprozess durch Wasserentzug. Dieser erfolgt aktiv durch Epithelzellen im finalen Teil des Spinnkanals, sowie passiv durch Abstreifen am Ausgang und letztendlich Trocknung des Fadens an Luft (Vollrath & Knight, 2001).

Eine wichtige Rolle bei der gerichteten Assemblierung fällt dabei den nicht-repetitiven Termini zu. Dies wurde vorab vermutet (Ittah et al., 2007), jedoch erst kürzlich anhand verkürzter, rekombinant hergestellter Proteine sowohl für den Amino- als auch für den Carboxyterminus gezeigt (Askarieh et al., 2010; Landreh et al., 2010; Eisoldt et al., 2010;

Hagn et al., 2010; Hagn et al., 2011). Die lange repetitive Sequenz der Proteine erschwert deren Sequenzierung, so dass die komplette Sequenz der Aminotermini nur für einige Spinnenarten bekannt ist. Aufgrund der beobachteten hohen Konservierung der bisher bekannten Sequenzen zwischen verschiedenen Spinnen- und Seidenarten ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich die Funktionen bei unterschiedlichen Arten entsprechen (Rising et al., 2006).

Einerseits stabilisieren beide Termini die Proteine bei den in der Drüse vorliegenden Bedingungen in Lösung und verhindern so unerwünschte Aggregation. Andererseits ermöglichen sie durch definierte Dimerisierungsoberflächen die gerichtete Anordnung der Proteine (Hagn et al., 2010). Aggregationsanalyse rekombinanter Seidenproteine mit bzw.

ohne den Carboxy-Terminus ergab, dass nur bei Anwesenheit des Terminus Fibrillen gebildet werden, während sonst amorphe Aggregate auftraten (Hagn et al., 2010). Beide Termini reagierten zudem sensitiv auf die physiko-chemischen Änderungen während des Spinn-prozesses. So wird der Carboxy-Terminus unter Scherkräften und bei sinkender Salzkon-zentration (NaCl) destabilisiert (Eisoldt et al., 2010; Hagn et al., 2010). Vermutlich werden dadurch hydrophobe Aminosäureseitenketten exponiert und molekulare Umlagerungen erleichtert, wodurch innerhalb der repetitiven Kerndomäne β-Faltblätter ausgebildet werden können. Zudem führt das Absenken des pH-Wertes (auf den beobachteten Wert von 6,3) zur Dimerisierung der aminoterminalen Domäne, welche bei dem neutralen pH (6,9) im Lumen der Spinndrüse monomer vorliegt (Askarieh et al., 2010; Hagn et al., 2011). Während für den Carboxy-Terminus eine parallele Ausrichtung des Dimers beschrieben wurde (Hagn et al., 2010), erfolgt die Dimerisierung der aminoterminalen Domäne in antiparalleler Ausrichtung (Askarieh et al., 2010). Dies gilt als Voraussetzung zur Ausbildung gerichteter, höher-molekularer Oligomere.

Der Spinnprozess stellt einen entscheidenden Faktor für die Eigenschaften des gebildeten Fadens dar. So variieren die mechanischen Eigenschaften beispielsweise mit der Geschwin-digkeit, mit der der Faden gezogen wird (Rousseau et al., 2007). Ein als Rettungsleine im

freien Fall oder bei vertikalem Abstieg gebildeter Faden ist zugfester als ein zum Netzbau verwendeter Faden (Perez-Rigueiro et al., 2005). Auf molekularer Ebene wurden Unter-schiede in der Größe und Ausdehnung der vorhandenen kristallinen β-Faltblätter sowie in deren Ausrichtung entlang der Fadenachse beobachtet (Riekel et al., 2000). Zusätzlich beeinflussen passive Parameter, wie die Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit oder Ernährung, die Qualität des Fadens (Madsen et al., 1999; Vollrath & Porter, 2006).

Ausreichend hohe Luftfeuchtigkeit oder der Kontakt des Fadens mit Wasser führt zu einer für Seiden typischen Reaktion, der Superkontraktion (Perez-Rigueiro et al., 2003; Shao et al., 1999; Liu et al., 2005). Hierbei kommt es zu einer deutlichen Verkürzung des Fadens, die bei dragline Seide am stärksten ausgeprägt ist und bis zu 50 % erreichen kann. Gleichzeitig steigt der Fadendurchmesser. Der zugrundeliegende Mechanismus beruht auf Wechselwirkung der Wassermoleküle mit der intermolekularen Vernetzung der Seidenproteine in den amorphen Bereichen, wodurch deren Vernetzung und Vorspannung gelöst wird und so entropisch getriebene Umlagerungen ermöglicht werden (Ene et al., 2009; Ene et al., 2011; Liu et al., 2005). Dies wurde v. a. auf Prolin-reiche Kettenabschnitte zurückgeführt, da eine direkte Korrelation zwischen Prolin-Gehalt und Superkontraktionsverhalten bei unterschiedlichen Spinnen-und Seidentypen festgestellt wurde (Liu et al., 2008; Savage & Gosline, 2008b;

Savage & Gosline, 2008a). Diese Bereiche würden von einem metastabilen, teilweise geordneten Zustand in ungeordnetere Konformationen übergehen. Als weiterer Faktor wurden kürzlich molekulare Relaxationsvorgänge beschrieben, welche durch erhöhten Wassergehalt induziert wurden und einem Glasübergang entsprechen (Guan et al., 2011). Molekulare Grundlage sind hier vermutlich GGX-reiche Motive. Die dicht gepackten β-Faltblatt-Kristalle hingegen werden von den eingetretenen Wassermolekülen weitestgehend nicht beeinflusst (Holland et al., 2008b; Ene et al., 2010; Holland et al., 2004).