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Da stellt sich dann überhaupt die Frage nach dem normierenden Einfluß der Ausbildung, wenn schon bei den

Im Dokument Poleznyi Dialog (Seite 61-66)

Textsorten und ihren Benennungen keine Kanonisierung möglich ist.

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Als zweites sollen die Beschreibungen einer Textsorte untersucht werden, die bisher noch nicht betrachtet wurde. Daraus kann sich eine Vervollständigung des Merkmalskataloges für journalistische Textsorten ergeben.

Die journalistische Textsorte, die sich als russisches Gegenstück der deutschen Nachricht bezeichnen läßt, hat in der russischen Literatur viele Namen (s.o.). Die Vermutung, daß mit den unterschiedlichen Namen eine Textsorte gemeint sein könnte, wird durch zwei Arten von Überschneidungen gestützt. Zum einen die Überschneidungen in den Namen, die sich folgendermaßen schematisieren lassen:

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Dabei wird die

chronikal’naja informācijā

teilweise auch explizit als Unterform des

otčet

bezeichnet (so z.B. ŠVEC 1984, 13).

Zum anderen sind da weitgehende Überschneidungen • • in den verschiedenen Beschreibungen. Als Tendenz läßt sich festhalten, daß Umfang und Komplexität, die die Beschreibungen konstatieren, von

zametka

bis

otčet

zunehmen.

Die Vielzahl der Namen ist ein Hinweis darauf, daß die Beschreibungen nicht von einer Texttypologie mit einer hierarchischen Ordnung und fest abgegrenzten Textsorten ausgehen. In einem stärker systematisierten Ansatz wäre zu erwarten, daß es für jede Textsorte nur einen Namen gibt, und damit auch, daß mehrere Autoren dieselbe Textsorte unter demselben Namen beschreiben. Im Gegensatz zu den deutschen Beschreibungen liegt der Grund für die Heterogenität bei den russischen Beschreibungen allerdings nicht darin,

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daß jeder Autor seinen eigenen Ansatz hat und somit jeder von einem anderen Ausgangspunkt ausgeht. Alle hier berücksichtigten Beschreibungen sind auf dem Hintergrund der Theorie von den funktionalen Stilen entstanden. Daraus wird deutlich, daß diese Theorie nur einen relativ groben Rahmen zur Einordnung und Beschreibung von Textsorten bietet (s. 3.3.3.).

Die größere Vielfalt in den Benennungen - die russischen Beschreibungen führen neun verschiedene Namen an, die deutschen nur fünf - legt eine größere Variabilität in der Gestaltung der Textsorte Nachricht im Bereich der russischen Presse nahe. Je mehr Varianten zu einer Textsorte möglich sind und auch realisiert werden, desto mehr verschiedene Bezeichnungen sind zu erwarten und umgekehrt. D.h. aus der Vielzahl der Benennungen für die Nachricht in den russischen Beschreibungen kann man auf die Variationsbreite in der Realisierung dieser Textsorte in der russischen Presse schließen.

Die russischen Beschreibungen der Textsorte

zametka,

wie sie hier bewußt vereinfachend genannt werden soll, gehen zwar von einer Theorie aus, aber diese Theorie führt nicht zu einer Texttypologie. D.h. die Beschreibungskriterien müssen von jedem Autor neu bestimmt werden - und das gilt im Prinzip für jede einzelne journalistische Textsorte.

Wenn sich ein Autor bei der Beschreibung von Textsorten nicht eines Instrumentariums bedienen kann, das in eine Texttypologie eingebettet ist, muß er die Kriterien der Beschreibung während der Beschreibung der Textsorte entwickeln. Dazu wird er wahrscheinlich auf sein intuitives Textsortenwissen zurückgreifen. Man kann diese russischen Beschreibungen deshalb genauso wie die deutschen publizistischen Beschreibungen als Ausdruck explizierten, intuitiven Textsortenwissens werten. Insofern können auch diese Beschreibungen als naiv bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den deutschen bemühen sich die russischen Quellen aber stärker um die Beschreibung der sprachlichen Phänomene in der Textsorte. Vergröbernd könnte man also sagen, daß die deutschen Beschreibungen der Nachricht mehr zu den Themen und der allgemeinen Charakteristik der Textsorte sowie ihrer Funktion enthalten und die russischen Beschreibungen sich intensiver mit Mikro- und Makrostrukturen beschäftigen. Während sich z.B. bei den Deutschen nur DOVIFAT (1976) zur Syntax in den Nachrichten äußert, machen fünf von sieben der hier berücksichtigten russischen Beschreibungen Angaben zu diesem Komplex. Im einzelnen wird dazu gesagt, die Sätze seien einfach (LYSAKOVA 1981; VAKUROV et al. 1978), unpersönlich oder unbestimmt-persönlich in der Form von Passivkonstruktionen (LYSAKOVA 1981), die syntaktischen Konstruktionen seien leicht verständlich (ŠVEC 1984), perfektive Wendungen (MAJDANOVA 1987) und verblose Substantivfügungen (VAKUROV et al. 1978) zeichneten die

zametka

aus. Außerdem

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stünden im ersten Satz die wichtigsten Informationen am Anfang. In diesem Zusammenhang wird auch von Inversion gesprochen (vgl. LYSAKOVA 1981).

