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5.3 Frage nach Regulationsdefiziten

Wenn auf Basis des ARW-Konzeptes Beurteilungskonzentrationen oder Expositionszielgrößen für Chemikalien abgeleitet werden, für die es bisher keine Luftgrenzwerte am Arbeitsplatz gibt, dann steht dahinter fast zwangsläufig auch die Frage, ob hier Regulationsdefizite vorhanden sind - zum einen in dem Sinn, dass vorhandene toxikologische Information nicht verwendet wird, zum anderen in dem Sinn, dass notwendige toxikologische Information fehlt. Die Datenbank IUCLID (2000) bezieht sich nicht nur auf Deutschland, sondern auf „Europa“ und ist inzwischen auch bereits mehrere Jahre alt; daher ist es rein theoretisch möglich, dass ein Stoff dort zwar als „hochtonnagig“ enthalten ist, dass dieser Stoff aber nur in einem europäischen Land außer Deutschland produziert und in Deutschland gar nicht oder nicht mehr verwendet wird. In diesem Fall wäre auch dann nicht von einem Regulationsdefizit in Deutschland zu sprechen, wenn dieser Stoff „sehr giftig“

und bisher ohne Grenzwert wäre. Die Erfassung der tatsächlichen Stoffverwendung bzw. des Umgangs ist außerhalb des Blickfeldes der vorliegenden Betrachtungen, dies muss separat geklärt werden.

Wenn man davon ausgeht, dass die in IUCLID (2000) recherchierten Stoffe ohne MAK-Wert eine praktische Bedeutung besitzen, dann erscheint der relativ hohe Anteil an Stoffen bemerkenswert, die allein aufgrund der R-Sätze den Hazard Bands C oder D zuzuordnen sind, denen also - nicht nur nach dem System COSHH Essentials - ein eher höheres Gefährdungspotential zukommt. Unter den 81 näher auswertbaren Stoffen, für die auch R-Sätze zu recherchieren waren, waren dies 38 Stoffe. Die Qualität der IUCLID-Daten ist bei diesen Stoffen zunächst unerheblich, die EU-Einstufung besteht davon unabhängig. Gleichwohl war darunter der relativ hohe Anteil von 33 Stoffen (87 %) auch aufgrund der IUCLID-Daten zur Toxizität nach wiederholter Verabreichung unseren Toxizitätsklassen C oder D zuzuordnen.

Für einen beträchtlichen Anteil der Klassierungen anhand der IUCLID-Daten stand nur eine Informationsgüte zur Verfügung, die als „wenig befriedigend“ zu bezeichnen ist, wir haben dies durch den Zusatz „II“ zu den Toxizitätsklassen kenntlich gemacht (Abschn. 4.5.1, Tab. 5.2, Tab. A3). Lässt man solche Stoffe unberücksichtigt und bezieht sich nur auf die Stoffe, für die bessere Information zugänglich war (Qualitätsstufe I), dann zählt man 6 Stoffe, die mit der Klasse C oder D bewertet wurden und nicht auch aufgrund des R-Satzes in die Klasse C oder D einzugruppieren sind. Addiert man diese 6 Stoffe zu den 38 Stoffen, die allein anhand der R-Sätze den höheren Toxizitätsgruppen zuzuordnen sind, dann ergibt sich eine Zahl von 44 Stoffen. Trotz der offensichtlichen Toxizität existiert bisher kein MAK-Wert für diese (nicht kanzerogenen) Stoffe.

Sicherlich ist ein Grund für das Fehlen von Grenzwerten für toxische Stoffe das Fehlen von Information, die als hinreichend für die wissenschaftliche Ableitung eines

„No Adverse Effect Level“ erachtet wird. Die ethisch komplexe Diskussion, ob bzw.

inwieweit jeweils wissenschaftliche Unsicherheit zu Lasten der Ökonomie und der Gesundheit Exponierter gehen soll, kann an dieser Stelle nicht geführt werden (s.

Abschn. 5.4). Als Ergebnis der durchgeführten Recherchen und Auswertungen lässt sich jedoch eine Liste von bisher nicht mit MAK-Werten (der DFG) regulierten Stoffen aufstellen, für die aus toxikologischer Sicht die in IUCLID enthaltene Information am ehesten für die Ableitung regelrechter Luftgrenzwerte geeignet erscheint. Dabei handelt es sich vorrangig um Stoffe, die aufgrund von Information der „Güteklasse“ I den Toxizitätsklassen C oder D zugeteilt wurden und die gleich-zeitig gemäß R-Sätzen den Hazard Bands C oder D zugehören. Tab. 5.4 zeigt diese Liste. Praktische Regulationsdefizite für diese Stoffe, die sich aus Art und Umfang der tatsächlichen Verwendung dieser Stoffe ergeben oder eben nicht ergeben, sowie auch Gesichtspunkte besonderer Regulationen, z.B. aufgrund der Biozid-Verord-nung, können hier nicht geprüft werden.

