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D a ß die Existenz der D D R drei Jahre später beendet sein wird, hat 1987 kaum jemand geahnt, auch mamhafte Politiker und Wissenschaftler des Westens nicht und ebensowenig Oppositionelle in der D D R . N o c h i m September 1987 k a m der Vorsitzende des Staatsrates der D D R , E r i c h Honecker, zu einem offiziellen Arbeitsbesuch in die Bundesrepublik Deutschland. A l s o hätten auch n a c h t r ä g l i c h e Versuche, aus den Ergebnissen der „ S D 8 7 " den baldigen Zusammenbruch der D D R ablesen zu wollen, keinen Sinn. M a n kann von den Autoren der „ S D 8 7 " nicht erwarten, was besser informierte Kreise nicht voraussagen konnten.

A b e r zu fragen ist, ob die „ S D 8 7 " - auch wenn sie p r i m ä r auf einen Vergleich von Regionen und Siedlungstypen orientiert war - wesentliche Symptome der gesellschaftlichen Krise erkennen läßt, die schließlich z u m Zusammenbruch der D D R geführt haben.

W i e groß war z u m damaligen Zeitpunkt der Konsens oder Konflikt zwischen „Partei- und S t a a t s f ü h r u n g " einerseits und der B e v ö l k e r u n g andererseits?

Eine wichtige, wenn auch nicht quantifizierbare Informationsquelle sind die bereits e r w ä h n t e n und zitierten Zuschriften von zahlreichen Probanden der „ S D 8 7 " . D i e folgende Analyse w i r d aber vor allem auf den quantifizierbaren Befragungsergebnissen beruhen.

D i e wichtigsten Variablen, auf die sich die Antwort stützen kann, beziehen sich auf die Frage:

„ W e l c h e Aufmerksamkeit wird Ihrer M e i n u n g nach in der D D R den folgenden Zielsetzungen geschenkt?"

Es handelt sich dabei u m die Variablen

E r h ö h u n g der Produktion

E r h ö h u n g der L ö h n e und Gehälter Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts E r h ö h u n g der Effektivität der Arbeit

Verbesserung der Wohnbedingungen E r h ö h u n g der Qualität der Arbeit

Verbesserung der Qualität der K o n s u m g ü t e r Stabilität der Verbraucherpreise

Erhaltung des Friedens E r h ö h u n g der Renten

Zusammenarbeit mit den sozialistischen L ä n d e r n Zusammenarbeit mit den kapitalistischen L ä n d e r n .

D i e gegebenen A n t w o r t m ö g l i c h k e i t e n lauten: 1 = zu wenig; 2 = etwas zu wenig; 3 = in richtigem M a ß e ; 4 = z u v i e l . Eine Zusammenstellung des Meinungsbildes aller Probanden enthält Tabelle 46.

Beinahe die Hälfte der B e v ö l k e r u n g (44 Prozent) war der Meinung, d a ß der E r h ö h u n g der Renten in der D D R zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde; es folgen mit „zu w e n i g " die „ V e r b e s s e -rung der Q u a l i t ä t der K o n s u m g ü t e r " (35 Prozent) und die „ E r h ö h u n g der L ö h n e und G e h ä l t e r " (36 Prozent). In etwa der gleichen G r ö ß e n o r d n u n g bewegt sich die W a h l der Antwortvorgabe „ e t w a s zu wenig". Anders formuliert, lautete das Urteil der B e v ö l k e r u n g : „ D i e Renten, L ö h n e und G e h ä l t e r

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Tabelle 46: "Welche Aufmerksamkeit wird Ihrer Meinung nach in der DDR folgenden Zielsetzungen geschenkt?"

Politische Zielsetzungen Höhe der Aufmerksamkeit zuwenig etwas zu

wenig

richtig zuviel in %

Erhöhung der Produktion 6 12 61 21

Erhöhung der Löhne und Gehälter 36 42 21 1

Verbesserung der Arbeitsbedingungen 19 41 40 0

Durchsetzung des wissenschaftl. Fortschritts 17 28 51 3

Erhöhung der Effektivität der Arbeit 17 28 51 4

Verbesserung der Wohnbedingungen 19 33 47 1

Erhöhung der Qualität der Arbeit 20 38 40 2

Verbesserung der Qualität der Konsums 35 46 18 1

Stabilität der Verbraucherpreise 20 23 52 6

Erhaltung des Friedens 3 4 90 3

Erhöhung der Renten 44 36 20 1

Zusammenarbeit mit sozialistischen Ländern 3 7 81 10

Zusammenarbeit mit kapitalistischen Ländern 18 30 51 2

Datenbasis: SD 87

sind viel zu niedrig, und was man sich damit kaufen kann, taugt nichts". Zufriedenheit haben nur 20 Prozent der Befragten z u m Ausdruck gebracht. Insofern war das Ergebnis der Befragung eine massive K r i t i k an der „Partei- und Staatsführung" der D D R .

