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5.2 Expositionszielgrößen und Toxizitätsklassen für 99 Stoffe und Vergleich mit den Hazard Bands gemäß COSHH Essentials

5.2.2 Statistische Vergleiche

Die Tab. 5.3 zeigt die Verteilung der Stoffe auf die Toxizitätsklassen gemäß Expositionszielgröße und auf die Hazard Bands nach COSHH Essentials in Form einer Mehrfeldertafel. Die Summe aller in der Tafel erfassten Substanzen beträgt 81;

die Differenz zu der Gesamtsumme von 99 bewerteten Stoffen ergibt sich daraus, dass für 17 Stoffe keine Information über eventuelle Einstufungen vorlag (d.h. kein Sicherheitsdatenblatt zu beschaffen war) und dass ein Stoff der besonderen Hazard Band E zuzuordnen war. Neun der 81 Stoffe waren übereinstimmend sowohl gemäß R-Sätzen als auch gemäß der auf Daten zur Toxizität nach wiederholter Verabreichung beruhenden Expositionszielgröße der höchsten Toxizitätskategorie D zuzuordnen. Fasst man Stoffe der Gruppen C und D zu einer gemeinsamen Gruppe von „toxischen“ Stoffen zusammen, so stellt man eine Gesamtzahl von 33 (41 % von 81) Stoffen fest, die übereinstimmend sowohl gemäß R-Sätzen als auch gemäß Expositionszielgröße als „toxisch“ zu bezeichnen sind. Allein aufgrund von R-Sätzen sind 38 Stoffe den Hazard Bands C oder D zuzuschreiben. Allein aufgrund der Expositionszielgrößen zählen 51 Stoffe zu den Toxizitätsklassen C oder D. In Tab.

5.3 nicht dargestellt, aber erwähnenswert ist, dass die Zahl an Stoffen, die mit der Qualitätsstufe I und Klasse C oder D bewertet wurden, 26 beträgt (Tab. 5.2).

Darunter sind nur 6 Stoffe, die nicht auch aufgrund des R-Satzes in die Klasse C oder D einzugruppieren sind.

Tab. 5.3 Darstellung der Anzahl an Substanzen, die bestimmten Toxizitäts-klassen und Hazard Bands zuzuordnen waren, in einer Mehrfeldertafel

Toxizitätsklasse gemäß Expositionszielgröße

D C B A Summe

D 9 1 1 0 11

C 13 10 4 0 27

B 3 8 6 2 19

Hazard Band gemäß R-Sätzen (COSHH Essentials)

A 5 2 7 10 24

Sum-me

30 21 18 12 81

Die Diagonale der Tab. 5.3 enthält die Zahlen der Substanzen die übereinstimmend gemäß Expositionszielgröße und gemäß R-Satz gleich zu klassieren waren. Es ist unschwer zu erkennen, dass auch die Felder außerhalb der Diagonalen besetzt sind, dass es also Unterschiede in den Klassierungen aufgrund der beiden Systeme gibt.

Die Gesamtzahl in Feldern außerhalb der Diagonalen beträgt 46, d.h. mehr als die Hälfte der 81 Stoffe wurde nach den beiden Klassierungssystemen zumindest um eine Klasse bzw. Hazard Band unterschiedlich klassiert. Die Felder oberhalb der Diagonalen enthalten die Zahlen der Substanzen, die aufgrund des R-Satzes

„schärfer“ klassiert wurden als aufgrund der Expositionszielgröße, dies sind 8 Stoffe (17 % von 46). Die Anzahl an Substanzen unterhalb der Diagonalen, also Stoffe, die aufgrund der Expositionszielgröße „schärfer“ zu klassieren waren als aufgrund der R-Sätze ist mit 38 wesentlich größer (83 % von 46). Formal statistisch lässt sich für eine Häufigkeit „38 von 46“ ein 95%Vertrauensbereich von 69 bis 92 % berechnen -der den 50%-Punkt nicht einschließt. Man mag dies als Hinweis darauf werten, dass die Felder unterhalb und oberhalb der Diagonalen nicht nur zufällig ungleich besetzt sind, d.h. dass das Klassierungssystem, so wie es - mit allen Unsicherheiten, z.B. in den IUCLID-Ausgangsdaten - hier verwendet wurde, tendenziell zu einer Höhergruppierung führt als die R-Sätze nach dem System COSHH Essentials.

