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3.1 Charakterisierung von eADF4(C16) Filmen

3.1.3 Mechanische Charakterisierung

3.1.3.3 Orientierung der Moleküle unter Zugbelastung

FTIR-spektroskopische Messung unter verschiedenen Polarisationswinkeln kann Aufschluss über die Ausrichtung chemischer Gruppen geben. Im natürlichen Seidenfaden liegen die Proteinmoleküle stark ausgerichtet vor, was durch den komplexen Vorgang des Spinn-prozesses ermöglicht wird. Einige Studien zeigten, dass die mechanischen Eigenschaften des Fadens mit dem Grad der molekularen Ausrichtung korrelieren (Papadopoulos et al., 2009b;

Glisovic et al., 2008; Chen et al., 2006; Riekel et al., 2000; Perez-Rigueiro et al., 2005).

Keiner der hier untersuchten Filme zeigte bei FTIR-Messung unter verschiedenen Polari-sationswinkeln Dichroismus. Wie Abb. 3.11 am Beispiel von unbehandelten Filmen aus wässriger Lösung (a) sowie Methanol-behandelten Ameisensäure-Filmen (b) zeigt, sind keine signifikanten Unterschiede zwischen parallel (0°) oder senkrecht (90°) polarisierten Mes-sungen zu erkennen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Strukturmerkmale in den Filmen isotrop verteilt sind, unabhängig vom verwendeten Lösungsmittel oder der Nach-behandlung. Eine Ausrichtung der Moleküle wäre bei der verwendeten Herstellungsmethode auch nicht zu erwarten, da hier kein äußerer Druck ausgeübt wurde (sei es durch z. B. im Spinnprozess auftretende Scherkräfte).

Abb. 3.11: FTIR-Spektren von eADF4(C16) Filmen gegossen aus wässriger Pufferlösung (wL) ohne Nachbehandlung (a) und aus Ameisensäure mit Methanol abs.-Nachbehandlung (b). Die Spektren wurden jeweils unter 0° und 90° Polarisation aufgenommen. Die Vergrößerung in (b) zeigt die für β-Polyalanin spezifische Absorptionsbande.

Kombinierte mechanische und FTIR-spektroskopische Messungen

Um zu untersuchen, ob sich Molekülgruppen in den Filmen unter Zugbelastung ausrichten, wurde die polarisierte FTIR-Messung mit mechanischem Zug kombiniert. Die Messungen wurden in Kooperation mit Roxana Ene, AG Prof. Friedrich Kremer, Institut für Experimentelle Physik der Universität Leipzig, durchgeführt. Die Filme wurden dazu in einer Apparatur befestigt, mit der die Filme mit Hilfe von Mikrometerschrauben präzise gestreckt werden konnten und die dabei aufgewendete Kraft gemessen wurde (s. Kapitel 2.5.4.2). Diese Apparatur wurde direkt im Strahlengang des Spektrometers platziert. Für die Messungen wurden die Filme schrittweise gedehnt (Abb. 3.12). Nach Relaxation der Probe nach dem jeweiligen Schritt wurden FTIR-Spektren bei elf Polarisationswinkeln zwischen 0° und 180°

aufgenommen. Die erhaltenen Spannungskurven sind in Abb. 3.12 exemplarisch für Ameisensäure-Filme dargestellt, die der restlichen Filme sind im Anhang gezeigt (Kapitel 10.1). Auffallend ist dabei der qualitative Unterschied der Relaxation: während diese bei den unbehandelten Filmen gering ausfiel, war nach Methanol-Behandlung ein starker Rückgang der Kraft bzw. Spannung sofort nach der Streckung zu beobachten. Aufgrund der unterschiedlichen experimentellen Durchführung weichen die hier bei schrittweiser Dehnung auftretenden Spannungs- sowie Bruchdehnungswerte etwas von denen der kontinuierlichen Zugmessung (vgl. 3.1.3.1) ab.

Abb. 3.12: Auftretende Spannung bei schrittweiser Dehnung von eADF4(C16)-Filmen im zeitlichen Verlauf.

Die jeweils aufgebrachte Dehnung (in % der ursprünglichen Filmlänge) ist ebenfalls angegeben. Exemplarisch ist die Messung eines unbehandelten (a) sowie eines Methanol-behandelten (b) Ameisensäure-Films gezeigt. Das Experiment wurde wie folgt durchgeführt: Die Probe wurde mittels Mikrometerschraube um eine definierte Länge gedehnt (0,3-0,5 % der ursprünglichen Filmlänge), was zu einem steilen Signal im Kraftsensor führt (1).

Nach anschließender Relaxation der Probe (2) wurden polarisierte FTIR-Messungen durchgeführt (3). Die Spannung entspricht der gemessenen Kraft pro Querschnittsfläche des Filmes, welche für jeden Film individuell bestimmt wurde.

(nach Spiess et al. 2011 mit freundlicher Genehmigung des Verlags Royal Society of Chemistry)

Da die erhaltenen FTIR-Spektren im Bereich der Amid I- und II-Bande teilweise zu stark streuten und damit keine Analyse möglich war (s. Abb. 3.11 b), konzentrierte sich die Auswertung der polarisierten Spektren auf die für β-Polyalanin spezifische Absorptionsbande um 965 cm-1. Diese Auswertung bietet zudem einige Vorteile. Während bei der Amid I-Bande eine genaue Zuordnung beobachteter Effekte durch die Überlagerung mehrerer Schwingungen erschwert wird, ist die Zuordnung im Fall der β-Polyalanin Bande eindeutig. Des Weiteren gelten Polyalanin-Kristalle im natürlichen Spinnenseidenfaden als Ursache der hohen Festigkeit und Steifheit (Buehler & Yung, 2009). Dementsprechend zeigte diese Bande bei Untersuchungen an Spinnenseidenfäden die stärksten Änderungen bei mechanischer Beanspruchung. Mit Hilfe eines quantenmechanischen Modells konnte zudem gezeigt werden, dass eine Verschiebung dieser Bande direkt mit einer extern angelegten Kraft korreliert (Papadopoulos et al., 2007).

