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Eigenschaften und Potential der untersuchten Spinnenseidenfilme im Vergleich

4 Diskussion

4.6 Eigenschaften und Potential der untersuchten Spinnenseidenfilme im Vergleich

Die mechanischen Eigenschaften der hier untersuchten eADF4(C16)-Filme variierten in Abhängigkeit des verwendeten Lösungsmittels sowie der Nachbehandlung. Generell erwiesen sich die Filme mit einer Steifigkeit von 2-4 GPa und einer maximalen Zugfestigkeit im Bereich von 40-70 MPa als mechanisch belastbar, jedoch wenig dehnbar. Diese mechanischen Grundcharakteristika bleiben bis zu Temperaturen von 180-210 °C erhalten. Oberhalb dieser Temperatur steigt die Beweglichkeit der Moleküle und das Material erweicht. Die thermische Zersetzung der Filme schließlich beginnt etwas unterhalb von 300 °C und zeigt seinen maximalen Peak um 330 °C. Entscheidend für die hohe Temperatur-Beständigkeit der eADF4(C16)-Filme ist v. a. die charakteristische Sekundärstruktur der Proteine, da bei Protein-basierten Materialien mit einem hohen α-Helix-Anteil (z. B. Keratin) bereits ab 200 °C die Denaturierung der Helices beobachtet wird (Srinivasan et al., 2010).

Mit diesen Eigenschaften liegen die eADF4(C16)-Filme im Bereich von Polylactonsäure (PLA) oder biologisch abbaubaren Polyamiden (PA6), wobei sie jedoch eine deutlich höhere Glasübergangstemperatur und somit unveränderte mechanische Integrität bis zu höheren Temperaturen besitzen (s. Tabelle 4.1). Verglichen zu Filmen aus Polylactid-co-Glycolid (PLGA) oder Proteinen wie Kollagen oder Soja, welche in der Medizin bzw. Nahrungsmittel-industrie Verwendung finden, sind sie deutlich zugfester, jedoch auch spröder (s. Tabelle 4.1).

Tabelle 4.1: Mechanische und thermische Kennwerte ausgewählter Materialien. TZers.: Zersetzungstemperatur,

40-50% Keratin-Anteil) 9,1-17,8 1,2-2,2 1,4-20 264-298 185 (Vasconcelos et al., 2008) Tropoelastin

(rekombinant, human) n. a. n. a. 7,2 x 10-3

(Nanoindentation) 310 190 (Hu et al., 2010)

Kollagen 0,5a-4,2b 45-56c 1,2-4,0

† je nach Mischungsverhältnis:50/50, 85/15, 90/10; Denaturierung der α-Helix; # je nach Lösungsmittel und Nachbehandlung

Verglichen mit Filmen aus regeneriertem B. mori Seidenfibroin ergeben sich ähnliche Charakteristika, wie z. B. mechanische Grundeigenschaften und molekulare Vorgänge unter thermischer Belastung. Allerdings weisen die hier untersuchten eADF4(C16)-Filme bei entsprechender Dehnbarkeit sowohl höhere Steifigkeit und Zugfestigkeit, als auch höhere Temperaturbeständigkeit auf.

Ursachen dafür sind vermutlich in der Primär- sowie Sekundärstruktur beider Proteinsysteme zu finden. eADF4(C16) besitzt weniger Ladungen (ausschließlich negative) und etwas geringere Hydropathizität als die schwere Kette des B. mori Seidenfibroins (SF), jedoch bei einem wesentlich geringeren Molekulargewicht. Dabei ist zu beachten, dass größere Kettenlängen prinzipiell mit höherer mechanischer Stabilität einhergehen. Auch bestehen Filme aus regeneriertem SF normalerweise aus einer Mischung der schweren und leichten Kette sowie P25, wohingegen in eADF4(C16)-Filmen nur eine Proteinkomponente vorliegt.

Unterschiede finden sich zudem in der Aminosäuresequenz, insbesondere für die Ausbildung der hochgeordneten β-Faltblatt-Strukturen. Diese kristallinen Bereiche werden in SF durch das Aminosäuremotiv (GAGAGS)n gebildet, in ADF4 und dem rekombinanten eADF4(C16)

hingegen v. a. durch An (Vepari, 2007; Heim et al., 2009; Bini et al., 2004; Huemmerich et al., 2004a). Zusätzliche hydrophobe Wechselwirkungen zwischen den Alaninresten könnten dabei einen Zugewinn an Stabilität bewirken. In dem jeweiligen natürlichen Faden beider Seidentypen wurde zudem eine unterschiedliche Anordnung der β-Faltblätter beobachtet. So enthält B. mori Seide mehr kristalline Bereiche, während in dragline Seide ein höherer Anteil freier (nicht in kristallinen Bereichen angeordnet) β-Strukturen zu finden ist (Du et al., 2011).