Für eine detailliertere Analyse sind die Expositionszielgrößen in ihrer genauen Höhe im Vergleich mit den Hazard Bands zu betrachten. Da COSHH Essentials unterschiedliche Einteilungen der target airborne concentration ranges für Gase/Dämpfe und Aerosole/Stäube vorsieht, ist ein solcher Vergleich nur jeweils innerhalb eines Typs von Aggregatzustand möglich. Da nur insgesamt 23 Stoffe als Aerosol klassiert wurden und davon nur für die kleine Zahl von 13 Stoffen aufgrund vorliegender R-Sätze eine Zuordnung zu einer der Hazard Bands A, B, C oder D vorgenommen werden konnte, ist eine nähere statistische Betrachtung der Verteilungen dieser 13 Stoffe hier nicht sinnvoll. Die Verhältnisse für diejenigen Stoffe, die als Gas bzw. Dampf bewertet wurden und deren Expositionszielgröße in der Einheit ppm angegeben werden kann, sind in den Abb. 5.1 und 5.2 grafisch veranschaulicht. Die Abb. 5.1, die keine Information über die Hazard Bands nach COSHH Essentials enthält, dient dabei lediglich als Vergleich. Aus der Punktewolke der Abb. 5.1 kann keine statistische Korrelation abgeleitet werden, weil sie durch die Definition der Toxizitätsklassen zustande kommt. Abb. 5.1 illustriert die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Stoffe auf die vier Toxizitätsklassen dieses Projektes und sie zeigt, wie das Diagramm der Abb. 5.2 aussehen würde, wenn Toxizitätsklassen und Hazard Band 100%ig korrelieren würden. Einige Punkte sind vertikal oder horizontal leicht versetzt eingetragen, dies hat keine inhaltliche Bedeutung, es geschah lediglich, um deutlich zu machen, dass es sich an den entsprechenden Stellen um mehr als einen einzigen Punkt handelt.

Die Abb. 5.2 zeigt die Beziehungen zwischen Expositionszielgrößen und zugehörigen Toxizitätsklassen (der in der Gasphase bewerteten Stoffe) einerseits und den Hazard Bands andererseits. Die Korrelation ist nicht perfekt, d.h. die Punkte liegen nicht sämtlich innerhalb der Rechtecke auf der Diagonalen, wie es der Fall wäre, wenn die Klassierungen nach R-Satz und nach den Daten zur chronischen Toxizität völlig gleich ausfallen würden. Der Zusammenhang wurde auch statistisch mittels Korrelations- und Regressionsanalyse geprüft. Dabei wurde als x-Variable der Logarithmus des Zahlenwerts der Expositionszielgröße und als y-Variable die ganzen Zahlen 1 bis 4 (für die Hazard Bands A bis D) eingesetzt. Für alle n = 68 in der Abb. 5.2 enthaltenen Stoffe beträgt der Korrelationskoeffizient r = 0,56, die

Abb. 5.1 Zusammenhang zwischen Expositionszielgröße und Toxizitätsklasse bei den als Gas bzw. Dampf bewerteten Stoffen

Abb. 5.2 Zusammenhang zwischen Expositionszielgröße (sowie entsprechender Toxizitätsklasse) und Hazard Band bei den als Gas bzw. Dampf bewerteten Stoffen. Gestrichelt: Regressionsgerade für alle Daten

D

=

C

=

B

=

A

= Definitionsbereiche der Toxizitätsklassen:

A B

C 0 D

1 2 3 4

0,01 0,1 1 10 100 1000

Expositionszielgröße [ppm]

Toxizitätsklasse (gemäß IUCLID-Daten zu Repeated Dose Toxicity bzw. Erfahrungen beim Menschen)

R-Sätze

in Anh.I RL 67/548/EWG nur in Sicherheitsdatenblatt keine Angabe vorliegend

D

=

C

=

B

=

A

=

Toxizitätsklassen:

A B

C 0 D

1 2 3 4

0,01 0,1 1 10 100 1000

Hazard Band (gemäß R-Sätzen nach dem System COSHH Essentials)

Expositionszielgröße [ppm]

R-Sätze

in Anh.I RL 67/548/EWG nur in Sicherheitsdatenblatt

Korrelation ist mit einem p-Wert < 0,001 statistisch hoch signifikant. Werden nur die Stoffe betrachtet, die in Anhang I RL 67/548/EWG genannt sind, oder nur die Stoffe, die in die Toxizitätsklasse mit dem Qualitätskriterium I klassiert wurden, dann wird die Korrelation nicht besser.

Nach der Analyse der Tab. 5.3 und der Abb. 5.2 scheint unser Klassierungssystem tendenziell zu Ergebnissen zu führen, die eher eine höhere Klasse der Toxizität bzw.

Gefährdung signalisiert als das System von COSHH Essentials, wobei aber einzelne Stoffe auch einer niedrigeren Stufe zuzuteilen waren als nach den R-Sätzen. Die Regressionsgerade in Abb. 5.2 liegt unterhalb der Diagonalen, bringt damit ebenfalls dieses zum Ausdruck, dass die R-Sätze nach COSHH Essentials zu einer geringeren Gefährdungsklasse tendieren als die Auswertung der Daten zur Repeated Dose Toxicity nach der verwendeten ARW-Methodik. Schwerwiegender als diese statistische Aussage erscheint, dass einzelne Stoffe, die gemäß R-Sätzen im Sicherheitsdatenblatt der geringsten Gefährdungsklasse nach COSHH Essentials angehören, mit Blick auf mögliche chronische Toxizität den höheren Toxizitätsklassen (C, D) zuzuordnen waren. Vereinfacht ausgedrückt kann Abb. 5.2 -ohne nähere Einzelfallbetrachtung - auf zwei unterschiedliche Arten interpretiert werden:

1. Das System COSHH Essentials kann im Einzelfall nicht ausreichend sein, um das volle Gefährdungspotential eines Stoffes zu erfassen.

2. Die in unserem System verwendete ARW-Methodik kann tendenziell zu einer Überbewertung des Gefährdungspotentials eines Stoffes führen.

Von einer generellen Überbewertung des Gefährdungspotentials der Stoffe durch die verwendete ARW-Methodik ist aus folgenden Gründen nicht auszugehen:

1. Die Methodik beruht auf dem ARW-Konzept, das seinerseits auf empirischen Daten beruht (Lechtenberg-Auffarth et al., 1997; Kalberlah und Schneider, 1998;

Föst und Wardenbach, 2000), und die benutzten Extrapolationsfaktoren sind gegenüber der Fassung des BArbBl. (1998, 1999) im Sinne höherer Expositions-zielgrößen reduziert (gemäß Kalberlah et al., 1999).

2. In zahlreichen Fällen findet sich eine Übereinstimmung in den Klassierungen gemäß COSHH Essentials und gemäß hier verwendeter ARW-Methodik.

„Überbewertungen“ durch die hier abgeleiteten Toxizitätsklassen erscheinen möglich als Folge ungeeigneter Ausgangsdaten, z.B. älterer fremdsprachiger Publikationen.

Eine darauf beruhende Überbewertung wäre dann nicht auf das ARW-Konzept zurückzuführen. Es erscheint hier nicht sinnvoll, alle Einzelfälle von Stoffen mit divergierenden Klassierungen mit der Güteklasse II zu diskutieren. Dies könnte gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt unter Hinzuziehung von Originalliteratur geschehen. Sinnvoller erscheint es, diejenigen Stoffe hier näher zu betrachten, deren Klassierung nach COSHH Essentials und ARW-Konzept sich um mehr als eine Stufe unterscheidet und die gleichzeitig mit der „Güteklasse“ I bewertet wurden.

Nach Tab. 5.2 trifft dies nur bei zwei Substanzen zu. Tert-Dodecanthiol (CAS Nr.