Bei Betrachtung dieser Absorptionsbande zeigt sich in Filmen aus wässriger Lösung (ohne bzw. mit Nachbehandlung) und unbehandelten Ameisensäure-Filmen mit zunehmender Dehnung des Films eine leichte Verschiebung des Peakmaximums hin zu niedrigeren Wellenzahlen (Abb. 3.13 a). Im Falle des unbehandelten wL-Filmes tritt diese Verschiebung ab einer Dehnung von 4,5 % auf, in den beiden anderen Filmen bereits ab Überschreiten von 1 % Dehnung. In Anlehnung an Messungen an natürlichen Spinnenfäden kann dies als Übertragung der extern angelegten Kraft auf β-Polyalanin-Strukturen interpretiert werden, die bei den Filmen jedoch – anders als im Faden – nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Dehnung erfolgt (Papadopoulos et al., 2007; Papadopoulos et al., 2009b; Ene et al., 2009).

Mit einer Verschiebung des Absorptionsmaximums um 0,2-0,4 cm-1 erscheint die Änderung zunächst klein; unter Einbeziehung der dabei aufgewendeten Kraft ergibt sich jedoch beispielsweise im Fall des AS-Films eine Änderung von 3-5 cm-1/GPa, und liegt damit in einem ähnlichen Größenordnungsbereich wie der am natürlichen Faden beobachtete Effekt (Ene et al., 2009; Papadopoulos et al., 2007). Allerdings muss dabei beachtet werden, dass das aufgestellte Modell der Kraftübertragung in der Molekülgeometrie limitiert ist. Da diese in den Filmen möglicherweise abweicht, kann an dieser Stelle nur ein qualitativer Vergleich zum Seidenfaden erfolgen. In den Methanol-behandelten Filmen aus HFIP und AS hingegen ist keine solche Verschiebung zu erkennen.

Abb. 3.13: Analyse der für β-Polyalanin spezifischen IR-Absorptionsbande (965 cm-1) bei schrittweiser Dehnung von verschiedenen eADF4(C16) Filmen (wie angegeben). (a) Verschiebung des Peak-Maximums relativ zur Position im ungedehnten Film. (b) Aus polarisierten FTIR-Messungen berechneter Ordnungsparameter Smol in Abhängigkeit der Dehnung. (c) Originalspektren der IR-Absorption bei 0° und 90°

Polarisation, jeweils vor bzw. nach Dehnung der Filme. Exemplarisch für Filme ohne signifikante Änderung ist ein Methanol-behandelter AS-Film (links) dargestellt, während bei unbehandelten Puffer-Filmen Änderungen auftreten (rechts).

(nach Spiess et al. 2011 mit freundlicher Genehmigung des Verlags Royal Society of Chemistry)

Aus der unter verschiedenen Polarisationswinkeln erhaltenen Fläche des Peaks kann eine Aussage über die Orientierung der angeregten Bindung getroffen werden (Kapitel 2.5.4.3).

Der dabei berechnete molekulare Ordnungsparameter Smol ergab für alle Filme vor Streckung einen Wert ~0. Dies bedeutet keinerlei Orientierung der Bindung und bestätigt somit die oben für das gesamte Protein-IR-Spektrum getroffene Aussage. Mit zunehmender Dehnung der Filme erhöht sich Smol in den unbehandelten Filmen (aus Ameisensäure und wässriger Lösung

wL) (Abb. 3.13 b). Der Effekt beginnt wiederum erst nach einer gewissen Dehnung, die mit der Verschiebung des Absorptionsmaximums übereinstimmt. Danach steigt Smol linear mit zunehmender Dehnung an und erreicht einen Endwert (vor dem Reißen des Filmes) von 0,18 bzw. 0,22. Da ein Wert von +1 bei einer vollständigen Ausrichtung aller Bindungen parallel zur Probenachse erreicht wird, deutet dieses Ergebnis auf eine teilweise Ausrichtung der N-Cα-Bindungen von β-Polyalanin-Strukturen in Richtung der Zugkraft hin. Der Vergleichs-wert der hoch ausgerichteten β-Polyalanine in natürlicher dragline Seide liegt bei 0,9 (Papadopoulos et al., 2007). Hingegen war bei keinem der Filme nach Behandlung mit Methanol eine Zunahme von Smol zu sehen, was darauf hindeutet, dass hier keine Ausrichtung/Umorientierung von β-Polyalaninen stattfindet.

Da in HFIP Filmen ohne Behandlung keine entsprechende Absorptionsbande bei 965 cm-1 auftritt, konnten für diesen Film keine Aussagen getroffen werden. Im Fall des Filmes aus wässriger Lösung wurde hier nur an einer Stelle des Films gemessen, wodurch eventuelle regionale Unterschiede (wie oben beschrieben) nicht erfasst wurden.

Die erhaltenen Ergebnisse deuten somit (in einigen Filmen) auf eine teilweise Ausrichtung der β-Polyalanine hin, nicht jedoch auf eine Zunahme an β-Faltblatt-Struktur. So trat in keinem der Filme eine Erhöhung der Absorption bei etwa 965 cm-1 auf, noch wurde eine Änderung der Amid I-Bande beobachtet, sofern es die Auflösung zuließ.