Bemerkenswert ist dabei auch, d a ß der statistische Durchschnitt keine fiktive G r ö ß e ist, sondern weitgehend auch dem Stimmungsbild einzelner sozialer und demographischer Gruppen entspricht.

Gemeint sind damit i m einzelnen

• Altersgruppen,

• M ä n n e r und Frauen,

• Qualifikationsgruppen,

• Funktionsgruppen,

• Einkommensgruppen,

• Parteimitglieder ( S E D sowie andere Parteien) und Parteilose,

• die B e v ö l k e r u n g der drei in die „ S D 8 7 " einbezogenen Bezirke,

• die B e v ö l k e r u n g der a u s g e w ä h l t e n Siedlungskategorien.

In jedem der genannten Fälle rangiert die Unzufriedenheit mit der Rentenhöhe ganz vorn, also nicht nur bei Rentnern, auch bei anderen B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n , darunter Jugendlichen.. A n jeweils zweiter oder dritter Stelle rangiert die Unzufriedenheit mit der Höhe von Löhnen und Gehältern bzw. der Konsumgüterqualität.

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Tabelle 47: 'Zu wenig Aufmerksamkeit' für politisch relevante Zielsetzungen in Bezirken der DDR

Politische Zielsetzungen Aufmerksamkeit „zu wenig"

Neubrandenburg Dresden Karl-Marx-Stadt i n %

Erhöhung der Produktion 5 7 7

Erhöhung der Löhne und Gehälter 27 40 39

Verbesserung der Arbeitsbedingungen 13 23 20

Durchsetzung des wissenschaftl. Fortschritts 14 19 19

Erhöhung der Effektivität der Arbeit 12 20 17

Verbesserung der Wohnbedingungen 15 24 18

Erhöhung der Qualität der Arbeit 15 23 23

Verbesserung der Qualität der Konsums 30 37 39

Stabilität der Verbraucherpreise 13 20 27

Erhaltung des Friedens 4 2 3

Erhöhung der Renten 38 48 44

Zusammenarbeit mit sozialistischen Ländern 2 3 2

Zusammenarbeit mit kapitalistischen 13 21 19

Ländern

Datenbasis: SD 8 7

N i c h t nur die d i e s b e z ü g l i c h e Rangfolge, auch das Niveau der Befragungsergebnisse ist überall etwa gleich - die Differenzen sind gering. D a ß Jugendliche i m Alter bis zu 25 Jahren die H ö h e der Renten nicht ganz so bewegt ( „ n u r " 36 Prozent sehr unzufrieden), ist verständlich. Sowohl mit Renten, mit L ö h n e n und G e h ä l t e r n als auch mit der K o n s u m g ü t e r q u a l i t ä t am wenigsten zufrieden war die Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren. D a ß Frauen und Ungelernte weniger als M ä n n e r und H ö h e r q u a l i f i z i e r t e mit der H ö h e der Renten zufrieden waren, ist ein Alterseffekt: ältere Frauen waren vor allem die Betroffenen.

Bezirksstädte unterscheiden sich von anderen Siedlungskategorien insbesondere durch eine ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h hohe Unzufriedenheit mit der Qualität der K o n s u m g ü t e r (40 Prozent sehr unzufrieden). D i e Unzufriedenheit war somit nicht dort am größten, wo das Angebot am schlech-testen, sondern dort, w o es am besten war. Sehr unzufrieden mit der K o n s u m g ü t e r q u a l i t ä t waren in den K l e i n s t ä d t e n nur 33 Prozent und in den Dörfern (Hauptorte) 36 Prozent der Befragten. E i n e regionale B a l l u n g von Unzufriedenheit waren die Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt (Tabelle 47)

Das Stimmungsbild der SED-Mitglieder und der „Leiter" (also der F u n k t i o n ä r e in Staat und Wirtschaft) war etwas, aber nur geringfügig besser als das der übrigen B e v ö l k e r u n g . E i n Gegensatz zwischen Partei und ü b r i g e r B e v ö l k e r u n g ist insofern nicht festzustellen. D i e Spaltung der D D R -Gesellschaft betraf alle sozialen, demographischen und politischen Gruppen, also auch die S E D . Diffuser gestaltet sich das Meinungsbild i n bezug auf die anderen oben genannten Variablen.

