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Abgestufte Maßnahmenkonzepte .1 Zwei Perspektiven

5 Ergebnisse und Diskussion

5.4 Erweiterte Perspektiven abgestufter Maßnahmenkonzepte unter Verwendung von Expositionszielgrößen - Bewertungen

5.4.2 Abgestufte Maßnahmenkonzepte .1 Zwei Perspektiven

Das britische System COSHH Essentials ist eine Form eines abgestuften Maßnahmenkonzepts zum Schutz vor chemischen Einwirkungen am Arbeitsplatz.

Die charakteristische Eigenschaft des Systems ist es, dass dabei explizit festgelegte Luftgrenzwerte für die einzelnen chemischen Stoffe nicht notwendig sind. Im Rahmen dieses von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aufgelegten Projektes wurden so genannte Expositionszielgrößen im Hinblick auf ein abgestuftes Maßnahmenkonzept abgeleitet, es wurden Stoffklassierungen durch-geführt und die Toxizitätsklassen mit den Hazard Bands nach dem System COSHH Essentials verglichen. Für die weitere Betrachtung erscheint es sinnvoll, gedanklich gewissermaßen nochmals einen Schritt zurückzugehen und folgende zwei Herangehensweisen bzw. Perspektiven hinsichtlich des Aufbaus eines abgestuften Maßnahmenkonzeptes zu unterscheiden:

I. Es wird als zutreffend unterstellt, dass die Maßnahmen nach COSHH Essentials geeignet sind, für die jeweilige Hazard Band die Einhaltung geeigneter Schichtmittelwerte und Kurzzeitwerte innerhalb des angestrebten Konzentrationsbereiches in der Luft (Target Airborne Concentration Range) sicherzustellen. Insbesondere für die beiden höchsten Hazard Bands wird von einer hinreichend niedrigen Maßnahmenschwelle in Bezug auf die physikalisch-chemischen Eigenschaften und die Art des Umgangs mit dem Stoff, bei der die Verwendung in geschlossenen Systemen gefordert wird, ausgegangen. Die Angabe eines genauen, einzuhaltenden Konzentrationswerts innerhalb der Bereiche erübrigt sich.

Die Frage ist dann nur: Wie ist das optimale Verfahren der Zuordnung eines Stoffes zu einer Hazard Band bzw. wie ist das Schutzniveau dieses Zuordnungsverfahrens zu beurteilen?

II. Es werden toxikologisch begründete Konzentrationswerte für die Toxizitätsklassen („Gruppengrenzwerte“) vorgegeben, und ein (neues) Maßnahmenkonzept ist so zu entwickeln, dass infolge der technischen Maßnahmen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (99 %, 95 %, 90 %, o.ä.) sowohl dieser Wert als Schicht-mittelwert eingehalten wird als auch eine unangemessene Kurzzeitüberschreitung ausgeschlossen ist.

Die erste Betrachtungsweise wurde in den vorausgegangenen Abschnitten 5.2.1 bis 5.2.3 zugrundegelegt. Dabei wurden die Pakete „physikalisch-chemische Eigenschaften" und „Maßnahmen“ von COSHH Essentials als gegeben voraus-gesetzt, und es wurden „nur“ zwei Verfahren der Klassierung der Stoffe nach ihrer Toxizität verglichen: die Einteilung in Hazard Bands gemäß R-Sätzen einerseits und die Zuordnung zu - in ihrer Form mit den Hazard Bands vergleichbaren - Klassen gemäß der „Expositionszielgröße“ andererseits. Dabei wurde für die beiden Klassierungsweisen grundsätzlich eine Korrelation festgestellt, wobei jedoch anhand der Expositionszielgrößen eindeutig auch eine Tendenz zu einer Höherklassierung festzustellen war. Geht man davon aus, dass in den Expositionszielgrößen in Form von Toxizitätsdaten nach wiederholter Verabreichung bzw. Exposition wichtige

zusätzliche Information enthalten ist, dann ist daher die Klassierung allein anhand der R-Sätze nicht als optimal zu betrachten.

Für die weiteren Überlegungen ist auf folgendes hinzuweisen: Bei der o.g.