Neben den postulierten Auswirkungen auf mechanische Charakteristika der Fäden (Du et al., 2011) könnten ähnliche strukturelle Unterschiede auch bei Filmen deren Mechanik beeinflussen.

Insgesamt zeichnen sich die hier untersuchten eADF4(C16)-Filme durch die rekombinante, und damit monodisperse Produktion der zugrunde liegenden Moleküle und ihre reproduzier-bare Herstellung sowie variable Prozessierungsmöglichkeiten aus. Über die Wahl und Kombination verschiedener Parameter während der Filmbildung können dessen Eigenschaften gesteuert werden. Die Sekundärstruktur der Proteine im Film wird dabei stark vom verwendeten Lösungsmittel, der Nachbehandlung sowie Umgebungsparametern kontrolliert. Gerade das Lösungsmittel führt zu Unterschieden, welche auch nach Nachbehandlung noch Auswirkungen z. B. auf das mechanische Verhalten zeigen. Insofern ist ein Verständnis der molekularen Anordnung und Vorgänge ein wichtiges Kriterium zur Herstellung von Filmen mit passgenauen Eigenschaften. Während makroskopische Eigenschaften wie Oberflächentopographie oder die chemische Beständigkeit durch die Wahl des Lösungsmittels und der Nachbehandlungsmethode variiert werden können, lassen sich Faktoren wie die Dehnbarkeit der Filme nur innerhalb eines engen Fensters beeinflussen.

Jedoch kann durch Zusatz von Weichmachern, wie Glycerin oder PEG, die Dehnbarkeit der Filme auf ≥ 100 % gesteigert werden (Lammel, 2010; Spiess et al., 2010a). Auch ist eine deutliche Änderung der mechanischen Eigenschaften bei höherer Luftfeuchtigkeit bzw. unter Wasser zu erwarten, was im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht ausführlich getestet wurde.

Über verschiedene Methoden wie salt leaching oder Zusatz von PEG können zudem Poren einer definierten Größe in den Filmen erzeugt oder dreidimensionale Scaffolds (Gerüste) hergestellt werden (Spiess et al., 2010a; Lammel, 2010; Teßmar et al., 2005). Ein Einsatz solcher Strukturen oder der Filme selbst für direkten Zellkontakt und Geweberegenerierung scheint realisierbar, da sich in ersten Versuchen eine gute Biokompatibilität der Filme zeigte.

Die Möglichkeit, Materialien mittels ausschließlich auf wässrigen Lösungsmitteln basierenden Prozessen herzustellen, ist ein weiterer entscheidender Vorteil.

Spinnenseidenfilme konnten aus wässriger Lösung assembliert werden, und eine

Nachbehandlung mit Kaliumphosphat führt zu einer Zunahme an β-Faltblatt-Struktur und damit zu einer höheren mechanischen und chemischen Stabilität. Allerdings zeigten die Filme – zumindest ab einer gewissen Größe – sowohl strukturelle als auch makroskopische Inhomogenität. Um bei diesem System reproduzierbar homogene Filme zu erhalten, sollte der Herstellungsprozess weiter optimiert werden.

Schließlich bieten die Filme die Möglichkeit einer Vielfalt von Funktionalisierungen. Als rekombinant hergestelltes Protein kann eADF4(C16) gezielt genetisch und auch chemisch modifiziert werden, was in dieser Arbeit durch Kopplung diverser Molekülklassen an Cystein-Mutanten von eADF4(C16) demonstriert wurde.

Mit diesen Eigenschaften stellen Spinnenseidenfilme basierend auf eADF4(C16) interessante Materialien dar, die sich einerseits durch inhärente Eigenschaften der Spinnenseide – wie mechanische und thermische Stabilität sowie Biokompatibilität – auszeichnen, andererseits durch ihre Flexibilität in der Prozessierung sowie vielfältige Funktionalisierbarkeit auf verschiedenste Anwendungen angepasst werden können.