Das h ö c h s t e M a ß der Zustimmung (Antwort „in richtigem M a ß e " von ü b e r 50 Prozent der Befragten) fand die, Außenpolitik der DDR (Abrüstungspolitik, Beziehungen zu sozialistischen und kapitalistischen L ä n d e r n ) - und zwar sowohl bei der gesamten Befragungspopulation als auch bei den meisten der genannten sozialen, demographischen und politischen Gruppen. Das M a x i m u m der Zustimmung fand sich bei Mitgliedern der S E D . D i e Gruppe der „Leiter" bezog dagegen eine v i e l

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kritischere Position: W ä h r e n d 68 Prozent der S E D - M i t g l i e d e r der Auffassung waren, d a ß der Zusammenarbeit mit kapitalistischen Ländern „in richtigem M a ß e " Aufmerksamkeit geschenkt wurde, traf das nur auf 56 Prozent der Leiter zu (bei allen Probanden: 51 Prozent), elf Prozent der Leiter (und auch elf Prozent der Oberschicht) meinten, der Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern werde „ z u v i e l " Aufmerksamkeit geschenkt (SED-Mitglieder: fünf Prozent, alle Proban-den: zehn Prozent); mit anderen Worten: die Zusammenarbeit mit sozialistischen L ä n d e r n war für elf Prozent der Leiter ein Grund der Unzufriedenheit. Zweifellos spiegeln sich darin die nicht immer angenehmen Erfahrungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den „ B r u d e r l ä n d e r n " und die bessere Einsicht in die Probleme und die perspektivischen Erfordernisse der D D R - W i r t s c h a f t . E i n

„zu v i e l " wurde ü b e r h a u p t bei allen B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n nur in bezug auf die Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern b e m ä n g e l t . Der B e z i r k Neubrandenburg erweist sich auch d i e s b e z ü g -lich als der B e z i r k mit dem höchsten M a ß der Zufriedenheit. „Zu wenig" Aufmerksamkeit wurde der Zusammenarbeit mit den kapitalistischen L ä n d e r n nach Auffassung vor allem der B e v ö l k e r u n g des Bezirkes Dresden geschenkt (21 Prozent g e g e n ü b e r 19 Prozent i m B e z i r k Karl-Marx-Stadt und 13 Prozent i m B e z i r k Neubrandenburg).

D i e verschiedenen Niveaus der Zufriedenheit/ Unzufriedenheit korrelieren eng miteinander.

W i e eine Faktoranalyse unterstreicht, gab es vor allem drei Gruppen der B e v ö l k e r u n g mit spezifischen Interessen:

1. E r h ö h u n g der L ö h n e und der Renten, Verbesserung der Arbeits- und der Wohnbedingun-gen, Verbesserung der Zusammenarbeit mit kapitalistischen L ä n d e r n ;

2. E r h ö h u n g der Produktion, Durchsetzung des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts, E r -h ö -h u n g der Effektivität der Arbeit;

3. Erhaltung des Friedens, Zusammenarbeit mit sozialistischen L ä n d e r n .

D i e Korrelation der einzelnen Variablen zueinander ist jeweils positiv. E s handelt sich mit anderen Worten u m

1. eine vorrangig auf die Verbesserung der Arbeits und Lebensbedingungen orientierte B e -v ö l k e r u n g s g r u p p e ,

2. eine p r i m ä r produktionsorientierte Gruppe, 3. „sozialistische Internationalisten".