Perspektive I. sind die Grenzen der Toxizitätsklassen keine Grenzwerte, die in der Praxis zu jedem Zeitpunkt einzuhalten bzw. zu überwachen sind, sie sind Hilfsgrößen für die Klassierung der Stoffe entsprechend der chronischen Toxizität, mit der zu rechnen ist, wenn Personen regelmäßig über viele Jahre inhalativ exponiert sind. Die Toxizitätsklassen sind als Maß für die Potenz (Wirkungsstärke) eines Stoffes im Hinblick auf chronische Toxizität zu betrachten: ein Stoff der Klasse C ist als toxischer zu betrachten als ein Stoff der Klasse B, ein Stoff der Klasse D ist als so toxisch zu betrachten, dass bei entsprechend verwendeter Menge die höchste Stufe der möglichen Maßnahmen zu wählen ist, abgestimmt auf die Menge, mit der umgegangen wird, und auf die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Stoffes.

Die explizite Nennung einer zulässigen Expositionskonzentration entspricht nicht dieser Betrachtungsweise. Es würde dem Gedanken des „abgestuften Maßnahmen-konzeptes“ widersprechen, diese Grenzen genauso wie „herkömmliche“ Grenzwerte zu betrachten. Hazard Bands oder Toxizitätsklassen können nur ein Bestandteil eines Maßnahmenkonzeptes sein. Welche Maßnahmen im Einzelfall zu ergreifen sind, hängt neben den Toxizitätsklassen ganz wesentlich von den physikalisch-chemischen Eigenschaften der Stoffe, von den verwendeten Mengen und der Art der Tätigkeit ab.

5.4.2.2 Besondere Fragen

Im Rahmen der Diskussionen in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-medizin über ein abgestuftes Maßnahmenkonzept traten folgende Fragen hinzu:

1. Sollten die Grenzen der Toxizitätsklassen anders gewählt werden als bisher geschehen, bzw. lässt sich durch eine solche abweichende Wahl der Klassen-grenzen eine völlige Kompatibilität zu COSHH Essentials herstellen?

2. Kann auf die methodisch kompliziert erscheinende Trennung der Klassenbildung für Gase/Dämpfe einerseits und Aerosole/Stäube andererseits verzichtet werden?

3. Welche Höchstkonzentrationen der Stoffe für die einzelnen Maßnahmenstufen sollten als zulässig erachtet werden?

Die erste Frage ist relativ leicht zu beantworten: Aus der Abb. 5.2 geht hervor, dass eine einfache Verschiebung des gesamten Systems der Klassengrenzen nicht zu einer besseren Übereinstimmung der Klassierungen nach R-Sätzen und nach Expositionszielgrößen führen würde. Gleichgültig, ob man das Raster nach links oder nach rechts verschiebt, in jedem Falle wird eine Verbesserung der Übereinstimmung für einige Substanzen mit einer Verschlechterung der Übereinstimmung für andere Substanzen erkauft. Ein einfaches Verfahren, anhand dessen eine völlige Kompatibilität zu den Hazard Bands nach COSHH Essentials erreicht würde, ist daher nicht ersichtlich. Auf dieser Grundlage kann daher sinnvollerweise keine Änderung der Klassengrenzen vorgenommen werden.

Die beiden weiteren Fragen (2. und 3.) sind weniger klar zu beantworten. Sie führen zu dem oben unter II. angesprochenen Komplex neu zu gestaltender Maßnahmen-pakete. Es kann hier nicht beantwortet werden, ob die technischen Maßnahmen nach COSHH Essentials in der Praxis geeignet sind, die unter den Gesichtspunkten des Gesundheitsschutzes angestrebten Expositionsminderungen zuverlässig zu erreichen bzw. im Ergebnis insgesamt einen angemessenen Gesundheitsschutz zu bieten. Diese Frage ist außerhalb des Bereichs der Toxikologie, sie betrifft vor allem die technischen Gesichtspunkte der Art der Maßnahmen und dabei auch die angemessene Berücksichtigung der physikalisch-chemischen Eigenschaften der Stoffe. Im vorausgegangenen Text wurde die Eignung der Maßnahmen einfach unterstellt und - wie beschrieben - die Art der Klassierung auf der Seite der Stofftoxikologie diskutiert. Um diesen Vergleich sinnvoll durchführen zu können, wurde eine getrennte Klassierung für Gase/Dämpfe einerseits und Aerosole/Stäube andererseits vorgenommen, da diese Trennung eben Bestandteil des Klassierungs-systems nach COSHH Essentials ist. Nunmehr soll unabhängig von COSHH Essentials der Frage nachgegangen werden, inwiefern eine Vereinfachung bzw.