25103-58-6, 2,2,4,6,6-Pentamethyl-4-heptanthiol, tert-Dodecylmercaptan) ist nach dem vorliegenden Sicherheitsdatenblatt (Merck, Stand 5.10.2000) den Klassen A und S nach COSHH Essentials zuzuteilen, in diesem Projekt wurde eine Expositionszielgröße in Höhe von 0,06 ppm abgeleitet und dementsprechend auf die Toxizitätsklasse D geschlossen. 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol (CAS Nr. 99-54-7, Nitro-o-dichlorbenzol asymetrisch) ist nach dem vorliegenden Sicherheitsdatenblatt (Merck, Stand 7.8.2003) den Klassen B und S nach COSHH Essentials zuzuteilen, in diesem Projekt wurde eine Expositionszielgröße in Höhe von 0,04 ppm abgeleitet und dementsprechend auf die Toxizitätsklasse D geschlossen. Im folgenden werden diese Bewertungen erläutert. Anschließend wird außerdem kurz auf das Beispiel des 1-Propanol eingegangen, bei dem der umgekehrte Fall vorliegt, dass das System COSHH Essentials zu einer höheren Klassierung führt als die Auswertung der IUCLID-Daten.

5.2.3 Stoffbeispiele

Bei den Inhalationsdaten zu tert-Dodecanthiol unter Repeated Dose Toxicity in IUCLID sind als Berichter (Source) Elf Atochem und Bayer AG Leverkusen genannt.

Hinsichtlich der Testsubstanz heißt es „Data belongs to a technical product of Elf Atochem, described in part 1 of Elf Atochem“. Das Zitat zu den Versuchsdaten lautet

„Philipps Petroleum Company, International Research and Development Cooperation, Four Week Subchronic Inhalation Toxicity Study on t–Dodecyl Mercaptan in Rats, Mice and Dogs, Study 409–055, September 1985“. Demnach wurden CD-1-Ratten über einen Zeitraum von 28 Tagen an 6 Stunden pro Tag und 5 Tagen in der Woche gegenüber 26 und 98 ppm exponiert. Unter anderem zeigten männliche Ratten bei der höheren Dosis eine statistisch signifikante Abnahme des Körpergewichts und eine Zunahme des Kreatinin. Die Lebergewichte waren dosisabhängig erhöht, ohne makroskopisches oder histologisches Korrelat. Bei den männlichen Ratten fanden sich bei beiden Dosierungen histologisch Nierenschäden.

Als LOAEL sind 26 ppm genannt. CD-1-Mäuse und Beagles wurden mit dem gleichen Zeitmuster gegenüber 25 und 109 ppm exponiert. Je eine männliche und weibliche Maus der höheren Dosisgruppe starben. Blut- bzw. klinisch-chemische Parameter der Mäuse waren verändert, die Lebergewichte dosisabhängig erhöht, Vergrößerungen und Entfärbungen der Leber waren erkennbar, histologisch wurde Vergrößerung der Hepatozyten festgestellt. Bei der höheren Dosis waren die Gewichte der Ovarien signifikant erniedrigt, histologisch wurde Fehlen von Corpora lutea festgestellt. Außerdem fanden sich Hautveränderungen bei der höheren Exposition. Als LOAEL sind 25 ppm genannt. Bei den Hunden waren neben einigen Veränderungen von klinisch-chemischen Parametern die Lebergewichte dosis-abhängig erhöht, bei der höheren Dosis war Hepatozytenvergrößerung feststellbar.

NOAEL oder LOAEL werden bei den Hunden nicht explizit genannt.

Aufgrund der relativ deutlichen Effekte mit einer Testsubstanz, die von IUCLID-Berichtern der CAS Nummer 25103-58-6 (tert-Dodecanthiol) zugeordnet wurde, nach subakuter Inhalation bei drei Spezies und bei einem LOAEL von 25 ppm erscheint es nicht möglich, tert-Dodecanthiol in dem hier verwendeten Bewertungssystem der Toxizitätsklasse A zuzuordnen, selbst dann, wenn man überhaupt keine Extrapola-tionsfaktoren zur Berechnung einer zumutbaren Expositionskonzentration anwenden würde. Hinweise, von den Standardfaktoren des ARW-Konzeptes abzuweichen, waren nicht erkennbar. Die Standardfaktoren nach dem ARW-Konzept führen zu einem Wert von zirka 0,6 ppm (Tab. A3 im Anhang). Da es sich dabei um einen ELAEL und nicht um einen ENAEL handelt, ist dieser Wert nicht als Expositionszielgröße zu betrachten. Die Expositionszielgröße ist eher in einem