D a v o n ausgehend, habe i c h aus den Variablen „Zufriedenheit mit der H ö h e der Renten", „Zufrie-denheit mit den L ö h n e n und G e h ä l t e r n " und „Zufrie„Zufrie-denheit mit der Qualität der K o n s u m g ü t e r "

einen „ I n d e x der Z u - / Unzufriedenheit mit der D D R - P o l i t i k " gebildet.1 Das Ergebnis w i r d in den Tabellen 48 und 49 sowie i m Diagramm 14 z u s a m m e n g e f a ß t . Daraus ist zwar nicht zu entnehmen, d a ß ein u n l ö s b a r e r Konflikt entstanden war, w o h l aber, d a ß die B e v ö l k e r u n g g r u n d s ä t z l i c h e V e r ä n d e r u n g e n der Innen- und Außenpolitik erwartete. D i e Differenz zwischen verschiedenen sozialen und demographischen Gruppen ist nicht groß. Dabei war die Zufriedenheit i m Bezirk Neubrandenburg am größten, i m Bezirk Karl-Marx-Stadt am geringsten. S E D - M i t g l i e d e r waren zufriedener als andere, Jugendliche zufriedener als die B e v ö l k e r u n g i m A l t e r zwischen 25 und 50 Jahren. E i n e vergleichsweise zufriedene B e v ö l k e r u n g s g r u p p e waren die Altersrentner. A b e r wie gesagt: die Differenz zwischen den verschiedenen B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n war nicht g r o ß .

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Tabelle 48: Zufriedenheit mit der Politik von Partei und Regierung nach ausgewählten Bevölkerungs-gruppen1 in den Bezirken Neubrandenburg, Dresden und Karl-Marx-Stadt

Be vö! Ks r u n g sg r u p p e n Bezirke

Skala von 1 'In vollem Maße mit der Politik von Partei und Regierung einverstanden' bis 5 'Mit der Poli-tik von Partei und Regierung nicht einverstanden'.

Datenbasis: S D 87

W e n n man bedenkt, d a ß der W u n s c h „in einer Gegend leben, wo die Umwelt sauber ist" (Diagramm 15), in der Rangfolge der Werte an vorderster Stelle stand und der Wunsch, „in einem s c h ö n e n Wohnort leben", kurz darauf folgte, wenn man a u ß e r d e m bedenkt, daß der tatsächliche Zustand von U m w e l t und Infrastruktur ein ganz anderer war, wird schnell verständlich, d a ß die Unzufriedenheit der B e v ö l k e r u n g entsprechend groß war.

Eine weniger direkte, dennoch wichtige Erscheinungsform der Haltung zur D D R - P o l i t i k war auch die i m Kapitel 2 e r w ä h n t e Zufriedenheit/ Unzufriedenheit mit den örtlichen Bedingungen, darunter vor allem mit der „ E n t w i c k l u n g des Wohnortes in den letzten 10 Jahren". W e r mit der E n t w i c k l u n g des Wohnortes unzufrieden war, war nämlich in der Regel auch mit der „Arbeit des Rates der Gemeinde", der „ E i n b e z i e h u n g der B ü r g e r in die Beratungen zur Entwicklung des Wohnortes" sowie mit der „Informiertheit ü b e r die Entwicklung des Wohnortes" unzufrieden. D i e Korrelation dieser Variablen war sehr eng (r jeweils ü b e r +0,5).2

F ü r die E n t w i c k l u n g des Wohnortes wurden in der Regel der B ü r g e r m e i s t e r persönlich und der Rat der Gemeinde/ der Stadt verantwortlich gemacht. Das war oftmals ungerecht: Was mit dem Ort und i m Ort geschah, welche Finanzmittel der Ort erhielt und wie sie zu verausgaben waren, wurde g r u n d s ä t z l i c h überkommunal entschieden - i m Rat des Bezirkes bzw. i m Rat des Kreises. M e h r

Diagramm 14

Niveau der Unzufriedenheit / Zufriedenheit in den Bezirken der DDR 1987 (insgesamt und für ausgewählte Bevölkerungsgruppen)

5 J

4 +

Zufrieden

2 +

Sehr unzufrieden Bezirk Neubrandenburg

1 1 1 H

Bezirk Dresden Bezirk Karl-Marx-Stadt

— i 1 ( 1 1 1 - 1 1

Insg. SED parteilos

i 1 1 1 —

Arbeiter/ Bauer

H 1 ^

-Rentner Unter 25 Jahren

• + — 1 H 1 1

Frauen Leiter Hs-Fs-Abschluß Nichtrentner 25 < 35 Jahre

Facharbeiter

H 1

Männer

Un-Angelernt Bezirksstadt

Tabelle 49

Index der Un-/ Zufriedenheit - Mittelwerte für ausgewählte Bevölkerungsgruppen in den Bezirken Neubrandenburg, Dresden und Karl-Marx-Stadt 1987