Verbesserung der Klassierungsweise möglich ist. Dazu werden die Einzelwerte der Expositionszielgrößen in weiteren grafischen Darstellungen ausgewertet.

5.4.2.3 Summenhäufigkeitsverteilungen aller Expositionszielgrößen: Frage nach Klassengrenzen

Die Abbildungen 5.3 bis 5.6 zeigen die Summenhäufigkeitsverteilungen der Expositionszielgrößen. Die Abb. 5.3 und 5.4 enthalten die Expositionszielgrößen für alle als Gas/Dampf bewerteten Stoffe in der Einheit ppm, so wie sie auch für die Zuordnung zu den Toxizitätsklassen verwendet wurde. In Abb. 5.3 wurden in denkbar einfacher Weise Trennungen der Konzentrationswerte vorgenommen, indem die Quartile grafisch ermittelt wurden. Man erkennt, dass etwa ein Viertel der Werte kleiner ist als 0,1 ppm, ein weiteres Viertel liegt zwischen 0,1 und 1 ppm, und ein Viertel der Werte ist größer als 10 ppm. Daran kann man die Frage anschließen:

Eignet sich diese Einteilung, die eine gleichmäßige Verteilung der Anzahl der Stoffe auf vier Gruppen bieten würde, für ein Klassierungssystem im Hinblick auf Maßnahmen am Arbeitsplatz?

Zum Vergleich ist in Abb. 5.4 die bisher verwendete Klassentrennung der Toxizitätsklassen gezeigt: Dabei ist die Klasse mit den niedrigsten Werten, die bis 0,5 ppm reicht, stärker besetzt. Was dies für die Praxis bedeutet, hängt davon ab, in welcher Weise man die Klassengrenzen verwendet. Dies sei an der Unterscheidung der eingangs genannten Perspektiven I. und II. (Abschn. 5.4.2.1) verdeutlicht. Geht man davon aus, dass die Anforderungen in der Praxis fest vorgegeben sind und dabei so gestaltet sind, dass bei Stoffen der Klasse D im Falle des Umgangs mit einer entsprechend großen Menge eine maximale Expositionsminderung erreicht wird - d.h. dass ein geschlossenes System verwendet wird, dann bietet das Konzept ein umso höheres Schutzniveau je höher die Klassengrenze angesetzt ist. Würde man anstatt der Klassengrenzen von Abb. 5.4 die Quartile von Abb. 5.3 zugrunde legen, dann würde ein Stoff mit einem Wert der Expositionszielgröße von 0,4 ppm in der Klasse C liegen, es wäre also bei gleichen physikalisch-chemischen Eigenschaften zum Beispiel zulässig, mit größeren Mengen umzugehen als bei

Abb. 5.3 Summenhäufigkeiten der Expositionszielgrößen der als Gase/Dämpfe bewerteten Stoffe und Markierung der Quartile

Abb. 5.4 Summenhäufigkeiten der Expositionszielgrößen der als Gase/Dämpfe bewerteten Stoffe und Markierung der Grenzen der Toxizitätsklassen 0

20 40 60 80 100

0,001 0,01 0,1 1 10 100 1000 10000 Expositionszielgröße [ppm]

% Summenhäufigkeit

75 %

50 %

25 %

IV. Viertel III.

I. II.

0 20 40 60 80 100

0,001 0,01 0,1 1 10 100 1000 10000

% Summenhäufigkeit

Expositionszielgröße [ppm]

A B

C D

Toxizitätsklassen

Abb. 5.5 Summenhäufigkeiten aller 99 Expositionszielgrößen, ausgedrückt in mg/m3, und Markierung der Quartile (schwarze Punkte: Stäube/Aero-sole; weiße Punkte: Gase/Dämpfe)

Abb. 5.6 Summenhäufigkeiten aller 99 Expositionszielgrößen und Markierung angenäherter Grenzen für Masse-bezogene Toxizitätsklassen für Gase/Dämpfe, ausgedrückt in mg/m3 (siehe Text)

0 20 40 60 80 100

0,001 0,01 0,1 1 10 100 1000 10000

75 %

50 %

25 %

IV. Viertel III.

II.

I.

Expositionszielgröße [mg/m3]

% Summenhäufigkeit

0 20 40 60 80 100

0,001 0,01 0,1 1 10 100 1000 10000

B A D C

% Summenhäufigkeit

Expositionszielgröße [mg/m3] Masse-bezogene

Toxizitäts-klassen für Gase/Dämpfe