Ebenfalls auf der Ebene der Mikrostruktur liegen Angaben darüber, daß in der

zamerka

häufig standardisierte Redewendungen (ŠVEC 1984; LYSAKOVA 1981; VAKUROV et al. 1978) und andere "

vysokoinformativnye standartnye jazykovye èlemenry"

(MAJDANOVA 1987, 12) wie Namen - oft mit ausführlicher Angabe der Titel (VAKUROV et al. 1978) -, Zahlen und Fachtermini anzutreffen seien. Außerdem werden offizielle Wendungen und Ausdrücke aus der Kanzleisprache als typisch angeführt (VAKUROV et al. 1978). Als weiteres Merkmal wird in diesem Zusammenhang genannt, daß der Autor als Person nicht in Erscheinung tritt. Dieses Merkmal wird allerdings in den russischen Beschreibungen weniger betont als in den deutschen. Daraus sollte man aber nicht darauf schließen, daß die Nachricht in der russischen Presse etwa persönlicher gehalten sei.

Über die Makrostruktur der

zametka

wird gesagt, sie verfüge über einen strengen Aufbau, bei dem jeder Absatz eine syntaktische Einheit bilde. Am Anfang stehe oft ein

lid

(das ist die russische Transliteration für das englische

lead

; vgl. LYSAKOVA 1981, 56). Im ersten Satz werden die wichtigsten Informationen gegeben, oft auch die Quelle genannt (vgl. LYSAKOVA 1981, 56). (Der Hinweis auf die Nennung der Quelle kommt übrigens nur einmal vor, im Gegensatz zu den deutschen Beschreibungen, die die Nennung der Quelle fast alle anführen.)

Der ganze Text zerfalle in zwei Teile: die Nennung des Anlasses (MAJDANOVA 1У8/) - wobei manche Autoren postulieren, daß der Anlaß Ereignischarakter haben müsse (vgl.

z.B. ČEREPACHOV 1973)־ und die Entwicklung des Hauptthemas.

Die

zametka

beantwortet die Fragen

gde, kogda, Čto?

(ŠVEC 1984; VAKUROV et al.

1978) oder die Fragen

čto?

und

как?

bzw.

о čem i как?

(vgl. MAJDANOVA 1987). Eine Autorin unterscheidet zwei Strukturtypen anhand der Fragen, die beantwortet werden: 1.

Kto sdelal čto?, 2. Kogda proizošlo Čto?

(KOSTANDI 1988).

Über die Behandlung des Themas finden sich folgende Aussagen:

malaja glubina, net tezisov

(MAJDANOVA 1987), geringer Umfang der Erfassung der Wirklichkeit (ČEREPACHOV 1973, 235), wobei der Ausdruck von

operativnost'

(ČEREPACHOV

1973) gekennzeichnet sei.

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Thematisch wird diese Textsorte so beschrieben: Sie berichtet über die wichtigsten Ereignisse und Fakten der Gegenwart (PEL'T 1985), über gesellschaftlich bedeutende Fakten (ŠVEC 1984; ČEREPACHOV 1973) (im Hinblick auf die politische Erziehung:

ČEREPACHOV 1973). Sie müsse eine Neuigkeit enthalten (

naliäe novosti

) und ein abgeschlossenes Ereignis (

zaveršennost' sobytija)

behandeln (ČEREPACHOV 1973). Dabei sollen die Informationen stets aktuell sein (MAJDANOVA 1987; VAKUROV et al. 1978), ohne in die Details zu gehen (VAKUROV et al. 1978). Es fallt auf, daß die Beschreibung der möglichen Themen in den russischen Quellen sehr viel vager bleibt als in den deutschen. In zwei der sieben Quellen werden gar keine thematischen Angaben gemacht (KOSTANDI 1988; LYSAKOVA 1981), in zwei Fällen wird nur gesagt, daß es sich um wichtige Fakten handelt (ŠVEC 1984; PEL'T 1985). Nur eine Quelle nennt konkrete Themenbereiche ־ Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport, Theater, Internationales (VAKUROV et al. 1978). Keine Erwähnung finden dagegen die Themenbereiche der

soft news,

wie sie z.B. NOELLE-NEUMANN et al. (1989) für das Deutsche mit den fünf B's angibt (s. З.1.1.). Tatsächlich spielen solche sogenannten

human-interest stories

(s. 3.5.1.) auch nur eine untergeordnete Rolle in den russischen Tageszeitungen.