Besonders beachtenswert erscheinen aus präventivmedizinischer Sicht auch solche Stoffe, die aufgrund der R-Sätze den Hazard Bands A oder B zugehören, für die sich aufgrund der ausgewerteten toxikologischen Daten Hinweise auf eine höhere

Tab. 5.4 Liste von ausgewerteten Stoffen, für die aus toxikologischer Sicht die recherchierte Information am ehesten für die Ableitung von Luftgrenz-werten geeignet erscheint (s. Text)

CAS-Nr. Substanzname Hazard

Band

Tox.-Klasse

100-52-7 Benzaldehyd B C

108-18-9 Diisopropylamin C, S D

108-77-0 2,4,6-Trichlor-1,3,5-triazin C, S D

10265-92-6 Methamidophos D, S D

111-36-4 Butylisocyanat D, S D

116-15-4 Hexafluorpropen C C

126-33-0 Tetrahydrothiophen-1,1-dioxid B C

13547-70-1 1-Chlor-3,3-dimethylbutan-2-on D, S D

156-43-4 p-Phenetidin C D

15972-60-8 Alachlor D, S D

25103-58-6 tert-Dodecanthiol A, S D

2524-03-0 Dimethylchlorthiophosphat C, S D

2524-04-1 Diethylchlorthiophosphat C, S D

27247-96-7 2-Ethylhexylnitrat C, S C

594-42-3 Perchlormethylmercaptan D, S D

61788-32-7 Terphenyle, hydrogeniert -- D

624-92-0 Dimethyldisulfid B C

75-86-5 2-Cyanopropan-2-ol (Acetoncyanhydrin) D D

75-91-2 tert-Butylhydroperoxid C, S C

77-47-4 Hexachlorcyclopentadien D, S D

926-57-8 1,3-Dichlorobut-2-en C, S D

95-51-2 2-Chloranilin C D

95-74-9 3-Chlor-p-toluidin C, S D

96-24-2 3-Chlorpropan-1,2-diol C D

99-54-7 1,2-Dichlor-4-nitrobenzol B, S D

Toxizität ergeben haben (Klasse C oder D). Die Qualität der in IUCLID referierten Daten wurde in diesen Fällen in der Regel als „wenig befriedigend“ bewertet (Qualitätsstufe II). Auf die Möglichkeit, dass sich hinter diesen unbefriedigenden Informationen relevante Gefährdungen verbergen können, sei hingewiesen.

Die Tab. 5.4 enthält zwei Stoffe, für die in der TRGS 900 bereits Grenzwerte enthalten sind: Diisopropylamin und Perchlormethylmercaptan. Hinsichtlich der Herkunft der Grenzwerte wird dabei auf die Niederlande hingewiesen, der Grenzwert für Perchlormethylmercaptan ist außerdem als Luftgrenzwert mit unzureichender Datenlage gekennzeichnet. Die Werte sind etwas höher als die hier abgeleiteten Expositionszielgrößen und sollten überprüft werden. Die Tab. 5.2 enthält als weiteren Stoff mit Toxizitätsklasse D und Hazard Band D das Phenylisocyanat (CAS-Nr. 103-71-9). Dieses ist in Tab. 5.4 nicht aufgeführt, da bereits ein ARW besteht, der ungefähr dieselbe Höhe aufweist wie die hier abgeleitete Expositionszielgröße.

Tab. 5.4 und die Diskussion um einzelne Stoffe soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nur die relativ kleine Zahl von 173 Stoffen näher betrachtet wurde und davon nur für 99 Stoffe aufgrund der Datenlage überhaupt so etwas wie eine Expositionszielgröße abgeleitet werden konnte. Insofern ist auch hier nochmals auf das seit langem bekannte grundsätzliche Informationsdefizit hinzuweisen. Tab. 5.1 zeigt, dass für zirka 2000 von 2604 erfassten „hochtonnagigen“ Altstoffen kein Luftgrenzwert in Deutschland existiert und für zirka 1000 dieser Stoffe überhaupt keine Daten zur Toxizität nach wiederholter Verabreichung in IUCLID enthalten sind.

Für 413 Stoffe ohne MAK-Wert wurde ermittelt, dass Daten zur chronischen Toxizität nach wiederholter oraler Verabreichung in IUCLID verfügbar sein sollten. Diese Zahl ist jedoch nicht zu den hier betrachteten 173 Stoffen mit Inhalationsdaten zu addieren, da ein großer Teil der hier ausgewerteten Datensätze ebenfalls Oral-studien enthält, also in der Zahl von 413 bereits erfasst ist. Man kann vielleicht eine zusätzliche Zahl von höchstens 300 Stoff-Datensätzen abschätzen, die verwertbare Information für Expositionszielgrößen liefern könnten. Es ist auch zu berücksichtigen, dass nach den in Tab. A2 zusammengefassten Informationen auf eine beträchtliche Zahl von Stoffen zu schließen ist, bei denen es sich nicht um einzelne definierte Verbindungen handelt. Bei diesen Gemischen ist einerseits eine besonders

schlechte Informationslage zu verzeichnen, andererseits betreffen solche Gemische gegebenenfalls nur einen sehr begrenzten Bereich von Arbeitsplätzen.

5.4 Erweiterte Perspektiven abgestufter Maßnahmenkonzepte