5 = in vollem Maße mit Politik von Partei und Regierung einverstanden

1 = mit Politik von Partei und Regierung nicht einverstanden

Bezirk DDR

Neubran- Karl-Marx denburg Stadt

Dresden

Insgesamt 3,1 2,7 2,7 2,8

SED 3,1 2,9 3,1

parteilos 3,0 2,6 2,6

Leiter 3,0 2,6 2,5

Arbeiter/ Bauer 3,0 2,7 2,5

Hs-Fs-Abschluß 3,0 2,6 2,6

Facharbeiter 2,0 2,7 2,6

Un-Angelernt 3,4 2,8 2,7

Rentner 3,3 2,9 2,9

Nichtrentner 3,0 2,6 2,6

Unter 25 Jahren 3,3 2,8 2,7 25 < 35 Jahre 3,1 2,7 2,5

Männer 3,0 2,6 2,6

Frauen 3,1 2,7 2,7

Bezirksstadt 3,0 2,5 2,5

DDR insgesamt

Datenbasis = SD87

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j Diagramm 15

I w/erte a u s g e w ä h l t e r Bevölkerungsgruppen

i Mittelwert 1 * "nicht wichtig", 2 = "wenig wichtig", 3 = "wichtig", 4 = "sehr wichtig"

Geschlecht Leitungsfunkt. Altersgruppen weiblich Angest. o.L. 25/34 45/54 65/90 •+-männüch ~ i — I — I — I — I — i

-Leiter Arb./B. o.L. 16/24 35/44 55/64

Siedlungskategorien Kreisst. Dorf

a.\e Qualifikation HH-Einkommen Facharbeiter/M. 1000 < 2000 Hochs. /Fs. über 2000

Angel./ohne unter 1000

Qualifikation Fachschule

- fl — l — I — I — l

Bzk.stadt OT and.Stadt

Ind.dort ohne Ausbildung Hochs. Angelernt

Meister Facharbeiter

[Rangplatz aller Probandeifi

1. 3,81 In einer Gegend leben, wo die Umwelt sauber ist 2. 3,68 Eine gute Atmosphäre im Arbeitskollektiv haben 3. 3,60 Ausreichend Schlaf haben

4. 3,59 Eine Familie haben 5. 3,56 Im Beruf anerkannt werden 6. 3,52 Kinder haben

7. 3,51 Eine Familie haben

8. 3,50 In einem schönen Wohnort leben 9. 3,45 Die Wohnung einrichten

10. 3,11 Sport treiben

11. 2,94 Sich besonders gut kleiden

12. 2,91 Intensive verwandtschaftliche Beziehungen pflegen 13. 2,86 Überdurchschnittliches im Beruf leisten

14. 2,81 Bücher lesen

15. 2,75 Besonders gut essen und trinken 16. 2,60 Ein Auto besitzen

17. 2,58 Sich politisch betätigen

18. 2,46 Wenn nötig, auch in "Freizeit" Arbeit fortsetzen 19. 2,41 Fernsehen

20. 2,41 Schallplatten oder Kassetten hören 21. 2,18 Tanzen gehen, Diskos besuchen 22. 1,69 Gaststätten besuchen Datenbasis = SD87

schien dann oftmals der b ö s e Bube zu sein, der Vorsitzende des Staatsrates dagegen ein weiser und v e r s t ä n d n i s v o l l e r M a n n . A u f der anderen Seite aber waren der B ü r g e r m e i s t e r und Rat der Gemeinde nur die Repräsentanten der Staatsmacht und insofern doch sinnvolle Objekte der K r i t i k und der Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen V e r h ä l t n i s s e n i n der D D R .

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Resümee

D i e gesellschaftliche Krise der D D R ist aus den Befunden der „ S D 8 7 " ablesbar. D a ß es Symptome des Untergangs waren, läßt sich erst nachträglich sagen. Das Ä u ß e r s t e , wozu sich seinerzeit die Autoren der Untersuchung entschließen konnten und wollten, war zu schreiben, d a ß die sozialen Unterschiede in der D D R teilweise „nicht kleiner, sondern größer geworden" waren und die Fortsetzung dieser E n t w i c k l u n g „die politische Stabilität der sozialistischen Gesellschaft in der D D R negativ beeinflussen" k ö n n t e .3

D i e Kluft zwischen Anspruch und W i r k l i c h k e i t ist allerdings nur bedingt sozialstrukturell erklärbar. D i e verbreitete Unzufriedenheit hatte alle B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n erfaßt und vor den F u n k t i o n s t r ä g e r n der M a c h t - also auch der „ O b e r s c h i c h t " und den Mitgliedern der herrschenden Partei - nicht halt gemacht.