Schließlich wird die

zametka

auch vom Umfang her beschrieben. Die Autoren bezeichnen sie als kurz, wenige Zeilen umfassend (PEL'T 1985), aus zwei bis vier Sätzen bestehend (ŠVEC 1984) oder auch von zwei bis 10-15 Zeilen (sic! VAKUROV et al. 1978, 20) oder 10 bis 30 Zeilen lang (LYSAKOVA 1981). Ihre Varianten unterscheiden sich dementsprechend auch hauptsächlich durch den größeren oder kleineren Umfang und der damit verbundenen Ausführlichkeit und Komplexität der Darstellung, die von der Nennung von Gründen bis zu bewertenden Ausdrücken gehen kann (vgl. ŠVEC 1984; LYSAKOVA

1981).

Allgemein wird die

zametka

beschrieben als

slatoe

oder

korotkoe soobšČenie,

als

prostoj vid informacii

oder einfach als

peredača informacii

(KOSTANDI 1988). Oder um es mit PEL'T (1985, 5) zu sagen "...

Čto zametka: 1. gazetnyj ïanr; 2. kratkoe soobĪČenie; 3.

informācijā

0fakte i l i postanovka voprosa, problemy.’’

Die Beschreibungen der

zametka

enthalten also Angaben zu Mikro- und Makrostruktur der Textsorte und zum Umfang. Relativ vage bleiben die Angaben zu Funktionen - da wird hauptsächlich die Information genannt, aber kaum spezifiziert - und Themenbereichen. Im Vergleich mit den deutschen Beschreibungen kann man sagen, daß zwar ähnliche Merkmalskomplexe zur Beschreibung herangezogen werden, aber die Schwerpunkte komplementär verteilt sind. Während die deutschen Beschreibungen ausführlicher die

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Funktion der Textsorte und ihre allgemeine Charakteristik behandeln, setzen sich die russischen Beschreibungen mehr mit den textintemen Besonderheiten auseinander.

Im Gegensatz zu den vielfältigen Bezeichnungen im Bereich der Textsorte

zametka

steht die einheitliche Benennung der Textsorte

reportai.

Diese einheitliche Benennung stimmt zudem mit der Einheitlichkeit der Benennung im Deutschen - Reportage - überein. Im Unterschied zu den bisher betrachteten Beschreibungen anderer Textsorten führen die russischen Beschreibungen der Textsorte

reportai

bis auf eine Ausnahme keine Varianten der Textsorte an. Lediglich KAJDA (1984) beschäftigt sich mit der Sportreportage (

sportivnyj reportai).

Mit dieser geringen Variationsbreite der Textsorte korreliert die thematische Unbestimmtheit. Von sechs Beschreibungen des

reportai

enthält keine Angaben zu möglichen Themenbereichen. Der Bezeichnung

sportivnyj reportai

kann man entnehmen, daß der Themenkreis dieser Variante auf sportliche Ereignisse beschränkt ist. Explizit werden aber auch in dieser Beschreibung Themenkreise nicht erwähnt.

Die R ep ortag e^ wird definiert als "...

informācijā о sobytii ot lica avtora

..."

(LYSAKOVA/ROGOVA 1987, 77). Sie verbindet Faktizitätstreue mit subjektiven Beschreibungen: "

V reportaie strogaja dokumenta!'nost' ... sočetaetsja s chudoiestvennym izobraieniem opisyvaemogo, s èmocionainost ju , iivo stju i jarkostju opisanija fakta s

»mesta sobytii*."

(ŠVEC 1984, 13).

Der Autor der Reportage tritt als Augenzeuge auf und wird so auch als Person erkennbar.

Mit der Definitheit des Autors als Person werden subjektive Darstellung (MAJDANOVA 1987), Emotionalität (PE L 'T 1984) bis hin zur Bewertung (LYSAKOVA/ROGOVA 1987;

ŠVEC 1984 ; KAJDA 1984) verbunden. Außerdem wird betont, daß die Reportage nicht nur aktuelle Berichterstattung sei, sondern den Eindruck der Gleichzeitigkeit vermitteln solle. Dieser Eindruck wird als

éffekt prisutstvija

(PE L 'T 1984), als

avtorskoe prisutstvie

(MAJDANOVA 1987, 13-18) oder als

nastojaščee reportaia

(MIŁYCH 1981, 51) bezeichnet.

Der Autor als Augenzeuge legt somit den Blickwinkel der Darstellung fest. Dem entspricht auf der makrostrukturellen Ebene die weitgehend chronologische Anordnung des Materials, mit Vor- und Rückblenden (MAJDANOVA 1987; LYSAKOVA/ROGOVA 1987). Am Anfang steht eine Beschreibung, die die räumlichen und zeitlichen Koordinaten des Berichteten festlegt, die dann im folgenden nur noch relativ zur Person des Berichtenden

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30 Ich verwende im folgenden die deutsche Bezeichnung

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