Bereich kleiner als 0,5 ppm zu vermuten, so dass von der Toxizitätsklasse D auszugehen ist. Von Bedeutung, die Toxizitätsklasse im Qualitätsbereich I einzuordnen, war es, dass in IUCLID unter 1.8 Occupational Exposure Limit Values ein Eintrag TLV (US) mit dem Wert „.5 mg/m3“ vorhanden ist (Source: PHILLIPS PETROLEUM CHEMICALS TESSENDERLO). Gemäß der Summenformel von tert-Dodecanthiol entsprechen sich 0,5 mg/m3 und 0,06 ppm. Dieser Grenzwert erscheint in Beziehung zu dem ELAEL von 0,6 ppm plausibel und wurde daher hier als Expositionszielgröße übernommen. Dabei war der in IUCLID angegebene TLV als richtig zu vermuten und es war davon auszugehen, dass er in Folge gewisser Beobachtungen festgesetzt und begründet war. In den einschlägigen Listen war ein US-amerikanischer TLV für tert-Dodecanthiol allerdings nicht aufzufinden, so dass hier eine Unsicherheit verbleibt. Geht man aber von der Richtigkeit der Angaben in IUCLID hinsichtlich der 28-Tage-Studie mit drei Spezies und hinsichtlich des TLV aus, dann ist eine Klassierung von tert-Dodecanthiol als Substanz mit geringstmöglicher toxischer Potenz, wie es das System COSHH Essentials signalisiert, unangemessen.

1,2-Dichlor-4-nitrobenzol ist ganz offensichtlich hämatotoxisch (Methämoglobin-bildner). Dies ergibt sich grundsätzlich übereinstimmend aus den in IUCLID berichteten Inhalations- und Schlundsondenstudien. Die Aussagekraft der Inhalationsstudie ist begrenzt, es handelt sich um eine ältere Veröffentlichung in der russischen Zeitschrift Gigiena i sanitariia (Belyaev, Kuznetsov, 1969, Gig. Sanit. 34, 211–214). Nach den berichteten Daten handelt es sich allerdings um eine relativ umfangreiche Studie mit zwei Spezies und unterschiedlichen Expositionszeiträumen bis zu 4 Monaten. Die Bewertung der Datenlage mit der Qualitätsstufe I erfolgte jedoch deshalb, weil ein neuerer Versuch mit Schlundsondenverabreichung berichtet wird, der nicht zu widersprechenden Ergebnissen führt (Hoechst AG, 1993, Unveröffentl. Unters., Ber.-Nr. 93.0290). Danach wurde Nitro-o-dichlorbenzol, asymetrisch, 28mal in Sesamöl in Dosierungen von 4, 20 und 100 mg pro kg Körpergewicht und Tag an männliche und weibliche Wistar-Ratten verabreicht. Es wurde kein Einfluß auf die Körpergewichtsentwicklung und den Futterverbrauch festgestellt, in der höchsten Dosisgruppe traten jedoch klinische Symptome auf:

leicht erhöhter Wasserverbrauch und leichte makrozytische hämolytische Anämie

(Veränderung der Parameter der roten Blutzellen, mikroskopische Befunde in der Milz) sowie erhöhte Harnstoffwerte im Serum (als mögliche Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion bewertet) und Zunahme der relativen Leber–

und Milzgewichte, bei 200 mg/kg KG leichte hämolytische Anämie, leicht erhöhter Wasserverbrauch, Speichelfluss und bei den männlichen Tieren zusätzlich erhöhte relative Lebergewichte. Als NOAEL werden 4 mg/kg/d genannt.