Sofern in den Befunden der „ S D 8 7 " Differenzierungen erkennbar sind, handelt es sich insbeson-dere u m solche zwischen dem Bezirk Neubrandenburg einerseits und den B e z i r k e n Dresden und Karl-Marx-Stadt andererseits, zwischen Landwirtschaft und Industrie. D i e eigentlichen Ballungen von Unzufriedenheit und Widerspruchsgeist waren offenbar die S ü d b e z i r k e und die S t ä d t e in der D D R . K o m p l e m e n t ä r dazu war die Unzufriedenheit mit dtmZustand derInfrastrukturnicht in den B e z i r k s s t ä d t e n , sondern in den Kleinstädten und Dörfern sowie bei den Unterschichten am g r ö ß t e n . Insofern war die Unzufriedenheit in den Bezirksstädten und bei den sozial H ö h e r g e s t e l l t e n stärker durch die allgemeine politische Lage, anderswo und bei anderen sozialen Gruppen mehr durch die örtlichen Bedingungen geprägt. Beides zusammen ergab überall ein hohes N i v e a u der Unzufrie-denheit und Ratlosigkeit.

A u s dem allgemeinen N i v e a u und der Struktur von Zufriedenheit und Unzufriedenheit erklärt sich teilweise der Verlauf der Ereignisse i m Herbst 1989 und Frühjahr 1990, aber nicht der Zusammenbruch der D D R . Der offene Konflikt k a m zwar i m sächsischen R a u m und in den G r o ß s t ä d t e n zum Ausbruch, er machte aber dann, wie insbesondere der Verlauf der Ost-West-M i g r a t i o n zeigt4, vor den Nordbezirken und den agrarisch strukturierten Gebieten nicht halt.

D i e Unzufriedenheit mit der Versorgungslage, dem Zustand der Infrastruktur, der Umweltzer-störung, dem N i v e a u der Beziehungen zu den ö k o n o m i s c h überlegenen kapitalistischen Staaten und - was aus der „ S D 8 7 " nur teilweise ersichtlich ist - mit den begrenzten demokratischen Rechten und Freiheiten war allgemein und kein schichtspezifisches Problem. Der Unterschied war nur, d a ß die verschiedenen B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n korrespondierend mit ihren unterschiedlichen gesellschaftli-chen Bindungen (angefangen von der Affinität zur Macht bis zu familiären Bindungen) verschie-dene W e g e der P r o b l e m l ö s u n g suchten und fanden. D i e einen verließen die D D R , als sich eine M ö g l i c h k e i t dazu bot. D i e anderen blieben, weil Bindungen vielfältiger A r t nicht aufgegeben werden konnten, aber auch, weil viele von ihnen die Hoffnung auf eine Reformierbarkeit der D D R nicht aufgegeben hatten. D i e Jugend war nicht unzufriedener als die übrige B e v ö l k e r u n g , sie war nur mobilerund p r ä g t e eben darum die demographische Struktur der Ost-West-Wanderung 1989/1990.

Eine schnellere, umfassendere und vorbehaltlose Auswertung der „ S D 8 7 " hätte den Zerfall der D D R nicht aufgehalten - ebensowenig wie andere wissenschaftliche Untersuchungen v o m Ende der 80er Jahre. M e h r Offenheit und M u t hätten aber vielleicht dazu beigetragen, d a ß der Osten Deutschlands einen etwas anderen W e g gegangen wäre. Darüber, was die „ S D 8 7 " konkret hätte bewirken k ö n n e n , läßt sich nur spekulieren. Der eigentliche Nutzen, den die Untersuchung jetzt noch bringen kann, ist wenigstens ein tieferer E i n b l i c k in der Struktur und Funktionsweise dieser Gesellschaft - ein Beitrag zur theoretischen Rekonstruktion.

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Anmerkungen

Kapitel !

1 Leiter des Forschungsbereich.es Sozialstruktur war Manfred Lötsch.

2 A n der Untersuchung waren außerdem beteiligt: Gudrun Homuth, Regina Jäkel, Jörg Müller, Sonja Müller, Kornelia Mutschall, Lothar Schmerl, Ines Schmidt, Ludger Weidemüller.

3 Grundmann, Siegfried (Mitautor und Leiter der Projektgruppe)/ Rainer Ferchland/ Dieter Götze/ Jens-Peter Heuer/ Ines Schmidt: Sozialstruktur und Lebensweise in Städten. Eine Studie. Teil I bis Teil IV.

Herausgegeben von der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED/ Februar 1985.

4 Vgl. z.B. Grundmann, Siegfried: Die Stadt. Gedanken über Geschichte und Funktion. Berlin: Dietz Verlag 1984.

5 Ausgenommen waren dabei grundsätzlich die sog. „x-Bereiche": Armee und Staatssicherheit.

6 Grundmann, Siegfried/ Jörg Müller/ Sonja Müller/ Ines Schmidt: Soziale Probleme der Entwicklung von Städten und Dörfern in der D D R . In: Wissenschaftlich-technischer Fortschritt - soziale Entwick-lung - Studien (Thematische Information und Dokumentation, Heft 78, Reihe A) Hg. von der Akade-mie für Gesellschaftswissenschaften Berlin 1990. Grundmann, Siegfried: Zur territorialen Differen-ziertheit der Arbeitsbedingungen und zu deren Bewertung durch die Bevölkerung in Siedlungen unter-schiedlichen Typs. In: Aus Theorie und Praxis der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung. Heft 1/

1989. H g . : Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED. Grundmann, Siegfried/ Jörg Müller/ Ines Schmidt u.a.: Forschungsbericht zur Sozialstruktur und Lebensweise in Städten und Dör-fern. Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D - Institut für Marxistisch-Leninisti-sche Soziologie. Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5. Berlin 1995.

Grundma.nn, Siegfried: Zur Bewertung der sozialen, baulichen und natürlichen Umwelt durch Bewoh-ner von Siedlungen und Gebieten unterschiedlichen Typs. Studie auf der Grundlage der soziologischen Untersuchung „Sozialstruktur und Lebensweise in Städten und Dörfern (SD87)". Akademie für Gesell-schaftswissenschaften beim Z K der SED - Institut für Marxistisch-Leninistische Soziologie. April 1989.

Grundmann, Siegfried: Sozialstruktur und Lebensweise in Städten und Dörfern - E i n Forschungsbe-richt aus dem Jahre 1989. In: Berliner Journal für Soziologie, Heft 3/4, 1992, S. 399-416.

7 Zapf, Wolfgang: Die Sozialstruktur der Bundesrepublik in den 1980er Jahren. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - Arbeitsgruppe Sozialberichterstattung. W Z B Paper P89-101, S. 3.

8 Zapf, Wolfgang/ Roland Habich: Die Wohlfahrtsentwicklung im vereinten Deutschland. In: Zapf, Wolf-gang/ Roland Habich (Hg.): Wohlfahrtsentwicklung im vereinten Deutschland: Sozialstruktur, sozialer Wandel und Lebensqualität. Berlin: edition sigma 1996, S. 13.

9 V g l . : Kreckel, Reinhard: Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. Frankfurt a. M . / New York:

Campus Verlag 1992. Solga, Heike: A u f dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der D D R . Berlin: Akademie Verlag 1995.

10 Die nötige Komplettierung des Schichtungsmodells durch eine Analyse von sozialen Unterschieden von Altersgruppen wird in der soziologischen Literatur zwar nicht ausdrücklich bestritten, trotzdem wird dieser Aspekt der Sozialstrukturanalyse bisher kaum beachtet - z.B. bei Kreckel.

11 Solga, Heike: A u f dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der D D R . Berlin: Akademie Verlag 1995, S. 13.

12 Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Berlin: Dietz Verlag 1987.

13 W. I. Lenin. Werke Bd. 29. Berlin: Dietz Verlag 1963, S. 410.

14 Daß Manfred Lötsch mit dieser - nicht von ihm allein entwickelten, aber von ihm in besonderem Maße begründeten und propagierten - These „Schwierigkeiten" bekam, ist eine Behauptung, die zwar häufig wiederholt, aber darum nicht richtig wird (Müller-Hartmann, Irene: Sozialstrukturforschung in der D D R - theoretische Konzepte und Forschungsansätze. In: Bertram, Hans (Hg): Transformation der Sozial-wissenschaften am Beispiel außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und Themen der Soziologie.