Bei 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol handelt es sich um eine Substanz, die bei Raumtemperatur fest ist, aber dabei einen relativ hohen Dampfdruck aufweist (Erstarrungspunkt nach IUCLID 39,9 °C, Dampfdruck bei 20 °C 0,01 hPa) und bei der es deshalb von besonderem Interesse wäre, wie die Expositionsatmösphäre des Inhalationsversuchs erzeugt wurde und charakterisiert ist. Leider finden sich in dem Datensatz dazu keine Angaben. Auf der Grundlage der allgemeinen Gasgleichung (Abschn. 4.5.2) lässt sich für 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol rein rechnerisch eine Sättigungskonzentration von 78 mg/m3 ermitteln. Auch wenn man den Durchmesser etwaiger Staubteilchen und die zum Erreichen der Sättigungskonzentration notwendige Zeit vernachlässigt, berechtigen diese Daten, bei Konzentrationen von 50 mg/m3 und weniger von einem wesentlichen Anteil des Stoffs in der Gasphase auszugehen und dementsprechend auch eine Umrechnung in ppm vorzunehmen.

Aus der subakuten Inhalationsstudie von Belyaev und Kuznetsov (1969) ergibt sich ein LOAEL von 28 mg/m3. Der LOAEL der subakuten Schlundsondenstudie von Hoechst (1993) ist bei 20 mg/kg/d anzusetzen. Diese körpergewichtsbezogene Zufuhrrate würde bei inhalativer Exposition einer „Standardratte“ (Tab. 4.1) folgender Konzentration in der Luft entsprechen:

20 mg/kg/d x 0,25 kg / 0,096 m3/d = 52 mg/m3.

Die rechnerische äquivalente Expositionskonzentration der neueren subakuten Schlundsondenstudie ist also als nur knapp doppelt so hoch wie der LOAEL der älteren subakuten Inhalationsstudie zu betrachten. Damit ist unabhängig von Extrapolationsfaktoren des ARW-Konzeptes eine Vergleichbarkeit gegeben.

Anwendung der Standardfaktoren für Zeit und Inter-/Intraspeziesvariabilität (6 und 5)

führt beim inhalationsäquivalenten LOAEL von 52 mg/m3 des Schlundsonden-versuchs zu einem ELAEL von 1,7 mg/m3. Diese relativ niedrige Konzentration ist als Dampf zu betrachten (s.o.), der entsprechende Wert von 0,2 ppm liegt bereits unterhalb der oberen Klassengrenze der Toxizitätsklasse D von 0,5 ppm, somit ist selbst nach dem LOAEL / ELAEL nach D zu klassieren. Dem NOAEL von 4 mg/kg/d des Schlundsondenversuchs entsprechen eine äquivalente inhalative Konzentration von 10 mg/m3 und ein ENAEL von 0,35 mg/m3 bzw. 0,04 ppm.

Insgesamt ist daher bei 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol festzustellen, dass die in der älteren Inhalationsstudie begründete unbefriedigende Informationsqualität durch neuere Daten nach oraler Verabreichung deutlich verbessert erscheint. Die aus der neueren Oralstudie abgeleitete Expositionszielgröße des hämatotoxischen Stoffs von 0,04 ppm liegt deutlich unterhalb der oberen Klassengrenze der Toxizitätsklasse D von 0,5 ppm. Geht man daher von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in IUCLID hinsichtlich der Daten zu Toxizität nach wiederholter Verabreichung aus, dann ist eine Klassierung von 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol als Substanz mit relativ geringer toxischer Potenz (Hazard Band B), wie es das System COSHH Essentials signalisiert, nicht angemessen.