Opladen: Leske + Budrich 1996, S. 349ff.). Die Genossen des Politbüros und andere wurden in dem Glauben gelassen und damit auch bestärkt, daß ihre Privilegien und ihre soziale Lage der erbrachten Leistung entsprechen; sie hatten sehr schnell erkannt, daß das von Soziologen entwickelte Konzept der

„Triebkraftfunktion sozialer Unterschiede" in der vorgetragenen Form das bestehende Systems nicht in Frage stellt, sondern legitimiert. Daß die Verfechter des Konzepts sich in privatem Kreise deutlicher und kritischer geäußert haben, beweist nur, wie weit die Selbstzensur gediehen war.

15 Eine so radikale Forderung ist in die Endfassung der Studie zwar nicht aufgenommen worden. Aber

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immerhin heißt es dort: „Selbst eine erhebliche Ausweitung des privaten Eigentums im Bereich des Handels und des Reparaturwesens wäre kein Widerspruch zur Dominanz des Volkseigentums / . .. . /-also keineswegs eine Neubelebung von Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft". Zitiert nach:

Institut für Marxistisch-Leninistische Soziologie. Teilausarbeitung der Studie „Sozialismus in den 90er Jahren". 3. Schwerpunkt: „Zur Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Verantwortlich für diese Teilausarbeitung, an der Mitarbeiter verschiedener Institute der Akademie beteiligt sind: Genosse Rudi Weidig. Autoren sind die Genossen: F. Adler, S. Grundmann, H . Luft, R. Miller, I. Müller-Hartmann, H . Schmidt, R. Weidig. 2.4.1989. Parteiintern.

16 Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED - Institut für Marxistisch-Leninistische Soziologie - Die Rolle der privaten Handwerker und Gewerbetreibenden in der Sozialstruktur der DDR. Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie. Vorgelegt von: Irene Falconere aus Berlin. Wissenschaftlicher Betreuer: Prof. Dr. sc. Siegfried Grundmann. Berlin, M a i 1982.

17 Eine ausdrückliche Bezugnahme würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Dann müßte auch auf viele andere Arbeiten zur DDR-Sozialstruktur eingegangen werden. Im Zentrum der vorlie-genden Arbeit steht jedoch eine kurzgefaßte, wenn auch komplexe Auswertung der „SD87".

18 Lehrbuch Staatsbürgerkunde. Klasse 10. Verlag Volk und Wissen. Berlin 1987, S. 125, 126.

19 Es handelt sich immer um Ergebnisse der „SD87", wenn nicht ausdrücklich eine andere Quelle ge-nannt wird.

20 Ohne Kenntnis der Position von Karl-Ulrich Mayer und Martin Diewald ist damit ein „Drei-Klassen"-Modell entstanden, das ihrer kürzlich publizierten Konzeption entspricht (Karl-Ulrich Mayer und Mar-tin Diewald: Kollektiv und Eigensinn. Die Geschichte der D D R und die Lebensverläufe ihrer Bürger.

In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B46/96 S. 16f.).

21 V g l . Anlage 1 (Fragebogen zur „SD87"), Frage 25.

22 Freitag, Joachim/ Siegfried Grundmann/ Horst Laatz/ Ingrid Lötsch/ Manfred Lötsch/ Rainer Schubert:

Über die soziale Struktur der Arbeiterklasse. Ergebnisse einer soziologischen Untersuchung in der zentralgeleiteten Industrie der D D R . Teil I. Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen in ihrem Zusammenhang mit der sozialen Struktur der Arbeiterklasse (Akademie für Gesellschaftswissenschaf-ten beim Z K der S E D 1974. Parteiintern). Lötsch, Manfred: Über den Zusammenhang zwischen

Über die soziale Struktur der Arbeiterklasse. Ergebnisse einer soziologischen Untersuchung in der zentralgeleiteten Industrie der D D R . Teil I. Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen in ihrem Zusammenhang mit der sozialen Struktur der Arbeiterklasse (Akademie für Gesellschaftswissenschaf-ten beim Z K der S E D 1974. Parteiintern). Lötsch, Manfred: Über den Zusammenhang zwischen