Bei 1-Propanol (Propan-1-ol) hat die Auswertung der IUCLID-Daten hinsichtlich chronischer Toxizität zu einer Bewertung in die Toxizitätsklasse B I geführt. Die Auszeichnung mit der Qualitätsstufe I als relativ gut abgesicherte Bewertung erfolgte auch deshalb, weil 1-Propanol zu den ganz wenigen Stoffen zählt, für die in IUCLID eine mit der Reliability 1 als sehr aussagekräftig beurteilte Inhalationsstudie enthalten ist. In Anhang 1 der RL 67/548/EWG ist Propan-1-ol (CAS Nr. 71-23-8) unter anderem mit dem R-Satz 41 eingestuft. R41 bedeutet „Gefahr ernster Augenschäden“ und führt nach COSHH Essentials in die Hazard Band C. Es würde den Rahmen dieses Projektes sprengen, zu prüfen, aufgrund welcher Daten 1-Propanol mit R41 eingestuft wurde und ob die sich aus einer Toxizitätsklasse B ergebenden Schutzmaßnahmen hier optimal wären. Das Beispiel weist jedoch auf die Frage hin, inwiefern unter Umständen der Bezug nur auf Daten zur chronischen Toxizität für eine Beurteilung im Hinblick auf notwendige Schutzmaßnahmen auch nicht ausreichend sein kann.

Für eine Validierung der hier angewendeten modifizierten ARW-Methodik wären Daten zu Erfahrungen beim Menschen besonders wünschenswert, anhand derer die Plausibilität der abgeleiteten Expositionszielgrößen beurteilt werden könnte. Da in diesem Projekt insbesondere Stoffe mit spärlicher Datenlage (ohne MAK-Wert) zu begutachten waren, ist es nicht zu erwarten, dass solche Vergleichsdaten gerade bei diesen Stoffen vorliegen. Und ein solcher Vergleich war nicht Gegenstand des Projekts. Gleichwohl fiel es während der Auswertung auf, dass bei einigen Substanzen Daten zu Erfahrungen beim Menschen in IUCLID angeführt waren bzw.

dass gewisse Grenz- oder Richtwerte berichtet wurden, gegebenenfalls firmen-interner Art. Wo solche Werte in IUCLID genannt sind, muss vermutet werden, dass sie richtig wiedergegeben sind. Die Begründung firmeninterner Grenz- oder Richtwerte ist nicht in allen Fällen bekannt. Möglicherweise wurden die Werte nach technischer Machbarkeit aufgestellt, möglicherweise sind sie in Beobachtungen adverser - gegebenenfalls leichter - Effekte begründet. Trotz des Fehlens genauerer Information bietet sich ein Vergleich solcher Grenz- oder Richtwerte mit den hier aus Beobachtungen an Versuchstieren abgeleiteten ENAEL- bzw. ELAEL-Werten an. Es zeigte sich, dass in relativ vielen Fällen bestehende Richtwerte niedriger liegen als die hier ermittelten Estimated No Adverse Effect Levels. Bei folgenden Substanzen (CAS-Nr., Substanzname) lagen berichtete Konzentrationen, die beim Menschen mit Reizerscheinungen in Verbindung gebracht wurden, bzw. ausländische oder firmeninterne Grenzwerte niedriger als oder in ähnlicher Höhe wie die aus Experimenten extrapolierten ENAEL- bzw. ELAEL-Werte (s. Tab. A3): 100-51-6, Benzylalkohol; 100-52-7, Benzaldehyd; 111-36-4, n-Butylisocyanat; 116-14-3, Tetrafluorethylen; 116-15-4, Hexafluorpropen; 25103-58-6, tert-Dodecanthiol; 2517-43-3, 3-Methoxybutanol; 2524-04-1, Diethylchlorthio-phosphat; 27247-96-7, 2-Ethylhexylnitrat; 4435-53-4, 3-Methoxybutylacetat; 61788-32-7, hydrogenierte Terphenyle; 75-38-7, 1,1-Difluorethylen (Vinylidenfluorid); 75-91-2, tert-Butylhydroperoxid; 763-69-9, Ethyl-3-ethoxy-propionat; 82-45-1, 1-Aminoanthrachinon; 85-68-7, Benzylbutylphthalat; 926-57-8, 1,3-Dichlorbuten-2; 95-51-2, 2-Chloranilin; 96-24-2, 3-Chlorpropan-1,2-diol (alpha-Monochlorhydrin). Diese Daten sprechen dagegen, dass das zur Ermittlung der Expositionszielgrößen angewandte Verfahrten grundsätzlich „überkonservativ“ ist, d.h. zu unrealistisch

niedrigen Konzentrationswerten führt. Dies scheint auch für Stoffe mit lokaler Wirkung zu gelten.